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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 02.02.2007
Aktenzeichen: 14 U 158/05
Rechtsgebiete: BGB, KSchG
Vorschriften:
BGB § 675 | |
KSchG § 4 S. 1 |
Oberlandesgericht Karlsruhe 14. Zivilsenat in Freiburg Im Namen des Volkes Urteil
Geschäftsnummer: 14 U 158/05
Verkündet am 02.02.2007
In dem Rechtsstreit
wegen Schadensersatzes
Tatbestand:
Der Kläger hat den beklagten Rechtsanwalt auf Schadensersatz in Anspruch genommen, nachdem seine Kündigungsschutzklage wegen Versäumung der Frist des § 4 S. 1 KSchG abgewiesen worden ist. Der Kläger, der nach seinem Vortrag damals an einer Alkoholerkrankung litt, hatte dem Beklagten mitgeteilt, daß das Kündigungsschreiben in einem freigestempelten Briefumschlag in seinem Briefkasten lag, und der Beklagte hatte daraus geschlossen, daß es mit der Post gesandt worden ist und dem Kläger frühestens einen Tag nach der Aufgabe zugegangen sein kann. Das Arbeitsgericht hatte es für erwiesen erachtet, daß die Kündigung durch einen Boten gebracht worden und dem Kläger einen Tag früher zugegangen ist, als der Beklagte angenommen hatte.
Das Landgericht hat die Klage mit der Begründigung abgewiesen, dem Beklagten sei keine Verletzung anwaltschaftlicher Sorgfaltspflicht vorzuwerfen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das OLG zurückgewiesen.
Gründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Dem Beklagten fällt keine Verletzung anwaltlicher Pflichten zur Last.
Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt solange auf die Richtigkeit der tatsächlichen Angaben seines Mandanten vertrauen und braucht insoweit keine eigenen Nachforschungen anzustellen, als er die Unrichtigkeit weder kennt noch erkennen muß. Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht in Bezug auf Informationen, die nur scheinbar tatsächlicher Natur sind. Teilt der Mandant eine sogenannte Rechtstatsache mit, hat der Anwalt sie durch Rückfragen in die zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände und Vorgänge aufzulösen oder, sofern dies keine zuverlässige Klärung erwarten läßt, weitere Ermittlungen anzustellen (BGH, NJW 1994, 2293; BGH, NJW-RR 1995, 825).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muß ein Rechtsanwalt im übrigen alles ihm Zumutbare unternehmen, damit Rechtsmittelfristen gewahrt werden (BGH, NJW-RR 1998, 786). Dazu gehört vorrangig, daß er eigenverantwortlich das für den Beginn des Laufs der Rechtsmittelfrist maßgebliche Zustellungsdatum feststellt, sich also bei der Formalienprüfung nicht auf die Angaben der Partei verläßt, sondern sich erforderlichenfalls einen Zustellungsnachweis vorlegen läßt oder bei Gericht das Zustellungsdatum erfragt (BGH a.a.O.). Auch wenn ein Rechtsanwalt eine Anwaltsgehilfin beauftragt, die Berufungsschrift auf dem normalen Postweg zu versenden, darf er ohne Rückfrage bei Gericht nicht davon ausgehen, daß die Rechtsmittelschrift erst am folgenden Tag bei Gericht eingehen werde, sondern muß damit rechnen, daß seine Anweisung vergessen und die von den Bürokräften etwa als eilig eingestufte Rechtsmittelschrift noch am selben Tag zum Gericht befördert wird, so daß die Berufungsbegründungsfrist nach § 519 Abs. 2 S. 2 ZPO a. F. einen Tag früher abläuft, als von dem Anwalt unter Zugrundelegung einer Postlaufzeit von einem Tag angenommen (BGH, VersR 1991, 121). Denn - so hat der Bundesgerichtshof ausgeführt - es bedeute nur eine geringe Mühe, das genaue Eingangsdatum durch eine telefonische Rückfrage bei der Geschäftsstelle des Gerichts festzustellen, und eine derartige Rückfrage sei im Interesse der Rechtssicherheit von einem Rechtsanwalt zu verlangen, damit das Ende der Rechtsmittelbegründungsfrist zuverlässig festgestellt wird und diese Feststellung nicht in unnötiger Weise von bloßen Mutmaßungen und Wahrscheinlichkeitserwägungen abhängig bleibt.
Den vom Zugang der Kündigung abhängigen Beginn der Frist des § 4 S. 1 KSchG kann ein Rechtsanwalt dagegen nicht bei Gericht erfragen. Der Beklagte hat sich auch nicht damit begnügt, den Kläger zu fragen, wann ihm die Kündigung zugegangen ist. Der Beklagte hat vielmehr gefragt, wann der Kläger die Kündigung im Briefkasten vorgefunden hat, ob er den Briefkasten auch an dem Werktag davor geleert hat und ob der die Kündigung enthaltende Umschlag frankiert oder freigestempelt gewesen ist. Hätte der Kläger dem Beklagten den freigestempelten Briefumschlag vorgelegt, hätte der Beklagte sicherlich ohne Verstoß gegen anwaltliche Sorgfaltspflichten davon ausgehen können, daß die Kündigung mit der Post geschickt worden und daher frühestens am 30.04.2003 zugegangen ist. Durch die rein theoretische Möglichkeit, daß ein Arbeitgeber einen freigestempelten Brief zum Zwecke der Täuschung des Arbeitnehmers durch Boten zustellen läßt, muß sich ein Anwalt nicht davon abhalten lassen, die im Gesetz vorgesehene Frist auszuschöpfen. Dies durfte der Beklagte ohne Sorgfaltsverstoß auch im vorliegenden Fall tun, da ihm der Kläger versichert hatte, daß die Kündigung in einem freigestempelten Umschlag in seinem Briefkasten lag. Diese Erklärung des Klägers betraf keine Rechtstatsache, sondern war die Mitteilung einer Tatsache, auf deren Richtigkeit der Anwalt grundsätzlich vertrauen darf. Der Ansicht des Klägers, ein Anwalt müsse sich den Briefumschlag, den der Mandant nicht dabei hat, noch vorlegen lassen, um zu kontrollieren, ob er tatsächlich freigestempelt worden ist, kann nicht gefolgt werden. Zwar muß sich ein Anwalt die Gaststättenerlaubnis und die Baugenehmigung vorlegen lassen, wenn Zweifel bestehen, ob das Vertragsziel des Pachtvertrags, den sein Mandant abschließen will, erreicht werden kann (BGH NJW 1996, 2929). Bei solchen Urkunden geht es jedoch um das richtige Verständnis des rechtlichen Inhalts. Dagegen ist ein Anwalt nicht besser als sein Mandant in der Lage, einen Briefumschlag in Augenschein zu nehmen und festzustellen, ob er freigestempelt ist. Auch ohne juristische Ausbildung kann ein erwachsener Mensch zuverlässig Auskunft darüber erteilen, ob ein Umschlag, dem er ein Kündigungsschreiben entnommen hat, frankiert oder freigestempelt war, oder aber mitzuteilen, daß er nicht darauf geachtet oder keine sichere Erinnerung daran habe. Müßte der Rechtsanwalt den Mandanten auffordern, den Umschlag noch vorzulegen, um zu überprüfen, ob er tatsächlich - wie von dem Mandanten ohne Zweifel oder Unsicherheit mitgeteilt - freigestempelt war, so wäre dies für beide eine das Mandatsverhältnis belastende Zumutung. Ein Mandant will ebensowenig den Eindruck vermittelt bekommen, daß sein Rechtsanwalt ihn nicht für fähig hält, einen freigestempelten von einem nicht gestempelten Umschlag zu unterscheiden und insoweit zutreffende Angaben zu machen, wie ein Rechtsanwalt seinem Mandanten einen solchen Eindruck vermitteln will. Im vorliegenden Fall galt nichts anderes und hatte der Beklagte keinen Anlaß, an der Zuverlässigkeit der vom Kläger erteilten Auskunft zu zweifeln Es gibt keinen Grundsatz, daß die Zurechnungsfähigkeit und Wahrnehmungsfähigkeit eines "nüchternen" Alkoholikers so sehr eingeschränkt ist, daß er nicht imstande ist, zwischen einem frankierten bzw. freigestempelten und einem nicht frankierten Umschlag zu unterscheiden und seinem Rechtsanwalt mitzuteilen, daß die Kündigung in einem frankierten oder freigestempelten Brief im Briefkasten lag, oder daß er nicht darauf geachtet habe oder es nicht mehr wisse. Der Kläger war in der Lage, seinen Briefkasten zu leeren, den Briefumschlag zu öffnen, das darin befindliche Schreiben zu lesen, seinen Inhalt zu begreifen, einen Termin mit dem Beklagten zu vereinbaren, ihn in diesem Termin mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage zu beauftragen und ihm weitere Informationen zu geben, die in der Kündigungsschutzklage vorgetragen worden sind. Wer hierzu in der Lage ist, kann nicht geltend machen, sein Anwalt habe Anlaß gehabt, seiner Aussage, daß das Kündigungsschreiben in einem mit Freistempler frankierten Briefumschlag gekommen ist, keinen Glauben zu schenken. Daß der Kläger die Frage des Beklagten, ob er seinen Briefkasten am 30.04.2003 geleert habe, nicht exakt, sondern nur mit einem "er meine schon" beantwortet hat, bot ebenfalls keinen Anlaß an seiner weiteren - eindeutigen - Aussage zu zweifeln, daß der Umschlag freigestempelt war. Dies hat vielmehr gezeigt, daß der Kläger sehr wohl in der Lage war, zwischen Umständen, die er wußte, und solchen, die er nicht sicher angeben konnte, zu unterscheiden. Der Beklagte hat sich auch nicht darauf verlassen, daß die Kündigung erst am 02.05.2003 zugegangen ist, sondern hat die Frist auf der Grundlage eines - nach den Angaben des Klägers nicht auszuschließenden - Zugangs am 30.04.2003 berechnet.
Zu erwägen wäre allenfalls, ob der Anwalt, der den vom Mandanten nicht mitgeführten Briefumschlag nicht selbst in Augenschein nehmen kann, stillschweigend von einem möglichen Zugang am Tag der Verfassung des Kündigungsschreibens ausgehen und diesen bei der Berechnung der Klagefrist zugrundelegen muß, weil in Rechnung zu stellen ist, daß der Mandant die Bedeutung der ihm gestellten Fragen und die Konsequenzen einer unzutreffenden, nicht mit gehöriger Sorgfalt bedachten Antwort verkennt. Im Regelfall wird ein Arbeitnehmer, der einen Anwalt aufsucht, um ihn zu beauftragen, gegen eine Kündigung seines Arbeitgebers vorzugehen, jedoch erkennen, daß die Fragen, die ihm der Anwalt im Hinblick auf den Zeitpunkt und die Umstände des Zugangs der Kündigung stellt, von maßgebender Bedeutung sind und eine unzutreffende Anwort rechtliche Nachteile haben kann. Im Fall des Klägers kann jedenfalls kein Zweifel daran bestehen, daß ihm die Bedeutung der Fragen und die Konsequenzen einer unzutreffenden Antwort bekannt waren, denn der Kläger hat selbst vorgetragen, daß er als Prokurist über arbeitsrechtliche Grundkenntnisse verfügt habe, die sowohl die Problematik des Zugangs einer Kündigung wie auch die dreiwöchige Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage umfaßten. Dem Kläger war also bewußt, daß die Frist, binnen derer die Kündigungsschutzklage einzureichen war, um Aussicht auf Erfolg zu haben, aufgrund seiner Angaben zu dem Briefumschlag berechnet und notiert wurde.
Ende der Entscheidung
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