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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 06.10.2004
Aktenzeichen: 15 AR 40/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 29 Abs. 1
ZPO § 280 Abs. 1
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
1. Art. 31 Abs. 1 CMR (internationale Zuständigkeit im Geltungsbereich der CMR) steht einer wirksamen Vereinbarung von Ziff. 30.2 1. Halbsatz ADSp (örtliche Zuständigkeit am Ort der Niederlassung des Spediteurs) nicht entgegen. Nur Art. 30.2 2. Halbsatz ADSp (ausschließliche Zuständigkeit bei Ansprüchen gegen den Spediteur kann mit der Regelung in Art. 31 Abs. 1 CMR kollidieren.

2. Eine Verweisung gemäß § 281 Abs. 1 ZPO ist nicht bindend, wenn dem Beklagten vorher kein rechtliches Gehör gewährt worden ist; das gilt in der Regel auch dann, wenn der Beklagte zwar selbst die fehlende örtliche Zuständigkeit des Gerichts gerügt hatte, ihm jedoch der Verweisungsantrag des Klägers nicht mitgeteilt worden war.


Oberlandesgericht Karlsruhe 15. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 15 AR 40/04

06. Oktober 2004

In Sachen

wegen Gerichtsstandsbestimmung

Tenor:

Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Mannheim bestimmt.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Bezahlung einer Transport-Vergütung in Höhe von 870,- €. Nach Durchführung eines Mahnverfahrens hat das Amtsgericht S. - Mahnabteilung - das Verfahren auf Antrag der Klägerin an das Amtsgericht M. abgegeben. Zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts M. hat sich die Klägerin auf Ziff. 30.2 ADSp berufen.

In der Klageerwiderung hat die Beklagte die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, da die Klägerin mit einem internationalen Transport beauftragt gewesen sei, finde Art. 31 CMR Anwendung. Ziff. 30.2 ADSp sei mit Art. 31 CMR unvereinbar und daher unwirksam. Das Amtsgericht M. hat die Klägerin mit Verfügung vom 04.05.2004 zur Stellungnahme zur örtlichen Zuständigkeit binnen zwei Wochen aufgefordert.

Mit Schriftsatz vom 17.05.2004 hat die Klägerin zur Frage der örtlichen Zuständigkeit Stellung genommen und hierbei an ihrer Auffassung, dass das Amtsgericht M. örtlich zuständig sei, festgehalten. Hilfsweise hat die Klägerin beantragt, den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Amtsgericht in O. zu verweisen. Außerdem hat die Klägerin "vorsorglich" den Antrag gestellt, über die Zuständigkeitsfrage vorab im schriftlichen Verfahren durch Zwischenurteil zu entscheiden.

Mit Beschluss vom 08.07.2004 hat das Amtsgericht M. sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gem. § 281 ZPO an das örtlich zuständige Amtsgericht O. verwiesen. Ein Doppel des Schriftsatzes der Klägerin vom 17.05.2004 ist der Beklagten - erstmals - gleichzeitig mit einer Ausfertigung des Verweisungsbeschlusses vom 08.07.2004 übermittelt worden.

Mit Verfügung vom 22.07.2004 hat das Amtsgericht O. eine Übernahme des Verfahrens abgelehnt und die Akten an das Amtsgericht M. zurückgesandt. Zur Begründung hat das Amtsgericht O. ausgeführt, die Verweisung durch das Amtsgericht M. sei im Sinne der Grundsätze der Rechtsprechung als willkürlich und daher als nicht bindend anzusehen. Mit Beschluss vom 29.07.2004 hat daraufhin das Amtsgericht M. die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

Örtlich zuständig ist das Amtsgericht M..

1. Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO liegen vor. Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist für diese Entscheidung zuständig gem. § 36 Abs. 2 ZPO. Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts ist erforderlich, da sich sowohl das Amtsgericht M. als auch das Amtsgericht O. im Sinne von § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

2. Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts M. ergibt sich aus den ADSp (Allgemein Deutsche Spediteurbedingungen). Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass die ADSp wirksam in den streitgegenständlichen Transportvertrag einbezogen wurden.

a) Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts M. folgt aus Ziff. 30.2 1. HS ADSp. Die Klägerin ist Spediteur im Sinne dieser Vorschrift. Sie hat ihre maßgebliche Niederlassung unstreitig in M.. Bedenken gegen die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung sind nicht ersichtlich. Insbesondere sind beide Parteien Kaufleute. Auch im Geltungsbereich der CMR richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach den allgemeinen deutschen Vorschriften, insbesondere auch nach einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung (vgl. Art. 1 a CMR; Koller, Transportrecht, 5. Aufl. 2004, Art. 1 a CMR Rn. 1 sowie Art. 31 CMR Rn. 6).

b) Die Regelung der internationalen Zuständigkeit in Art. 31 Abs. 1 CMR steht - entgegen der Auffassung des Amtsgerichts M. - der Gerichtsstandsvereinbarung in Ziff. 30.2 erster Halbsatz ADSp nicht entgegen. Ziff. 30.2 ADSp enthält zwar eine Regelung nicht nur für die örtliche sondern auch für die internationale Zuständigkeit (vgl. Koller, a.a.O., Ziff. 30 ADSp Rn. 3). Ziff. 30.2 erster Halbsatz ADSp verschafft dem Spediteur einen zusätzlichen Gerichtsstand, der nicht mit Art. 31 Abs. 1 CMR kollidiert. Art. 31 Abs. 1 CMR hindert die Beteiligten nicht, einen zusätzlichen (nicht ausschließlichen) Gerichtsstand zu vereinbaren (vgl. Koller, a.a.O., Art. 31 CMR Rn. 5). Einen ausschließlichen (internationalen und örtlichen) Gerichtsstand bestimmt lediglich die Regelung in Art. 30.2 zweiter Halbsatz ADSp (Ansprüche gegen den Spediteur), die vorliegend keine Anwendung findet. Die Frage einer Kollision von Ziff. 30.2 ADSp kann sich dementsprechend nur für die vorliegend nicht anwendbare Regelung in Ziff. 30.2 zweiter Halbsatz ADSp, nicht jedoch für die hier allein maßgebliche Regelung in Ziff. 30.2 erster Halbsatz ADSp stellen (vgl. Koller a.a.O., Art. 31 CMR Rn. 5, 6 sowie Ziff. 30 ADSp Rn. 5 a; Demuth in Thume, Kommentar zur CMR, 1994, Art. 31 CMR Rn. 45; ebenso OLG Hamburg, Transportrecht 2001, 300, 301 für die - inhaltsgleiche - frühere Regelung in § 65 b ADSp). Soweit sich das Amtsgericht M. in den Gründen der Entscheidung vom 08.07.2004 auf die Kommentierung von Koller, Rn. 6 zu Art. 31 CMR beruft, beruht dies auf einem Missverständnis: Koller vertritt in seiner Kommentierung die Auffassung, dass sich die Regelung der internationalen Zuständigkeit einerseits und der örtlichen Zuständigkeit andererseits in Ziff. 30.2 zweiter Halbsatz ADSp nicht voneinander trennen lassen; dass hingegen die Regelungen in Ziff. 30.2 erster Halbsatz einerseits und zweiter Halbsatz andererseits rechtlich einheitlich im Hinblick auf ihre Wirksamkeit zu betrachten wären, lässt sich der zitierten Kommentierung von Koller nicht entnehmen.

c) Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts M. ergibt sich im übrigen auch aus Ziff. 30.1 ADSp i.V.m. § 29 Abs. 1 ZPO (Gerichtsstand des Erfüllungsortes). Gegen die wirksame Vereinbarung des Erfüllungsorts in Ziff. 30.1 ADSp sind Bedenken nicht ersichtlich (vgl. Koller, a.a.O., Art. 31 CMR Rn. 6; Ziff. 30 ADSp Rn. 2 und Rn. 5 a).

3. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts M. vom 08.07.2004 steht der Zuständigkeit des Amtsgerichts M. nicht entgegen. Denn der Verweisungsbeschluss ist nicht bindend.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verweisung - abweichend von § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO - nicht bindend sein kann, wenn sie "objektiv willkürlich" erscheint; die Rechtsprechung der Obergerichte räumt hierbei der Einhaltung bestimmter Verfahrensvorschriften, die für besonders bedeutsam erachtet werden, teilweise den Vorrang ein, gegenüber dem normalerweise geltenden Grundsatz der Bindung von Verweisungsentscheidungen (vgl. zu den Einzelheiten Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 281 ZPO Rn. 17 m.w.N.). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung, auch wenn nicht zu verkennen ist, dass die Abgrenzung derjenigen Verfahrensfehler, die zu einer Durchbrechung der Bindungswirkung führen müssen, vielfach schwierig ist (vgl. zu dieser Problematik Tombrink, Was ist "Willkür"? - Die "willkürliche" Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Gericht, NJW 2003, 2364).

Hervorzuheben ist, dass der unglückliche Begriff der "objektiven Willkür" (vgl. dazu Endell, Die Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen und der Begriff der "objektiven Willkür", DRiZ 2003, 133, 135) grundsätzlich keinen Vorwurf gegenüber dem die Verweisung aussprechenden Richter enthält; ein solcher Vorwurf stünde dem Senat ohnehin nicht zu. Es geht vielmehr lediglich um eine nach Auffassung des Senats aus bestimmten verfahrensrechtlichen Gründen erforderliche sachliche Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung in einem nach der Zivilprozessordnung vorgegebenen Verfahren, entsprechend und vergleichbar der üblichen Abänderung von Gerichtsentscheidungen in Beschwerde-, Berufungs- oder Revisionsverfahren.

Im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen, unter denen nach den Grundsätzen der Rechtsprechung die bindende Wirkung einer Verweisung zu verneinen ist, vor.

a) Allerdings steht der Umstand, dass das Amtsgericht M. nicht ausdrücklich über den Antrag der Klägerin befunden hat, über die Zuständigkeitsfrage durch Zwischenurteil zu entscheiden, der Bindungswirkung nicht entgegen. Insoweit ist ein Verfahrensfehler des Amtsgerichts M. nicht ersichtlich. Das Amtsgericht M. hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Anordnung gem. § 280 Abs. 1 ZPO (abgesonderte Verhandlung über einen Zwischenstreit) im nicht nachprüfbaren Ermessen des erkennenden Gerichts steht. Der entsprechende "Antrag" der Klägerin enthielt der Sache nach lediglich eine Anregung gegenüber dem Gericht (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 280 ZPO Rn. 3), zu der eine ausdrückliche Entscheidung des Amtsgerichts M. nicht erforderlich war. Dass das Amtsgericht M. von der Möglichkeit einer abgesonderten Verhandlung keinen Gebrauch machen wollte, ergibt sich konkludent aus den Gründen des Verweisungsbeschlusses vom 08.07.2004.

b) Der Bindungswirkung der Verweisung steht allerdings entgegen, dass das Amtsgericht M. der Beklagten vor der Entscheidung kein rechtliches Gehör zum Verweisungsantrag der Klägerin im Schriftsatz vom 17.05.2004 gewährt hat; denn die Beklagte hat von diesem Hilfsantrag - und der Begründung des Antrags - Kenntnis erst erhalten, als das Amtsgericht die Verweisung mit Beschluss vom 08.07.2004 bereits ausgesprochen hatte. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine solche Verletzung des rechtlichen Gehörs - auch wenn sie lediglich auf einem Versehen des Gerichts beruht - der Bindung der Verweisung entgegensteht. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit die Versagung des rechtlichen Gehörs für die Verweisung kausal geworden ist (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 281 ZPO Rn. 17 a mit Rechtsprechungsnachweisen).

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts M. (vgl. den Beschluss vom 29.07.2004) war eine Anhörung der Beklagten zum Verweisungsantrag auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Beklagte bereits selbst die örtliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts M. gerügt hatte. Denn die Beklagte hat mit dieser Rüge keine Erklärung verbunden, vor welchem Gericht nach ihrer Auffassung der Rechtsstreit verhandelt werden solle. Die Beklagte hat auch keine Stellungnahme zu den Voraussetzungen einer örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts O. abgegeben, da zum Zeitpunkt der Rüge der Beklagten die Klägerin noch keine Verweisung beantragt hatte. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Beklagte bei ihrer Rüge auch noch nicht ohne weiteres damit rechnen musste, dass ein Erfolg ihrer Rüge eine Verhandlung vor dem Amtsgericht O. zur Folge haben musste, da eine örtliche Zuständigkeit verschiedener Gerichte in Betracht kam (beispielsweise auch des für den Sitz der Beklagten örtlich zuständigen Amtsgerichts). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - der der Senat folgt - hat für derartige Fälle klargestellt, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs vor einer Verweisung voraussetzt, dass die betreffende Partei weiß, an welches Gericht eine Verweisung in Betracht kommt und dementsprechend zu den maßgeblichen Umständen für die Zuständigkeit dieses Gerichts vortragen kann (vgl. BGHR ZPO § 281 Abs. 2 Gehör, rechtliches 3 (Gründe); BGH, FamRZ 1997, 171; BGH, NJWE-FER 1997, 115). Eine derartige Gelegenheit zur Stellungnahme ist der Beklagten vom Amtsgericht M. versagt worden.

Ende der Entscheidung

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