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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 20.09.2004
Aktenzeichen: 15 AR 43/04
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 269 Abs. 1
BGB § 270 Abs. 4
ZPO § 13
ZPO § 36 Abs. 1 Ziff. 6
ZPO § 36 Abs. 2
ZPO § 39 Satz 1
ZPO § 281
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
ZPO § 504
1. Ein Verweisungsbeschluss in einem Bauprozess, bei dem das Gericht für den Vergütungsanspruch des Unternehmers - entgegen der herrschenden Meinung - keinen Erfüllungsort am Ort des Bauwerks annimmt, ist nicht willkürlich und daher bindend (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. den Beschluss vom 16.2.2004 - 15 AR 1/04 -).

2. Das gilt auch dann, wenn das verweisende Gericht zunächst von seiner eigenen Zuständigkeit ausgeht, diese Rechtsauffassung jedoch nach 2 1/2-jähriger Verfahrensdauer und nach einer umfangreichen Beweisaufnahme im Zusammenhang mit einem Richterwechsel ändert.


Oberlandesgericht Karlsruhe 15. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 15 AR 43/04

20. September 2004

In Sachen

wegen Gerichtsstandsbestimmung

Tenor:

Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Neustadt an der Weinstraße bestimmt.

Gründe:

I.

Die Klägerin hat mit Mahnbescheid des Amtsgerichts S. vom 15.06.2001 von dem (inzwischen verstorbenen) Rechtsvorgänger der Beklagten Zahlung von Werklohn in Höhe von 954,85 € verlangt. Der (verstorbene) Rechtsvorgänger der Beklagten hatte seinen Wohnsitz in N.. Der Werklohn betrifft ein Bauvorhaben des Rechtsvorgängers der Beklagten in I. (Amtsgerichtsbezirk H.).

Das Amtsgericht S. hat das Mahnverfahren nach Widerspruch antragsgemäß an das Amtsgericht H. abgegeben. Im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung am 24.10.2001 hat der Rechtsvorgänger der Beklagten vorab die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts H. gerügt. Das Amtsgericht H. hat sich zur Frage der Zuständigkeit zunächst der Rechtsauffassung der Klägerin (örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts H. gem. § 29 ZPO) angeschlossen und eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt. Nach einem Richterwechsel hat das Amtsgericht H. mit Verfügung vom 01.03.2004 die Parteien darauf hingewiesen, dass "nach derzeitiger Auffassung des Gerichts" das Amtsgericht N. (und nicht das Amtsgericht H.) örtlich zuständig sei. Auf den Hilfsantrag der Klägerin hat das Amtsgericht H. sodann mit Beschluss vom 01.04.2004 das Verfahren an das Amtsgericht N. verwiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht H. ausgeführt, Erfüllungsort für die von der Klägerin geltend gemachte Forderung sei gem. §§ 270 Abs. 4, 269 Abs. 1 BGB N., so dass eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts H. auch unter dem Gesichtspunkt des Erfüllungsorts nicht gegeben sei.

Mit Verfügung vom 14.06.2004 hat das Amtsgericht N. die Akten "unter Ablehnung der Übernahme" an das Amtsgericht H. zurückgesandt. Das Amtsgericht N. hält den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts H. für fehlerhaft und objektiv willkürlich. Auf den Gesichtspunkt, dass es den Parteien angesichts des schon über mehrere Jahre beim Amtsgericht H. betriebenen Rechtsstreits schwer zu vermitteln sei, sich nunmehr auf eine Verweisung an das Wohnsitzgericht einzulassen, komme es nicht mehr an.

Das Amtsgericht H. hat die Akten an das Amtsgericht N. zurückgesandt mit der Begründung, der Verweisungsbeschluss vom 01.04.2004 sei bindend. Das Amtsgericht N. hat die Akten darauf dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

Zuständig ist das Amtsgericht N..

1. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat liegen vor. Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist zuständig zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts gem. § 36 Abs. 2 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung gem. § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO liegen vor. Denn sowohl das Amtsgericht H. als auch das Amtsgericht N. haben sich im Sinne dieser Vorschrift "rechtskräftig für unzuständig erklärt".

Der Umstand, dass das Amtsgericht N. die Akten dem Amtsgericht H. nicht mit einem "Beschluss", sondern mit einer "Verfügung" zurückgesandt hat, hindert eine Entscheidung gem. § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO nicht. Entscheidend ist, dass das Amtsgericht N. mit der als "Verfügung" bezeichneten Entscheidung vom 14.06.2004 eine bestimmte und endgültige Ablehnung der Übernahme zum Ausdruck gebracht hat und nicht etwa lediglich eine unverbindliche Anregung oder Bitte gegenüber dem Amtsgericht H., die dortige Rechtsauffassung zu überprüfen (vgl. zu derartigen "Anregungen" Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 24. Aufl. 2004, § 36 ZPO Rn. 24). Entscheidende Voraussetzung für eine "rechtskräftige Unzuständigkeitserklärung" im Sinne von § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO ist der Umstand, dass es sich bei der Verfügung nicht lediglich um einen rein gerichtsinternen Vorgang handelt, sondern dass die Rückgabeverfügung beiden Parteien mitgeteilt worden ist (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 36 ZPO Rn. 24 und Rn. 25). Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung in ähnlichen Fällen eine Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO teilweise abgelehnt wurde (vgl. die Zitate bei Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 36 ZPO Rn. 24 zu "nicht mitgeteilten Verweisungen, Ab- und Rückgabeverfügungen"), war jeweils die fehlende Mitteilung der gerichtlichen Verfügung bzw. Entscheidung maßgeblich.

2. Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts N. ergibt sich aus § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Nach der ausdrücklichen Regelung des Gesetzes ist der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts H. für das Amtsgericht N. bindend. Auf die Frage, ob dem Amtsgericht H. hierbei eventuell ein Fehler unterlaufen ist, kommt es nicht an.

3. Nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zu § 281 ZPO ist einer Verweisung allerdings dann - ausnahmsweise - die Bindungswirkung zu versagen, wenn sich die Verweisung als "objektiv willkürlich" darstellt (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 281 ZPO Rn. 17 ff). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Entscheidung des Amtsgerichts H. ist nach Auffassung des Senats zumindest vertretbar und daher keinesfalls "objektiv willkürlich".

a) Das Amtsgericht H. hat bei der Verweisung zutreffend die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts N. gem. § 13 ZPO berücksichtigt. Der verstorbene Rechtsvorgänger der Beklagten hatte seinen Wohnsitz in N..

b) Soweit das Amtsgericht H. im Beschluss vom 01.04.2004 eine eigene örtliche Zuständigkeit abgelehnt hat, erscheint dies jedenfalls vertretbar.

aa) Das Amtsgericht N. weist zutreffend darauf hin, dass die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung bei einer Handwerkerleistung an einem Bauwerk den Ort des betreffenden Gebäudes als gemeinsamen Erfüllungsort ansieht, auch für die Zahlungsverpflichtungen des Auftraggebers (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 29 ZPO Rn. 25 "Bauwerkvertrag"; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 9. Aufl. 1999, Rn. 418 ff). Diese Auffassung ist allerdings nicht gänzlich unbestritten. Teilweise wird in Rechtsprechung und Literatur auch die Meinung vertreten, es gebe bei Bauverträgen keinen gemeinsamen Erfüllungsort; gem. § 269 Abs. 1 BGB sei für die Zahlungsverpflichtung des Auftraggebers der Wohnsitz bzw. der Sitz des Auftraggebers bei Vertragsschluss (vgl. die Nachweise bei Werner/Pastor a.a.O.; LG Karlsruhe MDR 1990, 1110) maßgeblich. Die Bedenken gegen die herrschende Meinung werden vor allem damit begründet, dass der rechtliche Gesichtspunkt des "Schwerpunkts des Vertrages", welcher nach der herrschenden Meinung entscheidend für den gemeinsamen Erfüllungsort sein soll, im Gesetz keine ausreichende Stütze finde. Die Rechtsauffassung, Erfüllungsort für die Zahlungsverpflichtung sei der Wohnsitz des Auftraggebers (hier: N.), erscheint unter diesen Umständen zumindest vertretbar. Der dieser Auffassung entsprechende Beschluss des Amtsgerichts H. vom 01.04.2004 ist mithin nicht willkürlich (vgl. zur Bindung der Verweisung in entsprechenden Fälle auch die Entscheidungen des Senats vom 17.09.2002 - 15 AR 39/02 - und vom 16.02.2004 - 15 AR 1/04 -).

bb) Das Amtsgericht H. ist auch nicht dadurch örtlich zuständig geworden, dass die Beklagte - bzw. der verstorbene Rechtsvorgänger der Beklagten - sich rügelos auf die Klage eingelassen hätte. Der Rechtsvorgänger der Beklagten hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 24.10.2001 die örtliche Zuständigkeit gerügt. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat am 01.03.2004 telefonisch gegenüber dem Amtsgericht H. (AS. 158) und schriftsätzlich am 17.08.2004 (AS. 169) erklärt, dass an dieser Rüge festgehalten werde. Dass die örtliche Zuständigkeit hingegen in einem weiteren Termin vom 13.08.2003 (AS. 139) nicht ausdrücklich gerügt wurde, ist rechtlich ohne Bedeutung. Die Wirkungen einer rügelosen Einlassung gem. § 39 Satz 1 ZPO konnten nicht eintreten, da eine Belehrung der Beklagten gem. § 504 ZPO (Hinweis auf eine örtliche Unzuständigkeit und auf die Folgen einer rügelosen Einlassung) nicht erfolgt ist (§ 39 Satz 2 ZPO).

cc) Die Anhängigkeit des Verfahrens über einen Zeitraum von mehreren Jahren beim Amtsgericht H. steht einer Verweisung nicht entgegen. In den Fällen, in denen (wie vorliegend bei der Frage des Gerichtsstands des Erfüllungsorts) eine unterschiedliche Gesetzesauslegung in Betracht kommt, hat jeder Richter in richterlicher Unabhängigkeit und nach seiner richterlichen Überzeugung das Gesetz auszulegen und anzuwenden. Es ist nicht zu vermeiden und daher hinzunehmen, dass nach einem Richterwechsel der nunmehr zuständige Richter zu einer für den Rechtsstreit bedeutsamen Frage (hier: zur Frage der örtlichen Zuständigkeit) möglicherweise eine andere Auffassung vertritt als der früher zuständige Richter. Wenn diese rechtsstaatlich unvermeidbare Konsequenz den Parteien eventuell schwer zu vermitteln ist - wie das Amtsgericht N. meint -, so haben das nunmehr zuständige Amtsgericht N. einerseits und die beteiligten Rechtsanwälte andererseits die Möglichkeit, zu einer verständlichen Erläuterung und Vermittlung des Verfahrensablaufs gegenüber den Parteien beizutragen.

Ende der Entscheidung

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