Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 12.04.2006
Aktenzeichen: 15 AR 6/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 35
1. Gibt der Kläger im Mahnantrag ein sachlich unzuständiges Gericht (Landgericht statt Amtsgericht) als Streitgericht an, so liegt keine wirksame (und bindende) Gerichtsstandswahl im Sinne von § 35 ZPO vor. Der Kläger kann von seinem Wahlrecht gemäß § 35 ZPO in diesem Fall noch im Laufe des Prozesses durch einen Verweisungsantrag Gebrauch machen, wobei der Kläger auch in örtlicher Hinsicht nicht durch die frühere Angabe im Mahnantrag gebunden ist.

2. Die Angabe des Streitgerichts im Mahnantrag bezieht sich nur auf den Gegenstand des Mahnverfahrens. Im Fall einer Klageerweiterung im späteren Prozess ist das Wahlrecht des Klägers gemäß § 35 ZPO - für die Klageerweiterung - noch nicht verbraucht.


Oberlandesgericht Karlsruhe 15. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 15 AR 6/06

12. April 2006

In dem Rechtsstreit

wegen Gerichtsstandsbestimmung

Tenor:

Als zuständiges Gericht wird das Landgericht Stuttgart bestimmt.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt von dem Beklagten Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz. Der Kläger macht geltend, der Beklagte habe ihn am 08.10.2004 in Stuttgart auf dem Cannstatter Wasen ohne rechtfertigenden Grund körperlich misshandelt. Der Beklagte hat seinen Wohnsitz in R., im Bezirk des Landgerichts Karlsruhe.

Der Kläger hat zunächst beim Amtsgericht Stuttgart - Mahnabteilung - einen Mahnbescheid über 5.000,- € Schmerzensgeld, 250,15 € Verzugsschaden (nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten aus vorgerichtlicher Tätigkeit) sowie weitere Nebenforderungen erwirkt. Als Prozessgericht für den Fall einer Abgabe des Verfahrens hatte der Kläger im Mahnantrag das Landgericht Karlsruhe angegeben. Nach Widerspruch des Beklagten hat das Amtsgericht Stuttgart - Mahnabteilung - das Verfahren dementsprechend an das Landgericht Karlsruhe abgegeben.

Mit Schriftsatz vom 13.06.2005 hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten den geltend gemachten Anspruch für das streitige Verfahren begründet. Gleichzeitig hat der Kläger beantragt, "den Rechtsstreit an das örtlich und sachlich zuständige Landgericht Stuttgart zu verweisen". Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart ergebe sich aus § 32 ZPO (Gerichtsstand der unerlaubten Handlung). Nachdem der Beklagte mit Schriftsatz vom 04.07.2005 erklärt hatte, er trete dem Verweisungsantrag des Klägers nicht entgegen, hat das Landgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 07.07.2005 die Sache auf Antrag des Klägers an das Landgericht Stuttgart verwiesen. Zur Begründung hat das Landgericht Karlsruhe auf § 32 ZPO hingewiesen.

Mit Schriftsatz vom 20.07.2005 hat der Beklagte gegenüber dem Landgericht Stuttgart darauf hingewiesen, dass die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts nicht gegeben sei, weil der Streitwert nicht mehr als 5.000,- € betrage. Auf einen entsprechenden Antrag des Klägers hat daraufhin das Landgericht Stuttgart mit Beschluss vom 02.08.2005 sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt verwiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Streitwert betrage lediglich 5.000,- €. Denn der vom Kläger - neben dem Schmerzensgeld - geltend gemachte Verzugsschaden sei eine Nebenforderung, die sich gemäß § 4 ZPO auf den Streitwert nicht auswirke.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 27.12.2005 an das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt hat der Kläger seine Klage erweitert auf einen Betrag in Höhe von insgesamt 10.648,- € nebst Zinsen. Der Kläger macht nunmehr neben einem Schmerzensgeld von 5.000,- € auch Schadensersatz in Höhe von weiteren 5.648,- € geltend (vom Arbeitgeber abgetretener Gehaltsfortzahlungsschaden). Der Beklagte hat - im Hinblick auf die Klageerweiterung - die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt gerügt. Auf Antrag des Klägers hat das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt sodann mit Beschluss vom 10.02.2006 den Rechtsstreit an das Landgericht Stuttgart verwiesen.

Mit Beschluss vom 15.02.2006 hat sich das Landgericht Stuttgart für örtlich unzuständig erklärt und die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Das Landgericht Stuttgart vertritt die Auffassung, es sei das Landgericht Karlsruhe und nicht das Landgericht Stuttgart zuständig. Denn der Kläger habe bereits im Mahnverfahren unter den in Betracht kommenden Gerichten das Landgericht Karlsruhe als zuständiges Gericht gewählt. An diese Wahl sei der Kläger gebunden. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 07.07.2005 habe für das Landgericht Stuttgart keine Bindungswirkung entfalten können, da er als willkürlich anzusehen sei.

Die Parteien hatten vor der Entscheidung des Senats Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage der Zuständigkeit.

II.

Als sachlich und örtlich zuständiges Gericht war das Landgericht Stuttgart zu bestimmen.

1. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Karlsruhe im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren ergibt sich aus § 36 Abs. 2 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Ziffer 6 ZPO liegen vor; denn sowohl das Landgericht Karlsruhe als auch das Landgericht Stuttgart haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für unzuständig erklärt.

2. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart ergibt sich aus § 32 ZPO. Der Kläger macht Ansprüche aus einer - von ihm vorgetragenen - unerlaubten Handlung des Beklagten geltend. Der Tatort (Cannstatter Wasen) befindet sich im Bezirk des Landgerichts Stuttgart.

Das Landgericht Stuttgart weist zwar zutreffend darauf hin, dass eine örtliche Zuständigkeit für die Verhandlung über die aus dem Schriftsatz vom 27.12.2005 ersichtlichen Anträge des Klägers auch beim Landgericht Karlsruhe möglich gewesen wäre, da der Beklagte seinen Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts Karlsruhe hat (vgl. § 13 ZPO). Der örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart steht dies jedoch nicht entgegen. Unter mehreren zuständigen Gerichten hat gemäß § 35 ZPO der Kläger die Wahl. Von diesem Wahlrecht hat der Kläger mit dem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 09.02.2006 an das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt Gebrauch gemacht. Wenn mehrere zuständige Gerichte in Betracht kommen, wird durch einen Verweisungsantrag des Klägers grundsätzlich dessen Wahlrecht gemäß § 35 ZPO ausgeübt (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 35 ZPO Rn. 3 mit Rechtsprechungsnachweisen). Die fehlerfrei getroffene Wahl ist unwiderruflich und bindend (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 35 ZPO Rn. 2), so dass nunmehr das Landgericht Stuttgart örtlich allein zuständig ist.

3. Der Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart steht nicht entgegen, dass der Kläger im Mahnantrag an das Amtsgericht Stuttgart zunächst das Landgericht Karlsruhe für eine Abgabe im Falle des Widerspruchs angegeben hatte. Die - frühere - Auswahl des Landgerichts Karlsruhe im Mahnantrag hat - entgegen der Auffassung des Landgerichts Stuttgart - keine rechtlichen Wirkungen.

Die Frage der Zuständigkeit ist bei einer objektiven Klagehäufung für jeden Streitgegenstand gesondert zu prüfen. Dementsprechend ist auch eine eventuelle Bindung an das im Mahnbescheid angegebene Landgericht Karlsruhe für die verschiedenen Streitgegenstände gesondert zu untersuchen.

a) Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 27.12.2005 an das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt die Klage erweitert. Der - neue - Streitgegenstand - Gehaltsfortzahlungsschaden in Höhe von 5.648,- € nebst Zinsen - war bis dahin nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen, war insbesondere auch nicht Gegenstand des Mahnbescheids. Dementsprechend konnte sich die Wahl des Landgerichts Karlsruhe im Mahnantrag auch nur auf den Streitgegenstand des Mahnbescheids beziehen und nicht auf den Gegenstand der späteren Klageerweiterung im Schriftsatz vom 27.12.2005. Für den Gegenstand der Klageerweiterung hat der Kläger sein Wahlrecht gemäß § 35 ZPO mithin erstmals im Schriftsatz vom 09.02.2006 ausgeübt. Es gibt - für diesen Streitgegenstand - mithin keine frühere Wahl eines anderen Gerichts, die der Wahl des Landgerichts Stuttgart entgegenstehen könnte.

b) Auch für den ursprünglichen Streitgegenstand - Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,- € und Nebenforderungen - spielt die Angabe des Landgerichts Karlsruhe im Mahnantrag rechtlich keine Rolle. Zwar wird die Wahl unter mehreren zuständigen Gerichten gemäß § 35 ZPO - in der Regel - schon durch die Angabe des Streitgerichts im Mahnantrag ausgeübt (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O.). Unwiderruflich und bindend ist jedoch nur eine fehlerfrei getroffene Wahl (Zöller/Vollkommer, a.a.O. mit Rechtsprechungsnachweisen). Diese Voraussetzung trifft auf die Angabe des Landgerichts Karlsruhe im Mahnantrag nicht zu. Denn das Landgericht Karlsruhe war für den im Mahnbescheid geltend gemachten Anspruch nicht zuständig. Der Kläger hatte im Mahnbescheid einen Anspruch in Höhe von 5.000,- € (und Nebenforderungen) geltend gemacht, der gemäß § 23 Ziffer 1 GVG in die amtsgerichtliche Zuständigkeit fiel, worauf (später) das Landgericht Stuttgart im Beschluss vom 02.08.2005 zu Recht hingewiesen hat. Dementsprechend hätte der Kläger im Mahnantrag entweder das Amtsgericht Karlsruhe oder das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt als Streitgericht angeben müssen. Die unwirksame Wahl des Landgerichts Karlsruhe im Mahnantrag hat keine Wirkungen und konnte dementsprechend den Kläger nicht hindern, im späteren Verweisungsantrag vom 09.02.2006 auch für diesen Streitgegenstand (Schmerzensgeld) gemäß § 35 ZPO das Landgericht Stuttgart zu wählen.

4. Auf die Frage, ob und inwieweit der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 07.07.2005 bindend war, kommt es nach alledem nicht an. Auch wenn man diesen Verweisungsbeschluss für nicht bindend hält, ist das Landgericht Stuttgart örtlich und sachlich zuständig (siehe oben).

Ende der Entscheidung

Zurück