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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 09.05.2007
Aktenzeichen: 15 W 18/07
Rechtsgebiete: BGB, GKG, RVG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 247
GKG § 63 Abs. 3 Satz 2
GKG § 68 Abs. 1
RVG § 23 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
15 W 107/06 15 W 18/07

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 15.09.2006 - 3 O 262/06 - in Ziffer 2 (Streitwertfestsetzung) wie folgt abgeändert:

Der Streitwert des Mahnverfahrens wird auf 142.030,35 EUR festgesetzt für die Zeit bis zum 10.01.2006. Für die Zeit ab dem 11.01.2006 wird der Wert des Verfahrens auf 5.000 EUR festgesetzt.

2. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 26.10.2006 - 3 O 262/06 - wie folgt abgeändert:

Auf Grund des rechtskräftigen Beschlusses des Landgerichts Mannheim vom 15.09.2006 sind an Kosten zu erstatten: 477,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs seit 15.09.2006 von dem Kläger an die Beklagte.

Der weitergehende Festsetzungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde des Klägers zurückgewiesen.

4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.413,38 EUR festsetzt.

5. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Kläger zu 1/5 und die Beklagte zu 4/5.

6. Die Rechtsbeschwerde wird wegen der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss für die Beklagte zugelassen.

Gründe:

I. Am 17.01.2005 hat das Amtsgericht N. auf Antrag des Klägers einen Mahnbescheid gegen die Beklagte über 142.030,35 EUR nebst Zinsen erlassen. Gegen diesen Mahnbescheid hat die Beklagte am 28.01.2005 - zu diesem Zeitpunkt nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten - Widerspruch eingelegt. Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 06.01.2006 - eingegangen beim Amtsgericht N. am 11.01.2006 - hat der Kläger die Rücknahme des Antrags auf Erlass des Mahnbescheides erklärt. Die Beklagte hat von diesem Schriftsatz zunächst kein Doppel erhalten.

Mit Schriftsatz vom 14.03.2006 hat die Beklagte - nunmehr vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten - gegenüber dem Amtsgericht N. die Abgabe des Mahnverfahrens an das im Mahnbescheid bezeichnete Gericht und die Durchführung des streitigen Verfahrens beantragt. Das Amtsgericht N. hat daraufhin der Beklagten die Rücknahme des Mahnantrags durch Übersendung einer Schriftsatzkopie mitgeteilt. Antragsgemäß hat das Mahngericht im Übrigen das Verfahren zur Durchführung des streitigen Verfahrens an das Landgericht Mannheim abgegeben.

Mit Beschluss vom 15.09.2006 hat das Landgericht Mannheim den Streitwert für das Verfahren auf 142.030,35 EUR festgesetzt und außerdem die Kosten des Rechtstreits - im Hinblick auf die Rücknahme des Mahnantrags - dem Kläger auferlegt. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26.10.2006 hat sodann die Rechtspflegerin des Landgerichts Mannheim die vom Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten - antragsgemäß - auf 2.413,38 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Hierbei handelt es sich um die von der Beklagten geltend gemachten Kosten ihres Rechtsanwalts, wobei eine 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG aus einem Streitwert von 142.030,35 EUR angesetzt ist.

Der Kläger wendet sich gegen die Streitwertfestsetzung mit der Beschwerde und gegen die Kostenfestsetzung mit der sofortigen Beschwerde. Er ist der Auffassung, der Streitwert des Mahnverfahrens könne ab dem Zeitpunkt der Rücknahme des Mahnantrags (11.01.2006) nur noch mit dem Kosteninteresse bewertet werden, welches bei maximal 5.000 EUR liege. Zu erstattende Gebühren des Anwalts der Beklagten seien - allenfalls - aus diesem Wert zu berechnen, da der Anwalt der Beklagten erst nach der Rücknahme des Mahnantrags tätig geworden sei. Im Übrigen komme eine Festsetzung der Anwaltskosten der Beklagten generell nicht in Betracht, da die Tätigkeit des Anwalts der Beklagten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendig gewesen sei. Die Beklagte hätte durch einen Telefonanruf beim Klägervertreter oder beim Gericht erfahren können, dass der Mahnantrag zurückgenommen worden sei. Ein Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens durch den Anwalt der Beklagten sei zur Wahrnehmung ihrer Interessen nicht geboten gewesen.

Der Einzelrichter des Landgerichts Mannheim hat mit Beschluss vom 05.03.2007 der Streitwertbeschwerde nicht abgeholfen. Eine Grundlage für die begehrte Reduzierung des Gebührenstreitwerts sei nicht ersichtlich. Hierbei sei darauf abzustellen, dass die Beklagte zum Zeitpunkt ihres Antrags auf Durchführung des streitigen Verfahrens vom 14.03.2006 keine Kenntnis von der vorausgegangenen Rücknahme des Mahnantrags hatte.

Die Rechtspflegerin des Landgerichts Mannheim hat mit Beschluss vom 01.12.2006 der sofortigen Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss nicht abgeholfen. Die Rechtspflegerin hat insbesondere an der Begründung des Kostenfestsetzungsbeschlusses festgehalten, wonach die Tätigkeit des Anwalts der Beklagten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen sei.

Die Beklagte verteidigt die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts. Sie ist der Meinung, sie habe am 14.03.2006 ein legitimes Interesse an einer Durchführung des streitigen Verfahrens gehabt, da der Kläger das Mahnverfahren über einen langen Zeitraum nicht betrieben hatte. Da sie von der Rücknahme des Mahnantrags keine Kenntnis hatte, könne dieser Umstand weder bei der Bemessung des Streitwerts noch im Rahmen der Kostenfestsetzung eine Rolle spielen.

Die Parteien hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme.

II. 1. Die gemäß §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 3 Satz 2 GKG zulässige Streitwertbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Für die Zeit ab dem 11.01.2006 beträgt der Streitwert nur noch 5.000 EUR.

a) Am 11.01.2006 ist der Schriftsatz des Klägervertreters beim Amtsgericht N. eingegangen, mit welchem dieser den Mahnantrag zurückgenommen hat. Dies war auch nach Erlass des Mahnbescheids und Widerspruch der Beklagten noch möglich. Die Rücknahme des Mahnantrags hatte zur Folge, dass der Mahnbescheid wirkungslos und die Anhängigkeit des Mahnverfahrens beendet wurde (vgl. Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 26. Auflage 2007, § 690 ZPO Rn. 24). Die Wirkungen der Rücknahme des Mahnantrags sind mit der Erklärung gegenüber dem Mahngericht (also am 11.01.2006) eingetreten (analog einer Klagerücknahme gemäß § 269 ZPO).

b) Der Streitwert eines gerichtlichen Verfahrens richtet sich grundsätzlich nach objektiven Kriterien. Der im Mahnbescheid geltend gemachte Betrag von 142.030,35 EUR konnte nur so lange für den Streitwert maßgeblich sein, als diese Forderung noch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens war. Nachdem das Mahnverfahren in der Hauptsache durch die Antragsrücknahme beendet war, war die ursprüngliche Forderung des Klägers auch für den Streitwert nicht mehr maßgeblich. Ab der Antragsrücknahme bestimmt sich der Streitwert für das Verfahren allein nach dem Kosteninteresse der Beteiligten (vgl. zur entsprechenden Frage bei einer Klagerücknahme Zöller/Herget, aaO., § 3 ZPO Rn. 16 "Klagerücknahme"). Das Kosteninteresse der Parteien (Gerichtskosten und außergerichtliche Kosten beider Parteien) schätzt der Senat auf etwa 5.000 EUR.

c) Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG ist diese Streitwertbestimmung auch für den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit maßgeblich. Auch für den Gegenstandswert der Tätigkeit des Rechtsanwalts der Beklagten ist eine objektive Betrachtung entscheidend.

Der Rechtsanwalt der Beklagten ist in einem gerichtlichen Verfahren tätig geworden. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens war am 14.03.2006, als der Anwalt der Beklagten erstmals tätig wurde, nur noch die Kostenfrage und nicht mehr der (inzwischen zurückgenommene) Hauptsacheantrag. Der Anwalt der Beklagten befand sich zwar am 14.03.2006 insoweit in einem Irrtum über den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens, als er von der Rücknahme des Mahnantrags bis dahin keine Kenntnis erlangt hatte. Der Irrtum des Rechtsanwalts über den tatsächlichen Gegenstand des Verfahrens kann jedoch keine Auswirkungen auf die Bestimmung des Gegenstandswerts für das gerichtliche Verfahren - und damit gemäß § 23 Abs. 1 Satz RVG auch für die anwaltliche Tätigkeit - haben. Ob eine andere Betrachtungsweise geboten ist, wenn der Rechtsanwalt einer Beklagten in Unkenntnis der Klagerücknahme eine vollständige Klageerwiderung bei Gericht einreicht - vgl. dazu etwa OLG Köln, Juristisches Büro 1995, 641 -, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung; denn eine entsprechende nach außen erkennbare Tätigkeit, die nur auf die Hauptforderung bezogen werden könnte, hat der Anwalt der Beklagten im vorliegenden Fall nicht entfaltet.

2. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss hat teilweise Erfolg. Der Kläger hat der Beklagten lediglich 477,11 EUR Anwaltskosten nebst Zinsen zu erstatten.

a) Der Rechtsanwalt der Beklagten ist im Verfahren zu einem Zeitpunkt erstmals tätig geworden, als der Streitwert nur noch 5.000 EUR betrug (siehe oben). Dementsprechend ergibt sich auf der Basis eines Streitwerts von 5.000 folgende Abrechnung der Anwaltsgebühren:

 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG: 391,30 EUR
Post- und Telekommunikation gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
16 % Mehrwertsteuer: 65,81 EUR
Summe brutto: 477,11 EUR

b) Soweit der Kläger die Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten auf Beklagtenseite gänzlich in Abrede stellt, hat die sofortige Beschwerde allerdings keinen Erfolg. Durch den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens ist eine 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG entstanden. Diese Gebühr ist auch erstattungsfähig, da die Tätigkeit des Anwalts der Beklagten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig war (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Beklagte hat nach ihrem Widerspruch gegen den Mahnbescheid mehr als 1 Jahr abgewartet, ob der Kläger seine Ansprüche gegen sie weiter verfolgen würde. Nach Ablauf dieser Zeit hatte die Beklagte ein legitimes Interesse, die Berechtigung der Ansprüche des Klägers klären zu lassen, wozu der schriftsätzliche Streitantrag ihres Anwalts geboten war. In der Rechtsprechung ist daher anerkannt, dass jedenfalls nach Ablauf einer gewissen Zeit seit Erlass des Mahnbescheids die durch den Streitantrag des Anwalts der Beklagten entstehenden Kosten erstattungsfähig sind (vgl. beispielsweise LG Kiel, Juristisches Büro 1998, 360; OLG München, MDR 1992, 909).

Der Umstand, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Tätigkeit des Anwalts der Beklagten den Mahnantrag bereits zurückgenommen hatte, kann für die Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten keine Rolle spielen. Denn für die Notwendigkeit der Entstehung der Kosten im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann es nur auf die Sichtweise der Beklagten zum Zeitpunkt der Einschaltung ihres Anwalts ankommen. Da die Beklagte zu dieser Zeit von einer Rücknahme des Mahnantrags nichts wusste, war aus ihrer Sicht die Tätigkeit ihres Anwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich. Der Senat sieht in diesem Zusammenhang - entgegen der Auffassung des Klägers - keinen Anlass für die Beklagte, vor dem Streitantrag sich telefonisch beim Vertreter des Klägers oder beim Mahngericht zu erkundigen, ob die Sache vom Kläger weiter verfolgt werden soll. Die Beklagte durfte insbesondere ohne weiteres davon ausgehen, dass ihr eine etwaige Rücknahme des Mahnantrags vom Mahngericht - gegebenenfalls auch zusätzlich vom Klägervertreter - mitgeteilt worden wäre. (Es kann daher auch dahinstehen, wie die Beklagte bei Kenntnis von der Antragsrücknahme im Hinblick auf die - allein - noch erforderliche Kostenentscheidung hätte verfahren können; vgl. zur Möglichkeit einer Kostenentscheidung des Rechtspflegers des Mahngerichts in einem derartigen Fall BGH, NJW 2005, 512, 513).

3. Das Verfahren der Streitwertbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten der Parteien werden bei einer Streitwertbeschwerde nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG). Die Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren und die Kostenentscheidung des Senats ergeben sich dementsprechend nur aus der sofortigen Beschwerde des Klägers gegen die Kostenfestsetzung. Für den Wert des Beschwerdeverfahrens ist der von der Rechtspflegerin festgesetzte Betrag, gegen den sich der Kläger wendet, maßgeblich. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

4. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde für die Beklagte beruht auf § 574 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO. Die Frage, welcher Gegenstandswert für die Anwaltsgebühren im vorliegenden Fall maßgeblich ist, hat nach Auffassung des Senats grundsätzliche Bedeutung. Soweit die sofortige Beschwerde des Klägers erfolglos geblieben ist, liegen (für den Kläger) die Voraussetzungen von § 574 Abs. 2 ZPO hingegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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