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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 10.11.2005
Aktenzeichen: 16 UF 212/05
Rechtsgebiete: EGBGB, BGB


Vorschriften:

EGBGB Art. 17 Abs. 1
EGBGB Art. 17 Abs. 1 Nr. 2
EGBGB Art. 17 Abs. 3
BGB § 1587
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT 16. Zivilsenat - Senat für Familiensachen

16 UF 212/05

Karlsruhe, 10. November 2005

Familiensache

wegen Versorgungsausgleich

Beschluss

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 29.07.2005 (Az.: 5 F 248/05) aufgehoben. Das Verfahren wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Mannheim zurückverwiesen.

2. Die Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien haben am 20.09.1996 geheiratet. Die Antragstellerin hat die portugiesische, der Antragsgegner die jugoslawische Staatsangehörigkeit. Das Amtsgericht Mannheim hat die Ehe mit Verbundurteil vom 19.01.2005 geschieden. Zum Versorgungsausgleich hat das Amtsgericht dabei entschieden:

"2. Ein Versorgungsausgleich findet nicht statt."

Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Anwendung deutschen Sachrechts ergebe sich aus Art. 17 Abs. 1, 14, Abs. 1 Nr. 2 EGBGB (gewöhnlicher Aufenthalt). Nach Art. 17 Abs. 3 EGBGB fände mangels Antragstellung durch eine Partei ein Versorgungsausgleich nach deutschem Recht gem. § 1587 BGB nicht statt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des amtsgerichtlichen Urteils verwiesen.

Mit Antrag vom 14. Juni 2005 hat die Antragstellerin beantragt:

Der Versorgungsausgleich hinsichtlich der von den Parteien während der Ehezeit erworbenen Versorgungsanwartschaften wird durchgeführt.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, im Ehescheidungsverfahren sei ein Versorgungsausgleich nicht durchgeführt worden, weil ein Antrag nach Art. 17 Abs. 3 EGBGB nicht gestellt worden sei. Die Antragstellerin sei im Scheidungsverfahren nicht vertreten gewesen. Da beide Parteien während der Ehezeit in Deutschland gelebt und gearbeitet und Rentenanwartschaften erworben haben, entspreche die Durchführung des Versorgungsausgleichs den wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien.

Der Antragsgegner hat sich zu dem Antrag nicht geäußert.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 29.07.2005 den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, das Urteil vom 19.01.2005 (rechtskräftig seit 01.03.2005) habe rechtskräftig festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfinde. Ein weiteres Verfahren mit demselben Verfahrensgegenstand sei deshalb ausgeschlossen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die amtsgerichtliche Entscheidung verwiesen.

Gegen den ihr am 04.08.2005 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 05.09.2005 - eingegangen beim Oberlandesgericht am gleichen Tage - Beschwerde eingelegt, mit der sie beantragt,

den Beschluss vom 29.07.2005 aufzuheben und die Sache zur Entscheidung über den Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs der Antragstellerin an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Zur Begründung macht sie geltend, eine Durchführung des Versorgungsausgleichs finde ausnahmsweise dann nach deutschem Recht statt, wenn eine der Parteien mit ausländischer Staatsangehörigkeit ausdrücklich einen Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs stelle. Ein solcher Antrag sei im Scheidungsverfahren nicht gestellt worden. Somit sei das Versorgungsausgleichsverfahren gerichtlich nicht rechtshängig geworden. Dem Amtsgericht sei es daher verwehrt gewesen, inhaltlich über den Versorgungsausgleich zu entscheiden. Wenn im Urteil vom 19.01.2005 festgestellt werde, dass der Versorgungsausgleich nicht stattfinde, so könne dies lediglich die Feststellung bedeuten, dass mangels prozessrechtlicher Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Scheidung die Voraussetzungen für die Durchführung des Versorgungsausgleichsverfahrens nicht gegeben waren. Ein Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs könne jedoch auch noch nachträglich, insbesondere nach Eintritt der Rechtskraft der Scheidung gestellt werden. Ein wirksamer Verzicht auf den Versorgungsausgleich liege nicht vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beschwerdeschrift Bezug genommen.

Der Antragsgegner erhielt Gelegenheit zur Äußerung. Eine Stellungnahme ging nicht ein.

Die Beschwerde ist nach §§ 621e Abs. 1, Abs. 3, 621 Abs. 1 Nr. 6, ZPO zulässig. Sie ist auch begründet.

II.

1. Nach Art. 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB unterliegt die Scheidung dem Recht, das im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags für die allgemeinen Ehewirkungen maßgebend ist. Da beide Parteien weder die deutsche Staatsangehörigkeit noch eine gemeinsame Staatsangehörigkeit haben und in Deutschland leben, richten sich die allgemeinen Ehewirkungen gem. Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB nach deutschem Recht. Das Amtsgericht hat daher für die Ehescheidung zu Recht in deutsches Recht angewandt.

2. Nach Art. 17 Abs. 3 EGBGB unterliegt der Versorgungsausgleich dem für die Ehescheidung anzuwendenden Recht. Er ist jedoch nur durchzuführen, wenn ihn das Recht eines der Staaten kennt, denen die Ehegatten im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags angehören (Satz 1 2.HS). Kann ein Versorgungsausgleich danach nicht stattfinden, so ist er auf Antrag eines Ehegatten nach deutschem Recht durchzuführen (Satz 2). Zu Satz 1 hat das Amtsgericht - Familiengericht - keine Feststellungen getroffen, sondern ist offenbar davon ausgegangen, dass dies nicht der Fall ist mit der Folge, dass ein Versorgungsausgleich nur auf Antrag durchgeführt werden kann (Satz 2).

3. Die Antragstellerin ist nicht gehindert, einen Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs zu stellen. Durch die amtsgerichtliche Entscheidung "Ein Versorgungsausgleich findet nicht statt" ist nicht endgültig rechtskräftig über den Versorgungsausgleich entschieden worden. Zwar erwachsen auch Entscheidungen zum Versorgungsausgleich in formelle und materielle Rechtskraft (BGH FamRZ 1982, 687, 688, m. w. N.; 1989, 264). Das Amtsgericht hat hier entschieden, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Hierfür kann es verschiedenen Gründe geben. Bei der Beurteilung der Frage, wie weit die materielle Rechtskraft einer Entscheidung reicht, ist auch die Begründung der Entscheidung mit einzubeziehen. Denn in Rechtskraft erwächst nicht eine Rechtsfolge ("Ein Versorgungsausgleich findet nicht statt") - ebenso wenig wie die Feststellung von Tatsachen -, sondern ein Rechtsfolgeschluss in seiner Gesamtheit: der Schluss von festgestellten oder der von der Nichtfeststellbarkeit von Tatsachen auf eine Rechtsfolge. Ein Versorgungsausgleich kann aus verschiedenen Gründen "nicht stattfinden": Es können auszugleichende Anwartschaften fehlen (Rechtsfolgeschluss: auszugleichende Anwartschaften bestehen nicht; deshalb findet ein Versorgungsausgleich nicht statt); der Versorgungsausgleich kann grob unbillig sein (Rechtsfolgeschluss: es liegen unter § 1587 c BGB einzuordnende Tatsachen vor; deshalb ist der Versorgungsausgleich auszuschließen); ein erforderlicher Antrag wird nicht gestellt (Rechtsfolgeschluss: keines der Heimatrechte der Ehegatten kennt den Versorgungsausgleich; mangels deshalb erforderlichen Antrags ist ein den Versorgungsausgleich nach deutschem Recht betreffendes Verfahren nicht einzuleiten). In letzterem Fall fehlt es überhaupt an einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich nach deutschem Recht, die in Rechtskraft erwachsen könnte. Die Formel: "Ein Versorgungsausgleich findet nicht statt" erschöpft sich zum Versorgungsausgleich nach deutschem Recht deshalb im Deklaratorischen. Art. 17 Abs. 3 EGBGB enthält im übrigen keine Bestimmung darüber, wann der Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs nach deutschem Recht zu stellen ist; der Antrag kann deshalb jederzeit nach Anhängigkeit der Scheidung gestellt werden und wird durch die Rechtskraft der Scheidung nicht unzulässig. Dies entspricht selbst bei rechtskräftigen Entscheidungen allgemeinen Grundsätzen: Wurde ein Antrag oder eine Klage als unzulässig abgelehnt oder abgewiesen, kann nach Schaffung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Antrag neu eingebracht, die Klage neu erhoben werden. Die Rechtskraft einer Entscheidung schließt nicht aus, dass derselbe Gegenstand erneut anhängig gemacht werden kann, wenn neue, nach Eintritt der Rechtskraft entstandene Tatsachen vorgebracht werden (vergl. etwa besonders deutlich die Rechtsprechung des BGH zur mangels Prüffähigkeit abgewiesenen Klage auf Architektenhonorar BGH NJW 2000, 653; NJW-RR 2001, 310). Erst recht muss es möglich sein, einen nicht gestellten Antrag jederzeit nachzuholen, ohne dass der Antragsteller durch eine frühere deklaratorische Feststellung, und schon gar nicht durch die Rechtskraft der Scheidung daran gehindert wäre. So kann deshalb auch nach einhelliger Auffassung in Fällen des Art 17 Abs. 3 EGBGB ein Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs auch noch nachträglich und nach Eintritt der Rechtskraft der Scheidung gestellt werden (vgl. Johannsen / Henrich, Eherecht, 4. Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 58; OLG Düsseldorf, FamRZ 1999, 1210; OLG München, IPrax 1990, 255 mit Anm. Henrich).

Für den vorliegenden Fall ergibt sich, dass das Amtsgericht materiell nicht über den Anspruch hat entscheiden wollen, sondern vielmehr mangels Antrag sich mit dem Versorgungsausgleich nicht befasst hat. Dem entsprechend wurden auch keine Auskünfte eingeholt. Eine materielle Regelung des Versorgungsausgleichs nach Art. 17 Abs. 3 S. 2 EGBGB enthält das Verbundurteil nicht. Die Antragstellerin ist daher nicht gehindert, in einem neuen Verfahren nach Schaffung der Anspruchsvoraussetzungen - hier: Antragstellung - ihren Anspruch geltend zu machen.

4. Da das Amtsgericht dies verkannt hat, ist auf Antrag des Antragstellerin das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 538 ZPO (vgl. hierzu Zöller / Philippi, a.a.O., 621 e Rn. 76 m.w.N.) an das Amtsgericht zur weiteren Ermittlung und Entscheidung zurück zu verweisen. Eine Entscheidung durch den Senat ist nicht sachdienlich, da die Versorgungsanwartschaften der Parteien noch nicht ermittelt sind. Diese tatsächlichen Feststellungen zur Durchführung des Versorgungsausgleichs hat das Amtsgericht - Familiengericht - zu treffen.

III.

Die Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 GKG nicht erhoben. Eine Kostenentscheidung im Übrigen ist nicht veranlasst (vgl. Zöller / Gummer / Heßler, a.a.O., § 538 Rn. 58).

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 49 GKG. Der Senat setzt dabei den Mindestwert von 1.000 EUR an, weil bislang mangels Sachaufklärung nicht erkennbar ist, welche Anrechte dem Versorgungsausgleich unterliegen.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Die Entscheidung BGH FamRZ 1996, 282 steht nicht entgegen, weil jene Entscheidung ein Verfahren nach § 10a VAHRG betraf.



Ende der Entscheidung

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