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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 21.01.2000
Aktenzeichen: 16 WF 102/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1626 Abs. 3
BGB § 1684
BGB § 1666
Vereitelt oder erschwert ein Elternteil den Umgang des anderen Elternteils mit gemeinschaftlichen Kindern, kann dies als Maßnahme nach § 1666 BGB die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und Übertragung auf einen Pfleger erforderlich machen. (Einzelfallentscheidung; die Maßnahme wurde durch das Familiengericht verfügt; die befristete Beschwerde wurde zurückgewiesen.)
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Familiensache Beschluß

16 WF 102/99

Karlsruhe, 21. Januar 2000

Tenor:

Die Beschwerde der Mutter gegen die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts - Familiengericht - Weinheim vom 13. August 1999 - 3 F 48/99 SO - wird zurückgewiesen.

Die Mutter hat dem Vater die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

1.) Der Umgang des Vaters mit seinen Kindern Ri und Ro ist durch Vereinbarung vom 26. Februar 1999 (Amtsgericht Weinheim 3 F 144/98) und durch Beschluß des Amtsgerichts Weinheim vom 05. März 1999 (3 F 144/98) folgendermaßen geregelt:

Vereinbarung vom 26. Februar 1999:

Der Kindesvater ist berechtigt, die ehegemeinschaftlichen Kinder Ri, geb. am ....1991, und Ro, geb. am ....1995, am 27.02.1999, 06.03.1999, 20.03.1999, 27.03.1999 und 04.04.1999 in der Zeit von 11:00 Uhr bis 19:00 Uhr zu sich zu nehmen.

Die Kindesmutter ist verpflichtet, zu den genannten Zeitpunkten die Kinder zur Abholung bereit zu stellen und an den Kindesvater herauszugeben.

Der Kindesvater ist weiter berechtigt, Ro und Ri ab 10.04.1999 in 14tägigem Wechsel von Samstag 11:00 Uhr bis Sonntag 16:00 Uhr zu sich zu nehmen.

Es besteht Einigkeit darüber, daß diese 14tägigen Besuchswochenenden kontinuierlich zunächst bis Sonntag 18:00 Uhr ausgeweitet werden sollen und später auf Freitagabend ausgeweitet werden sollen.

Ist ein Besuchstag oder -wochenende aus irgendeinem Grund gefährdet, ruft die Partei, die mit der Nichtdurchführung des Besuches rechnet, die andere Partei jeweils am Donnerstag vor den Besuchstagen um 20:00 Uhr an.

Beide Elternteile werden alles unterlassen, was den anderen Elternteil den Kindern gegenüber in einem negativen Licht erscheinen lassen kann.

Beschluß vom 05. März 1999:

1. Der Kindesvater ist berechtigt, die ehegemeinschaftlichen Kinder Ri, geb. am....1991, und Ro, geb. am....1995, am 06.03.1999, 20.03.1999, 27.03.1999 und 04.04.1999 in der Zeit von 11:00 Uhr bis 19:00 Uhr zu sich zu nehmen.

Die Kindesmutter ist verpflichtet, zu den genannten Zeitpunkten die Kinder zur Abholung bereitzustellen und an den Kindesvater herauszugeben.

Der Kindesmutter wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine Zwangsgeld in Höhe von DM 1.000,00 angedroht.

2. Der Kindesvater ist weiter berechtigt, Ro und Ri ab 10.04.1999 in 14tägigem Wechsel von Samstag 11:00 Uhr bis Sonntag 16:00 Uhr zu sich zu nehmen.

Die Kindesmutter ist verpflichtet, die Kinder an den jeweiligen Besuchssamstagen um 11:00 Uhr zur Abholung bereitzustellen und an den Kindesvater herauszugeben.

Ihr wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von DM 1.000,00 angedroht.

2.) Der Vater behauptet, ihm sei am 27. Februar 1999 11:00 Uhr die Wohnungstür nicht geöffnet worden; auf den Versuch, mit der Mutter zu telefonieren, sei das Telefon nicht abgenommen worden. Die Mutter hatte am 26. Februar 1999 ihrem damaligen Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt Hamm telefonisch mitgeteilt, Ri lehne den Besuchskontakt mit seinem Vater ab; sie wisse nicht mehr; was sie tun solle; sie könne das Kind doch nicht zwingen. Gutes Zureden habe keinen Erfolg. Das Kind sei völlig verunsichert und sage immer wieder, es wolle nur seine Ruhe haben.

Für den 20. März 1999 behauptet der Vater, Ri habe ihm auf Aufforderung der Mutter ("Los, sag was ich dir gesagt habe!") erklärt: "Ich will nicht mit!". Über Ro habe die Mutter erklärt, sie halte sich bei Bekannten auf. Auf einen Kontaktversuch über die Sprechanlage habe die Mutter erklärt: "Hau ab oder ich rufe die Polizei!". Die Mutter hat dieser Darstellung nicht widersprochen.

Kontakt fand sodann statt zwischen den Kindern und ihrem Vater am 08. und 22. Mai 1999; die Verfahrenspflegerin begleitete die Kinder von Elternteil zu Elternteil. weiterer Kontakt ohne Mitwirkung der Verfahrenspflegerin war am 29. Mai, 05. und 19. Juni 1999.

Am 03. und 04. Juli 1999 sollten die Kinder zwischen 14:30 Uhr und 19:00 Uhr bzw. 09:00 bis 16:00 Uhr bei dem Vater sein. Der Vater ging für den 03. Juli von einem Zeitraum bis 21:00 Uhr aus und brachte die Kinder vor 21:00 Uhr zur Mutter zurück. Die Mutter beschimpfte gegenüber der Verfahrenspflegerin den Vater und sagte die Besuchszeit für den 04. Juli 1999 ab. Der Vater behauptet, die Mutter habe ihm gegenüber erklärt: "Du bekommst die Kinder nie wieder!".

Entsprechend einer Regelung vom 26. Juli 1999, getroffen während der Anhörung der Eltern und der Verfahrenspflegerin durch das Amtsgericht, waren die Kinder am 01. und 08. August 1999 von 12:00 Uhr bis 21:00 Uhr bei dem Vater.

3.) In einem durch das Amtsgericht erhobenen Gutachten des Dipl. Psychologen B...vom 28. Mai 1999 wird deutlich, besonders für Ri, daß die Kinder unter dem Streit der Eltern leiden und ihre Wiederversöhnung wünschen. Ri erklärt dem Sachverständigen gegenüber zunächst, er wolle den Vater nicht sehen, weil er die Mama geschlagen habe. Ro will den Papa nicht wiedersehen; ihre Mama habe erklärt, sie mag nicht. Papa habe eine Frau und habe sie (die Kinder und die Mutter) im Urlaub verlassen. Während der Begegnung der Kinder mit dem Vater vor dem Sachverständigen erklärt Ro traurig: "Papa, ich will mal zu dir ..., aber die Mama, die laßt mich nicht ..., aber ich komm bald". Ri erklärt, nachdem Ro ihren Wunsch noch einmal bekräftigt hat, "Ich komm auch bald, aber ich darf nicht". Der Sachverständige kommt aufgrund der Exploration der Kinder und der Eltern zum Ergebnis, daß die Mutter unbewußt exzessiv dazu neige, die Kinder innerhalb des ehelichen Konfliktfeldes zu instrumentalisieren. Er meint, daß bei einem Verbleib des Lebensmittelpunktes der Kinder bei der Mutter diese hinsichtlich der Regelung von Vater-Kinder-Kontakten eindeutiger externaler Vorgabe mit dem dringenden Hinweis, sich daran zu halten, bedürfe.

4.) Aufgrund der genannten Vorgänge und in Würdigung des sachverständigen Gutachtens hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluß vom 13. August 1999 im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder den Eltern entzogen und dem Jugendamt des Rhein-Neckar-Kreises (als Pfleger) übertragen. Gleichzeitig hat es Frau M... als Umgangspflegerin bestellt.

5.) Gegenüber der Umgangspflegerin erklärte die Mutter am 21. September 1999, daß die Kinder nicht zum Vater wollten und daß sie ihre Kinder zu nichts zwinge. Der dies verfolgende Ri hielt sich alsbald die Ohren zu, lief sodann in die Küche, holte ein Messer und setzte es sich mit den Worten an den Bauch: "Wenn ihr nicht sofort ruhig seid ersteche ich mich!".

Durch Vermittlung der Umgangspflegerin verständigte man sich auf einen Besuchstermin mit dem Vater für 26. September 1999 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Der an diesem Tag bei der Mutter erscheinenden Umgangspflegerin erklärte die Mutter, beide Kinder wollten nicht zum Vater und sie könne sie dazu nicht zwingen. Die Kinder lagen derweil im Wohnzimmer auf dem Sofa und schauten im Fernsehen einen Zeichentrickfilm an. Ri wurde von der Mutter mehrmals in aggressivem Tonfall aufgefordert, der Umgangspflegerin zu sagen, warum er nicht zum Vater wolle. Das Kind antwortete leise wie einstudiert "Es gefällt mir nicht, daß wir immer auf den Sportplatz gehen". Ro begründete ihre Weigerung, den Vater zu besuchen, damit, daß sie das neue Baby von Papa nicht möge. Die Kinder wirkten der Umgangspflegerin, einer Dipl. Sozialpädagogin (FH) gegenüber verunsichert und unter starkem psychischem Druck stehend.

Durch Vermittlung der Umgangspflegerin hatte der Vater sodann mit den Kindern Kontakt am 30. Oktober 1999 und 06. November 1999 in den Räumen des Kinderschutzbundes Mannheim, wohin die Kinder von einer Freundin der Mutter gebracht worden sind.

6.) Gegen die einstweilige Anordnung vom 13. August 1999 hat die Mutter Beschwerde eingelegt. Sie läßt erklären, daß sie bereit sei, dem Vater Umgang mit den Kindern zu ermöglichen, sie sich allerdings außerstande sehe, die Kinder gegen ihren Willen unter Einsatz von Gewalt zu zwingen, zum Vater zu gehen. Sie läßt vorschlagen, die Besuchskontakte der Kinder mit dem Vater im Interesse der Kinder und mit Rücksicht auf beide Elternteile schrittweise in kleinen, aber ständig fortschreitenden Schritten aufzunehmen.

Der Vater beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Das Jugendamt stimmt dem Befund zu, daß die Kinder durch die Mutter im Ehekonflikt instrumentalisiert werden. Es stellt psychische Belastungen der Kinder fest, die nicht allein auf Trennung der Eltern zurückzuführen sei. Es hält für die Umsetzung des Umgangsrechts weiterhin die Einschaltung der Umgangspflegerin für unumgänglich.

7.) Das gem. § 19 FGG zulässige Rechtsmittel der Mutter ist nicht begründet. Das Familiengericht hat ihr zurecht das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen, weil das Wohl der Kinder durch ihr Versagen gefährdet ist und weil die Mutter nicht in der Lage ist, die Gefahr abzuwenden (§ 1666 BGB). Ob die Maßnahme auch gegenüber dem Vater gerechtfertigt ist, kann dahinstehen, da der Vater die Maßnahme des Familiengerichts begrüßt und aus diesem Grund eine Änderung des angefochtenen Beschlusses der ohnedies noch zu treffenden Endentscheidung des Amtsgerichts vorbehalten bleiben kann.

a) Gemäß § 1626 Abs. 3 BGB gehört zum Wohl des Kindes in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. § 1684 BGB betont das Recht eines Kindes zum Umgang mit jedem Elternteil und enthält neben dem Recht und der Pflicht jedes Elternteils zum Umgang mit dem Kind das gegen beide Eltern gerichtete Verbot, das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil zu beeinträchtigen. Mit diesen in der jetzigen Gestalt am 01. Juli 1998 inkraftgetretenen Bestimmungen stellt das Gesetz klar und führt den Eltern besonders vor Augen, daß beim Umgang nicht die Befriedigung von Elterninteressen im Mittelpunkt steht und daß, so wie der Umgang des Kindes mit beiden Eltern als Teil des Kindeswohls dargestellt wird, eine Vereitelung oder Erschwerung des Umgangs gegebenenfalls zu gerichtlichen Maßnahmen nach § 1666 BGB führen kann (vgl. Fam-Ref-Komm./Rogner § 1626 BGB Rn. 7 mit Hinweisen auf frühere Rechtsprechung). Zum körperlichen, geistigen und seelischen Wohl eines Kindes im Sinne des § 1666 BGB gehört auch konfliktfreier Umgang eines Kindes mit beiden Elternteilen. Die Beeinträchtigung des so beschriebenen Kindeswohles durch Störung des Umgangs eines Kindes mit einem anderen Elternteil kann auch dann Maßnahmen des § 1666 BGB nach sich ziehen, wenn die Störung nicht auf bösem Willen oder gar mißbräuchlicher Ausübung der elterlichen Sorge beruht, sondern auch dann, wenn ein Elternteil, ohne daß man ihm einen nennenswerten Schuldvorwurf machen könnte, nicht oder noch nicht in der Lage ist, die Kinder aus dem Ehestreit herauszuhalten und deshalb von ihnen erwartet, daß die Kinder gegen den anderen Elternteil Partei ergreifen.

b) Der Umgang der Kinder Ri und Ro mit dem Vater war in der Vergangenheit im wesentlichen nur dann möglich, wenn unmittelbar zuvor das Gericht eingeschaltet war oder Personen tätig geworden sind, die mit staatlicher Autorität versehen waren: die Verfahrenspflegerin und die Umgangspflegerin. Das Wohl der Kinder ist wegen der dadurch auf der Hand liegenden Gefährdung ihres Umgangs mit dem Vater gefährdet, aber auch dadurch, daß die Mutter von den Kindern erwartet, sich über den Vater und den Umgang mit ihm in einer Weise zu äußern, wie es nicht ihren Gefühlen, die sie zu ihrem Vater haben, entspricht. Die Kinder stehen, wie von unterschiedlicher Seite beobachtet werden mußte, unter psychischem Druck, der nicht nur durch den von ihnen als bedrückend empfundenen Ehestreit verursacht ist. Die Voraussetzungen des § 1666 BGB sind sonach erfüllt.

c) Die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes und die Einschaltung einer Person, welche staatlich autorisiert ist, der Mutter die Kinder zum Zwecke ihres Umgangs mit dem Vater wegzunehmen, ist auch das notwendige und geeignete Mittel, der Gefährdung des Kindeswohls zu begegnen. Dies hat die praktische Durchführung des angefochtenen Beschlusses, aber auch schon die Tätigkeit der Verfahrenspflegerin gezeigt. Der Mutter wird, indem die Kinder über ihren Kopf hinweg dem Vater zugeführt werden, gezeigt, daß regelmäßiger Umgang der Kinder mit dem Vater möglich ist. Sie kann sich daran gewöhnen. Die Kinder werden ein Stück weit von dem in der Erwartungshaltung der Mutter liegenden Druck befreit, da sie sich ihr gegenüber nicht mehr wegen ihrer Besuche beim Vater rechtfertigen müssen. Die Mutter kann durch diese Erfahrung allein oder in Verbindung mit Beratung und sonstiger Hilfestellung des Jugendamtes und entsprechender Organisationen ihre Vorbehalte überwinden, so daß mit einem konfliktfreien Umgang der Kinder mit ihrem Vater gerechnet werden kann.

d) Ein Beginn mit nochmals kleinen und allmählich größer werdenden Schritten, die die Mutter vorschlagen läßt, erscheint nicht das geeignete Mittel. Es besteht bei einem solchen Vorgehen die Gefahr, daß durch ständig weitere Streitigkeiten zwischen den Eltern die Kinder weiterhin unter psychischem Druck gehalten werden. Dem gegenüber ist Zweck der getroffenen Maßnahme, den Streit der Eltern zu beenden und die Kinder über den Kopf der Mutter hinweg dem Vater zuzuführen.

Das Familiengericht wird die Verhältnisse weiter beobachten. Muß es feststellen, daß sich die Einsicht der Mutter in die wahren Bedürfnisse der Kinder nicht einstellt, wird es erwägen, das Sorgerecht der Mutter überhaupt in Frage zu stellen.

Kosten: § 13 a FGG.

Geschäftswert gemäß §§ 131 Abs. 2, 30 KostO: 3.000,00 DM

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