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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 24.10.2003
Aktenzeichen: 16 WF 182/03
Rechtsgebiete: ZPO, Prozesskostenhilfe-VordruckVO


Vorschriften:

ZPO § 115 Abs. 1
Prozesskostenhilfe-VordruckVO vom 17. Oktober 1994 § 2 Abs. 2
Nach § 115 Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich auf vorhandenes Einkommen der Partei abzustellen. Das erzielbare statt des tatsächlichen Einkommens kann allenfalls dann angesetzt werden, wenn es sonst zu einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe durch arbeitsunwillige Personen käme.

Legt eine Partei einen Sozialhilfebescheid vor, ist es nicht angezeigt, von ihr eine nähere Begründung dafür zu verlangen, warum sie ihren Lebensunterhalt nicht durch eigene Erwerbstätigkeit sicherstellt (Abgrenzung zu OLG Zweibrücken NJW-RR 2002, 667).


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Beschluss

16 WF 182/03

Karlsruhe, 24. Oktober 2003

wegen Ehescheidung hier: Prozesskostenhilfe

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird die Ratenzahlungsanordnung im Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Mannheim aufgehoben.

Gründe:

(nur der Antragstellerin mitzuteilen)

Die Antragstellerin hatte am 21. November 2002 Prozesskostenhilfe beantragt, Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und dieser Erklärung die Fotokopie eines Sozialhilfebescheids des Sozialamts M. vom 23. Oktober 2002 über die Bewilligung von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz für November 2002 beigefügt. Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss Prozesskostenhilfe bewilligt und bestimmt, dass die Antragstellerin Monatsraten von 15 € zu zahlen habe. Zur Begründung der Ratenzahlungsanordnung hat es sich auf OLG Zweibrücken NJW-RR 2002, 647 bezogen. Der Beschluss wurde der Antragstellerin am 16. Mai 2003 zugestellt. Unter dem 02. Juni 2003 richtete die Antragstellerin ein Schreiben folgenden Inhalts an die Landesoberkasse Baden-Württemberg in Metzingen: "sie Wollen das ich M. S. 15 € Monatlich Bezahle. Aber wie soll ich das tun, bekomme vom Sozialamt 294,- €. Davon muß ich Strom und Telepon bezahlen und Leben. Daher weiß ich nicht wie ich dies machen soll." Dieses Schreiben wurde von der Landesoberkasse unter dem 15. Juni 2003 an das Amtsgericht Mannheim weitergeleitet. Wann es dort einging, ist nicht festzustellen.

1. Mit dem Amtsgericht legt auch der Senat das Schreiben vom 02. Juni 2003 als sofortige Beschwerde gegen die Ratenzahlungsanordnung aus.

2. Das Rechtsmittel ist als rechtzeitig anzusehen. Nach der Lebenserfahrung ist anzunehmen, dass es, von der Landesoberkasse unter dem 05. Juni 2003 an das Amtsgericht weitergeleitet, dort spätestens am 16. Juni 2003 einging.

3. Das Rechtsmittel hat auch Erfolg.

Nach § 115 Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich auf tatsächlich vorhandenes Einkommen der Partei abzustellen. Das erzielbare statt des tatsächlichen Einkommens kann allenfalls dann angesetzt werden, wenn es sonst zu einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe durch arbeitsunwillige Personen käme (Senatsbeschluss vom 28. März 2003 - 16 WF 191/02 - zur Veröffentlichung bestimmt; Vorinstanz: AG Mannheim 5E F 324/01; Senatsbeschluss vom 21. Oktober 1998 - 16 WF 103/98 - FamRZ 1999, 599). Die Verletzung einer Erwerbsobliegenheit mag unterhaltsrechtlich zur Fiktion eines Einkommens führen, tut es jedoch nicht im Sozialhilferecht. Einkommen im Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG sind nur die Einkünfte, die tatsächlich zur Verfügung stehen; fiktive Einkünfte sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (BGH, FamRZ 1998, 818). Weigert sich ein Hilfesuchender gegenüber der Sozialhilfebehörde, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen nach den §§ 19, 20 BSHG nachzukommen, wird der Hilfesuchende nicht aus der Betreuung des Sozialhilfeträgers entlassen, sondern verliert lediglich den Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Der Sozialhilfeträger wird bei der Gestaltung der Hilfe und ihrer Anpassung an die Besonderheiten des Einzelfalles freier gestellt. Er kann z.B. die Hilfe bis auf das Unerlässliche kürzen, um so zu versuchen, den Hilfesuchenden zur Arbeit anzuhalten und ihn so letzten Endes auf den Weg zur Selbsthilfe zu führen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, FamRZ 1996, 106, 107 m.w.N.; BGH a.a.O.).

Das Prozesskostenhilferecht enthält solche Gestaltungsmöglichkeiten nicht. Bei dem gleichwohl möglichen Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze bleibt nur die Möglichkeit, der bedürftigen Partei Rechtsmissbrauch entgegen zu halten.

Anhaltspunkte für rechtsmissbräuchliches Verhalten der Antragstellerin sieht der Senat nicht. Gegen eine solche Annahme spricht der Umstand, dass der Antragstellerin ungekürzt Sozialhilfe bewilligt wurde. Die Sozialhilfe beträgt insgesamt 518,46 €; davon werden 234,46 € an andere Zahlungsempfänger abgeführt. Dabei handelt es sich um die Miete, wie sich aus einem Vergleich dieses Betrages mit der in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse angegebenen Summe der Wohnkosten, ebenfalls 234,66 €, ergibt. Neben der Übergabe eines Sozialhilfebescheides von der prozesskostenhilfebedürftigen Partei auch noch eine nähere Begründung dafür zu verlangen, warum sie ihren Lebensunterhalt nicht durch eigene Erwerbstätigkeit sicherstellt, ist nicht angezeigt. Dies legt zunächst § 2 Abs. 2 der Prozesskostenhilfe-VordruckVO vom 17. Oktober 1994 - Bundesgesetzblatt I, 3001 - nahe, wo es heißt: "Eine Partei, die nach dem Bundessozialhilfegesetz laufende Leistungen zum Lebensunterhalt bezieht, muss die Abschnitte E - J des Vordrucks zunächst nicht ausfüllen, wenn sie der Erklärung den letzten Bewilligungsbescheid des Sozialamtes beifügt." Dies bedeutet, dass eine Erklärung über Bruttoeinnahmen, Abzüge von den Bruttoeinnahmen, Vermögen, Wohnkosten, Zahlungsverpflichtungen und besondere Belastungen zunächst nicht erforderlich ist. Das Gesetz legt also dem Gericht nahe, zunächst auf den Sozialhilfebescheid zu vertrauen. Hierfür versprechen auch Sachgründe. Der Bewilligung der Sozialhilfe ist eine Bedürftigkeitsprüfung der zuständigen Behörde vorausgegangen, welche sich auch auf mögliche Arbeitsunwilligkeit erstreckt hat. Eigene Ermittlungen des Gerichts, auch in der Form der Überprüfung entsprechender Angaben der Partei, würden allenfalls eine so geringe Zahl von Missbrauchsfällen zu Tage fördern, die in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem anzustellenden Aufwand stünden. Es ist deshalb allenfalls dann angezeigt, einem Missbrauch nachzugehen, wenn Anhaltspunkte hierfür bestehen. Diese mögen sich auch aus dem Sachvortrag der Parteien ergeben, insbesondere in Unterhaltsrechtsstreitigkeiten. Sie liegen jedoch im vorliegenden Fall, wie erwähnt, nicht vor.

In dem von dem OLG Zweibrücken a.a.O. entschiedenen Fall war der Partei keine Sozialhilfe bewilligt.

Ende der Entscheidung

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