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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 07.05.2009
Aktenzeichen: 16 WF 61/09
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, FGG


Vorschriften:

BGB § 7
BGB § 11
ZPO § 571 Abs. 2
ZPO § 621a Abs. 1 S. 2
FGG § 43 Abs. 1
Trennt sich ein Ehegatte unter Mitnahme des ehegemeinschaftlichen Kindes einseitig von dem anderen Ehegatten und begründet einen neuen Wohnsitz, so vermittelt er dem Kind einen weiteren Wohnsitz, wenn ihm das Personensorgerecht zusammen mit dem anderen zusteht. Das Kind hat infolgedessen einen Doppelwohnsitz.

Bei Doppelwohnsitz des Kindes kann der Antragsteller im Sorgerechtsregelungsverfahren zwischen den beiden Gerichten wählen, die für die Wohnsitze örtlich zuständig sind.

Werden bei beiden örtlich zuständigen Gerichten Sorgerechtsanträge gestellt, ist das Gericht zur Entscheidung berufen, das zuerst mit der Angelegenheit befasst wurde.


Oberlandesgericht Karlsruhe 16. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - Beschluss

Geschäftsnummer: 16 WF 61/09

07. Mai 2009

In der Familiensache

wegen Aufenthaltbestimmungsrecht für die Kinder S., geb. am ... 2005, und P., geb. am ... 2008

hier: einstweilige Anordnung

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - H........... - aufgehoben.

Der Antrag des Vaters auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird als unzulässig verworfen.

2. Der Vater trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Beschwerdewert: 500 €.

Gründe:

I.

Die Beschwerde richtet sich gegen die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater im Wege der einstweiligen Anordnung.

Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegner haben am ... 2005 geheiratet. Aus der Ehe sind die Kinder S., geb. am ... 2005, und P., geb. am ... 2008, hervorgegangen. Der Beschwerdegegner arbeitet ................. Während des Zusammenlebens der Parteien ab 2004 führte die Beschwerdeführerin den Haushalt und kümmerte sich dann vorwiegend um die Kinder. ......... Ohne den Beschwerdegegner zu informieren, verließ die Beschwerdeführerin am 27.03.2009 mit den beiden Kindern die gemeinsame Wohnung und zog nach B., dort zunächst in ein Frauenhaus, ab 16.04.2009 in eine von ihr angemietete Wohnung. Die Eltern der Beschwerdeführerin leben in B. Die Anschriften des Frauenhauses und der Wohnung hat sie weder dem Beschwerdegegner noch dem Gericht mitgeteilt. Mit Schriftsatz vom 31.03.2009, beim Amtsgericht T./ B. eingegangen am 01.04.2009 , beantragte die Beschwerdeführerin die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die beiden Kinder auf sich. Zugleich ließ sie dem Beschwerdegegner durch Anwaltsschreiben vom 31.03.2009 mitteilen, dass sie sich um Wohnraum für sich und die Kinder in B. bemühe und Kindesunterhalt für beide Kinder geltend mache. Mit Beschluss vom 03.04.2009, der Beschwerdeführerin zugestellt am 14.04.2009, wies das Amtsgericht T./ B. den Antrag der Beschwerdeführerin zurück. Am 03.04.2009 beantragte der Beschwerdegegner beim Amtsgericht H. die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für beide Kinder auf sich, zugleich vorab im Wege der einstweiligen Anordnung. Mit Beschluss vom 16.04.2009 ...... übertrug das Amtsgericht - Familiengericht - H. (nach mündlicher Verhandlung) im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder vorläufig auf den Beschwerdegegner und ordnete die - erforderlichenfalls gewaltsame - Herausgabe der Kinder an. Gegen den Beschluss vom 16.04.2009 richtet sich die sofortige Beschwerde der Mutter vom 20.04.2009.

Der Senat hat mit Beschluss vom 23.04.2009 die Vollziehung der Herausgabeanordnung ausgesetzt.

Zur aktuellen Situation der Kinder wird auf das Schreiben des Jugendamtes P./B. vom 17.04.2009 an das Amtsgericht H. das Schreiben des Frauenhauses H. / B. vom 17.04.2009 und das Schreiben des Jugendamtes P. / B. vom 23.04.2009 an das Oberlandesgericht Karlsruhe Bezug genomen.

II.

Die nach §§ 621 g, 621 Abs. 1 Nr. 1, 620 c, 567 ff. ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist in der Sache begründet.

Der Antrag des Vaters auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig, da das angerufene Amtsgericht - Familiengericht - H. vorliegend örtlich nicht zuständig ist.

1. Die Mutter hat durch den Umzug nach B., dort zunächst in ein Frauenhaus und nachfolgend in eine ab dem 16.04.2009 angemietete Wohnung, bereits mit dem Einzug in das Frauenhaus am 27.03.2009 einen neuen Wohnsitz begründet, da sie sich ersichtlich in B. in der Absicht niedergelassen hat, B. zum ständigen Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse zu machen.

Entgegen der Auffassung des Vaters kann auch ein weniger als drei Wochen dauernder Aufenthalt in einem Frauenhaus bereits einen neuen Wohnsitz begründen. Ob eine Frau bei einem Umzug in ein Frauenhaus einen neuen Wohnsitz begründet, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab: entscheidend ist, ob sich die Frau an dem neuen Ort in der Absicht niederlässt, ihn zum ständigen Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse zu machen (vgl. Keidel / Kuntze / Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit 15. Aufl., § 36 Rdn. 12 mwN). Maßgeblich für den Wohnsitz nach § 7 BGB ist die tatsächliche Niederlassung und der entsprechende Wille hierzu (vgl. etwa Staudinger - Weick, BGB Bearbeitung 2004, § 7 Rdn. 3). Anders als in den Fällen, in denen der Aufenthalt nur als vorübergehende Zuflucht gedacht ist (vgl. hierzu BGH NJW-RR 1993, 4; NJW 1995, 1224; OLG Köln FamRZ 1992, 976), begründet der Aufenthalt im Frauenhaus daher dann einen Wohnsitz, wenn die ins Frauenhaus ziehende Frau die Absicht hat, sich dauerhaft am Ort des Frauenhauses aufzuhalten und dort den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse zu begründen (vgl. OLG Nürnberg FamRZ 1997, 1400; OLG Hamm FamRZ 2000,1294; Staudinger - Weick aaO Rdn. 11). So liegt es aber hier: Die Mutter ist zielstrebig nach B., dem Wohnort ihrer Eltern, zurückgekehrt, dort zunächst ins Frauenhaus und von dort in eine unmittelbar darauf angemietete Wohnung gezogen.

2. Trennt sich ein Ehegatte von dem anderen und begründet einen neuen Wohnsitz, so vermittelt er dem Kind zusätzlich einen weiteren Wohnsitz, wenn das Personensorgerecht - wie hier - ihm zusammen mit dem anderen Ehegatten zusteht (st. Rspr., vgl. nur BGHZ 48, 228; BGH NJW-RR 1994, 322, jeweils mwN). Die Kinder S. und P. haben danach vorliegend nach § 11 BGB einen Doppelwohnsitz.

Soweit der Vater vermutet, der BGH und die ihm folgenden Oberlandesgerichte hätten dabei einen wesentlichen Gesichtspunkt übersehen, wird dies durch die Entscheidungen nicht gestützt. Es trifft entgegen dem Vorbringen des Vaters nicht zu, dass die Entscheidung BGHZ 48, 228 ausschließlich den Fall betreffe, dass die gesamtvertretungsberechtigten Eltern unabhängig voneinander den bisherigen gemeinschaftlichen Wohnsitz aufgegeben und getrennte Wohnsitze begründet haben, so dass der konkludente Wille der Eltern für Begründung und Aufhebung des Kindeswohnsitzes nach § 8 BGB unterstellt werden könne. In den Entscheidungsgründen des genannten Beschlusses wird (sub III 4 a)) ausdrücklich ausgeführt, dass die Begründung eines weiteren gesetzlichen Kindeswohnsitzes durch den Wegzug eines Elternteils von selbst eintrete. Ergänzend wird anschließend (sub III 4 c)) dargelegt, der Einwand, ein Elternteil könne den gewillkürten Kindeswohnsitz nach § 8 BGB nicht allein verändern und sei folglich dazu auch nicht beim abgeleiteten Kindeswohnsitz in der Lage, verkenne den grundsätzlichen Unterschied zwischen dem abgeleiteten und dem gewillkürten Kindeswohnsitz. Der Senat geht daher im Anschluss an die ständige Rechtsprechung des BGH davon aus, dass Kinder nach § 11 BGB auch dann einen Doppelwohnsitz haben, wenn nur ein Elternteil einseitig den gemeinsamen Wohnsitz aufgibt und einen neuen begründet.

3. Der Doppelwohnsitz der Kinder hat zur Folge, dass der die Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich begehrende Elternteil zwischen den Gerichten, die für beide Wohnsitze örtlich zuständig sind, wählen kann. Werden beide örtlich zuständigen Gerichte angerufen, ist nach §§ 621 a Abs. 1 S. 2, 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO das Gericht berufen, das zuerst nach § 43 Abs. 1 FGG mit der Angelegenheit befasst wird (vgl. BGH NJW-RR 1994, 322; BGH NJWE-FER 1997, 136). Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, an dem der Antrag bei Gericht eingeht (BGH aaO; Keidel / Kuntze / Winkler aaO § 43 Rdn. 20). Soweit in der Rechtsprechung demgegenüber teilweise (BGH NJW-RR 1992, 258; OLG Bamberg FamRZ 2001, 777) auf das erste Tätigwerden in der Sache nach § 4 FGG abgestellt wird, übersieht dies, dass die Anwendung von § 4 FGG in isolierten Sorgerechtsverfahren nach § 621 a Abs. 1 S. 2 ZPO ausdrücklich ausgeschlossen ist.

Das Gericht, bei dem vorliegend zuerst ein Antrag einging, ist nicht das Amtsgericht H., sondern das Amtsgericht T./B.

Zwar hat das Amtsgericht T./ B. den Antrag der Mutter auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mit Beschluss vom 03.04.2009 zurückgewiesen. Dieser Beschluss, der der Mutter am 14.04.2009 zugestellt wurde, ist indessen noch nicht formell rechtskräftig. Die Beschwerdefrist ist noch nicht abgelaufen; die Vertreterin der Mutter hat auf die Nachfrage des Senats mitgeteilt, sie habe zwischenzeitlich bereits Beschwerde ........ eingelegt.

Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Mutter weder die Anschrift des Frauenhauses in B. noch ihre neue Wohnanschrift dort mitgeteilt hat. Selbst wenn die Adressen nicht im Bezirk des Amtsgerichts T./B. liegen sollten, so wäre das Verfahren auf den bereits gestellten Hilfsantrag der Mutter an das zuständige ..... Amtsgericht (in B.) zu verweisen. Eine Verweisung nach § 281 ZPO beendet aber die Rechtshängigkeit nicht (vgl. Zöller - Greger, ZPO 27. Aufl., § 261 Rdn. 7).

4. Eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts H. unter generalpräventiven Gesichtpunkten kommt nicht in Betracht. Anders als in Fällen, auf die das HKÜ Anwendung findet, ist eine Rückführung der Kinder an den Ort des letzten gemeinsamen Wohnsitzes in den Fällen, in denen ein Elternteil bei der Trennung unter Mitnahme der Kinder innerhalb Deutschlands einen neuen Wohnsitz begründet, nicht vorgesehen.

5. Der Senat ist nicht nach § 571 Abs. 2 ZPO an der Prüfung der Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts gehindert. § 571 Abs. 2 ZPO findet keine Anwendung, wenn gegenläufige Anträge zum Aufenthaltsbestimmungsrecht bei mehreren örtlich zuständigen Gerichten gestellt werden und das zuletzt angegangene Gericht seine Zuständigkeit für Eilmaßnahmen unter Verkennung seiner Unzuständigkeit wegen anderweitiger Rechtshängigkeit bejaht hat (vgl. Zöller - Heßler aaO § 571 Rdn. 5 iVm § 513 Rdn. 9).

Damit fehlt es an der örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts H., so dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig zu verwerfen war.

6. Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass eine aktuelle Kindeswohlgefährdung, die eine vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Herausgabe der Kinder erfordern würde, nach dem jetzigen Sach- und Streitstand nicht ersichtlich ist........

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a FGG, der Beschwerdewert auf §§ 131, 30 KostO, 24 RVG entsprechend.

Ende der Entscheidung

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