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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 04.09.2007
Aktenzeichen: 17 U 355/06
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 129
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1
1. Verrechnungen einer Bank im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die bei einem Kontokorrentkredit im Ergebnis zu einer Verringerung des Debetsaldos führen, sind auch dann inkongruent, wenn die Kreditlinie offen gehalten wurde.

2. Bei einer inkongruenten Deckung scheidet die Annahme eines Bargeschäfts aus.


Oberlandesgericht Karlsruhe 17. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 17 U 355/06

Verkündet am 04. September 2007

In dem Rechtsstreit

wegen Anfechtung

hat der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe im schriftlichen Verfahren nach dem Sach- und Streitstand vom 20. August 2007 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Dr. Müller-Christmann Richter am Oberlandesgericht Lindner Richter am Landgericht Felder

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 29.08.2006 - 2 O 225/06 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsrechtszugs zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 80.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Nachdem die Insolvenzschuldnerin, die Firma H. GmbH, am 08.03.2005 einen Eigenantrag gestellt hatte, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 01.06.2005 (Anlage K 1) das Insolvenzverfahren über deren Vermögen eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser begehrt von der Beklagten Auszahlung von Kontokorrentverrechnungen unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung.

Die Insolvenzschuldnerin unterhielt bei der Beklagten das Kontokorrentkonto Nr. 104 00 6887 (ehemals 500 6889), auf welchem mit Vertrag vom 14.02./12.03.2003 unbefristet ein Kontokorrentkredit in Höhe von 255.646 € eingeräumt worden war (Anlage K 2), zu dessen Sicherung unter anderem eine Raumsicherungsübertragung am Warenbestand vereinbart wurde, die gemäß Ziffer 9.2. der Vertragsbedingungen eine Abtretung der Verkaufsforderungen aus dem übereigneten Sicherungsgut beinhaltete (Anlage BB 1). Das Kontokorrentkonto wurde im Soll geführt. Während des Monats vor dem am 08.03.2005 gestellten Eigenantrag reduzierte sich das Debet um den Betrag von insgesamt 96.028,51 € und belief sich am 08.03.2005 auf noch 147.153,51 €. In diesem Zeitraum wurden unter anderem zwei Lastschriften vom 25.02.2005 über jeweils 40.000 € wieder zurückgebucht. Bereits am 25.02.2005 erfolgte auf Anweisung des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin die Rückbuchung einer Lastschrift für den "Einkaufsverband Deutscher Eisenhändler", die zweite Lastschrift über 40.000 € wurde am 28.02.2005 rückgebucht (vgl. Anlage BB 2).

In einem an die Insolvenzschuldnerin adressierten Schreiben vom 28.02.2005 (Anlage B 3) führte die Beklagte unter anderem aus, sie könne auf der Basis der vorgelegten Zahlen den Kontokorrentkredit nicht weiter offenhalten. Sie werde bis auf Widerruf keine Verfügungen mehr zulassen. Der Zugang dieses Schreibens bei der Insolvenzschuldnerin ist streitig.

Mit Schreiben vom 31.08.2005 (Anlage K 5) erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten wegen eines Betrages von 96.028,51 € die Insolvenzanfechtung. Die Beklagte glich hierauf für den Zeitraum bis zum Eigenantrag einen Betrag von 16.028,51 € aus, lehnte jedoch eine Zahlung weiterer 80.000 € ab (vgl. Anlage K 6).

Der Kläger macht geltend, mangels Bestehens eines fälligen Anspruches handle es sich um eine inkongruente Deckung. Auch ein Bargeschäft sei nicht gegeben. Soweit die Beklagte ein AGB-Pfandrecht einwende, sei dieses mit Nichtwissen zu bestreiten und für den Rechtsstreit nicht relevant.

Die Beklagte meint, es handle sich um eine kongruente Deckung. Sie habe insoweit fällige Ansprüche gegen die Insolvenzschuldnerin gehabt. Außerdem fehle es an einer Gläubigerbenachteiligung, da sich die Beklagte mit der Eröffnung der Kontoverbindung Sicherheit an Waren jeder Art habe einräumen lassen, Verkaufsforderungen der Insolvenzschuldnerin an sie zur Sicherheit abgetreten seien und ein Pfandrecht greife (vgl. auch Anlage K 3). Die Rückbuchung vom 28.02.2005 sei nach schriftlicher Übermittlung des Schreibens vom selben Tag (Anlage B 3), welches eine Kündigung der Kontokorrentlinie beinhalte, erfolgt. Das Anschreiben sei noch am selben Tag an die Insolvenzschuldnerin gefaxt worden und dort zugegangen.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen, der erstinstanzlich gestellten Anträge und des wechselseitigen Parteivorbringens im Übrigen wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben. Der Kläger habe Anspruch auf Zahlung von 80.000 €. Die Verrechnungen in Höhe von 80.000 € seien anfechtbar, da die Beklagte hierdurch eine inkongruente Deckung erlangt habe. Es sei von einem ungekündigten Kontokorrentverhältnis auszugehen. Soweit im Anfechtungszeitraum die verrechneten Einzahlungen die Auszahlungen überstiegen, sei eine Anfechtung wegen inkongruenter Deckung möglich, da in diesem Umfang die Bank den Kunden letztlich nicht wieder über die Eingänge habe verfügen lassen und ihre Darlehensforderung vor Fälligkeit durch die saldierten Gutschriften zurückgeführt werde. Dass es sich um keine echte Gutschriften, sondern um Rückbuchungen handle, sei ohne Belang. Weder wirtschaftlich noch rechtlich ergebe sich dadurch eine abweichende rechtliche Beurteilung. Auch für die zweite Verrechnung vom 28.02.2005 gelte nichts anderes. Ob das Schreiben vom 28.02.2005 (Anlage B 3) überhaupt eine Kündigung des Kontokorrents beinhalte, sei angesichts der Ausführungen der Beklagten im Schreiben vom 11.03.2005 (Anlage K 3) zweifelhaft. Selbst wenn darin eine grundsätzlich mögliche fristlose Teilkündigung gesehen werden könnte, sei diese unwirksam, da unzulässig. Auf die Belange der Schuldnerin sei nicht angemessen eingegangen. Die Kündigung sei, auch unter Berücksichtigung von Nr. 26 der ABG-Sparkassen, zur Unzeit erfolgt und habe der Schuldnerin keine angemessene Umstellungsfrist gewährt. Durch diese Rechtshandlungen seien die Gläubiger benachteiligt. Aus dem Pfandrecht nach § 21 Abs. 1 AGB-Sparkassen ergebe sich keine kongruente Deckung, da hierfür eine vorab erfolgte pauschale Einigung dahin, dass sämtliche künftigen in Besitz der Bank kommenden Sachen oder für den Kunden entstehenden Ansprüche verpfändet werden sollen, nicht genüge.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie weiterhin Klageabweisung anstrebt. Zum Zeitpunkt der Rückbuchung des Betrages von 80.000 € habe sie fällige und durchsetzbare Ansprüche in gleicher Höhe gehabt. Es liege eine kongruente Deckung vor, da die Beklagte ein Tilgungsrecht habe und infolge der vertraglichen Absprache zur Verrechnung berechtigt gewesen sei. Mit der Einbuchung der Zahlungen habe die spätere Insolvenzschuldnerin das Recht erworben, wieder über das Konto bis zur Kreditlinie verfügen zu können. Entscheidend für die Abgrenzung einer kongruenten zu einer inkongruenten Leistung sei nicht, ob im Ergebnis die verrechneten Einzahlungen die Auszahlungen übersteigen würden, sondern ob die Schuldnerin über die verbuchten Eingänge sogleich hätte verfügen können. Da es sich um von der Insolvenzschuldnerin veranlasste Rückbuchungen handle, sei keine Rechtshandlung der Beklagten, sondern der Insolvenzschuldnerin anzunehmen. Außerdem lägen bei Einzahlungen und Einbuchungen im Kontokorrent unanfechtbare Bargeschäfte vor. Auch eine Benachteiligung der Gläubigergemeinschaft sei nicht gegeben. Hätte der Kläger selbst die Rückbuchung veranlasst, wäre nur eine buchungstechnische Berichtigung gegeben und dadurch kein Guthaben entstanden. Wäre die Rückbuchung nicht erfolgt, wären die Gelder auf Konten Dritter geblieben, so dass auch aus wirtschaftlichen Gründen keine Gläubigerbenachteiligung anzunehmen sei. Eine solche scheide ferner wegen des wirksam bestellten Pfandrechtes und der zur Sicherheit an die Beklagte abgetretenen Verkaufsforderungen der Schuldnerin aus. Das Schreiben vom 28.02.2005 beinhalte eine zulässige Kündigung der Kontokorrentlinie. Diese sei drei Tage zuvor in einem Gespräch angekündigt worden. Eine weitere Schonfrist oder vorherige Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen. Es hätten auch die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund vorgelegen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 29.08.2006 - 2 O 225/06 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens das landgerichtliche Urteil. Die anfechtbare Rechtshandlung könne auch von der Schuldnerin vorgenommen werden. Zwar sei bei einem wirksam bestellten Pfandrecht eine Gläubigerbenachteiligung nicht anzunehmen, das Pfandrecht sei jedoch selbst anfechtbar. Das Schreiben vom 28.02.2005, dessen Zugang ungeklärt sei, beinhalte schon keine Kündigung der Kontokorrentlinie. Jedenfalls sei die Kündigung unwirksam, da sie ohne Fristsetzung und zur Unzeit erfolgt sei. Der Vortrag der Beklagten zu einer gesetzten dreitägigen Frist sei verspätet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß §§ 488 Abs. 1 BGB, 143 Abs. 1 Satz 1, 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO Anspruch auf Zahlung von 80.000 €.

Die mit Schreiben vom 31.08.2005 erklärte Insolvenzanfechtung ist wirksam. Die Verrechnungen in Höhe von 80.000 € sind gem. § 131 Abs. 1 S. 1 InsO anfechtbar, weil sie der Beklagten eine inkongruente Deckung gewähren und zu einer für eine erfolgreiche Anfechtung nach § 129 Abs. 1 InsO notwendigen Gläubigerbenachteiligung führen.

1. Die Verrechnungen in Höhe von 80.000 € kann der Kläger grundsätzlich nach § 131 Abs. 1 InsO anfechten, weil sie der Beklagten eine inkongruente Deckung gewähren.

a) Der Sache nach geht es bei den streitigen Verrechnungen um die Reduzierung des offenen Saldos in der Zeit vom 08.02.2003 bis 08.03.2003 um die hier streitigen 80.000 €. Dabei kann nicht alleine auf die Rückbuchungen der zwei Lastschriften über je 40.000 € abgestellt werden. Da diesen Gutschriften zuvor, ebenfalls im Anfechtungszeitraum liegende, Abbuchungen in gleicher Höhe vorausgegangen sind, haben diese Rückbuchungen nicht zu einer Reduzierung des offenen Saldos um 80.000 € geführt, sie sind vielmehr wertneutral.

b) Eine Sicherung oder Befriedigung ist nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO inkongruent, wenn der Gläubiger sie nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. Die Beklagte hatte in dem maßgeblichen Zeitraum vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens keinen Anspruch auf Rückzahlung eines Betrages von 80.000 €, da alleine die Giro- oder Kontokorrentabrede einen Kredit nicht zur Rückzahlung fällig stellt. Diese Abrede verpflichtet vielmehr den Kreditgeber, hier die Beklagte, auch, den Kontoinhaber jederzeit wieder über den eingeräumten Kredit - innerhalb der vereinbarten Grenze - verfügen zu lassen. Ein Recht zu dessen endgültiger Rückführung gewährt sie selbst im Falle der vereinbarten Saldierung nicht (BGHZ 150, 122, 133). Vielmehr kann der Kreditgeber die Rückzahlung grundsätzlich erst dann verlangen, wenn der Anspruch auf Rückerstattung fällig geworden ist.

Dies setzt, soweit der Kredit wie hier nicht befristet war, eine Kündigung voraus. Eine solche hat die Beklagte nicht vor dem 08.03.2005 ausgesprochen. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, zu welchem genauen Zeitpunkt zwischen dem 08.02.2005 und 08.03.2005 die hier zu beurteilenden Verrechnungen, die insgesamt gesehen zu einer Rückführung des Kontokorrentkredites in Höhe von 80.000 € geführt haben, erfolgt sind. Auch durch das Schreiben der Beklagten vom 28.02.2005 (Anlage B 3) ist - worauf das Landgericht zumindest im Ergebnis zu Recht abgestellt hat - ein fälliger Anspruch auf Rückführung des Kontokorrentkredites nicht entstanden. Entgegen der Auffassung der Beklagten enthält das Schreiben vom 28.02.2005 keine Kündigung des Kontokorrentkredites. Die Bedeutung des Schreibens ist durch Auslegung zu ermitteln (§ 133 BGB). Das Wort "Kündigung" ist entbehrlich. Entscheidend ist der für den Erklärungsempfänger erkennbare Wille, das Vertragsverhältnis beenden zu wollen. Unter Berücksichtigung dieser Auslegungskriterien enthält das Schreiben vom 28.02.2005 keine Kündigung. Die Beklagte erklärt hiermit nur, dass sie den Kontokorrentkredit auf dem oben genannten Konto nicht weiter offen halten könne und weitere Verfügungen nicht mehr zulassen werde. Damit hat sie das Konto lediglich für weitere Kreditgewährungen gesperrt und auf den Stand zum Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens eingefroren, nicht aber den gesamten Kredit zur Zahlung fällig gestellt. Das Schreiben der Beklagten vom 11.03.2005 (Anlage K 3) und die Kündigung vom 17.03.2005 belegen ergänzend, dass die Beklagte im Schreiben vom 28.02.2005 keine Kündigung des Kontokorrents aussprechen wollte, sondern selbst davon ausging, dass das Kontokorrentverhältnis erst mit der Kündigung vom 17.03.2005 beendet wird. Da im Schreiben vom 28.02.2005 keine Kündigung zu sehen ist, kann offen bleiben, ob und wann dieses Schreiben der Insolvenzschuldnerin zugegangen ist. Auch die weitere Frage der Zulässigkeit einer Kündigung, mit der sich das Landgericht im Übrigen beschäftigt hat, kann hier dahingestellt bleiben.

c) Eine kongruente Deckung, nach der der Gläubiger die Sicherung oder Befriedigung einer Forderung erhält, auf die er einen Anspruch hat, ergibt sich im Übrigen auch nicht aus der Kontokorrentabrede an sich. In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 150, 122 ff.), über deren Interpretation die Parteien streiten, ist ausgeführt, dass Verrechnungen von Zahlungseingängen im Kontokorrent als kongruent anzusehen sind, wenn gleichzeitig auch neue Auszahlungen zugelassen werden. Indem die Bank die der Kontokorrentabrede zugrunde liegenden Absprachen einhalte, handle sie vertragsgemäß, also kongruent.

aa) Unter Auslegung dieser Entscheidung nimmt die Beklagte deshalb an, auch wenn durch die Verrechnungen eine teilweise Rückführung des Kontokorrents erfolgte, liege eine kongruente Deckung immer dann vor, wenn die Bank dem Schuldner weiterhin die Möglichkeit zu Verfügungen lasse. Demgegenüber ist der Kläger der Auffassung, dass alleine die generelle Möglichkeit der Schuldnerin, weiter verfügen zu können, nicht zur Begründung der Kongruenz ausreiche. Soweit im Ergebnis die Forderung der Bank vor Fälligkeit durch Verrechnung zurückgeführt werde, liege stets Inkongruenz vor.

bb) Die Interpretation dieses Urteils des Bundesgerichtshofs ist auch in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im Schrifttum streitig. Teilweise wird angenommen, aus der Wechselwirkung zwischen dem Recht des Kontoinhabers, bis zur Ausschöpfung der Kreditlinie Liquidität zu erhalten, sowie Geld jederzeit zurückführen zu dürfen (einerseits) und der Pflicht der kontoführenden Bank, eingehende Gelder anzunehmen und im Rahmen der vereinbarten Kreditlinie wieder zur Verfügung zu stellen (andererseits), ergebe sich ein kongruentes Geschäft. Die vertragsmäßige Fortführung der Kontokorrentabsprache werde nicht deshalb inkongruent, weil innerhalb des kritischen Zeitraums vor Beantragung des Insolvenzverfahrens die Gutschriften im Ergebnis höher seien als die Belastungen (LG Neuruppin, Urteil vom 13.02.2003 - Az. 3 O 286/02, zitiert nach juris; OLG Rostock, Urteil vom 07.03.2005 - 3 U 121/04, WM 2007, 980; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Aufl., § 130 Rn. 14). Dagegen wird das Urteil auch so verstanden, dass die Rückführung des ungekündigten Kredits in Höhe des Betrages, um den im Anfechtungszeitraum die verrechneten Gutschriften die zugelassenen Auszahlungen übersteigen, inkongruent sei (OLG Celle, Urteil vom 02.02.2005 - 3 U 287/04, ZInsO 2005, 377; KG Berlin, Urteil vom 28.11.2003 - 7 U 245/02, ZInsO 2004, 394 ff.; Bruckhoff, NJW 2002, 3304, 3306; Gottwald, Handbuch des Insolvenzrechts, 3. Aufl. 2006, § 47 Rn. 50; MünchKommInsO-Kirchhof, 1. Auflage 2002, § 131 Rn. 16).

cc) Diese zuletzt genannte Auslegung entspricht nach der Auffassung des Senats der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung (BGHZ 150, 122 ff.) nicht auf das generelle Verhältnis zwischen Verrechnung und weiterem Verfügungsrahmen abgestellt, sondern ausgeführt, Kongruenz liege vor, soweit die Bank den Schuldner vereinbarungsgemäß wieder verfügen lasse. Dementsprechend hat er weiter hervorgehoben, dass in dem Umfang, in dem die verrechneten Einzahlungen im Zeitraum der Anfechtbarkeit die Auszahlung übersteigen, die Bank den Schuldner nicht mehr wieder über diese Eingänge hat verfügen lassen. Daraus folgt, dass ein "Verfügenlassen" nur insoweit angenommen werden kann, als tatsächlich wieder Verfügungen zugelassen werden. Soweit demnach in der Zeit der Anfechtbarkeit tatsächlich der ungekündigte Kontokorrentkredit teilweise zurückgeführt wird, ist diese Rückführung auch dann inkongruent, wenn sie durch Saldierung im Kontokorrent erfolgt. Dies hat der Bundesgerichtshof in späteren Entscheidungen (vgl. BGH, WM 2004, 1575 f.) bekräftigt, wenn er dort ausführt, dass Verrechnungen erst dann inkongruent werden, wenn das Kreditinstitut Verfügungen des Kunden nicht mehr in der vereinbarten Weise zulässt und dadurch im Ergebnis die Darlehensforderungen vor deren Fälligkeit durch die saldierten Gutschriften zurückgeführt werden. Auch das Kammergericht Berlin (ZInsO 2004, 394 ff.) hat hierauf aufbauend zutreffend ausgeführt, stelle eine Bank Zahlungseingänge im Kontokorrent ein, liege in dem Umfang, in dem die Bank den Schuldner wieder über den Gegenwert verfügen lässt, ein nicht anfechtbares Rechtsgeschäft vor. Hieraus folgt die Anfechtbarkeit der Verrechnung, wenn diese den Umfang der Verfügungen des Kunden übersteigt. Schließlich spricht auch der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 06.04.2006 - IX ZR 107/05 - für diese Auslegung. In jenem Verfahren stand - wie im Ausgangsfall BGHZ 150, 122 ff. - der Betrag in Streit, um den die Schuldnerin die Kontokorrentlinie nicht ausgenutzt hatte. Soweit die Schuldnerin im Anfechtungszeitraum den Kontokorrent teilweise zurückgeführt hatte, wurde ihr dieser Betrag von der beklagten Bank rückerstattet. Der Bundesgerichtshof hat dazu ausgeführt, erst wenn die Bank Verfügungen des Kunden nicht mehr in der vereinbarten Weise zulasse, könne sie mit Verrechnungen vertragswidrig, also inkongruent im Sinne des § 131 Abs. 1 Nr.1 InsO handeln, soweit dadurch im Ergebnis ihre Darlehensforderung vor deren Fälligkeit durch die saldierten Gutschriften zurückgeführt werde. Dementsprechend habe die beklagte Bank den Betrag zurückgezahlt, um den die verrechneten Einzahlungen im Zeitraum der Anfechtbarkeit die Auszahlungen übersteigen. Für die Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO komme es auf den Betrag an, um den die verrechneten Einzahlungen in diesem Zeitraum die Auszahlungen übersteigen. Alleine in diesem Umfang habe die Bank die Schuldnerin nicht wieder über die Eingänge verfügen lassen. Auch der Bundesgerichtshof geht demnach davon aus, dass die Rückführung eines ungekündigten Kontokorrents in Höhe des Betrages, um den die verrechneten Gutschriften im Anfechtungszeitraum die zugelassenen Auszahlungen überschreiten, eine inkongruente Deckung darstellt.

dd) Soweit der Schuldner über Einzahlungen nicht mehr verfügen konnte und im Ergebnis eine Rückführung des Kontokorrentkredits erfolgte, liegt damit mangels Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs eine Leistung vor, die die Bank nicht oder jedenfalls nicht zu der Zeit beanspruchen konnte. Durch die Verrechnungen hat die Beklagte eigene Forderungen getilgt und insoweit im Ergebnis auch keine weiteren Verfügungen über die Kreditlinie mehr zugelassen. Infolge der mit Schreiben vom 17.03.2005 erfolgten Kündigung der Geschäftsverbindung konnte die Insolvenzschuldnerin auch nicht mehr weiter verfügen.

ee) Nur ergänzend ist anzumerken, dass jedenfalls die nach dem 28.02.2005 erfolgten Verrechnungen im Kontokorrent inkongruent sind. Auch wenn das Schreiben vom 28.02.2005 keine Kündigung des Kontokorrents enthält, verweigert die Beklagte - entgegen der zugrunde liegenden Absprache - damit zumindest weitere Verfügungen über das Kontokorrent und hält auch die Kreditlinie nicht weiter offen.

ff) Die hier streitigen Verrechnungen stellen damit ein inkongruente Deckung dar.

2) Die Beklagte kann mit dem Einwand, diese Rechtshandlungen seien nicht anfechtbar, weil sie nicht von ihr, sondern von der Insolvenzschuldnerin selbst stammten, nicht gehört werden. Nach den obigen Darlegungen ist dieser Einwand schon deshalb unerheblich, weil die beiden Rückbuchungen über je 40.000 € hier nicht entscheidungserheblich sind. Im Übrigen spielt es auch keine Rolle, wer Urheber dieser Rechtshandlung ist. Auch Rechtshandlungen des Schuldners sind anfechtbar (MünchKommInsO-Kirchhof, 1. Aufl. 2002, § 129 Rn. 34).

3) Der Anfechtung steht die Einordnung der Verrechnungen als Bargeschäft i. S. v. § 142 InsO nicht entgegen. Bei einer inkongruenten Deckung kommt ein Bargeschäft nicht in Betracht (BGH, ZIP 2007, 924, 926; BGHZ 150, 122 ff.; BGH, WM 2004, 1576; Bruckhoff, NJW 2002, 3304, 3306; Gerhardt/Kreft, Aktuelle Probleme der Insolvenzanfechtung, 10. Aufl., Rn. 448).

4) Die Anfechtung scheitert auch nicht an der hierfür nach § 129 Abs. 1 InsO nötigen Gläubigerbenachteiligung. Eine solche ist dann gegeben, wenn sich die Befriedigungsmöglichkeit der Insolvenzgläubiger ohne die fragliche Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet.

a) Die Insolvenzgläubiger werden nicht benachteiligt, soweit ein Kreditinstitut Zahlungen von Kunden des späteren Insolvenzschuldners verrechnet, deren Verbindlichkeiten dem Institut schon als Sicherheit dienten (BGH, WM 2006, 915 f.; BGH, NJW 2003, 360 f.; MünchKommInsO-Kirchhof, § 131 Rn. 45 und § 129 Rn. 142). Da sich die Beklagte darauf beruft, aufgrund des Sicherungsvertrages vom 14.03.2003 (dort Ziff. 9.2 - 9.4.; Anlage BB 1) seien auch die Verkaufsforderungen der Schuldnerin gegenüber ihren Abnehmern zur Sicherheit abgetreten, kommt eine Gläubigerbenachteiligung nicht in Betracht, soweit die Gutschriften auf dem Kontokorrent im Zeitraum vom 08.02.2003 bis zum 08.03.2003 auf Zahlungen von Kunden der Schuldnerin zurückgehen, deren Forderungen bereits an die Beklagte wirksam abgetreten waren. Allerdings reicht eine pauschale Einigung, sämtliche Kaufpreisforderungen abzutreten, nicht aus, um im Voraus eine kongruente Sicherheit zu begründen (BGH, ZIP 2007, 924, 925; BGH, NJW 2002, 1722 ff.). Bei einer Vorausabtretung tritt die Wirkung der Abtretung frühestens mit dem Entstehen der Forderung ein. Eine kongruente Deckung kommt daher allenfalls insoweit in Betracht, als im maßgeblichen Zeitraum Zahlungen auf bereits vor dem 08.02.2003 entstandene, konkrete der Abtretung unterliegende Kaufpreisforderungen erfolgt sind. Die Zahlungen auf diese zur Sicherheit abgetretenen Forderungen beeinträchtigen die übrigen Insolvenzgläubiger nicht. Durch die Zahlung erlischt zwar der als Sicherheit dienende Anspruch des Kreditinstitutes gegen den Einzahlenden. Das Kreditinstitut ist jedoch seinerseits schuldrechtlich zur Herausgabe des Erlangten an den als Empfänger bezeichneten Kunden verpflichtet. Gleichzeitig mit dem Erlöschen erwirbt das Kreditinstitut aber gem. Nr. 21 der AGB-Sparkassen ein Pfandrecht an dem neu entstehenden Anspruch des Kunden gegen das Kreditinstitut. Es handelt sich dabei jedoch nur um einen Austausch gleichwertiger Sicherheiten, der nicht gläubigerbenachteiligend im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO wirkt (BGH, WM 2002, 2369 ff.; MünchKommInsO-Kirchhof, § 131 Rn. 45 und § 129 Rn. 142). Obwohl grundsätzlich der Kläger die Darlegungs- - und Beweislast für eine objektive Gläubigerbenachteiligung trägt, ist hier die Beklagte dafür darlegungs- - und beweispflichtig, dass sie die Forderungen schon aufgrund eines früheren Rechtserwerbs erhalten hat (BGH, NJW 1992, 624, 626; MünchKommInsO-Kirchhof, § 129 Rn. 228). Hierfür ist die Beklagte darlegungs- - und beweisfällig geblieben. Sie hat trotz des Hinweises des Senats im Termin vom 19.06.2007 (AS II 97) nicht dargelegt, welche der auf dem Kontokorrent im Zeitraum vom 08.02.2003 bis 08.03.2003 eingegangenen Gutschriften solche bereits vor dem 08.02.2003 entstandene und wirksam abgetretene Forderungen (vgl. BGH, ZIP 2007, 924, 926) betreffen.

b) Inwieweit in diesem Zusammenhang eine Gläubigerbenachteiligung infolge der Verrechnungen der Gutschriften im Kontokorrent auch deshalb ausscheidet, weil der Beklagten der Warenbestand der Insolvenzschuldnerin gem. dem Sicherheitenvertrag zur Sicherung übereignet war, vermag der Senat nicht zu erkennen. Diese Art der Sicherung steht in keinem relevanten Zusammenhang mit der Verrechnung der erfolgten Gutschriften.

c) Da nicht nachgewiesen ist, dass die Verrechnungen im Kontokorrent auf Zahlungseingängen beruhen, die dem Sicherungsvertrag unterliegen und bereits zuvor an die Beklagte abgetreten waren, ist mit dem Landgericht von einer Gläubigerbenachteiligung auszugehen. Die Beklagte kann sich - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - auch nicht auf das Pfandrecht nach Nr. 21 Abs. 1 AGB-Sparkassen berufen. Denn ein solches Pfandrecht aufgrund der Eingänge im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag wäre für sich ohne weiteres gem. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO als inkongruente Sicherung anfechtbar. Sogar wenn man die Regelung in Nr. 21 Abs. 1 AGB-Sparkassen dahin auslegt, dass die Bank und der Kunde sich nicht nur über die Pfandrechtsbestellung dinglich einig sind, sondern zugleich einen schuldrechtlichen Anspruch darauf begründet, wird dieser erst in demjenigen Zeitpunkt auf einen bestimmten Pfandgegenstand konkretisiert, in dem die Sache in den Besitz der Bank gelangt oder die verpfändete Forderung entsteht (BGHZ 150, 122 ff.; BGHZ 59, 230, 235). Eine frühere pauschale Einigung dahin, sämtliche künftig in den Besitz der Bank kommenden Sachen oder für den Kunden entstehenden Ansprüche gegen sie sollten verpfändet werden, genügt jedenfalls nicht, um im Voraus eine kongruente Sicherung im Sinne von § 130 InsO zu begründen (BGHZ, 150, 122 ff.; BGHZ 118, 171, 178). Auch für ein solches konkret bestimmtes Pfandrecht hat die Beklagte nichts vorgebracht.

5) Die Berufung der Beklagten ist daher zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben. Der Rechtsstreit wirft keine Rechtsprobleme auf, die sich nicht schon unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entscheiden lassen.

Gem. § 63 Abs. 2 GKG war der Streitwert festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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