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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 21.02.2002
Aktenzeichen: 19 U 167/01
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 61
Grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht kann bereits dann vorliegen, wenn der Versicherungsnehmer 5 Stunden nach Trinkende mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,65 % mit seinem PKW von der Fahrbahn abkommt.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Zivilsenate in Freiburg Im Namen des Volkes Urteil

19 U 167/01

Verkündet am: 21. Februar 2002

In Sachen

wegen Forderung

hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - Zivilsenat in Freiburg - auf die mündliche Verhandlung vom 7. Februar 2002 durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Richter am Oberlandesgericht Richter am Dr. Ungewitter

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Konstanz vom 27.07.2001 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet, weil der Kläger den Verkehrsunfall im Zustand relativer Fahruntüchtigkeit und sowohl in objektiver wie auch in subjektiver Hinsicht in grob fahrlässige Weise herbeigeführt hat.

1. Gemäss § 61 VVG ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 61 VVG bezeichnet - wie auch sonst - einen erhöhten, schweren Grad fahrlässigen Fehlverhaltens. Sie setzt objektiv einen besonders groben, über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Verstoß gegen Sorgfalts- und Verkehrspflichten und auch subjektiv ein in besonderer Weise vorwerfbares Verhalten, also ein beträchtliches und erhebliches schuldhaftes Versagen gegenüber den zu stellenden Anforderungen an die Achtsamkeit und Sorgfalt voraus (OLG Karlsruhe VersR 1983, 292). Die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen des § 61 VVG sowohl für einen in objektiver wie in subjektiver Hinsicht grob fahrlässigen Verstoß wie auch für dessen Ursächlichkeit in Bezug auf den Eintritt des Versicherungsfalles obliegt der Versicherung (OLG Karlsruhe a.a.O.).

a) Der Kläger hat den Unfall in alkoholisiertem Zustand verursacht. Das Landgericht hat - sachverständig beraten - eine Blutalkoholkonzentration von 0,65 %o für den Unfallzeitpunkt festgestellt. Damit war er allerdings noch nicht absolut fahruntüchtig. Dieser Zustand ist erst ab einer BAK von 1,1 %o erreicht. Bei einer solchen Alkoholisierung steht unwiderleglich fest, dass der Fahrzeugführer infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen (§ 316 Abs. 1 StGB). Unterhalb dieses Alkoholisierungsgrades beginnt der Bereich der sogenannten relativen Fahruntüchtigkeit. Diese ist im Einzelfall konkret festzustellen.

b) Relative Fahruntüchtigkeit kann sich aus einem alkoholtypischen Fahrfehler oder auch aus sonstigen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen ergeben, die im Blutentnahmeprotokoll festgehalten sind (Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, AKB-Kommentar 17. Aufl., § 61 VVG Rdn. 35).

Eine solche alkoholtypische Fehlleistung beim Steuern des Kraftfahrzeugs hat das Landgericht zutreffend festgestellt. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung. Entgegen der Auffassung des Klägers spricht das Ergebnis des Dekra-Gutachtens (dort S. 8), wonach die Unfallursache in einem Fahrfehler lag, nicht gegen die Annahme relativer Fahruntüchtigkeit. Der Sachverständige hatte eine technische Überprüfung des Unfallfahrzeugs durchzuführen (S.2 des Gutachtens). Das Ergebnis seiner Untersuchungen war, dass keine Mängel des Fahrzeugs festzustellen waren, die für den Unfall hätten ursächlich oder mitursächlich sein können. Durch das Gutachten ist damit lediglich bewiesen, dass der Unfall auf einem Fehlverhalten des Klägers beruht.

Darüberhinausgehend hat der Sachverständige festgestellt, dass die Fahrbahn an dieser Stelle recht schmal sei, deshalb eine geringe Unaufmerksamkeit mit anschließender Fahrbewegung nach rechts ausreiche, um von der Fahrbahn abzukommen. Als Unfallursache kommt jedoch auch in Betracht, dass der Kläger die langgezogene Linkskurve mit einer in der konkreten Situation überhöhten Geschwindigkeit befahren hat. Andere Ursachen als die beiden genannten scheiden allerdings aus. Für beide Fälle ist der Senat davon überzeugt, dass es sich um alkoholtypische Fahrfehler handelt. Nicht entscheidend kommt es dabei darauf an, ob auch nicht unter Alkoholeinfluss stehende Fahrzeugführer an dieser Stelle verunfallen. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Kläger in nüchternem Zustand die Verkehrssituation gemeistert hätte. Daran besteht kein Zweifel. Der Kläger verfügt seit 1984 über eine Fahrerlaubnis und ist seit 1990 selbständiger Bauunternehmer; dieser Beruf bringt höhere Jahreskilometerleistungen mit sich. Damit hatte er - wie in der mündlichen Verhandlung mit den Parteien erörtert worden ist - zum Unfallzeitpunkt große Fahrpraxis. Dennoch ist er bei trockener Fahrbahn und guten Lichtverhältnissen - es war taghell - in einer langgestreckten Linkskurve von der Fahrbahn abgekommen. Folglich ist der Kläger entweder aus alkoholbedingter Enthemmung und Risikofreude zu schnell in die Kurve gefahren oder sein Leistungsvermögen war durch den konsumierten Alkohol, ggf. in Verbindung mit einer noch fortbestehenden Ermüdung nach einer "langen" Nacht so verringert, dass er die sonst unschwer gemeisterte Verkehrssituation nicht bewältigt hat. Somit liegt in objektiver Hinsicht grobe Fahrlässigkeit vor, weil die Teilnahme am Straßenverkehr im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit ein besonders schwerer und grober Verstoß gegen die einen Kraftfahrer treffenden Verkehrspflichten darstellt.

c) Der Kläger hat auch subjektiv grob fahrlässig gehandelt. Allerdings hat er vorgebracht, dass er während des Weinfestes Alkohol getrunken habe und sich deshalb danach nicht selbst ans Steuer gesetzt habe. Vielmehr habe er geschlafen und gefrühstückt, bevor er sich auf die Fahrt nach Hause gemacht habe. Dies spreche für eine selbstkritische Haltung und Verantwortungsgefühl.

Dem Kläger ist einzuräumen, dass sich in der Rechtsprechung Hinweise finden, wonach bei einem längere Zeit vor dem Fahrtantritt liegenden Alkoholgenuss wegen des zwischenzeitlichen Alkoholabbaus die Fehleinschätzung der Fahrtüchtigkeit nicht als subjektiv grob fahrlässig angesehen werden kann, wenn konkrete Ausfallerscheinungen vor Fahrtantritt oder während der Fahrt nicht aufgetreten sind (vgl. OLG Karlsruhe VersR 1983,292,293; VersR 1983,627,628). Dies mag im Einzelfall eine Wertung des Verhaltens eines Kraftfahrers, der sich in relativ fahruntüchtigem Zustand ans Steuer setzt, als subjektiv grob fahrlässig verbieten.

Der Kläger hat das Trinkende im Strafverfahren mit 2.30 Uhr angegeben. Zum Unfallzeitpunkt um 7.45 Uhr hatte er eine Blutalkoholkonzentration von 0,65%o. Es kann offen bleiben, bis zu welchem Zeitpunkt zurückzurechnen ist und ob gar, weil der Kläger bei dem sich über viele Stunden hinziehenden Weinfest mit gleichbleibender Trinkgeschwindigkeit Alkohol über einen längeren Zeitraum zu sich genommen hat, eine Rückrechnung bis zum Trinkende statthaft ist (vgl. BGH NJW 1974,246,247). Je nachdem hatte der Kläger - zu seinen Gunsten gerechnet - eine Blutalkoholkonzentration von etwas über 0,95%o bis zu 1,15%o. Damit war er beim Verlassen des Fests deutlich alkoholisiert. Unter diesen Umständen musste es sich ihm, auch wenn er geschlafen und gefrühstückt hatte, aufdrängen, dass der genossene Alkohol keineswegs in dem Maße abgebaut war, dass er den Bereich relativer Fahruntüchtigkeit verlassen hatte. Er ist also sehenden Auges das Risiko eingegangen, in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand ein Kraftfahrzeug zu führen, und hat damit kritiklos eine Situation herbeigeführt, in welcher er und andere Straßenverkehrsteilnehmer in schwerer Weise gefährdet worden sind. Der Kläger hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, weshalb sein Schluss, er habe sich durch Schlaf und Frühstück so weitgehend erholt, dass er nunmehr verkehrstüchtig sei, gerechtfertigt sein könnte. Er hat sich allein auf den Zeitablauf von nur 5 Stunden und die Einnahme von Nahrung verlassen. Da die Gefahren, die von alkoholisierten Fahrern ausgehen, sowie die gravierenden Auswirkungen konsumierten Alkohols ebenso allgemein bekannt sind wie die Tatsache, dass der Abbau von Alkohol auch dann seine Zeit braucht, wenn der Betreffende nicht neuen Alkohol zuführt, sondern schläft, ist es nicht gerechtfertigt, das klägerische Verhalten als nur einfach fahrlässig einzustufen. Es bestehen im vorliegenden Fall keine erheblichen Unterschiede zu der Fallkonstellation, dass der Täter sich unmittelbar nach Trinkende mit einer Alkoholisierung von 0,65%o BAK ans Steuer setzt. Auch dann würde man dem Fahrer in subjektiver Hinsicht grobe Fahrlässigkeit vorwerfen, weil er sich trotz erheblichen Alkoholgenusses an das Steuer eines Kraftfahrzeuges gesetzt und dabei die allgemein bekannte Einsicht missachtet hat, dass er durch Fahren im fahruntüchtigen Zustand andere Verkehrsteilnehmer und sich selbst einer unverantwortlichen Gefährdung aussetzt und damit unentschuldbar handelt (vgl. OLG Hamm, Urteil v.21.April 1995 - 20 U 372/94).

3. Die Entscheidung beruht im übrigen auf den §§ 97, 543 Abs.2, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO n.F.

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