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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 28.04.2005
Aktenzeichen: 19 U 189/04
Rechtsgebiete: AHB, ZPO


Vorschriften:

AHB § 2
ZPO § 540 Abs. 1
Wird ein Haus nach Beendigung der Bauarbeiten zu Wohnzwecken genutzt - wenn auch in nicht fertig gestelltem oder mit Baumängeln behafteten Zustand - haftet der Inhaber nicht mehr als Bauherr, sondern als Hauseigentümer.

Vom Versicherungsnehmer kann auch - ohne dahingehende ausdrückliche Bestimmung im Vertrag - nicht verlangt werden, dass er das Ende der Bauarbeiten bzw. eine Änderung der ursprünglichen Planung dem Versicherer mitteilt oder - wie die Beklagte meint - in anderer Weise nach außen hin manifestiert.


Oberlandesgericht Karlsruhe 19. Zivilsenat in Freiburg Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 19 U 189/04

Verkündet am 28. April 2005

In dem Rechtsstreit

wegen Feststellung

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 07. April 2005 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Lauven Richter am Oberlandesgericht Bauer Richterin am Oberlandesgericht Beck

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 30.09.2004 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt aufgrund eines Privathaftpflichtversicherungsvertrages die Feststellung, dass die Beklagte ihn von Ansprüchen Dritter aus einem Schadensereignis vom 03.11.2001 - Sturz eines Besuchers aus einem "Türfenster" im 1. OG. des klägerischen Einfamilienhauses - freizustellen verpflichtet ist.

Bestandteil des im Jahre 1984 abgeschlossene Versicherungsvertrages ist u.a. folgende Klausel der Risikobeschreibung:

"I. Versichert ist die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens, insbesondere

...

3. als Inhaber

....

b) eines im Inland gelegenen Einfamilienhauses

...

sofern sie ausschließlich zu Wohnzwecken verwendet werden, einschließlich der zugehörigen Garagen und Gärten sowie eines Schrebergartens.

Hierbei ist mitversichert die gesetzliche Haftpflicht ... als Bauherr oder Unternehmer von Bauarbeiten bis zu einer Bausumme von 20.000,-- DM je Bauvorhaben. Wird dieser Betrag überschritten, so entfällt die Mitversicherung. Es gelten dann die Bestimmungen der Vorsorgeversicherung (§ 2 AHB). ..."

Der Kläger erwarb Mitte 1999 zusammen mit seiner damaligen Lebensgefährtin ein älteres Einfamilienhaus in L., an dem in der Folgezeit verschiedene Renovierungsarbeiten durchgeführt wurden. Nachdem die Erwerber das Anwesen bezogen hatten, wurde im Sommer 2000 noch die Fassade wärmeggedämmt und verputzt. Danach erfolgten keine weiteren Umbau- oder Sanierungsarbeiten. Im ersten Obergeschoss des Hauses befindet sich eine Außentür aus Glas, welche im Zuge der o.g. Renovierungsarbeiten anstelle eines normalen Fensters eingebaut worden war. An der Außenseite dieser Tür ist weder ein Balkon noch eine andere bauliche Vorrichtung (Brüstung, Geländer o.ä. ) angebracht. Als Sicherheitsvorkehrungen hatten der Kläger und seine damalige Lebensgefährtin an der Innenseite normalerweise einen schweren Marmortisch vor die Tür gestellt und den Türgriff abgeschraubt. Vor einer Geburtstagsfeier am 3.11.2001 waren diese Maßnahmen im Zuge von Reinigungs- und Umräumarbeiten beseitigt worden mit der Folge, dass ein Gast während der Feier die Tür öffnete, halb rückwärts nach außen trat und 4 m in die Tiefe stürzte, wobei er sich erhebliche Verletzungen zuzog. Die Beklagte lehnte ihre Einstandsverpflichtung ab, da der Schaden durch nicht fertig gestellte Bauarbeiten entstanden sei. Bei der vom Kläger mitgeteilten Bausumme von 70.000,00 DM könne Versicherungsschutz aus der bestehenden Privathaftpflichtversicherung nicht gewährt werden. Der Kläger hält die Eintrittspflicht der Beklagten für gegeben, da die Baumaßnahmen, die einzeln betrachtet jeweils die Summe von 20.000,00 DM nicht überschritten hätten, zum Schadenszeitpunkt schon seit längerem abgeschlossen gewesen seien. Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird im Übrigen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Ziel der Klagabweisung weiter.

Sie ist der Auffassung, das Landgericht habe zu Unrecht eine Bauherreneigenschaft des Klägers verneint und eine unbeschränkte Eintrittspflicht der Beklagten aus der Privathaftpflichtversicherung angenommen, obwohl der Kläger die nicht ausreichend gesicherte Fenstertür im Zuge der Umbaumaßnahmen von Mitte 1999 bis Sommer 2000 habe einbauen lassen und grundsätzlich auch zum Zeitpunkt des Schadenseintritts noch die Absicht gehabt habe, vor diese Tür einen Balkon anzubauen. Richtigerweise entfalle die Eigenschaft als Bauherr nicht, wenn dieser entgegen einer ursprünglichen Planung die innere Absicht habe, einen Bau nicht mehr fortführen zu wollen, ohne dass dies nach außen hin in objektiv geeigneter Weise - z.B. durch eine Hochmauerung auf Fensterhöhe oder andere Sicherungsmaßnahmen - manifestiert werde. Andernfalls habe es jeder Bauherr in der Hand, wie lange er als solcher im Sinne der entsprechenden Risikobeschreibung anzusehen sei. Im vorliegenden Fall sei der Kläger aufgrund der lediglich provisorischen Sicherung der "Balkontür" bei nicht erfolgtem Balkonanbau weiterhin als Bauherr zu behandeln.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, zum Zeitpunkt des Schadensereignisses sei der ursprüngliche Gedanke, einen Balkon anzubringen, bereits endgültig verworfen worden. Dies habe die Zeugin S. in erster Instanz glaubhaft bestätigt. Die Bauherrenhaftpflicht gelte ausschließlich für die besonderen Gefahren des Baus. Eine bauspezifische Gefahr habe aber zum Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr bestanden, da die Sanierungsarbeiten bereits 1 1/2 Jahre vorher beendet worden seien. Das Fehlen erkennbarer Manifestationshandlungen, wie sie die Beklagte verlange, führe nicht dazu, den Kläger noch Jahre später als Bauherrn anzusehen; dieser hafte in Bezug auf den Unfall allenfalls als Hauseigentümer, nicht aber als Bauherr.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 29.12.2004 (II, 35) und die Berufungserwiderung vom 22.02.2005 (II, 49) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte aufgrund des Versicherungsvertrages vom 01.07.1984 verpflichtet ist, den Kläger von möglichen Ansprüchen Dritter aus dem Schadensereignis vom 03.11.2001 (Unfall des J. S.) freizustellen, da ein Versicherungsfall gemäß Ziff. I Nr. 3 b der Risikobeschreibungen, Erläuterungen und besonderen Bedingungen zur Privathaftpflichtversicherung (Anlage K 2) gegeben ist. Mit zutreffender rechtlicher Begründung hat das Landgericht den Kläger nicht als Bauherren im Sinne von Ziff. 1 Nr. 3 Satz 2 u. 3 der genannten Bedingungen angesehen und deswegen nicht die Auffassung der Beklagten geteilt, der Versicherungsschutz entfalle wegen Überschreitung der vertraglich auf 20.000 DM begrenzten Bausumme.

Für den Unfall des Geschädigten Sittig ist zwar die Tatsache, dass im Zuge der ca. 1 1/4 Jahre zurückliegenden Umbau- und Sanierungsarbeiten eine ungesicherte Fenstertür eingebaut wurde, mitursächlich geworden. Dafür haftet der Kläger jedoch nach Sinn und Zweck der genannten Vertragsklausel nicht als Bauherr, sondern als Hauseigentümer, da sich der Unfall erst nach Abschluss der Bauarbeiten ereignet und sich eine bauspezifische Gefährung dabei nicht verwirklicht hat.

Entscheidend bei der Auslegung allgemeiner Versicherungsbedingungen ist die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die Bedingungen aufmerksam liest und verständig - unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhanges - würdigt (u.a. BGH VersR 2003, 236; BGHZ 123, 83). Auf diesen abgestellt erfasst die Bauherrenklausel zwar Haftpflichtfälle - u.a. wegen unzureichender Absicherung gegen Absturzgefahr bei nicht fertiggestellten Balkonen, Treppen etc. - während der Bauphase, nicht aber Sicherheitsrisiken, die sich nach Abschluss der Bauarbeiten als Folge verbliebener Baumängel verwirklichen, wobei unerheblich ist, ob letztere auf mangelhafter Bauausführung oder auf Abweichung von der ursprünglichen Planung beruhen.

Die der Höhe nach beschränkte Bauherrenhaftung greift - wie schon aus der Formulierung "als Bauherr oder Unternehmer von Bauarbeiten" ersichtlich - nach sinnentsprechender Auslegung der betreffenden Vertragsbestimmung nur so lange ein, als tatsächlich Bauarbeiten auf dem Grundstück stattfinden und soweit diese ursächlich für den Schadenseintritt sind. Die Bauherrenhaftung unterliegt einer von der unbeschränkt versicherten Haftung als Inhaber eines zu Wohnzwecken verwendeten Einfamilienhauses gesonderten Regelung, weil während der Bauausführung zusätzliche Gefahren - u.a. im Zusammenhang mit der Verwendung von Arbeitsgeräten und Baumaterial sowie möglichen unzureichenden Sicherungsmaßnahmen während der Bauphase - bestehen. Wird das Haus hingegen nach Beendigung der Bauarbeiten zu Wohnzwecken genutzt - wenn auch in nicht fertig gestelltem oder mit Baumängeln behafteten Zustand - haftet der Inhaber nicht mehr als Bauherr, sondern als Hauseigentümer. Die typische Gefahr von Bauarbeiten ist dann nicht mehr gegeben (so auch OLG Hamm, VersR 1983, 257). Dagegen spricht auch nicht, dass im Hinblick auf die Bausumme, die für die Frage der Mitversicherung nach Nr. 3 c S. 2 der o.g. Bedingungen zu Grunde zu legen ist, von der Gesamtplanung auszugehen ist (AG Saarbrücken, VersR 1986, 754). Diese Frage stellt sich nämlich erst, wenn vorrangig geklärt ist, dass der Versicherungsnehmer als Bauherr und nicht als Hauseigentümer haftet. In vorliegendem Fall waren unstreitig die Bauarbeiten im Jahre 2000 beendet worden. Weitere ursprünglich geplante Maßnahmen wie der Balkonanbau waren - wie die Zeugin S. glaubhaft bekundet hat - in absehbarer Zeit nicht vorgesehen. Sinn der Bauherrenhaftung ist nicht, den Hauseigentümer in Bezug auf ursprünglich geplante, jedoch nicht ausgeführte Maßnahmen auch nach Einstellung der aktiven Bauarbeiten auf Dauer als Bauherrn zu behandeln und von dem unbeschränkten Versicherungsschutz als Hauseigentümer auszunehmen. Dieser erfasst vielmehr auch Hausanwesen mit verbliebenen Baumängeln.

Vom Versicherungsnehmer kann auch - ohne dahingehende ausdrückliche Bestimmung im Vertrag - nicht verlangt werden, dass er das Ende der Bauarbeiten bzw. eine Änderung der ursprünglichen Planung dem Versicherer mitteilt oder - wie die Beklagte meint - in anderer Weise nach außen hin manifestiert. Vielmehr ergibt sich eine hinreichend klare Abgrenzung der Haftung als Bauherr zu der als bloßer Hauseigentümer aus der Feststellung, ob zum Zeitpunkt des Unfallereignisses noch Bauarbeiten an dem Objekt stattfanden - wenn auch möglicherweise unter Zurücklassung eines baustellentypischen Zustandes kurzfristig unterbrochen - oder ob die Bauphase beendet war und sich der Unfall im Zusammenhang mit der Wohnnutzung zugetragen hat.

Der vorliegende Unfall steht nicht mehr im Zusammenhang mit durchgeführten Baumaßnahmen. Der Unfallort war zu diesem Zeitpunkt keine Baustelle, sondern ein bewohntes Einfamilienhaus. Der Kläger und seine damalige Lebensgefährtin hatten dem Gefährdungspotential, welches sich aus der Tatsache ergibt, dass eine im Obergeschoss gelegene Glastür ins Freie führt, ohne dass ein Balkon oder eine andere Maßnahme, die das Hinausfallen einer Person verhindert hätte, dadurch entgegen gewirkt, dass normalerweise der Griff der Fenstertür abgeschraubt und vor die Tür ein Tisch geschoben war. Diese, möglicherweise unzureichenden, Maßnahmen waren während der Geburtstagsfeier, bei der der Verletzte J. S. zu Schaden kam, durch Einsatz des Griffs im Zusammenhang mit Reinigungsarbeiten und durch Verschieben des Tisches beseitigt worden, so dass es zu dem Unfall kommen konnte. Damit sind Ursachen für das Unfallgeschehen gesetzt worden, die ausschließlich im Zusammenhang mit dem Bewohnen des Anwesens, nicht aber mit Bauarbeiten stehen. Derartige Pflichtverletzungen werden durch die Risikobeschreibung auch dann nicht von der unbeschränkten Deckungspflicht ausgenommen, wenn eine unzureichende Bauausführung in der Vergangenheit - Einbau einer Fenstertür ohne Sicherungsvorkehrungen - für das Schadensereignis mitursächlich war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die übrigen Nebenentscheidungen aus §§ 543 Abs. 2, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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