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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 21.07.2005
Aktenzeichen: 19 U 46/05
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 779
ZPO § 794
1. Für die außergerichtliche Verlängerung der Widerrufsfrist in einem gerichtlich protokollierten Vergleich ist keine Anzeige vor Fristablauf gegenüber dem Gericht erforderlich.

2. Hält das erstinstanzliche Gericht einen Vergleichswiderruf zu Unrecht für unwirksam, kann der Rechtsstreit gemäß § 538 ZPO zurückverwiesen werden.


Oberlandesgericht Karlsruhe 19. Zivilsenat in Freiburg Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 19 U 46/05

Verkündet am 21. Juli 2005

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung u.a.

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 07. Juli 2005 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Lauven Richter am Oberlandesgericht Bauer Richterin am Oberlandesgericht Beck

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 17. Februar 2005 aufgehoben und festgestellt, dass der Rechtsstreit vor dem Landgericht Konstanz nicht durch den am 24.09.2004 protokollierten Vergleich beendet wurde.

Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs.

Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage von dem Beklagten persönlich (Beklagter Ziff. 2) und als Insolvenzverwalter (Beklagter Ziff. 1) die Auszahlung noch nicht ausgekehrter Erlöse aus dem Einzug ihr zustehender Forderungen und der Verwertung ihres Sicherungseigentums sowie Auskunft über den Einzug der Forderungen. Widerklagend begehren die Beklagten von der Klägerin die Auszahlung eines Restbetrages, der sich nach Abrechnung zu ihren Gunsten ergebe. Am 24.09.2004 schlossen die Parteien einen gerichtliche protokollierten Widerrufsvergleich, der unter Ziffer 3 folgende Regelung trifft:

"Beide Parteien können den Vergleich durch Anwaltsschriftsatz, eingehend bei Gericht bis spätestens 30.10.2004 widerrufen."

Im Folgenden verhandelten die Parteien, ohne das Gericht hiervon zu benachrichtigen, über eine Verlängerung der Widerrufsfrist um zwei Wochen. Der Klägervertreter übersandte dem Beklagtenvertreter am 22.10.2004 ein Bestätigungsschreiben mit folgendem Inhalt: "Nach Rücksprache mit meiner Mandantin kann ich Ihnen mitteilen, dass Einverständnis mit einer Verlängerung der im Verhandlungstermin vom 24.09.2004 protokollierten Vergleichswiderrufsfrist um 14 Tage (bis 13.11.2004) besteht. Sofern Sie dieses Schreiben zur Einreichung bei Gericht verwenden wollen, bestehen unsererseits hiergegen keine Bedenken." Dem Landgericht zeigten die Parteien die Fristverlängerung innerhalb der ursprünglichen Widerrufsfrist nicht an. Erst am 8.11.2004 erlangte es Kenntnis von der Vereinbarung und dem Schreiben des Klägervertreters. Am 9.11.2004 ging der Widerrufsschriftsatz des Beklagtenvertreters beim Landgericht ein. Die Beklagten begehrten die Feststellung, dass der Rechtsstreit nicht durch den Prozessvergleich abgeschlossen ist. Die Klägerin beantragte festzustellen, dass der Rechstreit durch den Vergleich erledigt ist.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird im Übrigen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

Das Landgericht hat mit der Begründung, dass die Fristverlängerung mangels Anzeige gegenüber dem Gericht unwirksam sei, durch Endurteil festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist.

Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung.

Sie sind der Auffassung, dass die Mitteilung gegenüber dem Gericht keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Fristverlängerung sei. Das Landgericht habe insbesondere die Widerrufsklausel falsch ausgelegt. Das ermittelte Auslegungsergebnis ergebe sich nicht aus dem Wortlaut der Ziffer 3. Außerdem sei die Widerrufsklausel eine eng auszulegende Ausnahmeregelung, da grundsätzlich der Widerruf auch gegenüber der anderen Partei erklärt werden könne.

Die Beklagten beantragen,

1. Das Urteil des Landgerichts vom 17. Februar 2005 wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass der Vergleich wirksam widerrufen wurde.

3. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts und ist der Ansicht, die Auslegung der Widerrufsklausel ergebe, dass die Fristverlängerung dem Landgericht innerhalb der ursprünglichen Frist mitgeteilt werden müsse. Aus der Tatsache, dass die Parteien unter Ziffer 3 des Vergleiches das Erfordernis vereinbart haben, den Widerruf des Vergleiches fristgerecht dem Gericht gegenüber zu erklären, folge, dass eine Fristverlängerung erst Recht bei Gericht anzuzeigen sei, um Wirksamkeit zu entfalten. Auch dem Schreiben des Klägervertreters vom 22.10.2004 könne man entnehmen, dass die Wirksamkeit der Fristverlängerung unter der Bedingung stehe, dass das Schreiben durch den Beklagtenvertreter innerhalb der ursprünglichen Frist bei Gericht eingereicht werde.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf den Schriftsatz des Klägervertreters vom 21.06.2005 und den Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 13.04.2005 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, zur Feststellung der Nichterledigung des Rechtsstreits durch den Vergleich und zur Zurückverweisung an das Landgericht.

1. a) Das erstinstanzliche Urteil geht zu Recht davon aus, dass die Fristverlängerung auch ohne gerichtliche Protokollierung zulässig ist (OLG Hamm, FamRZ 1988, 535; Stein/Jonas/Roth, 22. Aufl., § 224 Rn. 3; Thomas/Putzo, 26. Aufl., § 224 Rn. 1; Zöller/Stöber, 25. Aufl., § 794 Rn. 10 c; Schneider MDR 1999, 595, 596; a.A. LG Bonn MDR 1997, 783).

b) Rechtsfehlerhaft nimmt das Landgericht jedoch an, die Anzeige gegenüber dem Gericht sei Wirksamkeitserfordernis der Fristverlängerung. Nach herrschender Meinung, die vom Senat geteilt wird, können die Parteien über die Widerrufsfrist beliebig verfügen, sie also auch vor deren Ablauf verlängern (BGHZ 61, 394, 398; OLG Hamm, FamRZ 1988, 535; Stein/Jonas/Roth, 22. Aufl., § 224 Rn. 3; Thomas/Putzo, 26. Aufl., § 794 Rn. 20; Zöller/Stöber, 25. Aufl., § 794 Rn. 10 c). Es bedarf zur Wirksamkeit einer derartigen Fristverlängerung weder einer Mitwirkung des Gerichts noch bedarf es einer Anzeige gegenüber dem Gericht. Die davon abweichende Feststellung in einer Entscheidung des OLG Hamm vom 14.11.2000 (OLG Hamm BauR 2001, 833) ist unzutreffend. Sie war in jener Entscheidung auch nicht tragend, denn dort war die Vereinbarung der Fristverlängerung nicht bewiesen.

Die Widerrufsfrist ist Gegenstand des materiell-rechtlichen Vergleichsinhalts, sie hat vertraglichen Charakter. Die Gerichte haben nicht die Möglichkeit, die Widerrufsfrist vor deren Ablauf entweder von Amts wegen oder - etwa gem. § 224 ZPO - auf Antrag der Parteien zu verlängern. Dieses Recht steht ausschließlich den Parteien zu (BGHZ 61, 394, 398; Stein/Jonas/Roth, 22. Aufl., § 224 Rn. 3 u. 7; Thomas/Putzo, 26. Aufl., § 794 Rn. 20).

Wegen des vertraglichen Charakters der Widerrufsfrist kommt bei einer Versäumung der in einem Vergleich protokollierten Widerrufsfrist auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (BGHZ 61, 394; BGH NJW 80, 1752, 1753; Thomas/Putzo, 26. Aufl., § 233, Rn. 3). Als Ausgleich können die Parteien über die Frist frei verfügen. Sie dürfen nicht durch gerichtliche Anzeigeerfordernisse in ihrer Dispositionsfreiheit beeinträchtigt sein, sondern müssen die Frist bis unmittelbar vor deren Ablauf für die Vereinbarung einer Fristverlängerung ausnützen können. Auch in einem Extremfall, in dem sich z.B. zwei Parteivertreter im fernen Ausland kurz vor Ablauf der ursprünglichen Frist telefonisch über die Verlängerung der Frist einigen wollen, darf eine Fristverlängerung nicht wegen eines Anzeigeerfordernisses undurchführbar sein.

Mögliche Beweisschwierigkeiten und Rechtsunsicherheit über den Eintritt der prozessbeendigenden Wirkung des Vergleichs rechtfertigen keine andere Entscheidung. Diese wohnen dem vertraglichen Charakter der Widerrufsfrist inne. Den Parteien ist es unbenommen, zur Ausräumung dieser Schwierigkeiten im Vergleichstext für die Wirksamkeit der Fristverlängerung ein rechtzeitiges Anzeigeerfordernis zu regeln.

c) Die Klägerin und die Beklagten haben eine solche Regelung im Vergeich jedoch nicht getroffen. Eine Auslegung der Widerrufsklausel in Ziffer 3, ausgehend von ihrem Wortlaut, ergibt, dass die Parteien nur die Frage des Widerrufs selbst, nicht aber die Frage einer Fristverlängerung geregelt haben. Die Vereinbarung, dass der Widerrufsschriftsatz bis spätestens 30.10.2004 bei Gericht eingehen muss, bedeutet nicht gleichzeitig, dass auch eine Fristverlängerung innerhalb dieser Frist angezeigt werden muss.

Auch aus dem Schreiben des Klägervertreters vom 22.10.2004 geht keine Vereinbarung eines rechtzeitigen Anzeigeerfordernisses hervor. Das Schreiben ist nach objektivem Empfängerhorizont dahingehend auszulegen, dass die Klägerseite der von der Beklagtenseite angeregten Fristverlängerung uneingeschränkt zugestimmt hat. Auch dem letzten Satz des Schreibens mit dem Inhalt, dass gegen die Einreichung des Schreibens bei Gericht keine Bedenken bestehen, kann man nicht das Wirksamkeitserfordernis einer rechtzeitigen Anzeigepflicht entnehmen. Der Klägervertreter mag zwar dem rechtlichen Irrtum erlegen sein, dass das Gericht an der Fristverlängerung mitzuwirken habe, damit diese wirksam werden könne; vereinbaren wollte er ein Anzeigeerfordernis jedoch erkennbar nicht.

Aus diesem Grund muss auch dem Beweisangebot der Klägerin im Schriftsatz vom 22.06.2005 (II 61) nicht nachgegangen werden. Denn der zu Grunde liegende Vortrag ist unschlüssig, da sich aus ihm nicht ergibt, dass die Parteien sich ausdrücklich darüber verständigt haben, dass die Fristverlängerung erst durch Anzeige gegenüber dem Gericht wirksam werden solle. Dass der Klägervertreter nach seinem Vorbringen in dem Telefonat - beruhend auf dem rechtlichen Irrtum, das Gericht müsse bei der Verlängerung mitwirken - geäußert haben soll, es solle "dem Beklagtenvertreter ermöglicht werden, eine Verlängerung der Widerrufsfrist durch Einreichung des übermittelten Schreibens vom 22.10.2004 bei Gericht zu erreichen", beinhaltet nicht die einvernehmliche Begründung eines über die Vereinbarung der Fristverlängerung hinausgehendes Wirksamkeitserfordernisses. Die Tatsache, dass sich die Parteien über die Fristverlängerung einig waren, wird von der Klägerin nicht bestritten.

2. Die Frage der Wirksamkeit des Widerrufs kann - was hiermit geschieht - durch Zwischenurteil nach § 303 ZPO entschieden werden (OLG München, Urteil vom 25. Mai 2004, Az: 9 U 4364/03; Stein/Jonas/Leipold, 21. Aufl., § 303 Rn. 5; Thomas/Putzo, 26. Aufl., § 303 Rn. 2; Zöller/Vollkommer, 25. Aufl., § 303 Rn. 5); denn die Unwirksamkeit eines Prozessvergleichs ist eine prozessuale Vorfrage und nicht Prozessvoraussetzung.

Der Rechtsstreit ist analog § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift liegen vor, da auch in dem in § 538 ZPO nicht geregelten Fall der Aufhebung der erstinstanzlichen Feststellung der prozessbeendigenden Wirkung eines Prozessvergleichs noch in der Sache zu entscheiden ist und den Parteien die Möglichkeit der Berufung gegen diese abschließende Entscheidung verbleiben soll, wenn eine Seite darauf anträgt. Der erforderliche Antrag auf Zurückverweisung wurde vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellt.

Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren war dem Schlussurteil vorzubehalten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Zwar hat ein Urteil auf Aufhebung und Zurückverweisung keinen vollstreckungsfähigen Inhalt im eigentlichen Sinn. Allerdings kann nach herrschender Auffassung aus ihm insoweit vorgegangen werden, als erst die Vorlage eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils das Vollstreckungsorgan nach §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO nötigt, eine eingeleitete Vollstreckung aus dem aufgehobenen Urteil einzustellen und getroffene Maßnahmen aufzuheben (OLG Karlsruhe JZ 84, 635; OLG München MDR 82, 238; MünchKomm/Krüger, 2. Aufl., § 704 Rn. 6; Thomas/Putzo, 26. Aufl., § 708 Rn. 11; Zöller/Heßler, 25. Aufl., § 538 Rn. 59; a.A. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 63. Aufl., § 708 Rn. 12). Das angefochtene Urteil des Landgerichts hat zwar seinerseits keinen vollsteckungsfähigen Inhalt, vollsteckbar ist jedoch der Prozessvergleich, so dass mit Hilfe des vorläufig vollsteckbaren Berufungsurteils die Vollsteckung aus ihm eingestellt werden kann. Eine Abwendungsbefugnis gegen Sicherheitsleitung ergibt sich daraus allerdings nicht. Eine entsprechende Anordnung hat mangels eines vollstreckungsfähigen Inhalts des Urteils zu unterbleiben.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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