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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 05.02.2002
Aktenzeichen: 2 Ss 162/00
Rechtsgebiete: AEntG


Vorschriften:

AEntG § 1 Abs. 1 Satz 3
AEntG § 1 Abs. 1 Satz 4
AEntG § 5 Abs. 1 Nr. 1
1. Bei flexibler Arbeitszeit mit diskontinuierlichem Arbeitsanfall sind, wenn das Entgelt in monatlich gleichbleibender Höhe gezahlt wird, die tatsächlich geleisteten Stundenlöhne in der Weise zu ermitteln, dass das jeweils in einer Planperiode geleistete Entgelt durch die in diesem Zeitraum erbrachte Stundenzahl dividiert wird.

2. Aus dem Umstand, dass die Vergütung monatlich in gleichbleibender Höhe gezahlt wird, darf nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass auch monatliche Ausgleichszeiträume als Bezugsgröße vereinbart waren.

3. Die Festlegung der Bezugsgrößen (Planperioden) unterliegt - innerhalb der gesetzlichen und tarifvertraglichen Grenzen - der Parteiautonomie.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Senat für Bußgeldsachen

2 Ss 162/00

Bußgeldsache

wegen Verstoßes gegen das AEntG

Beschluss vom 05. Februar 2002

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts X. vom 10. März 2000 aufgehoben.

Die Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens und die der Betroffenen hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Das Amtsgericht verurteilte die Betroffene am 10.03.2000 "wegen fahrlässiger Nichtgewährung einer in § 1 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AEntG genannten Arbeitsbedingung an einen Arbeitnehmer in 4 Fällen" zu Geldbußen von jeweils 300 DM. Hiergegen richtet sich die durch Beschluss des Senats vom 04.02.2002 zugelassene Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der die Aufhebung des angefochtenen Urteils und ihre Freisprechung erstrebt wird. Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel hat Erfolg.

Nach den Feststellungen ist die Betroffene Geschäftsführerin eines der Baubetriebeverordnung unterliegenden Hochbau- und Abrissunternehmens. Im Jahr 1997 war der Ehemann der Betroffenen in diesem Unternehmen als Vorarbeiter für ein - unabhängig von den tatsächlich geleisteten Stunden - monatliches Bruttogehalt von 2.076 DM angestellt. Dies hatte zur Folge, dass aufgrund der tatsächlich geleisteten Monatsarbeitsstundenzahl in den Monaten Februar bis April sowie Oktober 1997 der jeweilige monatliche Durchschnittsstundenlohn unterhalb des durch § 2 Abs. 2 des Tarifvertrages zur Regelung eines Mindestlohnes im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn) in der jeweils geltenden Fassung festgesetzten Mindeststundenlohnes lag. Das Amtsgericht hat darin einen fahrlässigen Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Sätze 3, 4 AEntG gesehen, der für die Betroffene, die Unkenntnis der Rechtslage eingewandt hatte, "ohne weiteres durch Erkundigung zu vermeiden war".

Allerdings ist das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass das Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz - AEntG) in der Fassung vom 26.02.1996 (BGBl I 227) auch auf - wie vorliegend - unter den Geltungsbereich eines entsprechenden Tarifvertrages fallende Arbeitgeber im Inland Anwendung findet. Der Senat ist durch die entgegenstehende Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 03.07.1998 (NStZ-RR 1998, 319 = wistra 1998, 318) nicht gehindert, ohne Vorlage nach § 121 Abs. 2 GVG zu entscheiden. Durch die Begründung des Entwurfs zum Korrekturgesetz vom 17.11.1998 für die Neufassung der §§ 1 Abs. 1 und 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG BT - Drucks 14/45) hat der Gesetzgeber eindeutig und offenkundig klargestellt, dass in gleicher Weise auch die ursprüngliche Fassung dieser erst wenige Jahre zuvor erlassenen Normen auf die im Tarifgebiet ansässigen Arbeitgeber anwendbar ist. Die im Jahre 1998 erfolgte Neufassung hat keinen neuen Rechtszustand geschaffen, sondern lediglich das zutreffende Verständnis der alten Fassung verdeutlicht. Damit ist die abweichende Meinung des OLG Düsseldorf überholt (BGH NJW 2000, 1880; vgl. auch Ambs in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze AEntG § 5 Rdn. 7). Die Pflicht zur Zahlung einer tariflich festgelegten Mindestvergütung steht auch mit EG-Recht im Einklang. Art. 59 EGV (jetzt Art. 49 EG) und Art. 60 EGV (jetzt Art. 50 EG) schließen es nicht aus, dass ein Mitgliedstaat einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, vorschreibt, den von ihm entsandten Arbeitnehmern die Mindestvergütung zu zahlen, die in dem im ersten Mitgliedstaat geltenden Tarifvertrag festgelegt ist, sofern die betreffenden Bestimmungen hinreichend genau und zugänglich sind, um einem solchen Arbeitgeber in der Praxis nicht die Feststellung, welche Verpflichtungen er beachten müsste, unmöglich oder übermäßig schwer zu machen (EuGH ZIP 1999, 2168). Dies gilt in gleicher Weise für unter den Geltungsbereich eines entsprechenden Tarifvertrages fallende Arbeitgeber im Inland.

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des sonach anzuwendenden AEntG handelt ein Arbeitgeber mit Sitz im Inland gem. § 1 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AEntG ordnungswidrig, der vorsätzlich oder fahrlässig seinem im räumlichen Geltungsbereich eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages des Bauhauptgewerbes oder des Baunebengewerbes im Sinne der §§ 1 und 2 der Baubetriebe-Verordnung vom 28.10.1980 (BGBl I 2033), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 13.12.1996 (BGBl I 1954), beschäftigten Arbeitnehmer die tarifvertraglich vorgeschriebenen Mindest-Arbeitsbedingungen nicht gewährt. Dazu gehören nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AEntG die Mindestentgeltsätze. Für die hier relevanten Zeiträume wurden als einheitliches Mindestentgelt im Sinne dieses Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen durch Tarifvertrag vom 02.09.1996 (allgemeinverbindlich erklärt mit Wirkung vom 01.01.1997 bis 31.08.1997) und nachfolgend vom 17. Juli 1997 (allgemeinverbindlich erklärt mit Wirkung vom 01.09.1997 bis 31.08.1999) für das Gebiet der "alten" Länder der Bundesrepublik Deutschland ein Gesamttarifstundenlohn von 17 DM bzw. von 16 DM festgelegt. Dadurch ist es den Parteien indessen nicht grundsätzlich verwehrt, gesetzliche oder tarifliche Ansprüche durch eine pauschalierte Vergütung oder einen pauschalierten Zuschlag zu erfüllen (vgl. BAG, Beschl. v. 11.03.1981 - 5 AZR 878/78 -, veröffentlicht bei juris). Ist zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat, so muss aber grundsätzlich zugleich eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit festgelegt werden (§ 4 Abs. 1 BeschFG), wobei es den Arbeitsvertragsparteien freisteht, ob sich die bestimmte Dauer auf die tägliche, wöchentliche oder monatliche Arbeitszeit zu beziehen hat (Lorenz, Teilzeitarbeit und befristeter Arbeitsvertrag Art. 1 § 4 BeschFG 1985 Anm. 2). Allerdings gelten auch hier die tarifrechtlichen Bestimmungen vorrangig (§ 6 Abs. 1 BeschFG). §§ 3 Nr. 1 der für das Baugewerbe - hier relevanten - verbindlichen Manteltarifverträge vom 18.12.1996 (AVE: 01.01.1997 bis 31.05.1997), nachfolgend vom 09.06.1997 (AVE: 01.06.1997 bis 31.07.1997) und 30.07.1997 (AVE: 01.08.1997 bis 31.12.1998) sehen in diesem Zusammenhang von den Lohnabrechnungszeiträumen unabhängige Arbeitszeitvereinbarungen mit Ausgleichszeiträumen bis zu einem Jahr vor, wenn die betrieblichen Verhältnisse es erfordern. Liegt eine einzelvertraglich vereinbarte pauschalierte Lohnvereinbarung für den Grundlohn und sämtliche nach dem Tarifvertrag zu zahlenden Zuschläge vor, so ist diese nach alldem zulässig, sofern nicht die tarifvertraglichen Mindestsätze unterlaufen werden. Auf den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers bleibt die flexible Verteilung der Arbeitszeit jedoch ohne Auswirkungen. Auch bei flexiblen Arbeitszeitsystemen mit diskontinuierlichem Arbeitsanfall wird das Entgelt in der Regel - wie vorliegend - kontinuierlich, d.h. in monatlich gleichbleibender Höhe bezahlt (Wank in Erfurter Komm. z. ArbeitsR ArbZG 110 Anhang § 7 Rdnr. 38). Die bei dieser Vertragsgestaltung tatsächlich gezahlten Stundenlöhne sind deshalb in der Weise zu ermitteln, dass das jeweils in einer Planperiode geleistete Entgelt durch die in diesem Zeitraum erbrachte Stundenzahl dividiert wird. Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Amtsgerichts nicht gerecht. Denn aus dem Umstand, dass die Vergütung des Ehemannes der Betroffenen vorliegend monatlich in gleichbleibender Höhe gezahlt wurde, durfte nicht entgegen dem eindeutigen Verteidigungsvorbringen ohne weiteres geschlossen werden, dass auch monatliche Ausgleichszeiträume als Bezugsgröße vereinbart waren. Die Festlegung der Bezugsgrößen unterlag - innerhalb der gesetzlichen und tarifvertraglichen Grenzen - der Parteiautonomie. Dass bei der Vereinbarung des Entgeltes für die Arbeitsleistung des Ehemannes der Betroffenen andere als monatliche Bezugsgrößen zugrundegelegt worden sein müssen, folgt bereits aus dem Verhältnis des vom Amtsgericht errechneten Durchschnitts-Stundenlohnes für den Monat August 1997 von 138,40 DM zu den übrigen der Entscheidung zugrundegelegten Durchschnittsstundenlöhnen. Es ist fernliegend, dass im Rahmen einer dauerhaften Leistungsbeziehung wie der vorliegenden der Vergütungsanspruch derart unterschiedlich hätte festgelegt werden sollen, ohne dass besondere, aus den getroffenen Feststellungen nicht ersichtliche Umstände dies gerechtfertigt hätten. Nach Sachlage drängt sich vielmehr auf, dass ein monatlicher Pauschallohn vorliegend lediglich zur einfacheren buchhalterischen Handhabung festgesetzt und ausgezahlt wurde (vgl. Wank a.a.O.).

Die angefochtene Entscheidung war daher bereits wegen dieses sachlichrechtlichen Fehlers aufzuheben. Einer Zurückverweisung an das Amtsgericht bedarf es jedoch nicht, da der Senat in der Sache selbst entscheiden kann (§ 79 Abs. 6 OWiG). Die Frage, welche Bezugsgrößen vorliegend zwischen der Betroffenen und ihrem Ehemann als Ausgleichszeiträume tatsächlich vereinbart wurden, kann letztlich dahinstehen. Denn auch wenn die objektiven Voraussetzungen einer Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG nach erneuter Berechnung des Durchschnitts-Stundenlohnes noch bejaht werden könnten, müsste die Betroffene wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums freigesprochen werden. Als Inhaberin eines kleinen Baubetriebes im Inland, in dem neben ihrem Ehemann nur noch ein Bauhelfer beschäftigt war, musste es sich ihr nicht aufdrängen, dass ein Verstoß gegen die Bestimmungen allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge durch das "Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz - AEntG)" sanktioniert ist. Angesichts einer solchen Überschrift war es für sie nicht erkennbar, dass dieses Gesetz über den in seiner Überschrift zum Ausdruck gekommenen Regelungsinhalt hinaus auch den inländischen Arbeitgeber, der im Inland Arbeitnehmer beschäftigt, mit Geldbuße bedroht, wenn Bestimmungen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages nicht beachtet werden (vgl. auch BayObLG NStZ 2000, 148 = GewArchiv 2000, 72). Im übrigen ging die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zu den Tatzeiten noch unwidersprochen dahin, dass sich der Anwendungsbereich des Gesetzes auf inländische Arbeitgeber nicht erstreckt. Der nicht vorwerfbare Verbotsirrtum hindert eine Ahndung (Göhler, OWiG 12. Aufl. § 11 Rdnr. 33), weshalb die Betroffene im Ergebnis jedenfalls freizusprechen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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