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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 05.07.1999
Aktenzeichen: 2 UF 112/99
Rechtsgebiete: BGB, FGG
Vorschriften:
BGB § 1303 Abs. 2 | |
FGG § 50a | |
FGG § 50b |
1. Das Familiengericht hat vor einer Entscheidung über die Befreiung vom Erfordernis der Volljährigkeit nicht nur einen Bericht des Jugendamtes einzuholen, sondern auch die Antragstellerin, den Verlobten und die Eltern persönlich anzuhören.
2. Die Versagung der Befreiung kann nicht allein darauf gestützt werden, daß beide zukünftigen Ehegatten Sozialhilfe beziehen, wenn die Vollendung des 18. Lebensjahres in Kürze bevorsteht.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Zivilsenat - Senat für Familiensachen -
2 UF 112/99 20 F 316/98
Karlsruhe, 05. Juli 1999
Familiensache
Ehemündigkeitserklärung der
1.
2.
3.
Beschluß
Tenor:
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Sinsheim vom 11.1.1999 (20 F 316/98) aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Sinsheim zurückverwiesen.
2. Der Beschwerdewert wird auf 5.000.- DM festgesetzt.
Gründe:
I.
Die am 22.9.1981 geborene Antragstellerin, die ebenso wie ihr am 1.10.1979 geborener Verlobter irakische Staatsangehörige ist, lebt mit ihrer Familie in .
Beide Verlobten sind Sozialhilfeempfänger. Die Antragstellerin erwartet im Juli 1999 von ihrem Verlobten ein Kind.
Die Antragstellerin hat ihre Ehemündigkeitserklärung beantragt und vorgetragen, daß sie nach längerer Freundschaft aus Liebe mit ihrem Verlobten die Ehe eingehen wolle. Ihre Eltern haben dem Antrag zugestimmt.
Das Kreisjugendamt Rhein-Neckar-Kreis hat in seinem Bericht vom 12.11.1998 den Antrag befürwortet.
Nach Übersendung des Jugendamtsberichtes an die Beteiligten hat das Amtsgericht Familiengericht - durch Beschluß vom 11.1.1999 den Antrag zurückgewiesen, da aufgrund des Sozialhilfebezuges beider Verlobter eine wirtschaftliche Selbständigkeit der künftigen Ehe zu verneinen sei. Da sämtliche Aufwendungen durch Sozialhilfe finanziert werden müßten, wäre den Betroffenen zumindest zuzumuten, bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres durch die Antragstellerin zuzuwarten.
Gegen den nicht förmlich zugestellten Beschluß hat die Antragstellerin am 16.4.1999 Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 31.5.1999 begründet. Sie weist darauf hin, daß sich am Sozialhilfebezug auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres nichts ändern werde. Ein weiteres Zuwarten mit der Eheschließung sei nicht zumutbar, da sie in 6 Wochen ein Kind erwarte. Im heimischen Kulturkreis der Verlobten sei eine Heirat von Personen im jugendlichen Alter völlig normal.
Das Familiengericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie mit Beschluß vom 8.6.1999 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung wird auf den Nichtabhilfebeschluß verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 19, 20 Abs. 1 FGG zulässig. Sie führt zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Beschlusses und Zurückverweisung zur Anhörung der Beteiligten und erneuten Entscheidung.
1. Auf die sachlichen Voraussetzungen einer Eheschließung der Parteien findet gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB das irakische Heimatrecht der Parteien Anwendung. Gleiches gilt nach Art. 19 des irakischen Zivilgesetzbuchs Nr. 40 von 1951. Auch nach irakischem Eheschließungsrecht ist nach § 7 des Gesetzes über das Personalstatut für die Ehefähigkeit die Vollendung des 18. Lebensjahres Voraussetzung. Allerdings kann nach § 8 dieses Gesetzes bereits ab Vollendung des 15. Lebensjahres hiervon Befreiung erteilt werden. Somit wäre auch nach irakischem Heimatrecht der Verlobten eine Befreiung der Antragstellerin vom Volljährigkeitserfordernis notwendig und möglich.
2. Die Antragstellerin bedarf gemäß § 1303 Abs. 2 BGB nach deutschem Recht, welches nach Art. 13 Abs. 3 Satz 1 EGBGB auf die Form der Eheschließung anzuwenden ist, einer Befreiung vom Alterserfordernis des § 1303 Abs. 1 BGB. Auch nach der Reform des Eheschließungsrechts muß ein Ehegatte bei Eingehung der Ehe volljährig sein, sonst ist die Ehe aufhebbar, § 1314 Abs. 1 BGB. Ob die Voraussetzungen der Eheschließung vorliegen, hat der Standesbeamte von Amts wegen zu prüfen, §§ 1310 Abs. 1 Satz 2 BGB, 5, 6 Abs. 1 PStG.
Vom Erfordernis der Volljährigkeit kann das Familiengericht auf Antrag Befreiung erteilen, § 1303 Abs. 2 BGB, wenn der antragstellende Ehegatte 16 Jahre alt und sein Verlobter volljährig ist. Dies ist vorliegend der Fall. Die Befreiung liegt im Ermessen des Gerichts, wobei die allgemeinen Ermessensvorschriften der freiwilligen Gerichtsbarkeit Anwendung finden (siehe hierzu Palandt-Diederichsen, 58. Aufl., § 1303, Rn. 8; Bumiller/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 6. Aufl., § 27, Rn. 4).
3. Im Verfahren nach § 1303 Abs. 2 BGB beim Familiengericht sind gem. §§ 50 a ff. FGG neben der Antragstellerin auch deren Eltern, das Jugendamt sowie ggf. der Verlobte anzuhören (vgl. Palandt-Diederichsen, aaO., § 1303, Rn. 21; vgl. auch FamRefK/Wax, § 1303 BGB, Rn. 6). Das Familiengericht hat vorliegend jedoch nur einen Bericht des Jugendamtes gem. § 49 a Abs. 1 Nr. 1 FGG eingeholt, eine persönliche Anhörung der Antragstellerin, ihrer Eltern und ggf. des Verlobten ist hingegen unterblieben. Nachdem das Jugendamt ausdrücklich eine Befreiung befürwortet hat, mußten die Beteiligten mit der ablehnenden Entscheidung des Familiengerichts jedenfalls nicht ohne vorherige Anhörung rechnen. Die Antragstellerin hatte darüberhinaus keine Gelegenheit, persönlich ihre Motive für die Eheschließung zu schildern, die möglicherweise für das Familiengericht entscheidungserheblich gewesen wären. Im Hinblick darauf, daß die Antragstellerin noch in diesem Jahr das 18. Lebensjahr vollenden wird, konnte das Familiengericht sich nicht nur auf den Sozialhilfebezug beider Ehegatten als Grund berufen, der gegen eine Befreiung spricht.
Da die Nachholung der persönliche Anhörung der Beteiligten im Beschwerdeverfahren nicht geboten war, erfolgte die Aufhebung des amtsgerichtlichen Beschlusses und Zurückverweisung an das Familiengericht zur Anhörung der Beteiligten und erneuten Entscheidung. Das Familiengericht hat dann auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden (Keidel/Zimmermann, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 14. Aufl., § 13 a, Rn. 36).
3. Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf §§ 97 a Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO.
Ende der Entscheidung
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