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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 12.10.2000
Aktenzeichen: 2 UF 214/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1569 ff
Leitsatz

1. Die dem Unterhaltsverpflichteten bei Ausscheiden aus einem Betrieb gewährte Gehaltsabfindung hat Lohnersatzfunktion und kann bei älteren Arbeitnehmern bis auf die Zeit zum voraussichtlichen Rentenbeginn verteilt werden.

2. Bei den Anforderungen an die Erwerbsbemühungen des Unterhaltsverpflichteten sind individuelle Merkmale wie die berufliche Qualifikation und das Alter des Verpflichteten von besonderer Bedeutung. Keinesfalls kann vom Verpflichteten verlangt werden, sich auf Stellen zu bewerben, die aufgrund des Anforderungsprofils von vornherein keine Aussicht für den Erfolg der Bewerbung bieten.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Zivilsenat - Senat für Familiensachen

Im Namen des Volkes Urteil

2 U F 214/99 8 F 108/97

Verkündet am: 12.10.2000

Köhler, JS'in als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

wegen Unterhaltsabänderung

hat der 2. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 21.09.2000 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht

Richterin am Oberlandesgericht

Richter am Amtsgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichtes B.-B. vom 17.9.1999 (8 F 108/97 UE) im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:

Der am 8.7.1994 zwischen den Parteien vor dem Amtsgericht - Familiengericht - N. (9 F 2041/92) abgeschlossene Vergleich wird dahin abgeändert, daß der Kläger ab dem 24.3.1999 an die Beklagte einen monatlichen, monatlich im voraus zahlbaren nachehelichen Unterhalt in Höhe von insgesamt 967,50 DM (Elementarunterhalt: 772,50 DM; Vorsorgeunterhalt: 195 DM) und ab 1.1.2000 monatlich 966,50 DM (Elementarunterhalt 773,50 DM; Vorsorgeunterhalt 193 DM) zu bezahlen hat.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger 35% und die Beklagte 65%.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Abänderung eines Unterhaltsvergleiches.

Die Parteien wurden durch Urteil des Amtsgerichts N. vom 8.7.1994 (9 F 2041/92) rechtkräftig geschieden. Unter gleichem Datum hatten sie einen Vergleich geschlossen, durch welchen sich der Kläger zu monatlichen Ehegattenunterhaltszahlungen an die Beklagte in Höhe von 2.850 DM (2.300 DM Elementarunterhalt und 550 DM Vorsorgeunterhalt) verpflichtet hat. Nach Ziff. 2 dieses Vergleiches sind die Parteien dabei von einem monatlichen Nettoeinkommen des Klägers von 5.761 DM und einer damals bestehenden Erwerbsunfähigkeit der Beklagten ausgegangen. Mit seinem damaligen Arbeitgeber hat der am 27.8.1942 geborene Kläger 1996 einen Aufhebungsvertrag geschlossen unter Vereinbarung einer Abfindung in Höhe von 104.700 DM brutto bzw. 83.000 DM netto. Seit dem 1.1.1997 ist der Kläger arbeitslos und erhält Arbeitslosengeld, seit 1.1.2000 monatlich im Durchschnitt 2.219,50 DM.

Die am 17.4.1943 geborene Beklagte geht keiner Beschäftigung nach.

Der Kläger meint, wegen seiner fortdauernden Arbeitslosigkeit sei er zu weiteren Unterhaltszahlungen nicht verpflichtet. Er sei trotz aller Bemühungen nicht in der Lage, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Die Abfindung habe er zwischenzeitlich zur Tilgung von Schulden verbraucht. Außerdem sei die Beklagte selbst erwerbsfähig. Ihr sei es möglich, ein Einkommen von mindestens 2.700 DM brutto monatlich zu erzielen.

Der Kläger hat beantragt

den am 8.7.1994 zwischen den Parteien vor dem Amtsgericht - Familiengericht - N. zum Aktenzeichen 9 F 2041/92 abgeschlossenen Vergleich dahingehend abzuändern, daß der Kläger ab 1.1.1997, hilfsweise 15.10.1997 der Beklagten keinen Unterhalt mehr schuldet.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe seinen Arbeitsplatz leichtfertig aufgegeben. Seine Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz seien unzureichend. Sie selbst sei nach wie vor erwerbsunfähig.

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Erwerbsfähigkeit der Beklagten, weiches zum Ergebnis gelangte, die Beklagte sei spätestens zum Untersuchungstermin (24.3.1999) in der Lage, vollschichtig einer leichten Tätigkeit nachzugehen, hat das Familiengericht den Unterhaltsvergleich dahingehend abgeändert, daß der Kläger verpflichtet ist, an die Beklagte ab 24.3.1999 monatlichen Unterhalt in Höhe von 1.850 DM zu bezahlen (1.300 DM Elementarunterhalt und 550 DM Vorsorgeunterhalt).

Es könne nicht von einer Änderung der Leistungsfähigkeit des Klägers ausgegangen werden. Die von ihm entfaltete Tätigkeit zur Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes, nämlich 32 Bewerbungen in zwei Jahren, sei nicht ausreichend, um seiner Erwerbsobliegenheit nachzukommen, weshalb weiter von einem durchschnittlichen Nettoeinkommen von 5.761 DM auszugehen sei.

Eine wesentliche Änderung habe sich gleichwohl ergeben, weil die Beklagte erwerbsfähig sei und bei guten Bedingungen vollschichtig arbeiten könne. Allerdings beschränke sich ihre Erwerbsobliegenheit unter Berücksichtigung von § 1574 Abs. 2 BGB auf eine Halbtagstätigkeit, wobei ein Monatsnettoeinkommen von 1.000 DM zugrunde gelegt werden könne.

Hiergegen wenden sich der Kläger und die Beklagte mit ihrer jeweiligen Berufung.

Seinen erstinstanzlichen Vortrag vertiefend trägt der Kläger vor, er habe alles unternommen, um einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Angesichts seines Alters und seiner beruflichen Qualifikation sei keine Aussicht auf eine neue Stelle gegeben. Das Gericht hätte ihn auch darauf hinweisen müssen, daß sein diesbezüglicher Vortrag nicht ausreichend gewesen sei, weil er in der Lage gewesen sei, weitere Bewerbungen nachzuweisen und Bestätigungen von Arbeitsämtern beizubringen.

Die Beklagte sei auch schon vor dem 24.3.1999 wieder erwerbsfähig gewesen. Ihr sei es auch möglich, mindestens 2000 DM im Monat zu verdienen.

Der Kläger beantragt

1. Das am 17.9.1999 vom Amtsgericht - Familiengericht - B.-B. (8 F 108/97) verkündete Urteil wird aufgehoben, soweit die Klage abgewiesen worden ist.

2. Der am 8.7.1994 zwischen den Parteien vor dem Amtsgericht - Familiengericht - N. (9 F 2041/92) abgeschlossene Vergleich wird dahingehend geändert, daß der Kläger ab 1.1.1997, hilfsweise 15.10.1997, weiter hilfsweise seit 24.3.1999 der Beklagten keinen Unterhalt mehr schuldet.

Die Beklagte beantragt

1. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

2. Das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - B.-B. vom 17.09.1999 (8 F 108/97UE) wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beklagte schließt sich soweit die Klage abgewiesen wurde den Gründen des erstinstanzlichen Urteils an und trägt vertiefend vor, der Kläger dürfe sich nicht auf die Vermittlung durch ein Arbeitsamt verlassen, sondern müsse mindestens 20 Bewerbungen monatlich an Firmen richten, um seiner Obliegenheit bei der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle nachzukommen. Da er dies nicht getan habe, sei weiter von einem monatlichen Einkommen von 5.761 DM auszugehen. Von einer bei ihr gegebenen Erwerbsfähigkeit könne nicht ausgegangen werden. Im Gutachten des Sachverständigen seien weder der Krankheitsverlauf noch die vorgelegten Atteste der behandelnden Ärzte ausreichend' berücksichtigt worden. Seit Anfang 1999 habe sich ihr Gesundheitszustand rapide verschlechtert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers und der Beklagten ist jeweils zulässig. In der Sache ist die Berufung des Klägers teilweise, die der Beklagten nicht begründet.

Der Kläger hat nach den aus § 242 BGB hergeleiteten Grundsätzen über die Veränderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage einen Anspruch auf Abänderung der vor dem Amtsgericht N. geschlossenen Unterhaltsvereinbarung, weil es ihm nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann, an dieser Regelung festgehalten zu werden (Wendl/Pauling, Unterhaltsrecht, 5. Aufl., § 6, Rn 601). Nach Ziff. 2 der am 8.7.1994 geschlossenen Vereinbarung sind die Parteien bei der in Ziff. 1 festgelegten Unterhaltsverpflichtung davon ausgegangen, daß der Kläger ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 5.761 DM erzielt und bei der Beklagten eine "derzeit bestehende Erwerbsunfähigkeit" vorliegt.

Der Kläger ist unstreitig seit 1.1.1997 arbeitslos und erhält seit 1.1.2000 ein durchschnittliches monatliches Arbeitslosengeld in Höhe von 2.219,50 DM. Gleichwohl ist der Kläger nicht leistungsunfähig. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß er von seinem Arbeitgeber eine Abfindung von netto 83.000 DM erhalten hat. Eine solche Abfindung hat auch Lohnersatzfunktion und ist gegebenenfalls so zu verteilen, daß zusammen mit anderen Einkünften wie z.B. Arbeitslosengeld das bisherige Einkommensniveau so lange wie möglich erhalten bleibt und damit der Bedarf des Berechtigten sichergestellt wird (Wendl/Haußleiter, a.a.O., § 1 Rn 71 ff.; Johannsen/Henrich, Eherecht, 3. Aufl., § 1361 Rn 46; OLG Brandenburg FamRZ 1995, 1220). Ein kurzfristiger Verbrauch einer solchen Abfindung ist nicht sachgerecht, vielmehr ist insbesondere dann, wenn keine neue Stelle in Aussicht ist, Sparsamkeit geboten (OLG Oldenburg FamRZ 1996, 672). Bei älteren Arbeitnehmern ist die Abfindung auf die Zeit bis zum Rentenbeginn zu verteilen (OLG Koblenz, FamRZ 1991, 573, das eine Dauer von 6 Jahren angenommen hat).

Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 21.9.2000 besteht für ihn zwar die Möglichkeit, sofort einen Rentenantrag zu stellen; er müsse dann aber mit 18,3% Abschlag rechnen. Erst mit 63 Jahren, also im Jahr 2005, könne er abschlagsfrei in Rente gehen, was er auch vorhabe. Der Abfindungsbetrag ist daher auf die Zeit vom 1.1.1997 bis August 2005 wenn der Kläger sein 63. Lebensjahr vollendet, also auf acht Jahre und acht Monate, zu verteilen, weil der Kläger dann abschlagsfrei Rente beziehen kann. Die Abfindung ist ausreichend, um über diesen Zeitraum das monatliche Arbeitslosengeld des Beklagten von 2.219,50 DM um 780,50 DM aufzustocken, so daß von einem monatlichen zur Verfügung stehenden Einkommen von 3.000 DM auszugehen ist. Insgesamt wird hierzu ein Betrag von 81.172 DM benötigt. Der Kläger muß daher nicht den gesamten Betrag einsetzen (vgl. Wendl/Haußleiter, a.a.O., § 1 Rn 73), ihm verbleibt neben dem Zinsgewinn ein Restbetrag von 1.828 DM zur freien Verfügung.

Der Kläger kann nicht damit gehört werden, er habe die Abfindung zur Tilgung von Schulden verbraucht. Zwar kann der teilweise Einsatz zur Schuldentilgung angemessen sein (OLG Celle FamRZ 1992, 590). Die vom Kläger getilgten Schulden sind nach seinen eigenen Angaben jedoch dadurch entstanden, daß er auf "zu großem Fuß" gelebt hat. Die Tilgung derartiger Schulden kann nicht als angemessen berücksichtigt werden.

Der Kläger hat nicht gegen seine unterhaltsrechtliche Obliegenheit, alle ihm zumutbaren Einkünfte zu erzielen, verstoßen. Er ist zwar verpflichtet, seine Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich einzusetzen (Wendl/Haußleiter, a.a.O., § 1, Rn. 389). Zum unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen können daher auch Einkünfte gerechnet werden, die der Verpflichtete zumutbarerweise erzielen könnte, sie aber tatsächlich nicht erzielt (BGH FamRZ 1994, 372). Entgegen der Auffassung der Beklagten hat sich der Kläger jedoch in ausreichender Art und Weise um einen neuen Arbeitsplatz bemüht. Nach seinen eigenen Angaben hat er in der Vergangeneheit, beginnend mit seiner Arbeitslosigkeit im Januar 1997, insgesamt 55 Bewerbungen für eine Arbeitsstelle vorgelegt. Dies entspricht durchschnittlich 15 Bewerbungen im Jahr oder 1,25 Bewerbungen im Monat. Grundsätzlich ist zwar zu erwarten, daß ein Arbeitsloser für die Suche nach Arbeit die Zeit aufwendet, weiche ein Erwerbstätiger für seinen Beruf aufwendet (Wendl/Haußleiter, a.a.O., § 1, Rn. 427). Um diese Erwartung zu erfüllen, können vom Verpflichteten 20 Bewerbungen im Monat verlangt werden (OLG Naumburg FamRZ 1997,311). An einer solchen Anzahl kann jedoch nicht starr festgehalten werden. Vielmehr ist jeder Einzelfall zu würdigen. Dabei sind individuelle Merkmale wie die berufliche Qualifikation und das Alter des Verpflichteten von besonderer Bedeutung. Zumindest anhand dieser Daten muß eine erhebliche Kongruenz von Anforderungsprofil und persönlichem Profil gegeben sein, um dem Verpflichteten mangels ausreichender Bewerbungen ein fiktives Einkommen zuzurechnen. Keinesfalls wird man vom Verpflichteten verlangen können, sich auf Stellen zu bewerben, die aufgrund des Anforderungsprofils von vorneherein keine Aussicht auf Erfolg bieten. Der Beklagte hat vorgetragen, daß er sich auf sämtliche ihm bekannt gewordenen Stellenanzeigen beworben hat, die seinem persönlichen Arbeitsmarktprofil entsprachen. Er hat dies auch schriftlich belegt, so daß keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bewerbungsbemühungen des Klägers bestehen. Soweit die Beklagte angeregt hat, im Hinblick auf die Vermittelbarkeit des Klägers auf dem Arbeitsmarkt eine Information der Bundesanstalt für Arbeit einzuholen und zwar für ganz Deutschland, war dieser Anregung nicht nachzugehen, da dies sich im Falle eines förmlichen Beweisangebotes als unzulässiger Ausforschungsbeweis darstellen würde (Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., vor § 284 Rn 5 und 11). Nach der eigenen Sachkunde des Senates erscheint eine reale Beschäftigungschance auf dem Arbeitsmarkt in Anbetracht der überdurchschnittlichen Qualifikation des Klägers als Designer zwar möglich, im Hinblick auf sein Alter aber als aussichtslos. Selbst wenn der Kläger gegen seine Obliegenheit, sich um Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ernsthaft zu bemühen, verstoßen hätte, wäre ihm als fiktives Einkommen sein früheres Einkommen nicht in vollem Umfang zuzurechnen. Die früheren Einkünfte können nur für drei Jahre maßgebend sein (Wendl/Haußleiter § 1, Rn 438). Darüber hinaus dienen sie lediglich der Orientierung für die gem. § 287 ZPO zu ermittelnde Höhe fiktiver Einkünfte. Dabei ist ein Nettobetrag zu schätzen, der nach Abzug von Steuern und Vorsorgeaufwendungen erzielt werden könnte. Für dessen Höhe ist ferner die Vorbildung und Fähigkeit sowie der bisherige berufliche Werdegang, aber auch das Lebensalter zu berücksichtigen. Bei Abwägung aller Umstände wäre nach Auffassung des Senates ein zu erzielendes Einkommen des Klägers in Höhe von 3.000 DM einzustellen. Dieser Betrag tritt an die Stelle des früher vom Kläger erzielten Einkommens (Wendl/Gerhardt, a.a.O., § 4, Rn 288).

Auch der Einwand, der Kläger hätte sich als Selbständiger um Einkommen bemühen müssen, trägt nicht. Zum einen wäre gerade in der Gründungsphase nicht zu erwarten gewesen, daß der Kläger sofort das bisherige Einkommen erzielt. Zum anderen hat der Kläger nachvollziehbar dargelegt, daß ihm das Kapital für eine Verselbständigung fehlt.

Hinsichtlich des Arbeitsplatzverlustes ist ein unterhaltsrechtlich vorwerfbares Verhalten, wie beispielsweise leichtfertig verschuldete Kündigung oder leichtfertige Arbeitsplatzaufgabe, von der Beklagten nicht ausreichend dargetan.

Auch bezüglich der Beklagten ist eine wesentliche Änderung der in Ziff. 2 der Unterhaltsvereinbarung vom 8.7.1994 zugrundegelegten Verhältnisse eingetreten. Ausweislich des Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dr. med. G. vom 5.5.1999 kann die Beklagte spätestens seit dem Untersuchungstermin am 24.3.1999 für leichte Tätigkeiten mit Funktionseinschränkungen (wie ohne Zeitdruck und Nachtschicht) vollschichtig einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Damit besteht der Unterhaltsanspruch nach § 1572 BGB nicht mehr. Allerdings ist damit nicht jeglicher Unterhaltsanspruch der Beklagten vollständig entfallen, sie hat vielmehr Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gem. § 1573 Abs. 2 BGB. Es ist nämlich auch nach dem Sachverständigengutachten des Dr. G. davon auszugehen, daß die Beklagte nur einen Teil ihres Unterhaltsbedarfes durch eigene Tätigkeit zu decken vermag. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Beklagte zwischenzeitlich 57 Jahre alt ist. In dem von ihr erlernten Beruf als Tapeziererin und Raumausstatterin ist nicht zu erwarten, daß sie eine Anstellung finden wird. Ferner war zu berücksichtigen, daß sie in den letzten elf Jahren keiner Beschäftigung nachgegangen ist. Nach ihren eigenen Bekundungen würde sie aber - wie sich aus dem Sachverständigengutachten ergibt - gerne im kunstgewerblichen Bereich tätig sein. Der Senat ist der Auffassung, daß es ihr bei gehörigem Bemühen möglich ist, eine Tätigkeit zu finden, bei welcher ihrer persönlichen gesundheitlichen Situation Rechnung getragen und sie unter Berücksichtigung des Erwerbstätigenbonus in Höhe von 10% monatlich ein Nettoeinkommen von 630 DM erzielen wird.

Immerhin hat die Beklagte in der Vergangenheit ein Antiquitätengeschäft betrieben und in einem Modegeschäft gearbeitet. Daß sie sich bisher nicht um Arbeit bemüht hat, führt nicht zum Wegfall des Unterhaltsanspruches. Zwar gewährt § 1573 Abs. 1 BGB einen Unterhaltsanspruch nur, solange der Berechtigte keine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden vermag. Das heißt nichts anderes, als daß den Berechtigten die Obliegenheit trifft, sich ernstlich um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen (Palandt/Brudermüller, BGB, 59. Aufl., § 1573, Rn 29). Daß die Beklagte sich bisher nicht einmal um eine Erwerbsmöglichkeit bemüht hat, führt dazu, daß ihr fiktive Einnahmen zuzurechnen sind. Der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gem. § 1573 Abs. 2 BGB besteht nämlich auch dann, wenn sich der Berechtigte nicht in ausreichendem Maß um eine angemessene Erwerbstätigkeit bemüht hat und ihm deshalb erzielbare Einkünfte fiktiv zugerechnet werden, die seinen vollen Unterhalt nicht decken (Wendl/Pauling, a.a.O., § 4 Rn. 109).

Daß die Beklagte schon wesentlich früher, nämlich am 1.1.1997 oder 15.10.1997, erwerbsfähig gewesen wäre, ergibt sich entgegen den Behauptungen des Klägers gerade nicht aus den Entlaßbriefen der F. A. Klinik. Die Klägerin wurde jeweils als weiterhin arbeitsunfähig entlassen.

Soweit die Beklagte beantragt hat, ein Obergutachten einzuholen, war diesem Antrag nicht nachzugehen, da sich die erhobenen Einwände nicht gegen die sachliche Richtigkeit des Gutachtens gerichtet haben.

Nach dem Halbteilungsgrundsatz (Wendl/Gerhardt, a.a.O., § 4 Rn 359 ff) ist der Beklagten dem Grunde nach die Hälfte des verteilungsfähigen Einkommens von 3.000 DM zuzubilligen. Allerdings darf der Vorsorgeunterhalt nicht zusätzlich zum Quotenunterhalt zugesprochen werden. Er muß vielmehr vorher vom verteilungsfähigen Einkommen abgezogen werden, ehe der endgültige Elementarunterhalt nach einer Quote bemessen wird. Dies erfordert eine zweistufige Berechnung (vgl. Wendl/Gutdeutsch, a.a.O., § 4 Rn 453 ff, insbes. Rn 468 u. 481) unter Zuhilfenahme der Bremer Tabelle (FamRZ 1999, 428 ff. bzw. 2000, 142 ff):

verteilungsfähiges Einkommen 3.000 DM vorläufiger Elementarunterhalt 1.500 DM - 630 DM = 870 DM Zuschlag zum Nettoeinkommen 870 DM x 15 % = 130,50 DM Fiktives Bruttoeinkommen 870 DM + 130.50 DM = 1000.50 DM

Vorsorgeunterhalt 1999 = 1000,50 DM X 19,5% = 195,09 DM gerundet 195 DM

Elementarunterhalt 1999 3.000 DM - 195 DM = 2.805 DM x 1/2 = 1.402.50 DM - 630 DM = 772,50 DM

Vorsorgeunterhalt 2000 = 1000,50 DM x 19,3 % = 193,09 gerundet 193 DM

Elementarunterhalt 2000 3.000 DM - 193 DM = 2.807 x 1/2 = 1.403,50 DM - 630 DM = 773,50

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 97 Abs. 1 und 3, 91, 92 Abs.1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlaß (§ 546 Abs. 1 S. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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