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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 04.08.2006
Aktenzeichen: 2 UF 270/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 141
ZPO § 286
ZPO § 448
1. Zum Gebot der Waffengleichheit im Beweisrecht des Zivilprozesses bei Beweiserheblichkeit eines 4-Augen-Gesprächs zwischen der einen Partei und einem Zeugen, der dem "Lager" der anderen Partei zuzurechnen ist.

2. Nach den Erkenntnissen der Aussagepsychologie kann unter Umständen - insbesondere bei einfach strukturierten Beweisthemen - von vornherein ausgeschlossen werden, dass im Rahmen einer einmaligen (und damit eine vergleichende intraindividuelle Analyse verschiedener Aussagereaktionen nicht ermöglichenden) Vernehmung aufgrund des persönlichen Eindrucks verwertbare Indizien für den Wahrheitsgehalt einer Aussage gewonnen werden können. In diesen Fällen bedarf es dann nicht der persönlichen Anhörung oder Vernehmung, um einen persönlichen Eindruck von der Partei bzw. dem Zeugen zu bekommen.


Oberlandesgericht Karlsruhe 2. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - Beschluss

Geschäftsnummer: 2 UF 270/05

04. August 2006

In dem Rechtsstreit

wegen Anfechtung der Vaterschaft

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Karlsruhe vom 14.10.2005 - 3 F 449/04 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.000,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt mit der Vaterschaftsanfechtungsklage die Feststellung, dass er nicht der Vater des Beklagten ist. Das Amtsgericht hat nach Vernehmung der Mutter des Beklagten (der Zeugin E. W.) , des Zeugen H. (des möglichen leiblichen Vaters des Beklagten) sowie der Zeugin S. (Großmutter des Beklagten mütterlicherseits) die Klage durch Urteil vom 14.10.2005 abgewiesen, da der Kläger die Anfechtungsfrist des § 1600 b Abs. 1 BGB versäumt habe. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein Klagebegehren weiter verfolgt.

Der Senat hat den Kläger mit Beschluss vom 20.06.2006 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung zurückzuweisen. Wegen der Gründe wird auf den Beschluss vom 20.06.2006 Bezug genommen. Der Kläger macht nun geltend, dass er - wie dies sowohl in der ersten als auch in der zweiten Instanz angeregt worden sei - als Partei zu vernehmen sei, da dies bei solchen "4-Augen-Gesprächen" aus Gründen der Waffengleichheit geboten sei. Bei Kenntnis seiner Nichtvaterschaft hätte er im übrigen nicht über drei Jahre streitige Verfahren mit der Mutter des Beklagten geführt.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers wird gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Im Wesentlichen kann auf die Gründe des Beschlusses vom 20.06.2006 Bezug genommen werden. Ergänzend - und auch konkretisierend - ist folgendes auszuführen:

1. Die Parteivernehmung des Klägers oder seine Anhörung nach § 141 ZPO waren zur Wahrung seiner Rechte und der Waffengleichheit nicht erforderlich. Nach der auf die Entscheidung des EGMR vom 27. Oktober 1993 (NJW 1995, 1413 ff) zurückgehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2003, 3636; NJW-RR 2003, 1002, 1003; NJW 1999, 363, 364; vgl. auch die vom Kläger angeführte Entscheidung des BVerfG NJW 2001, 2531) haben die Gerichte zwar grundsätzlich zur Wahrung der Waffengleichheit im Zivilprozess in Situationen, in denen nach Gesprächen unter vier Augen nur der einen Partei ein Zeuge zur Verfügung steht, der Beweisnot der anderen Seite dadurch Rechnung zu tragen, dass sie die prozessual benachteiligte Partei nach § 448 ZPO vernehmen oder gemäß § 141 ZPO anhören. Das Gebot der Waffengleichheit ist aber in vorliegender Sache nicht verletzt:

Der Senat wertet im Rahmen des § 286 ZPO im Ausgangspunkt den Parteivortrag des Klägers in seinen ausführlichen Schriftsätzen als gleichrangig mit der Aussage der Zeugin E. W. (der Mutter des Beklagten und damaligen Ehefrau des Klägers). Für die Frage, ob der Darstellung des Klägers oder der gegensätzlichen Darstellung des Beklagten glauben zu schenken ist, stellt der Senat entscheidend auf das erstinstanzliche Zeugnis der Zeugin S. (Großmutter des Beklagten mütterlicherseits) ab. Der Senat hat im Beschluss vom 20.06.2006 im Einzelnen begründet, warum die Aussage der Zeugin S. glaubhaft erscheint; hierauf wird Bezug genommen. Zwar ist die Zeugin S. aufgrund der verwandtschaftlichen Verhältnisse strukturell ebenfalls (wie die Zeugin W.) dem "Lager" des Beklagten zuzurechnen ist, so dass das Gebot der Waffengleichheit auch bezüglich des 4-Augen-Gesprächs des Klägers mit der Zeugin Seiter zu wahren ist (vgl. BGH, Beschl. vom 30.09.2004 - III ZR 369/03, Juris). Dieses Gebot ist aber gleichwohl nicht verletzt. Der Kläger hatte ausreichend Gelegenheit, seine Darstellung der umstrittenen Vorgänge persönlich in den Rechtsstreit einzubringen. Er war in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 07.06.2005 sowie in der erstinstanzlichen Beweisaufnahme vom 20.09.2005 persönlich anwesend. Es ist nichts dafür ersichtlich, das er in diesen Verhandlungsterminen gehindert war, seine Sicht der Dinge persönlich zu schildern (vgl. zu diesem Gesichtspunkt insbesondere BGH, Beschl. vom 30.09.2004 - III ZR 369/03, Juris; vgl. auch bereits BGH NJW 2003, 3636).

Nur angemerkt sei daher, dass in Anbetracht der Art des Beweisthemas in vorliegender Sache ausgeschlossen werden kann, dass im Rahmen einer einmaligen (und damit eine vergleichende intraindividuelle Analyse verschiedener Aussagereaktionen des Klägers nicht ermöglichenden) Vernehmung des Klägers aufgrund des persönlichen Eindrucks - wegen der Art des Beweisthemas nur aufgrund des sog. aussagebegleitenden Aussageverhaltens - seriöse, also im Rahmen der Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO verwertbare Indizien für den Wahrheitsgehalt einer Aussage des Klägers gewonnen werden können. Insoweit sei auf die empirischen Forschungserkenntnisse der Aussagepsychologie verwiesen, wonach zumindest bei einfach strukturierten Beweisthemen generell erhebliche Zweifel an der Möglichkeit angebracht sind, anhand des Ausdruckverhaltens - insbesondere des aussagebegleitenden Ausdruckverhaltens wie z.B. Gestik, gestischer Bewegungen (Illustrationen), Mimik, emotionaler Regungen - seriös zwischen wahrem und unwahrem Ausdrucksverhalten zu differenzieren (vgl. die Zusammenstellung der Forschungsergebnisse bei L.Greuel/S.Offe/A.Fabian/P.Wetzels/T.Fabian/ H.Offe/M.Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S. 146 ff, 155/156 und Greuel, Wirklichkeit - Erinnerung - Aussage, 2001, Kap. 6.4, S. 294 - 307; vgl. auch Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, 2004, Rdn. 213 - 219).

Eine Vernehmung des Klägers als Partei ist auch nicht unabhängig von dem oben behandelten Gesichtspunkt der Waffengleichheit gem. § 448 ZPO geboten. Eine Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO ist nur bei Zweifeln an einer zu beweisenden Behauptung geboten, es muss nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Vorbringen der zu vernehmenden Partei sprechen, also bereits ein sog. Anbeweis geführt sein (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 448 Rz. 4). Gerade dies ist vorliegend, wie im Einzelnen im Beschluss vom 20.06.2006 dargelegt, nicht gegeben. Zwar kann dem Gebot der Waffengleichheit nach der Rechtsprechung des BGH - wie ausgeführt - auch im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 448 ZPO Rechnung getragen werden. Dies ist aber - wie ebenfalls ausgeführt - nicht zwingend. Vielmehr kann diesem Gebot eben auch dadurch Rechnung getragen werden, dass die durch ihre prozessuale Stellung bei der Aufklärung des Vier-Augen-Gesprächs benachteiligte Partei nach § 141 ZPO persönlich angehört wird bzw. im Fall ihrer Anwesenheit in den Verhandlungen die Gelegenheit erhält, Erklärungen persönlich abzugeben. Das Gericht ist nicht gehindert, einer solchen Parteierklärung den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen zu geben. Damit hat der Bundesgerichtshof die Anforderungen an die Zulässigkeit der Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO abgesenkt, ohne generell auf die Notwendigkeit der Anfangswahrscheinlichkeit (des "Anbewiesenseins") ausdrücklich zu verzichten (so BGH NJW 2003, 3636).

2. Die Tatsache, dass der Kläger sich über drei Jahre mit der Mutter des Beklagten streitig auseinandergesetzt hat, lässt keinen Schluss auf den Zeitpunkt der Kenntnis von der Nichtvaterschaft zu. Für den Zeitpunkt der Erhebung der Klage erst drei Jahre nach der Trennung mag zum Beispiel genauso ausschlaggebend gewesen sein, dass der Kläger die Beziehung zu seinen Kindern nicht gefährden wollte. Auch nach seinem Vortrag gab es insoweit nicht unerhebliche Schwierigkeiten.

Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Berufungswert wird gem. § 48 Abs. 3 S. 2 GKG festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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