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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 28.01.2009
Aktenzeichen: 2 VAs 20/08
Rechtsgebiete: StPO, EGGVG, EGStGB


Vorschriften:

StPO § 459 e
StPO § 459 h
EGGVG § 23 Abs. 1
EGGVG § 23 Abs. 3
EGGVG § 29 Abs. 1
EGStGB Art. 293
Sind die Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit Anordnungen über die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Sinne von § 459 e StPO, deren Anfechtung sich nach der Bestimmung des § 459 h StPO richtet?

Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 29 Abs. 1 EGGVG


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Strafsenat

2 VAs 20/08

Antrag des D. S. auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 ff EGGVG

hier: Zurückweisung des Antrags, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit abwenden zu können.

Beschluss vom 28. Januar 2009

Tenor:

Die Sache wird dem Bundesgerichtshof nach § 29 Abs. 1 Satz 2 EGGVG zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe:

D. S. wurde durch das Urteil des Amtsgerichts K. vom 22.10.2007 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts K. vom 03.04.2008 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu der Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 11 Euro verurteilt. Das Urteil ist seit 19.05.2008 rechtskräftig.

Mit einem am 31.07.2008 eingegangenen Antrag begehrte der Verurteilte, der zur Zahlung der Geldstrafe nicht in der Lage ist, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch Ableistung gemeinnütziger Arbeit abwenden zu dürfen. Allerdings erklärte er sich - entgegen dem in dem entsprechenden Antragsvordruck im 2. Absatz enthaltenen Text - nicht damit einverstanden, dass die Staatsanwaltschaft die zur Vermittlung notwendigen Daten (Personalien, Straferkenntnis, Vorstrafenliste) an die Vermittlungsstelle, das "Netzwerk für Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg GbR", weitergab; er verlangte, eine Erklärung, um welche Daten es sich dabei handle. Nachdem ihm ein neues Antragsformular übersandt und mitgeteilt worden war, dass sein Antrag ohne die vorgesehene Einverständniserklärung abgelehnt werde, erklärte er sich am 11.08.2008 mit der Übermittlung seiner Personalien, nicht aber des Urteils und der Vorstrafenliste einverstanden. Daraufhin lehnte die Staatsanwaltschaft, die zuvor mit einer nicht datierten Verfügung (Vollstreckungsheft AS 25) die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet hatte, seinen Antrag mit Verfügung vom 15.08.2008 ab, weil ohne die Zustimmung zur Übermittlung der Angaben eine Vermittlung in gemeinnützige Arbeit nicht möglich sei. Hiergegen beschwerte sich der Verurteilte mit Schreiben vom 20.08.2008. Mit Bescheid vom 26.09.2008 wies die Generalstaatsanwaltschaft die Beschwerde zurück. Hiergegen richtet sich der Antrag des Verurteilten, der mit Verfügung der Staatsanwaltschaft K. vom 29.10.2008 zum Strafantritt in die JVA K. geladen wurde, auf gerichtliche Entscheidung. Die Vollstreckung ist nach Auskunft der Staatsanwaltschaft K. bis zum Abschluss dieses Verfahrens zurückgestellt.

II.

Der Senat hält sich für die Entscheidung - unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (B. v. 19.06.2008, 10 VAs 10/08) - nicht für zuständig. Er ist vielmehr zu der Auffassung gelangt, dass es sich bei der Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, ob dem Verurteilten gemäß § 1 der "Verordnung des Justizministeriums Baden-Württemberg über die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch die Leistung von Arbeit" gestattet wird, die Ersatzfreiheitsstrafe durch Arbeit zu tilgen, zwar um eine Maßnahme zur Regelung einer Angelegenheit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege im Sinne von § 23 EGGVG handelt. Doch kann diese durch einen anderen Rechtsbehelf angegriffen werden kann, nämlich durch Einwendungen gemäß § 459h StPO. Damit entfällt gemäß § 23 Abs. 3 EGGVG die nur subsidiäre Zuständigkeit des Oberlandesgerichts.

Der Senat möchte die Sache deshalb an das seiner Auffassung zufolge gemäß § 459h StPO zuständige Gericht des ersten Rechtszuges, das Amtsgericht K., verweisen.

An dieser Verfahrensweise sieht sich der Senat indessen durch die Entscheidung des Thüringer Oberlandesgerichts (B. vom 12.02.2008, 1 VAs 1/08 in juris) gehindert. In dem von dem Thüringer Oberlandesgericht entschiedenen Fall hatte die Vollstreckungsbehörde die zunächst erteilte Gestattung zur Tilgung der Ersatzfreiheitsstrafe durch Arbeit widerrufen. Nach Ansicht des Thüringer Oberlandesgerichts ist gegen Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde über die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen durch Arbeit der Rechtsweg gemäß §§ 23ff. EGGVG eröffnet. Der Rechtsbehelf gemäß § 459h StPO sei nicht gegeben, weil die abschließende Aufzählung des § 459h StPO Entscheidungen, die aufgrund landesrechtlicher Bestimmungen über die Tilgung von Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit ergehen, im betreffenden Fall aufgrund der entsprechenden Thüringischen Verordnung über die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen vom 19.01.1993 (GVBl 1993, 146), nicht erfasse. Die gleiche, dort allerdings nicht entscheidungserhebliche und für sich allein eine Vorlagepflicht nicht begründende Auffassung hatte zuvor das Oberlandesgericht Dresden (NStZ 1999, 160) vertreten. Ersichtlich gehen beide Gerichte - ohne dies näher zu begründen - davon aus, dass es sich bei den in Rede stehenden Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde nicht um Anordnungen im Sinne von § 459e Abs. 1 StPO handelt, deren Anfechtung sich nach § 459h StPO richtet. Dies hält der Senat für unzutreffend.

Entscheidend kommt es daher darauf an, wie die Frage beantwortet wird, die der Senat dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorlegt:

Sind die Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit Anordnungen über die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Sinne von § 459e StPO, deren Anfechtung sich nach der Bestimmung des § 459h StPO richtet?

Der Senat vertritt mit einem Teil der Kommentarliteratur (KK-Appl, StPO, 6. Auflage § 459e Rn 13 und 459h Rn 1; KMR 459 Rn 16; offenbar auch Paeffgen SK §459e Rn 9) die Auffassung, dass die Frage zu bejahen ist.

Durch die Bestimmung des Art 293 EGStGB sind die Landesregierungen ermächtigt worden, im Verordnungswege Regelungen über die Abwendung der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit zu schaffen. Von dieser Ermächtigung haben die meisten Bundesländer durch den Erlass weitgehend inhaltsgleicher Verordnungen Gebrauch gemacht - die im folgenden genannten Bestimmungen sind nach der VO des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 2. Juli 1986 (Gesetzbl. Baden-Württemberg 1986, 291 ff.; ErsFrhStrAbwV BW bei juris) zitiert; die Bestimmungen der Thüringischen Verordnung über die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen vom 19.01.1993 (GVBl 1993, 146) sind inhaltsgleich. Ist die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe gegen einen Verurteilten angeordnet, kann ihm die Vollstreckungsbehörde nach diesen auch als "Tilgungsverordnungen" bezeichneten Bestimmungen auf seinen Antrag gestatten (§ 1), die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch Arbeit abzuwenden. Wird dem Antrag (§ 2) stattgegeben, darf die Ersatzfreiheitsstrafe nicht vollstreckt werden (§ 4), weil ein Vollstreckungshindernis entsteht. Hat der Verurteilte die erforderliche Arbeitsleistung vollständig erbracht, ist die Ersatzfreiheitsstrafe erledigt (§ 7); hat er sie teilweise erbracht, wird dies angerechnet, wobei § 7 Abs. 4 auf § 459e Abs. 3 StPO verweist. Lehnt die Vollstreckungsbehörde aber den Antrag ab oder widerruft sie die Gestattung, so verbleibt es - unbeschadet der immer bestehenden Abwendungsmöglichkeit durch Zahlung der Geldstrafe gemäß § 459e Abs. 4 StPO (auch § 7 Abs. 5) - bei der Anordnung, dass die Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt wird.

Mit der Tilgungsentscheidung wird somit auf Antrag des Verurteilten - nochmals - darüber entschieden, ob die Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt oder ob sie durch die Leistung von Arbeit getilgt wird.

Angesichts dieser Rechtslage kann nach Ansicht des Senats nicht zweifelhaft sein, dass es sich bei der Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, die Abwendung der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe zu gestatten oder zu versagen, um eine Anordnung über die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Sinne von § 459e Abs.1 StPO handelt. Der Begriff der "Entscheidungen", die unter die Regelung des § 459h StPO fallen, ist weit zu fassen (KK-Appl aaO Rn 2). Gemeint sind alle tatsächlichen Maßnahmen und Anordnungen gleichgültig, ob ein Ermessensspielraum besteht oder nicht (LK-Wendisch StPO, 25. Aufl. § 459h Rn 3; Meyer-Goßner StPO, 51 Aufl. § 459h Rn 2). Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob die Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde die StPO oder, wie hier, auf Art. 293 EGStGB gestützte landesrechtliche Rechtsverordnungen zur Grundlage haben. Die Bedeutung des im Jahr 1974 eingeführten § 459h StPO besteht nämlich darin, dass er die richterliche Zuständigkeit bei Einwendungen gegen Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde zusammenfassend regeln (LK aaO Rn 5) und den Rechtsweg gemäß § 23 EGGVG gerade ausschließen soll (KK-Appl § 459h Rn 1). Widerruft etwa die Vollstreckungsbehörde die Gestattung, nachdem der Verurteilte einen Teil der ihm auferlegten Arbeit geleistet hat, und trifft sie zugleich eine Entscheidung über die Anrechnung der geleisteten Arbeit, so wäre, folgte man der Auffassung des Thüringer Oberlandesgerichts, bezüglich des Widerrufs der Rechtsweg zum Oberlandesgericht gemäß § 23 EGGVG gegeben, während die Entscheidung über die Anrechnung und die danach zu vollstreckende restliche Ersatzfreiheitsstrafe im Verfahren gemäß § 459h StPO anzugreifen wäre. Diese, der Intention des Gesetzgebers zuwider laufende Zweigleisigkeit der Rechtsbehelfe wird vermieden, wenn die vorgelegte Rechtsfrage im Sinne der Auffassung des Senats beantwortet wird.

Ende der Entscheidung

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