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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 22.12.2000
Aktenzeichen: 2 VAs 28/00
Rechtsgebiete: AuslG, BtMG, StVollstrO


Vorschriften:

AuslG § 64 Abs. 3
BtMG § 35
StVollstrO § 43
AuslG § 64 Abs. 3 BtMG § 35 StVollstrO § 43

Die mit Aufnahme des Verurteilten in eine Therapiestätte wirksam gewordene Zurückstellung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe gem. § 35 BtMG hat die begonnene Strafvollstreckung nicht beendet, so daß die Ausländerbehörde den Verurteilten gem. § 64 Abs. 3 AuslG nur mit Zustimmung der Vollstreckungsbehörde abschieben darf. Eine andere Vollstreckungsbehörde muß sich daher mit der zuerst tätig gewordenen abstimmen (§ 43 Abs. 5 und 7 StVollstrO), wenn sie ihrerseits die Zurückstellung der Vollstreckung einer weiteren Freiheitsstrafe im Hinblick auf das Zurückstellungshindernis des drohenden Vollzugs einer Abschiebungsverfügung versagen will.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22. Dezember 2000 - 2 VAs 28/00 -.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Strafsenat

2 VAs 28/00

Antrag des

auf gerichtliche Entscheidung

gem. §§ 23 ff. EGGVG

Beschluss vom 22. Dezember 2000

Tenor:

Auf den Antrag des werden die Verfügung der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 29. August 2000 - 901 Js 26052/97 VRs und 901 Js 30893/97 VRs - und der Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 18. September 2000 - Zs 1378/00 - aufgehoben.

Die Staatsanwaltschaft Mannheim wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Von den außergerichtlichen Kosten des Antragstellers hat die Staatskasse die Hälfte zu tragen. Der Geschäftswert wird auf 5.000 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Der heute 26 Jahre alte, drogenabhängige, in Deutschland geborene Antragsteller türkischer Staatsangehörigkeit, der sich seit 21. September 1999 zunächst in Untersuchungshaft befunden hatte, verbüßte ab Eintritt der Rechtskraft am 29. Februar 2000 die Freiheitsstrafe von zwei Jahren drei Monaten, die das Amtsgericht Geldern durch Urteil vom 6. Januar 2000 wegen gemeinschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gegen ihn verhängt hat. Mit Verfügung vom 2. Mai 2000 stellte die Staatsanwaltschaft Kleve die (weitere) Vollstreckung dieser Strafe mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges mit Wirkung vom Tage der Aufnahme in die Therapiestätte zur Durchführung einer Therapie gem. § 35 BtMG für die Dauer von zunächst einem Jahr zurück. Die Therapie wurde am 11. Mai 2000 begonnen und dauert noch an.

Nachdem das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Heilbronn mit seit dem 6. Juni 2000 rechtskräftigem Beschluss vom 16. Mai 2000 wegen des neuen, vom Amtsgericht Geldern geahndeten Straffälligwerdens des Verurteilten die Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der Jugendstrafe von einem Jahr sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 9. November 1994 sowie der Freiheitsstrafe von zehn Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 19. März 1997 widerrufen hatte, lehnte die Staatsanwaltschaft Mannheim als - nach Abgabe der Vollstreckung gem. §§ 89 a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1, 85 Abs. 6 JGG auch hinsichtlich der Jugendstrafe - zuständige Vollstreckungsbehörde mit Verfügung vom 29. August 2000 den Antrag des Verurteilten, die weitere Vollstreckung der (restlichen) Strafen aus diesen Verurteilungen ebenfalls gem. § 35 BtMG zurückzustellen, ab, da die Durchführung der Therapie im Hinblick auf seine Ausweisung und drohende Abschiebung nicht gewährleistet sei. Der von ihm hiergegen eingelegten Beschwerde gab die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe mit Bescheid vom 18. September 2000 unter Hinweis auf das Vorliegen des Zurückstellungshindernisses einer für sofort vollziehbar erklärten Ausweisungsverfügung der Ausländerbehörde keine Folge.

II.

Dem hiergegen gerichteten zulässigen Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 35 Abs. 2 BtMG, 23 ff. EGGVG - mit dem Ziel einer Verpflichtung der Vollstreckungsbehörde zur Zurückstellung der weiteren Vollstreckung der genannten Strafreste - ist der aus der Beschlussformel ersichtliche Erfolg nicht zu versagen. Die Erwägung der Vollstreckungsbehörde, die beantragte Zurückstellung nach § 35 BtMG sei schon deshalb zu versagen, weil mit dem Vollzug der sofort vollziehbaren Ausweisungs- und Abschiebungsverfügung zu rechnen sei, begegnet jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Nach ganz überwiegender, auch vom Senat in ständiger Rechtsprechung geteilter Auffassung kommt eine Zurückstellung nach § 35 BtMG dann nicht in Betracht, wenn gegen den Verurteilten eine bestandskräftige Abschiebungsverfügung vorliegt oder zumindest mit dem Vollzug einer solchen zu rechnen ist (vgl. nur Körner, BtMG 4. Aufl. § 35 Rdnr. 58; OLG Hamm NStZ 1999, 591; OLG Stuttgart Die Justiz 1998, 571 = StV 1998, 671 und Die Justiz 1999, 404; Senatsbeschluss vom 5. März 1998 - 2 VAs 43/97; a.A. OLG Düsseldorf StV 1999, 444 jedenfalls in einem Fall, in dem sich die Vollstreckungsbehörde für eine Zurückstellung ausgesprochen hatte). Vom Bestehen einer derartigen Situation ist vorliegend zwar grundsätzlich auszugehen, nachdem das Regierungspräsidium Karlsruhe den Antragsteller mit Verfügung vom 11. Mai 2000 ausgewiesen und die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat. Die ablehnende Entschließung der Vollstreckungsbehörde wird indes den Besonderheiten der gegebenen Vollstreckungssituation nicht gerecht, so dass es auf den Ausgang des vom Antragsteller angestrengten Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz (Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ausweisungsverfügung) beim zuständigen Verwaltungsgericht für die Entscheidung des Senats nicht ankam.

Nach Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Geldern vom 6. Januar 2000 wurde ab 29. Februar 2000 mit der Vollstreckung der von diesem verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren drei Monaten begonnen. Eine Vorabvollstreckung der noch offenen Strafreste aus den beiden Verurteilungen durch das Amtsgericht Mannheim gem. § 43 Abs. 2 lit. a) Satz 2 StVollstrO war nicht möglich, da die insoweit gewährten Strafaussetzungen erst am 6. Juni 2000 rechtskräftig widerrufen worden sind. Hat die Vollstreckung einer zeitigen Freiheitsstrafe bereits begonnen, wird sie nach der Regelung des § 43 Abs. 3 StVollstrO fortgesetzt, so dass die in Abs. 2 lit. a) vorgesehene Reihenfolge der Vollstreckung nicht zum Zuge kommt (vgl. Wolf in Pohlmann/Jabel/Wolf, StrVollstrO 7. Aufl. § 43 Rdnr. 25). Die mit Aufnahme des Antragstellers in die Therapiestätte am 11. Mai 2000 wirksam gewordene Zurückstellung der weiteren Vollstreckung der vom Amtsgericht Geldern verhängten Freiheitsstrafe durch die Staatsanwaltschaft Kleve gem. § 35 BtMG hat die begonnene Vollstreckung nicht beendet, sondern stellt lediglich eine vorläufige Herausnahme des Verurteilten aus der Strafvollstreckung dar (vgl. nur Körner a.a.O. Rdnr. 15). Dies bedeutet, dass die Ausländerbehörde den Antragsteller gem. § 64 Abs. 3 AuslG nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Kleve als insoweit zuständiger Vollstreckungsbehörde abschieben darf (OLG Düsseldorf StV 1999, 444; OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 152; zum Begriff des "Einvernehmens" i.S.d. § 64 Abs. 3 AuslG vgl. GK-AuslR Rdnrn. 16 ff. i.V.m. 13; Hailbronner, Ausländerrecht Rdnr. 11; Renner, Ausländerrecht 7. Aufl. Rdnr. 2; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze Rdnrn. 1, 4; jeweils zu § 64 AuslG). Da sich der Antragsteller ausweislich einer Bestätigung der Therapieeinrichtung vom 20. November 2000 offenbar nach wie vor dort aufhält, muss davon ausgegangen werden, dass die Staatsanwaltschaft Kleve bislang keine Veranlassung dazu gesehen hat, die Zurückstellung der Strafvollstreckung zu widerrufen und die Zustimmung zur Abschiebung zu erteilen. Im Hinblick hierauf kann - solange keine gegenteiligen Erkenntnisse vorliegen - erwartet werden, dass der Antragsteller die nunmehr schon mehr als sieben Monate andauernde, bislang auf ein Jahr angelegte Therapie bei auch absolvieren kann, so dass kein Zurückstellungshindernis vorliegt. Ob sich hier an durch eine Abstimmung der vorliegend beteiligten Vollstreckungsbehörden (§ 43 Abs. 5 StVolistrO) etwas ändern könnte, hat der Senat nicht zuentscheiden.

Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Mannheim grundsätzlich gem. § 43 Abs. 4 StVollStrO eine von Abs. 3 dieser Vorschrift abweichende Reihenfolge der Vollstreckung bestimmen könnte, um mit der Vollstreckung der beiden Strafreste beginnen zu können (vgl. Wolf a.a.O. Rdnr. 39), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zum einen müsste hierzu ebenfalls eine Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Kleve erfolgen (§ 43 Abs. 5 und 7 StVollstrO). Zum anderen ist dies nur "aus wichtigem Grund" zulässig, was regelmäßig ein sorgfältiges Abwägen erfordert (vgl. Wolf a.a.O. Rdnrn. 26 f.). In eine derartige Abwägung wären - wie bei der nach § 35 BtMG gebotenen Ermessensprüfung - nicht nur ausländerrechtliche Belange (vgl. hierzu insbesondere OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 152), sondern auch Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes im Hinblick auf die bislang - mangels gegenteiliger Anhaltspunkte beanstandungsfrei - verlaufene Zurückstellung einzustellen.

Die angefochtenen Verfügungen sind deshalb aufzuheben. Über den Antrag auf Zurückstellung der Vollstreckung der beiden Strafreste ist unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats - gegebenenfalls nach Einholung der Zustimmung der Gerichte des ersten Rechtszuges (§ 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG) - neu zu entscheiden.

III.

Da der Antrag zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen führte, sind Gebühren nicht zu erheben.

Die Entscheidung über die Auslagen des Antragstellers beruht auf § 30 Abs. 2 EGGVG. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der Antrag noch nicht zu einer endgültigen Entscheidung in der Sache selbst geführt hat.

Der Geschäftswert wurde nach §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 Abs. 2 KostO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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