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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 07.11.2007
Aktenzeichen: 2 VAs 37/07
Rechtsgebiete: BtMG


Vorschriften:

BtMG § 35 Abs. 1
Das der Vollstreckungsbehörde bei der Entscheidung über die Zurückstellung der Strafe gemäß § 35 Abs. 1 BtMG eingeräumte Ermessen ist weitgehend eingeschränkt, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 und 3 BtMG erfüllt sind und Zurückstellungshindernisse nicht bestehen.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Strafsenat

2 VAs 37/07

Strafsache

hier: Antrag auf gerichtliche Entscheidung

Beschluss vom 7. November 2007

Tenor:

Auf den Antrag des Verurteilten T. L. werden die Entschließung der Staatsanwaltschaft K. - Zweigstelle P. - vom 09.08.2007 - 641 VRS 641Js 622/98 - und der Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 28.08.2007 aufgehoben.

Die Staatsanwaltschaft wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Von den außergerichtlichen Kosten des Antragstellers hat die Staatskasse die Hälfte zu tragen.

Der Geschäftswert wird auf 3.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der jetzt fünfzig Jahre alte Antragsteller wurde durch das Urteil des Amtsgerichts M. vom 03.06.1998 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit der Freiheitsstrafe von zwei Jahren belegt, die er gegenwärtig verbüßt. Anschließend ist die Vollstreckung von erheblichen Reststrafen aus Urteilen des Amtsgerichts H. vorgesehen. Endstrafentermin wäre der 24.03.2011. Dem Urteil des Amtsgerichts M. lag zugrunde, dass der Antragsteller als Strafgefangener in der JVA H. ca. 43 Gramm Heroinzubereitung in Besitz gehabt hatte. Wegen seiner starken Heroinabhängigkeit sah es das Gericht als möglich an, dass die Voraussetzungen des § 21 StGB erfüllt waren.

Am 02.07.2007 stellte der drogenabhängige Verurteilte hinsichtlich der Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts M. den Antrag, gemäß § 35 BtMG von der weiteren Vollstreckung zum Zwecke der Durchführung einer stationären Drogentherapie abzusehen. Diesem Antrag versagte das Amtsgericht M. mit Beschluss vom 31.07.2007 die Zustimmung, und die Staatsanwaltschaft lehnte ihn mit der Verfügung vom 09.08.2007 deshalb und wegen früherer fehlgeschlagener Therapieversuche ab. Der von ihm gegen diesen Bescheid eingelegten Beschwerde gab die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Bescheid vom 28.08.2007 keine Folge. Neben dem Fehlen der gerichtlichen Zustimmung stützt die Generalstaatsanwaltschaft ihren Bescheid darauf, dass bei dem Antragsteller eine "generell vorhandene kriminelle Anlage zum Tragen kommt". Auch sei die vom Antragsteller ins Auge gefasste Therapieeinrichtung "Elrond" wegen seiner Unzuverlässigkeit, die sich aus den weiteren Verurteilungen ergebe, ungeeignet.

Gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 28.08.2007 wendet sich der Verurteilte mit seinem am 24.09.2007 eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch das Oberlandesgericht.

II.

Der gemäß §§ 23ff. EGGVG zulässige Antrag ist begründet.

Der Vollstreckungsbehörde steht bei ihrer Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Drogentherapie gemäß § 35 BtMG ein Ermessen und hinsichtlich der dabei zu prüfenden Tatbestandsvoraussetzungen, Kausalität der Betäubungsmittelabhängigkeit für die abgeurteilten Taten und Therapiewilligkeit des Antragstellers (Körner BtMG, 6. Aufl., § 35 Rdnr. 299), ein Beurteilungsspielraum zu. Gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG hat der Senat die Entschließung der Vollstreckungsbehörde auf Rechtsfehler bei der Anwendung gesetzlicher Bestimmungen, auf Ermessensfehler und darauf zu überprüfen, ob ihr ein zutreffend und vollständig ermittelter Sachverhalt unter Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums zugrunde gelegt ist (Körner aaO, Rdnr 375; ständige Senatsrechtsprechung, z.B. StV 2002, 263).

Der Bescheid der Vollstreckungsbehörde, der in derjenigen Gestalt der Prüfung des Senats unterliegt, die er durch das Vorschaltverfahren gewonnen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Seine Begründung lässt besorgen, dass die Vollstreckungsbehörde und auch das die Zustimmung versagende Amtsgericht von ihrem Ermessen keinen dem Zweck des § 35 BtMG entsprechenden Gebrauch gemacht haben. Da die Vollstreckungsbehörde ihren Bescheid auch auf die fehlende gerichtliche Zustimmung stützt, war auch diese Entscheidung des Amtsgerichts in die Überprüfung auf Ermessensfehler hin einzubeziehen.

Zutreffend geht die Vollstreckungsbehörde ersichtlich davon aus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 BtMG - mit Ausnahme des Zustimmungserfordernisses - erfüllt sind: Die Tat des Antragstellers ist auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen, der Antragsteller ist therapiebereit, ein Therapieplatz steht zur Verfügung. Zurückstellungshindernisse bestehen auch in Gestalt der weiteren zur Vollstreckung anstehenden Urteile des Amtsgerichts H. nicht, da die zu vollstreckenden Strafen bzw. Strafreste jeweils zwei Jahre nicht übersteigen und die Staatsanwaltschaft H. offenbar zur Zurückstellung der Vollstreckung dieser Strafen bereit ist.

Sind aber die Voraussetzungen des § 35 BtMG erfüllt, so ist der Vollstreckungsbehörde hinsichtlich der Rechtsfolge ein Ermessen eröffnet, sie "kann" die Strafvollstreckung zurückstellen oder gegebenenfalls die Entscheidung des Gerichts, durch welche die Zustimmung versagt wurde, anfechten. Allerdings muss sich die Ermessensausübung am alleinigen Zweck der Regelung des § 35 BtMG orientieren, drogenabhängige Straftäter aus dem Bereich kleiner und mittlerer Kriminalität im Interesse ihrer Rehabilitation zu einer notwendigen therapeutischen Behandlung zu motivieren (Senat 2 VAs 10/02, B. vom 30.04.2002; Weber BtMG, 2. Auflage, § 35 Rdnr. 173).

Daraus folgt:

Die Tatschuld darf bei der Ermessensausübung nicht herangezogen werden (OLG Karlsruhe, StV 1983,112f.).

Auch erlaubt die Deliktsschwere keine Ablehnung der Zurückstellung (Körner, BtMG, 6. Auflage, § 35 Rdnr. 354).

Anzahl und Höhe der noch zu verbüßenden Strafen dürfen ebenfalls nicht als eigenständige Gesichtspunkte in die Ermessensentscheidung einfließen, da diese Erwägung an das Maß der Tatschuld anknüpfen würde (Senat, 2 VAs 10/02). Ferner darf die Zurückstellung nicht wegen einer ungünstigen Sozialprognose versagt werden, denn die Bestimmung des § 35 BtMG soll gerade dann Anwendung finden, wenn die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht vorliegen, und auch "Risikopatienten" (Körner aaO, Rdnrn. 353; OLG Hamburg StV 1998, 390f.) eine Therapiechance eröffnen.

Deshalb ist auch von einer Prüfung der Erfolgsaussicht der Therapie in der Regel abzusehen (OLG Koblenz StV 2003. 288f.; OLG Hamburg aaO; Thüringer OLG B. vom 25.01.2007, 1 VAs 3/06 bei juris).

Auf das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit kommt es, da auch die Anforderungen an die Therapiefähigkeit nicht überspannt werden dürfen (Weber aaO Rdnr. 149) bei der Zurückstellungsentscheidung nicht wesentlich an.

Anderes kann nur gelten, wenn die Therapie von vornherein als aussichtslos erscheint, wenn also kein vernünftiger Zweifel an der fehlenden Therapieaussicht bestehen kann; in einem solchen Falle müssen aber die dieser Beurteilung zugrunde liegenden Erwägungen und Tatsachen im Ablehnungsbescheid mitgeteilt werden (OLG Karlsruhe StV 1983 112f.).

Diese für die Ermessensausübung bestimmenden Grundsätze führen in ihrer Summe, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 und 3 BtMG erfüllt sind und Zurückstellungshindernisse nicht bestehen, zu einer zumindest sehr weitgehenden Einschränkung des Ermessens der Vollstreckungsbehörde (Körner BtMG 5. Auflage, Rdnr. 178 "fast auf Null"; Adams/Eberth, Die Therapievorschriften des BtMG in der Praxis, NStZ 1983, 195 "....Ermessen nicht so frei, wie man vermuten könnte"). Ob der von Körner in der 6. Auflage (§ 35 Rdnr 300) vertretenen Auffassung zu folgen ist, dass in solchen Fällen dem Rückstellungsantrag stattzugeben ist, also kein Ermessensspielraum mehr besteht, kann vorliegend unentschieden bleiben.

Die Begründungen des Ablehnungsbescheids und des die Zustimmung versagenden Beschlusses des Amtsgerichts werden den vorstehend genannten Vorgaben nicht gerecht.

Dies gilt insbesondere für die Erwägung, dass hinsichtlich des Antragstellers nach einer erfolglos gebliebenen Therapie und neuerlicher Straffälligkeit nun der in § 2 StrafVollstrO niedergelegte Grundsatz nachhaltiger Strafvollstreckung einer Zurückstellung entgegenstehe. Diese dem Anliegen des § 35 BtMG widerstreitende Begründung lässt außer Betracht, dass der Weg aus der Drogensucht regelmäßig mit gescheiterten Therapieversuchen und strafrechtlichen Rückfällen verbunden ist, und dass diese deshalb einer erneuten Zurückstellung nicht entgegenstehen (Körner aaO, Rdnr. 125 mwN; ständige Senatsrechtsprechung z.B. StV 2007,308f.). Im übrigen ist nicht zu erkennen, dass die Vollstreckungsbehörde berücksichtigt hätte, dass der Antragsteller seit seiner letzten Therapie im Jahre 2004 in erheblichem Umfang Straf- und Untersuchungshaft verbüßt hat: 212 Tage Untersuchungshaft im Verfahren des Amtsgericht H. 11 Ls 62 Js 30914/04, in welchem er wegen Verstößen gegen das BtMG zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr mit Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung verurteilt wurde, und ununterbrochene Untersuchungs- und Strafhaft seit dem 02.02.2006.

Ebenso wenig ist die vom Amtsgericht und von der Vollstreckungsbehörde dem Antragsteller zugeschriebene neben seiner Betäubungsmittelabhängigkeit bestehende "generell vorhandene kriminelle Anlage" - was hierunter zu verstehen ist, hätte der Begründung bedurft, nachdem der Antragsteller seit 1994 nur noch mit Drogendelikten aufgefallen ist - ein Grund, mit dem die Versagung der Zurückstellung gerechtfertigt werden könnte. Die Vollstreckungsbehörde hat insoweit nur ausgeführt, dass die durch das Amtsgericht H. abgeurteilten Rückfalltaten des Antragstellers über die typischen Erscheinungsformen von Betäubungsmitteldelikten hinausgingen, weil sein "umfangreicher Handel mit Heroin und Kokain" nicht nur der bloßen Finanzierung des Eigenkonsums gedient habe, sondern als lukratives Erwerbsgeschäft gedacht gewesen sei; ein Rückfall sei deshalb trotz Therapie so "hochwahrscheinlich", dass dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit der Vorrang eingeräumt werden müsse. Diese Begründung, die - unzulässigerweise - an die Tatschuld anknüpft, verkennt, dass der Anwendungsbereich des § 35 BtMG nicht auf Betäubungsmittelanhängige beschränkt ist, die als Kleindealer nur in einem Umfang Betäubungsmittelgeschäfte machen, der ihren Eigenbedarf deckt. Sie wird aber auch nicht durch die Feststellungen der Urteile des Amtsgerichts H. getragen. Gegenstand des Urteils vom 11.02.2003 (11 Ls 62 Js 22348/07, Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten) war der Besitz von 11 Briefchen Heroin mit insgesamt 7,28 Heroingemisch und fünf Briefchen Kokainzubereitung mit einem Gesamtgewicht von 3,08 Gramm im September 2002. Das Urteil vom 25.05.2005 (11 LS 62 Js 30914/04, ein Jahr Freiheitsstrafe zur Bewährung) betraf den Besitz von zweieinhalb Kilogramm einer pulvrigen Substanz, die der Antragsteller als Streckmittel für Heroin weiterverkaufte, und den Erwerb von 2 Gramm und 9,84 Gramm Heroinzubereitung sowie 60 Gramm Haschisch zum Eigenverbrauch im September und Oktober 2004. Dem Urteil vom 17.05.2006 (11 Ls 62 Js 2985/06, Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten) lag zugrunde, dass der Antragsteller im Zeitraum von Dezember 2005 bis Januar 2006 in sechs Fällen jeweils fünf Gramm Heroinzubereitung verkauft und am Tag seiner Festnahme im Februar 2006 fast 150 Gramm Kokaingemisch zum Zwecke des Weiterverkaufs in Besitz hatte. Diese Taten überschreiten weder für sich noch in ihrer Gesamtheit den Rahmen alltäglicher kleiner und mittlerer Drogendelikte, wie sie von stark abhängigen Tätern regelmäßig begangen werden. Die Staatsanwaltschaft H. sah sich in ihrem Bescheid vom 16.07.2007 an einer Zurückstellung der Vollstreckung dieser Strafen bzw. Strafreste denn nur auch deshalb gehindert, weil die Staatsanwaltschaft K. - Zweigstelle P. - in vorliegender Sache einer Zurückstellung ablehnend gegenüberstand.

Soweit die Vollstreckungsbehörde schließlich ohne nähere Begründung darauf abhebt, die vom Antragsteller gewählte Therapieeinrichtung sei für ihn ungeeignet, wäre dies nur beachtlich, wenn hieraus die hohe Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden könnte, dass die vom Antragsteller angestrebte Therapie keine Erfolgsaussicht hätte. Dies würde allerdings eine eingehendere als die bisher gegebene Begründung erfordern, die eine Nachprüfung durch den Senat ermöglicht, die auch dem Alter des Antragstellers, der die letzte Therapie im Jahr 2004 regulär abgeschlossen und sich im Vollzug als absprachefähig gezeigt hatte, und der Tatsache Rechnung trägt, dass er auf eine Therapieeinrichtung angewiesen ist, die keine Kostenzusage fordert.

Die eine Zurückstellung der Strafvollstreckung ablehnenden Bescheide der Staatsanwaltschaft K. - Zweigstelle P. - und der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe waren wegen der aufgezeigten Ermessensfehler aufzuheben. Die Vollstreckungsbehörde wird über den Antrag des Verurteilten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu befinden haben.

Die gemäß § 35 Abs. 1 BtMG erforderliche Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges, Amtsgericht M., ist durch diese Entscheidung ersetzt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 30 Abs. 2 EGGVG; die Entscheidung über die Festsetzung des Geschäftswerts fußt auf § 30 Abs. 3 EGGVG i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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