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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 11.05.2005
Aktenzeichen: 2 WF 51/05
Rechtsgebiete: SGB XII, ZPO, DVO, BGB


Vorschriften:

SGB XII § 73
SGB XII § 90 Abs. 2
SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 9
SGB XII § 90 Abs. 3
SGB XII § 91
ZPO § 93a
ZPO § 115
ZPO § 115 Abs. 3
ZPO § 115 Abs. 3 Satz 1
ZPO § 115 Abs. 3 Satz 2
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 569
DVO § 1 Abs. 1 Nr. 1b
BGB § 1361 Abs. 4
BGB § 1360a Abs. 4
1. Bei der Prozesskostenhilfe handelt es sich ihrer Typizität nach nicht um Hilfe zum Lebensunterhalt, sodass entsprechend § 73 SGB XII für die Bestimmung des Schonvermögens gemäß § 115 Abs. 3 ZPO i.V. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII der Betrag gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1b der DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII (Grundbetrag 2.600,00 €) einschlägig ist.

2. Die Verwertung einer Lebensversicherung oder Rentenversicherung mit Kapitalabfindungswahlrecht stellt zwar gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII dann eine Härte dar, wenn dadurch die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. Davon kann aber nur ausgegangen werden, wenn die Versicherung für die angemessene Altersversorgung des Klägers erforderlich ist. Die Erforderlichkeit kann wiederum nur bejaht werden, wenn die Schlussfolgerung möglich ist, dass die Alterssicherung dereinst unzureichend sein werde.

3. Dass die Verwertung einer Lebensversicherung oder Rentenversicherung mit Kapitalabfindungswahlrecht zu einer Vernichtung wirtschaftlicher Werte führt, weil der Rückkaufswert hinter dem wahren Wert der Versicherung zurückbleibt, begründet keine Härte im Sinn des § 90 Abs. 3 SGB XII.

4. In der Regel ist aber der Verweis auf eine unwirtschaftliche Verwertung einer Lebensversicherung oder Rentenversicherung mit Kapitalabfindungswahlrecht gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO nur dann zumutbar, wenn nach einer unwirtschaftlichen Verwertung noch ein das Schonvermögen deutlich übersteigendes Vermögens verbleibt.


Gründe:

I.

Die Parteien - der 1970 geborene Antragsteller und die 1969 geborene Antragsgegnerin - haben 1992 die Ehe geschlossen. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Der Antragsteller, gelernter Stukkateur, erzielt als Selbstständiger einer Bausanierungsfirma ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.709,67 €. Die Antragsgegnerin, gelernte Kosmetikerin, ist derzeit arbeitslos; sie erhält ein monatliches Arbeitslosengeld. ...

Der Antragsteller hat beim Amtsgericht Scheidungsantrag eingereicht. Die Antragsgegnerin hat dem Scheidungsantrag zugestimmt und Prozesskostenhilfe für das Ehescheidungsverfahren beantragt.

Die Antragsgegnerin hat ein Sparguthaben bei der Sparkasse in Höhe von 110,00 €, ein Kraftfahrzeug Marke Renault Rapid (Baujahr 1997) sowie eine Rentenversicherung mit Kapitalabfindungswahlrecht bei der X Lebensversicherung AG. Der aktuelle Wert dieser Rentenversicherung beträgt 5188,62 €, der aktuelle Rückkaufswert beträgt 3.479,29 €.

Das Amtsgericht hat den Antrag der Antragsgegnerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, da die Antragsgegnerin die Rentenversicherung zur Finanzierung der Prozesskosten einsetzen müsse. Gegen Beschluss hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat der sofortige Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 569 ZPO zulässig und begründet.

Es ist der Antragsgegnerin aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht zuzumuten, zur Bestreitung der Verfahrenskosten ihr (geringes) Sparvermögen und ihre Rentenversicherung mit Kapitalabfindungswahlrecht einzusetzen (§ 115 Abs. 3 ZPO).

Es davon auszugehen, dass der Antragsgegnerin voraussichtlich Verfahrenskosten in Höhe von insgesamt rd. 1.340,00 € entstehen werden. Es sind insoweit - wegen § 93a ZPO - die Kosten der Rechtsanwältin der Antragsgegnerin sowie die Hälfte der Gerichtskosten zugrunde zu legen. Ausgehend von einem Streitwert des Verfahrens von 6.629,01 € (§ 48 Abs. 3 GKG) errechnen sich die der Antragsgegnerin entstehenden Verfahrenskosten im einzelnen wie folgt:

Rechtsanwaltskosten:

1,3 Verfahrensgebühr à 375,00 € = 487,50 € 1,2 Terminsgebühr Gebühren à 375,00 € = 450,00 € Auslagenpauscxhale (Geb.-Verz. Nr. 7002) 20,00 € 16 % MwSt (Geb.-Verz. Nr. 7008) 1 53,20 € Zw.-Summe: 1.110,70 €

Gerichtskosten:

3 Gebühren à 151,00 € / 2 = 226,50 €

Gesamtkosten: 1.337,20 €

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin stehen dem Verweis auf den Einsatz der Rentenversicherung allerdings nicht schon die Vorschriften über den Versorgungsausgleich entgegen. Denn in den Versorgungsausgleich werden nur die im Zeitpunkt der Entscheidung über den Versorgungsausgleich noch vorhandenen Anrechte einbezogen; der Versorgungsausgleich erfasst daher solche Rentenanrechte nicht, die bereits vor der Entscheidung über den Versorgungsausgleich erloschen sind, mag das Erlöschen - etwa durch Beitragserstattungen - auch erst nach dem Ende der Ehezeit eingetreten sein (u.a. BGH FamRZ 2003, 664, 665).

(bb) Dem Verweis auf den Einsatz des Vermögens steht zum Teil schon § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO i.V. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII schon entgegen:

Das Schonvermögen gem. § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO in Verbindung § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII beträgt vorliegend gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1b DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII 2.600,00 €. Denn bei der Prozesskostenhilfe handelt es sich ihrer Typizität nach nicht um Hilfe zum Lebensunterhalt, sodass entsprechend § 73 SGB XII der Betrag gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1b der genannten DVO einschlägig ist. Die Antragsgegnerin kann daher von vornherein gemäß § 115 Abs. 3 ZPO i.V. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII nur darauf verwiesen werden, die Verfahrenskosten (rd. 1.340,00 €) in Höhe von rd. 1.000,00 € durch Einsatz ihres Sparguthabens und ihrer Rentenversicherung zu tragen:

Rückkaufwert Versicherung 3.497,29 € Sparguthaben 110,00 € Vermögen gesamt: 3.607,29 € abzügl. Schonvermögen 2.600,00 € ergibt gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII einsetzbares Vermögen: 1.007,29 €

(Wegen der insoweit möglichen Tenorierung wird auf Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl. § 120 Rdn. 11 verwiesen)

(cc) Dem Verweis auf den Einsatz des (geringen) Sparguthabens und der Rentenversicherung in Höhe des das Schonvermögen übersteigenden Betrages von 1.000,00 € steht nicht schon § 115 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 90 Abs. 3 SGB XII entgegen: Nach § 115 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 90 Abs. 3 SGB XII darf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zwar auch insoweit - also über die zuvor genannten Begrenzungen des § 90 Abs. 2 SGB XII hinaus - nicht vom Einsatz des Vermögens abhängig gemacht werden, wenn dies eine Härte bedeuten würde, insbesondere wenn dadurch die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. Der Senat vermag im vorliegenden Fall allerdings nicht festzustellen, dass die Rentenversicherung für die angemessene Altersversorgung des Klägers erforderlich ist. Die Erforderlichkeit kann nur dann bejaht werden, wenn die Schlussfolgerung möglich ist, dass die Alterssicherung dereinst unzureichend sein werde (OLG Karlsruhe, 16. ZS, FamRZ 2004, 1122; Senat, Beschluss v. 09.08.2004 - 2 WF 153/04 und Beschluss v. 22.12.2004 - 2 WF 229/04). Wie in vorgenannten Beschlüssen ausgeführt, fordert man in der verwaltungs- und finanzgerichtlichen Rechtsprechung insoweit präzisierend, dass eine Gefährdung der angemessenen Altersversorgung immer nur dann gegeben ist, wenn eine unter Einbeziehung des für die Prozesskostenhilfe zu verwendenden Kapitals von der Sozialhilfe unabhängige Altersversorgung existiert und die anderweitige Verwendung dieses Kapitals ursächlich dazu führt, dass die Partei in Zukunft ihre Altersversorgung zumindest teilweise auch durch die Inanspruchnahme von ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt wird bestreiten müssen. Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Die Antragsgegnerin ist derzeit erst 35 Jahre alt und hat keine Kinder. Die Lebensphase, in der (üblicherweise) eine Altersversorgung aufgebaut wird, steht daher in erheblichem Umfang noch bevor. Dass sie - allgemein oder doch aufgrund des vor etwa drei Jahren erlittenen Schlaganfalls - keine realen Chancen mehr hat, Arbeit zu finden und damit eine (weitere) notwendige Altersversorgung aufzubauen, hat die Antragsgegnerin weder substantiiert dargetan noch glaubhaft gemacht. Es kam daher nicht darauf an, dass vor Eingang der Versorgungsausgleichsauskünfte eine Beurteilung hinsichtlich der schon bestehenden Versorgungsanwartschaften nicht möglich ist.

Dass die Verwertung der Rentenversicherung - ggfls. nach Beleihung derselben - letztlich möglicherweise zu einer Vernichtung wirtschaftlicher Werte führt, weil der Rückkaufswert hinter dem wahren Wert der Versicherung zurückbleibt, begründet ebenfalls keine Härte im Sinn des § 90 Abs. 3 SGB XII (so ausdrücklich BVerwGE 106, 105; OLG Stuttgart, OLG-Report 1999, 63 = FamRZ 1999, 598, bestätigt in FamRZ 2004, 1651). Die Regelung des § 91 SGB XII, die nach allg. Auffassung der Unwirtschaftlichkeit der Vermögensverwertung Rechnung trägt (vgl. BVerwG aaO; Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 91 SGB XII Rdn. 4), ist demgegenüber in § 115 ZPO nicht in Bezug genommen worden.

(dd) Der Antragsgegnerin ist es aber bei einer Gesamtwürdigung der Umstände des vorliegenden Falles gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht zumutbar, den das Schonvermögen übersteigenden Betrag ihres Vermögens in Höhe von lediglich 1.000,00 € für die Kosten eines Scheidungsverfahrens einzusetzen.

Nach Verwertung der Rentenversicherung und Zahlung von Verfahrenskosten in Höhe des das Schonvermögen übersteigenden Betrages von lediglich 1.000,00 € würde der Antragsgegnerin nur noch das Schonvermögen verbleiben. In der Regel ist aber der Verweis auf eine unwirtschaftliche Verwertung des Vermögens nach Auffassung des Senats nur gerechtfertigt, wenn nach dieser unwirtschaftlichen Verwertung noch ein das Schonvermögen deutlich übersteigendes Vermögens verbleibt (vgl. zur Notwendigkeit, in Fällen unwirtschaftlicher Verwertung dem Einzelfall Rechnung zu tragen BVerwG aaO; vgl. auch Zöller/Philippi, 25. Aufl., § 115 Rdn. 62). Durch die Verwertung der Rentenversicherung würde vorliegend darüber hinaus ein wirtschaftlicher Wertverlust in Höhe von 1.709,33 € und damit in Höhe von über 30 % des gesamten (geringen) Vermögens der Antragstellerin eintreten. Anlass für diese Wertvernichtung wäre die Verpflichtung zur Aufbringung der Kosten des Scheidungsverfahrens in Höhe von lediglich 1.000,00 €.

Bei dieser Sachlage erscheint dem Senat der Verweis auf die Verwertung der Rentenversicherung nicht zumutbar.

Die Antragsgegnerin ist somit im Sinn des § 115 ZPO bedürftig, auch soweit sie die voraussichtlichen Kosten der Prozessführung (teilweise) durch Verwertung ihrer Rentenversicherung selbst aufbringen könnte.

Eine Verweisung der Antragsgegnerin auf einen Prozesskostenvorschussanspruch gemäß §§ 1361 Abs. 4, 1360a Abs. 4 BGB oder auf einen (Quoten-)Unterhaltsanspruch kam in Anbetracht des Einkommens des Antragstellers (1.709,67 € abzgl. 10 % Erwerbstätigenbonus = 1.538,70 € : 2 = 769,35 €) nicht in Betracht (vgl. Wendl/Staudigl/Scholz, 6. Aufl., § 6 Rdn. 27, S. 866).

Eine Kostenentscheidung hat mangels Erstattungsfähigkeit der Kosten nicht zu erfolgen (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Ende der Entscheidung

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