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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 06.03.2000
Aktenzeichen: 2 Ws 203/99
Rechtsgebiete: StGB, StVollzG, AGGVG, LVwVfG, UBG, StPO, GKG


Vorschriften:

StGB § 63
StVollzG § 138 Abs. 2
StVollzG § 116
StVollzG § 136
StVollzG § 136 S. 1
StVollzG § 69 Abs. 2
StVollzG § 70
StVollzG § 138 Abs. 1
StVollzG § 109 Abs. 3
StVollzG § 121 Abs. 4
AGGVG § 43
LVwVfG § 79
UBG § 7
UBG § 7 Abs. 2
UBG § 9
UBG § 9 S. 1
StPO § 467 Abs. 1
GKG § 13
GKG § 48 a

Entscheidung wurde am 28.06.2004 korrigiert: Orientierungssatz in die richtige Reihenfolge gesetzt
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
2 Ws 203/99 7 StVK 98/99

OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Strafsenat

Maßregelvollzugssache

hier: Rechtsbeschwerde nach §§ 138 Abs. 2, 116 StVollzG

Beschluß vom 6. März 2000

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Untergebrachten wird der Beschluß des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - vom 13. Juli 1999 aufgehoben.

Die Vollzugsbehörde wird verpflichtet, den Untergebrachten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Untergebrachten trägt die Staatskasse.

Der Gegenstandswert wird auf 500 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Durch Urteil des Landgerichts vom 14. Juli 1997 wurde gegen den Antragsteller wegen sexuellen Mißbrauchs von Jugendlichen in 24 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt und außerdem seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seit dem 23. Juli 1998 wird die Maßregel im Zentrum für Psychiatrie vollzogen. Der Untergebrachte stellte den Antrag, ihm die Aushändigung und Benutzung eines eigenen Fernsehgeräts zu gestatten, was die Leitung der Maßregelvollzugseinrichtung ablehnte. Zur Begründung verwies das Zentrum für Psychiatrie darauf, daß in der Abteilung Forensische Psychiatrie in eigene Fernseher aus therapeutischen Gründen, unter anderem aufgrund eines anzunehmenden Rückzugs der Patienten mit einhergehender Rückzugshaltung (Hospitalisierung) nicht vorgesehen seien. Den mit demselben Ziel gestellten Antrag des Untergebrachten auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer als unbegründet zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete, form- und fristgerecht mit der Sachrüge begründete Rechtsbeschwerde des Antragstellers, die zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen war (§§ 138 Abs. 2, 116 Abs. 1 StVollzG), hat Erfolg.

II.

Die von Amts wegen gebotene Prüfung (vgl. nur Callies/Müller-Dietz, StVollzG 7. Aufl. § 119 Rdnr. 3, § 109 Rdnr. 18) hat ergeben, daß der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig ist. Insbesondere mußte dem gerichtlichen Verfahren kein Verwaltungsvorverfahren (§§ 138 Abs. 2, 109 Abs. 3 StVollzG) vorausgehen. Zwar sah § 43 des baden-württembergischen Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit (AGGVG) vom 16. Dezember 1975 (GBl. S. 868) in der bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Fassung gegen Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen des Anstaltsleiters auch im Vollzug der Maßregeln der Besserung und Sicherung die Durchführung eines Verwaltungsvorverfahrens vor. Durch Art. 4 des am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuorganisation der Psychiatrischen Landeskrankenhäuser vom 3. Juli 1995 (GBl. S. 510) wurde § 43 AGGVG aber dahin abgeändert, daß der gesamte Maßregelvollzug aus dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift herausgenommen wurde. Der Gesetzentwurf der badenwürttembergischen Landesregierung enthält in der Einzelbegründung zu Art. 4 des Gesetzes vom 3. Juli 1995 (LTDrucks. 11/5876, S. 29) den ausdrücklichen Hinweis darauf, daß der Landesgesetzgeber durch diese Änderung (für den Bereich des Maßregelvollzugs) auf die durch § 109 Abs.3 StVollzG eingeräumte Möglichkeit, dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung ein Verwaltungsvorverfahren vorzuschalten, verzichte, was zu einer Verfahrensverkürzung führe und der Praxis in einigen anderen Bundesländern entspreche. Schon im Hinblick auf den insoweit eindeutigen spezialgesetzgeberischen Willen kommt für das Land Baden-Württemberg die Annahme, jedenfalls ergebe sich aus §§ 79 LVwVfG (wortgleich mit § 79 BVwVfG), 68 - 70 VwGO auch für den Bereich des Maßregelvollzugs die Erforderlichkeit der Durchführung eines Verwaltungsvorverfahrens (Volckart, Maßregelvollzug 5. Aufl. Abschnitt 5.1), nicht in Betracht.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet, da die bisherigen Erwägungen der Maßregelvollzugsbehörde nicht ausreichen, die Ablehnung der Zulassung eines eigenen Fernsehgeräts gegenüber dem Antragsteller zu rechtfertigen.

Für die Zulässigkeit einer solchen Einschränkung sind - da Bundesgesetze insoweit nichts anderes bestimmen - in Baden-Württemberg die entsprechend anwendbaren landesrechtlichen Bestimmungen der §§ 7 und 9 des Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (UBG) maßgeblich (§§ 138 Abs. 1 StVollzG, 15 Abs. 1 UBG). Demgegenüber kann für die hier im Raum stehende Beschränkung des Grundrechts des Antragstellers auf Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) weder in § 63 StGB noch in § 136 StVollzG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage gesehen werden. Die Bestimmung des § 63 StGB ermöglicht es nur, bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen einem Täter die Freiheit zu entziehen, während § 136 StVollzG - der in seinem Satz 2 die Zielsetzung der Unterbringung nach § 63 StGB aufgreift - nach dem Willen des Gesetzgebers keine allgemeine Einschränkungsgrundlage für Beschränkungen der Freiheit des Untergebrachten bildet, die der Zweck der Maßregel erfordert (so zutreffend KG NStZ-RR 1998,382, 383 m.w.N.). Eine entsprechende Anwendung der §§ 69 Abs. 2, 70 StVollzG in der Fassung des 4. StVollzÄndG vom 26. August 1998 (BGBl I 1998, 2461), die im Bereich des Strafvollzugs nunmehr eigene Fernsehgeräte grundsätzlich (und nicht wie früher "nur in begründeten Ausnahmefällen") zulassen, kommt vorliegend ebenfalls nicht in Betracht, da der Gesetzgeber in § 138 Abs. 1 StVollzG die Regelung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dem Landesrecht zugewiesen und in § 138 Abs. 2 StVollzG die analoge Anwendung der Vorschriften des StVollzG enumerativ auf dessen §§ 51 Abs. 4 und Abs. 5, 75 Abs. 3 und 109 bis 121 beschränkt hat (vgl. OLG Hamm NStZ 1988, 151).

Nach der Generalklausel des § 7 Abs. 2 UBG haben die Untergebrachten diejenigen Maßnahmen zu dulden, die erforderlich sind, um Sicherheit oder Ordnung in der Maßregelvollzugseinrichtung zu gewährleisten oder sie selbst zu schützen. Allgemein gilt außerdem, daß die Untergebrachten so untergebracht, behandelt und betreut werden, daß der Unterbringungszweck bei geringstem Eingriff in die persönliche Freiheit erreicht wird (§ 7 Abs. 1 UBG). Die genannten Regelungen verdeutlichen, daß sich Beschränkungen von Rechten an dem Ziel orientieren müssen, die von dem nach § 63 StGB Untergebrachten ausgehende krankheitsbedingte Gefahr für die Allgemeinheit abzuwenden. Maßgebend ist dabei, ob die uneingeschränkte Ausübung von Rechten die Behandlung und Heilung der psychischen Erkrankung beeinträchtigt, die (mit)ursächlich für die Begehung von rechtswidrigen oder strafbaren Handlungen des Untergebrachten war. Denn nur die möglichst ungestörte Behandlung der Erkrankung kann den Zweck der Unterbringung erreichen, den Untergebrachten zu behandeln, ihn in seinem Krankheitszustand zu bessern und somit die von ihm ausgehende Gefahr abzuwenden (KG a.a.O. S. 383). Die auch auf den Besitz eigener Fernsehgeräte anwendbare spezielle Vorschrift des § 9 S.1 UBG bestimmt daher folgerichtig, daß der Untergebrachte das Recht hat, persönliche Gegenstände in seinem Zimmer zu haben, soweit es sein Gesundheitszustand gestattet und die Sicherheit oder Ordnung der Maßregelvollzugseinrichtung nicht gestört wird. Die Anknüpfung an den Gesundheitszustand des Untergebrachten macht deutlich, daß eine Beschränkung seines Rechts auf den Besitz (und die Benutzung) bestimmter Gegenstände auch dann möglich ist, wenn andernfalls die Behandlung der psychischen Erkrankung beeinträchtigt würde.

Eine Beeinträchtigung der Behandlung eines nach § 63 StGB Untergebrachten - die sich gem. § 136 S. 1 StVollzG nach ärztlichen Gesichtspunkten zu richten hat - im Falle der Zulassung eines eigenen Fernsehgeräts erscheint durchaus möglich. Wie die Maßregelvollzugsbehörde und die Strafvollstreckungskammer zutreffend ausgeführt haben, eröffnet der private Fernsehempfang dem Untergebrachten die Möglichkeit, sich insoweit aus der Gemeinschaft zurückzuziehen und etwaigen Konflikten, die beim gemeinschaftlichen Fernsehempfang mit anderen Patienten entstehen können (Verständigung über die Programmauswahl) auszuweichen, was Hospitalisierungstendenzen Vorschub leisten kann. Der Ansatzpunkt des Zentrums für Psychiatrie, eigene Fernsehgeräte aus therapeutischen Gründen nicht zuzulassen, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Maßregelvollzugsbehörde hat ihre Maßnahme allerdings lediglich auf allgemeine therapeutische Erwägungen ohne konkreten Bezug zur Person des Antragstellers gestützt. Ob und weshalb dessen Gesundheitszustand den Besitz und die Benutzung eines eigenen Fernsehgeräts nicht gestattet, d.h. ob ein privater Fernsehbetrieb die für die Person des Antragstellers konkret erforderliche Therapie zumindest erheblich erschweren würde, kann der Ablehnungsbegründung des Zentrums für Psychiatrie nicht entnommen werden. Die Zulassung der Nutzung eines privaten Fernsehgeräts - die gegebenenfalls auch zeitlich beschränkt werden könnte - anstelle der Teilnahme am gemeinschaftlichen Fernsehempfang muß nicht bei jedem Untergebrachten ohne weiteres zu den von der Vollzugsbehörde befürchteten Hospitalisierungstendenzen führen. Die Prüfung, ob die Vollzugsbehörde von dem ihr gegebenen Beurteilungsspielraum ordnungsgemäßen Gebrauch gemacht hat, und ob die Maßnahme den zur Erreichung des Unterbringungszwecks geringstmöglichen Eingriff (§ 7 Abs. 2 UBG) darstellt, ist daher nicht möglich (vgl. OLG Hamm StV 1997, 541 f. sowie allgemein zur gerichtlichen Überprüfung ärztlicher Maßnahmen Volckart, Maßregelvollzug 5. Aufl. Abschnitt 5.3).

IV.

Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses war die Vollzugsbehörde daher zu verpflichten, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden (§§ 138 Abs. 2, 119 Abs. 4, 115 Abs. 4 StVollzG). Der Senat weist darauf hin, daß die Maßregelvollzugsbehörde bei der neuen Entscheidung ausreichend auf etwaige Besonderheiten in der Persönlichkeit des Antragstellers und diesbezügliche spezielle Therapieerfordernisse abzustellen hat. Soweit der Antragsteller behauptet, im rheinlandpfälzischen Maßregelvollzug seien eigene Fernsehgeräte zulässig gewesen, kann er hieraus allerdings keine Rechte für den Maßregelvollzug eines anderes Bundesland herleiten (vgl. nur Schwind in Schwind/Böhm, StVollzG 3. Aufl. § 69 Rdnr. 12). Sollte die Versagung eines eigenen Fernsehgeräts für den Antragsteller auch unter Berücksichtigung der auf ihn bezogenen konkreten Umstände aus therapeutischen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung im Zentrum für Psychiatrie unumgänglich sein, wird die Vollzugsbehörde - zur Verwirklichung des Grundrechts auf Informationsfreiheit - bei der Regelung des gemeinschaftlichen Fernsehprogramms auf eine ausgewogene Programmauswahl und - sofern dies den Antragsteller betreffen sollte - auf Belange des Nichtraucherschutzes zu achten haben (vgl. hierzu nur - zum Strafvollzug - Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 7. Aufl. Rdnrn. 1, 4; Huchting/Lesting in AK-StVollzG 3. Aufl. Rdnrn. 3 f.; Schwind in Schwind/Böhm, StVollzG 3. Aufl. Rdnrn. 5 f.; jeweils zu § 69).

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 138 Abs. 2, 121 Abs. 4 StVollzG, 467 Abs. 1 StPO analog, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf §§ 13, 48 a GKG.

Ende der Entscheidung

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