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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 25.10.2002
Aktenzeichen: 20 UF 94/00
Rechtsgebiete: EGBGB, Türk.ZGB, ZPO


Vorschriften:

EGBGB Art. 6
EGBGB Art. 17
Türk.ZGB Art. 143 Abs. 2 n.F.
ZPO § 93 a
ZPO § 623
1. Der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens nach Art. 143 Abs. 2 TürkZGB a.F. unterfällt dem Scheidungsstatut.

2. Art. 143 Abs. 2 TürkZGB a.F. ist mit dem deutschen Ordre public vereinbar.

3. Der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens nach Art. 143 Abs. 2 TürkZGB a.F. betrifft eine Folgesache i.S.d. §§ 93 a, 623 ZPO. Das Unterliegen kann eine Kostenverteilung analog § 93 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO rechtfertigen.

4. Zur Bemessung der Entschädigung nach Art. 143 Abs. 2 TürkZGB a.F.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Im Namen des Volkes Urteil

20 UF 94/00

Verkündet am: 25. Oktober 2002

Familiensache

hat der 20. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 2002 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Hoppenz Richter am Oberlandesgericht Dr. Brudermüller Richter am Oberlandesgericht Weber

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird/ das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bruchsal vom 18. Juli 2000 - 3 F 130/98 - im Kostenpunkt aufgehoben und in Nr. 4 wie folgt abgeändert:

Der Antragsteller wird verurteilt, an die Antragsgegnerin 7.670 € zu bezahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben.

3. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt der Antragsteller.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Parteien, beide türkische Staatsangehörige, haben am ... 1996 die Ehe miteinander geschlossen. Im November 1997 zog der Antragsteller aus der Ehewohnung aus; danach lebten die Parteien getrennt. Sie haben einen am ... 1994 geborenen Sohn, der bei der Antragsgegnerin lebt.

Die Antragsgegnerin war bis zum ... 1993 in erster Ehe verheiratet. Aus dieser Ehe stammt ein 1989 geborenes Kind, das ebenfalls im Haushalt der Antragsgegnerin ist.

Im Verbund mit der Scheidung hat die Antragsgegnerin Ersatz ihres immateriellen Schadens nach Art. 143 Abs. 2 Türkisches ZGB a.F. begehrt. Den Antrag hat sie im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Antragsteller aus der Ehe ausgebrochen sei, indem er ehebrecherische Beziehungen mit der Frau ihres Bruders aufgenommen habe und seither mit ihr zusammenlebe. Deren Ehe ist inzwischen geschieden. Aus der Verbindung des Antragstellers mit der Schwägerin der Antragsgegnerin ist inzwischen ein Kind hervorgegangen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antragsteller zu verurteilen, an sie einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Geldbetrag, mindestens aber 15.000 DM, zu bezahlen.

Der Antragsteller hat um

Zurückweisung des Antrags

gebeten.

Er hat sich auf den deutschen Ordre public und im Übrigen darauf berufen, dass die Antragsgegnerin schon während ihrer ersten Ehe die Beziehung zu ihm aufgenommen habe und auch jetzt, noch vor Scheidung der Ehe, eine außereheliche Beziehung habe.

Das Amtsgericht hat die Ehe wegen Zerrüttung gemäß Art. 134 Abs. 1 Türkisches ZGB a.F. geschieden, die elterliche Sorge der Antragsgegnerin übertragen und die beiderseitigen Versorgungen ausgeglichen. In Nr. 4 des Urteils hat es den Zahlungsantrag zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin. Unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags beantragt sie,

das angefochtene Urteil abzuändern und den Antragsgegner zu verurteilen, an sie eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Geldsumme, mindestens aber 15.000 DM, als moralische Genugtuung zu bezahlen.

Der Antragsteller verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Einzelheiten des Vortrags der Parteien in beiden Instanzen ergeben sich aus den Schriftsätzen und Sitzungsniederschriften.

Es wurde ein schriftliches Gutachten des Max-Planck-Instituts für Ausländisches und Internationales Privatrecht in Hamburg über die Rechtspraxis türkischer und ggf. Gerichte anderer Staaten zu Art. 143 Abs. 2 Türkisches ZGB a.F. eingeholt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist teilweise gerechtfertigt. Die Antragsgegnerin kann vom Antragsteller 7.670 € als Schadensersatz verlangen.

1. Zur Anwendung kommt türkisches materielles Recht.

Maßgebend ist das Scheidungsstatut des Art. 17 EGBGB. Es ist zugleich das Scheidungsfolgenstatut für das hier streitige Rechtsverhältnis. Denn dieses betrifft ausschließlich eine Folge der Scheidung und unterfällt keinem anderen im EGBGB geregelten Statut (MünchKomm/Winkler/von Mohrenfels, 3. Aufl., Art. 17 Rn 136). Nach dem Scheidungsstatut gilt türkisches Recht als das gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBG für die allgemeinen Wirkungen der Ehe zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags maßgebende Recht. Denn beide Parteien sind türkische Staatsangehörige.

2. Der Anspruch beruht auf Art. 143 Abs. 2 Türkisches ZGB a.F. Hiernach kann der Richter dem schuldlosen Ehegatten eine bestimmte Geldsumme als Ersatz des immateriellen Schadens bewilligen, wenn die Umstände, die zur Scheidung geführt haben, die persönlichen Interessen des schuldlosen Ehegatten in schwerer Weise verletzt haben. Die Ersetzung dieser Bestimmung durch den im Wesentlichen inhaltsgleichen Art. 174 Abs. 2 Türkisches ZGB n.F. ist ohne Bedeutung. Denn nach Art. 1 des Gesetzes Nr. 4722 über das Inkrafttreten und die Anwendung des Türkischen Zivilgesetzbuchs sind auf vor dem 01.01.2002, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung, abgeschlossene Vorgänge die Vorschriften des bisherigen ZGB anzuwenden. An der Abgeschlossenheit des zu beurteilenden Vorgangs bestehen schon deshalb keine Zweifel, weil selbst der Ausspruch der Ehescheidung schon seit 23.09.2000 rechtskräftig ist.

3. Art. 143 Abs. 2 Türkisches ZGB a.F. ist mit dem deutschen Ordre public vereinbar. Seine Anwendung führt nicht zu einem Ergebnis, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutsches Rechts offensichtlich unvereinbar ist (Art. 6 EGBGB; ebenso OLG Frankfurt, FamRZ 1992, 1182). Er regelt keine Scheidungsstrafe. Vielmehr erweitert er im Vergleich zum deutschen Recht nur den Rechtsschutz des Persönlichkeitsrechts anlässlich des Zerbrechens einer Ehe. Das ist unbedenklich. Die Beschränkung auf Verletzungen in schwerer Weise und die in Rechtsprechung und Lehre einhellig herausgestellte Abhängigkeit vom Verschulden (vgl. die Nachweise auf S. 12 des Gutachtens des Max-Planck-Instituts für Ausländisches und Internationales Privatrecht in Hamburg vom 24.06.2002) entsprechen deutschem Rechtsverständnis.

4. Die Umstände des Falles erfüllen den Tatbestand der Vorschrift.

a) Ihre Anwendung ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Parteien, wie der Antragsteller betont, sich in ihrer Lebensweise den deutschen Verhältnissen angepasst haben. Damit werden die Persönlichkeitsrechte der Eheleute nicht weniger schutzwürdig. Wirtschaftliche Lage und soziale Stellung sind allein für die Höhe der Entschädigung von Bedeutung (unten 5 c).

b) Die Interessen der Antragsgegnerin sind in schwerer Weise verletzt worden. Der Antragsteller hat unstreitig die Ehe gebrochen; es kommt nicht darauf an, ob die Ehe auch aus diesem Grund geschieden worden ist. Eine schon vorher vorhandene Zerrüttung, welche dem Ehebruch die Schwere nehmen könnte, hat der Antragsteller nicht geltend gemacht. Die von ihm bei seiner informatorischen Anhörung (II 85) als belastend angegebene Dominanz der Eltern der Antragsgegnerin hat möglicherweise bei ihm zu einer gewissen inneren Entfremdung geführt. Von einer Zerrüttung der Ehe kann aber keine Rede sein.

Aus demselben Grund besteht kein Zweifel, dass die Antragsgegnerin den Ehebruch als eine schwere Persönlichkeitsverletzung empfunden hat. Dem widerspricht entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht, dass die Antragsgegnerin der Ehescheidung zuletzt nicht mehr entgegengetreten ist. Gerade die Schwere der Verletzung kann dazu führen, dass der verletzte Ehegatte die Fortführung der Ehe als unzumutbar empfindet. Zudem hat sich die Antragsgegnerin erst dann mit der Scheidung abgefunden, als nach der Geburt eines Kindes aus der neuen Verbindung des Antragstellers das Scheitern der Ehe auch dem gemeinsamen Sohn gegenüber nicht mehr verheimlicht werden konnte (Schriftsatz vom 27.09.1999 - 187).

c) Das Verschulden des Antragstellers liegt auf der Hand. Sein Verhalten hat zur Scheidung geführt. Die alleinige Ursache braucht es nicht zu sein (S. 13 des Gutachtens des Max-Planck-Instituts).

Die von der türkischen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortete Frage, ob leichtes Verschulden des Verletzten den Anspruch ausschließt (vgl. S. 13 -15 des Gutachtens des Max-Planck-Instituts), braucht nicht beantwortet zu werden. Die Antragsgegnerin ist an der Scheidung schuldlos. Das Verbundverfahren hat keinen Anhaltspunkt für ein Verschulden ergeben. Dass sie den Einfluss ihrer Eltern auf die Ehe der Parteien nicht bekämpft habe, wirft ihr der Antragsteller nicht vor. Die Aufnahme von Beziehungen zu einem Freund nach Scheitern der Ehe, vom Antragsgegner nur allgemein behauptet und von der Antragstellern nur pauschal eingeräumt, lässt noch kein Verschulden erkennen.

d) Ohne Bedeutung ist schließlich der vom Amtsgericht hervorgehobene Gesichtspunkt, dass die Antragsgegnerin nicht auch ihren ersten Ehemann auf Schadensersatz in Anspruch genommen hat. Hieraus können keinerlei Schlüsse auf das Scheitern der folgenden Ehe gezogen werden.

e) Dasselbe gilt, entgegen der Auffassung des Amtsgerichts, für die Tatsache, dass die Antragsgegnerin noch vor der Scheidung ihrer ersten Ehe im Jahr 1993 intime Beziehungen zum Antragsteller aufgenommen hat. Daraus kann nicht entnommen werden, sie habe das zur Scheidung führende Verhalten des Antragstellers nicht als belastend empfunden. Zudem ist unstreitig, dass sie intime Beziehungen erst Ende 1992, also mehr als ein Jahr nach der Trennung von ihrem ersten Ehemann, und damit zu einem Zeitpunkt aufgenommen hat, in dem das Scheitern der Ehe bereits feststand.

5. Angemessen ist eine Entschädigung in Höhe von 7.670 €. Dies entspricht der Art und dem Ausmaß der Verletzung, dem Verschulden des Antragstellers und der Bedeutung seines Verhaltens für die Scheidung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Falles.

Als Faktoren von besonderem Gewicht kommen in Betracht:

a) Durch den Ehebruch sind die persönlichen Interessen der Antragsgegnerin in hohem Maße verletzt worden. Die persönliche Kränkung war besonders schwer, weil der Antragsteller eine Verbindung mit der im erweiterten Familienverband lebenden Schwägerin eingegangen ist.

Das Verschulden des Antragstellers wird durch die von ihm geltend gemachte Dominanz seiner Schwiegereltern nur unwesentlich gemindert. Es war auch die wesentliche Ursache der Scheidung.

b) Dagegen verleiht die von der Antragsgegnerin hervorgehobene Einigkeit der Parteien anlässlich der Eheschließung, "in ehelicher Beziehung für die beiden Kinder lebenslang zur Verfügung zu stehen und eine Familie zu bilden" (S. 5 der Berufungsbegründungsschrift - II 9), dem Fall auch nach deutschen Moralvorstellungen kein besonderes, eine hohe Entschädigung forderndes Gepräge (vgl. § 1343 Abs. 1, Satz 2 BGB).

c) Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien rechtfertigen eine Entschädigung in der verlangten Höhe von 15.000 DM. Maßgeblich sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung am ... 2000, weil der Anspruch mit der Scheidung entsteht.

Schon zu diesem Zeitpunkt lebte der Antragsteller mit einem Nettoeinkommen von rd. 3.500 DM in durchschnittlichen und die Antragsgegnerin mit einem Monatseinkommen von rd. 1.900 DM in bescheidenen Verhältnissen. Durch die Zahlung wird der Antragsteller nicht übermäßig belastet. Er hatte zwar, wie auch die Antragsgegnerin, kein Vermögen. Den Geldbetrag hätte er voraussichtlich, unmittelbar oder mit Hilfe eines Darlehens, aus seinen Einkünften als Arbeitnehmer aufbringen müssen. Das hätte ihn aber nicht übermäßig belastet. Er hatte nämlich von seinem Einkommen nur seinen Sohn aus der Ehe mit der Antragsgegnerin und das Kind aus seiner neuen Verbindung zu unterhalten. Von der Unterhaltslast gegenüber der Antragsgegnerin war und ist er frei, weil diese, neben der Pflege und Erziehung des Kindes, weiterhin erwerbstätig ist. Laufende Verbindlichkeiten bestanden damals nur gegenüber der ...-Bank für ein Darlehen von damals rd. 11.000 DM in Höhe von monatlich 419 DM (II 311, 315); weitere Schulden sind in den Schriftsätzen vom 10.09.2002 und 18.10.2002 (II 195, 301) nicht näher dargetan.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 93 a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 ZPO.

a) § 93 a ZPO ist anwendbar, weil der Rechtsstreit eine Folgesache betrifft.

Dass der Ersatzanspruch nach § 143 Abs. 2 Türkisches ZGB a.F. nicht in § 623 ZPO genannt ist, schadet nicht. Folgesachen sind auch solche für den Fall der Scheidung zu regelnde Rechtsstreitigkeiten, die nur das anzuwendende ausländische Recht kennt (Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., § 623 Rn 6 m.w.N.).

b) Für die erste Instanz verbleibt es bei der Regelung des § 93 a Abs. 1 Satz 1 ZPO. Hiernach sind die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufzuheben.

c) Eine solche im Falle erfolgreicher Berufung grundsätzlich ebenfalls gebotene Maßnahme wäre hier jedoch unbillig. Denn der Antragsteller ist in der vorliegenden Folgesache, die allein Gegenstand der Berufungsinstanz ist, ganz unterlegen (§ 93 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO). Zwar fällt das Klagebegehren nicht unter die dort aufgezählten Folgesachen (durch Verwandtschaft und Ehe begründete gesetzliche Unterhaltspflicht sowie Ansprüche aus dem ehelichen Güterrecht). Das Verfahren unterliegt jedoch, weil es sich um einen schuldrechtsähnlichen Anspruch handelt, ebenfalls unmittelbar den Regeln der ZPO. An deren kostenrechtlichen, an das Obsiegen und Unterliegen gebundenen Bestimmungen knüpft § 93 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO an. Das rechtfertigt die Analogie.

7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

8. Die Zulassung der Revision ist nicht angebracht.

Ende der Entscheidung

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