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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 30.03.2004
Aktenzeichen: 21 U 9/03
Rechtsgebiete: InsO, BGB


Vorschriften:

InsO § 143 Abs. 1 S. 2
BGB § 819 Abs. 1
BGB § 818 Abs. 4
BGB § 291
BGB § 288 Abs. 1 S. 2
BGB § 292
BGB § 987
1. Ist als insolvenzrechtlicher Rückgewähranspruch die Zahlung einer Geldsumme geschuldet, so hat der Anfechtungsgegner gemäß §§ 143 Abs. 1 S. 2 InsO, 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB auf den zurückzugewährenden Betrag Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz zu zahlen. Es kommt hierfür nicht darauf an, ob er tatsächlich Nutzungen in dieser Höhe gezogen hat oder hätte ziehen können.

2. Zinsen, Herausgabe gezogener Nutzungen und Ersatz für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen schuldet der Anfechtungsgegner erst ab Entstehung des Rückgewähranspruch mit Insolvenzeröffnung.

3. Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch ist von vornherein der Einzelzwangsvollstreckung durch Insolvenzgläubiger entzogen.


Oberlandesgericht Karlsruhe 21. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 21 U 9/03

Verkündet am 30. März 2004

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hat der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe im schriftlichen Verfahren nach dem Sach- und Streitstand vom 9. Februar 2004 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Lotz Richter am Oberlandesgericht Doderer Richter am Oberlandesgericht Dr. Guttenberg

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 18. Juni 2003 - Aktenzeichen 2 O 657/02 - abgeändert:

Die Beklagte wird unter gleichzeitiger Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an den Kläger 428.483,06 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von

3,80 % p. a. vom 30. April 2002 bis 3. April 2003, 2,42 % p. a. vom 4. April 2003 bis 3. Juli 2003, 2,12 % p. a. vom 4. Juli 2003 bis 3. September 2003 sowie 2,07 % p. a. seit 4. September 2003 zu zahlen.

2. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

3. Die Anschlussberufung der Beklagten wird als unzulässig verworfen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 13 % und die Beklagte zu 87 %. Die Kosten der Berufungsinstanz tragen der Kläger zu 12 % und die Beklagte zu 88 %.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann von beiden Parteien durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteiles gegen sie vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

6. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der K. GmbH & Co. KG (nachfolgend K.). Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Nutzungsherausgabe oder Verzinsung für einen gem. § 143 InsO von der Beklagten an den Kläger zurückgewährten Betrag von 9.936.510,48 DM.

Die Beklagte führte für die K. das Girokonto Nr. 520306, für welches ein Kreditrahmen von 10 Mio. DM eingeräumt war. Dieses befand sich am 28.01.2000 mit 9.928.350,02 DM (AH I, B 18) im Soll. Durch Gutschriften wurde in der Folgezeit bis zum Kontoschluss am 16.02.2000 der Debit erheblich verringert. Beide Seiten gehen insoweit von einer Rückführung des von der Beklagten der K. gewährten Kontokorrentkredits (einschließlich einer weiteren Belastung bei Kontoabschluss, vgl. AH I, B 18) um insgesamt 9.936.510,48 DM aus (Anlage zum Schreiben der Beklagten vom 02.09.2002, AH I, K 4; Schreiben des Klägers vom 08.08.2001, AH I, B 18).

Am 14.02.2000 erging Pfändungsbeschluss des Amtsgerichts M., wonach in Vollzug eines dinglichen Arrestes der Staatsanwaltschaft M. über 1,7083 Milliarden DM sämtliche bestehenden und künftigen Forderungen der K. aus allen vorhandenen Geschäftsverbindungen mit der Beklagten, insbesondere aus dem Konto Nr. 520306, gepfändet wurden (AH I, B 14). Am 16.02.2000 erging ein Arrest- und Pfändungsbeschluss des Landgerichts K. zugunsten der Stadtsparkasse D.; in Vollziehung des dinglichen Arrestes in Höhe von 2.132.912,80 DM wurde der angebliche Anspruch der K. gegen die Beklagte auf Auszahlung eines Kontokorrentguthabens gepfändet (AH I, B 15). Beide Beschlüsse wurden der Beklagten am 17.02.2000 zugestellt. Die Freigabe durch die Staatsanwaltschaft M. erfolgte mit Schreiben vom 25.10.2002 (AH I, B 16), mit Beschluss des Landgerichts M. vom 01.02.2002 (AH I, B 17) wurde die Pfändung vom 14.02.2000 aufgehoben. Die Freigabe durch die Stadtsparkasse D. erfolgte mit Schreiben vom 12.03.2002 (AH I, B 19).

Am 28.02.2000 wurde Insolvenzantrag über das Vermögen der K. gestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am 01.06.2000 eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Mit Schreiben vom 08.08.2001 (AH I, B 18) forderte der Kläger den Betrag von 9.936.510,48 DM, um welchen die Kontoverbindlichkeit der K. bei der Beklagten verringert worden war, als inkongruente Deckung gem. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO zurück. Am 03.04.2002 zahlte die Beklagte diesen Betrag.

Mit Schreiben vom 18.04.2002 (AH I, K 1) forderte der Kläger von der Beklagten Rechnungslegung über die im Zeitraum zwischen 17.02.2000 und 03.04.2002 aus dem zurückgewährten Betrag gezogenen Nutzungen sowie Zahlung des entsprechenden Betrages und setzte hierfür Frist bis 30.04.2002. Die Beklagte gab die gezogenen Nutzungen mit Schreiben vom 02.09.2002 mit 445.931,50 EUR an, da nur Tageszinsen in Höhe von durchschnittlich von 4,125 %, erwirtschaftet worden seien (AH I, K 4). Diesen Betrag zahlte sie nach weiterer Korrespondenz am 04.11.2002 an den Kläger.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte schulde aus dem Betrag von 9.936.510,48 DM für den Zeitraum vom 17.02.2000 bis zur Rückgewähr im Wege der Insolvenzanfechtung am 03.04.2002 Ersatz für gezogene Nutzungen i.H.v. 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. §§ 143 Abs. 1 S. 2 InsO, 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 Abs. 2, 987 Abs. 1 BGB. Die Beklagte habe im fraglichen Zeitraum mit dem ihr zur Verfügung stehenden Kapital einen entsprechenden Zins erwirtschaftet bzw. erwirtschaften können. In dieser Höhe sei ein durchschnittlicher Wiederanlagezins der beklagten Bank gem. § 287 ZPO zu schätzen. Abzüglich des als Nutzungsherausgabe bereits gezahlten Betrages ergebe sich hieraus ein noch geschuldeter Betrag von 492.644,86 EUR.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 492.644,86 EUR nebst 8 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 30.04.2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe aus dem Betrag lediglich durchschnittlich 4,125 % Zinsen erwirtschaftet. Sie habe das Geld zur jederzeitigen Verfügung bereit gehalten, und zwar im Hinblick auf die erfolgten Pfändungen und im Hinblick auf die Insolvenzverfahren. Für täglich zur Verfügung bereit zu haltendes Geld habe sie bei ihrer Zentralbank, der D. Bank AG, lediglich durchschnittliche Zinsen von 4,125 % erhalten. Darüber hinausgehenden wirtschaftlichen Nutzen habe sie aus dem Betrag nicht gezogen und auch nicht ziehen können. Schon im Hinblick auf die ihr zugestellten Pfändungsbeschlüsse habe sie mit dem Geld nicht zur Erzielung eines höheren Zinses wirtschaften können. Es habe von ihr nicht zur Anlage am Kapitalmarkt genutzt werden können. Das Landgericht hat nach Vernehmung des Zeugen B. (I/77) die Klage abgewiesen, weil auf Grund der Zeugenaussage feststehe, dass die Beklagte Nutzungen lediglich i.H.v. durchschnittlich 4,125 % erwirtschaftet habe. Sie habe es auch nicht entgegen den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft unterlassen, höhere Zinsen zu erwirtschaften.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Parteivortrag, zu den in erster Instanz getroffenen tatsächlichen Feststellungen und zum Inhalt der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 29.10.2003 Anschlussberufung eingelegt und Widerklage erhoben.

Der Kläger trägt weiterhin vor, die Beklagte habe aus dem fraglichen Betrag Nutzungen (Zinsgewinne) i.H.v. 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz erwirtschaftet oder jedenfalls erwirtschaften können. Hierfür spreche eine Vermutung (§ 287 Abs. 2 ZPO). Die Aussage des Zeugen B., wonach der fragliche Betrag im Rahmen des Verrechnungskontos der Beklagten bei der D. Bank AG vorgehalten worden sei, könne nicht richtig sein. Nicht nachvollziehbar sei, dass dieser Vorgang in keiner Weise dokumentiert worden sei. Unzutreffend sei die Angabe des Zeugen B., die Beklagte habe entsprechende Rückstellungen gebildet. Die im Jahresabschluss der Beklagten für das Jahr 2000 ausgewiesenen Rückstellungen könnten den hier maßgeblichen Betrag gar nicht umfasst haben. Nachdem aus den im Berufungsverfahren von der Beklagten vorgelegten Unterlagen ersichtlich ist, dass das Verrechnungskonto der Beklagten bei der D. Bank AG teilweise nicht einmal den Gegenwert des Rückgewähranspruchs des Klägers umfasste, sei widerlegt, dass der Betrag dort "angelegt" oder vorgehalten worden sei. Auf dem von der Beklagten bei der Deutschen Bundesbank unterhaltenen Konto könne der fragliche Betrag weder ganz noch teilweise zur Rückzahlung vorgehalten worden sein, da davon auszugehen sei, dass dort jeweils lediglich die gesetzliche Mindestreserve eingelegt gewesen sei. Der geltend gemachte Anspruch folge außerdem schon aus dem über § 143 Abs. 1 S. 2 InsO anwendbaren § 291 BGB (II/191). Die erfolgten Kontenpfändungen stünden dem Anspruch des Klägers nicht entgegen, da diese sich nur gegen die K. richteten, ein pfändbarer positiver Saldo nicht bestanden habe, eine Pfändung der kontokorrentgebundenen Einzelforderungen nicht möglich gewesen sei und die Pfändungen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam geworden seien. Obwohl der Rückgewähranspruch des Klägers erst mit Insolvenzeröffnung entstanden sei, seien nach Sinn und Zweck des § 143 InsO Nutzungsherausgabe, Wertersatz für nicht gezogene Nutzungen und Zinsen auch für den davor liegenden Zeitraum geschuldet.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des am 18.06.2003 verkündeten Urteils des Landgerichts Karlsruhe, Az. 2 O 657/02, zu verurteilen, an den Kläger 492.644,86 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 30.04.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Wege der Anschlussberufung und Widerklage beantragt die Beklagte,

den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte 51.689,57 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Kläger beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil. Sie habe aus dem maßgeblichen Betrag lediglich Nutzungen i.H.v. durchschnittlich 4,125 % erwirtschaftet. Sie habe den Betrag als Tagesgeld zur täglichen Rückzahlung auf ihrem Verrechnungskonto bei der D. Bank AG vorgehalten. Der Mittelzufluss habe nicht zu einem Anstieg bei den Forderungen der Beklagten an Kunden und Kreditinstitute (II/303) oder zu einer Verminderung der Verbindlichkeiten der Beklagten gegenüber Kunden und Kreditinstituten (II/309) geführt. Den ihm obliegenden Beweis, dass weiter gehende Nutzungen gezogen wurden, habe der Kläger nicht erbracht. Zutreffend sei das Landgericht den Angaben des Zeugen B. gefolgt. Der Vortrag des Klägers zu den Bilanzen der Beklagten sei verspätet. Die Rückstellung in der Bilanz 2000 habe den an den Kläger zurückzugewährenden Betrag umfasst (II/131, II/155). Die Beklagte legt den Kontoverlauf ihres Verrechnungskontos bei der D. Bank AG im Zeitraum vom 29.02.2000 bis 31.05.2000 dar (II/135, II 163). Die Forderung von ca. 9,9 Mio. DM sei fast durchgängig allein auf diesem Verrechnungskonto vorgehalten worden. Soweit der Betrag unterschritten wurde, sei die Forderung dennoch im Rahmen der gesamten liquiden Mittel der Beklagten vorgehalten worden, da das Konto der Beklagten bei der Deutschen Bundesbank - Landeszentralbank K. - ausreichende weitere Deckung aufgewiesen habe (II/137 ff., II 165). Die Beklagte sei wegen der erfolgten Pfändungen nicht in Verzug gewesen. Sie seien wirksam gewesen und hätten bis zur Aufhebung - auch über die Insolvenzeröffnung hinaus - zur öffentlich-rechtlichen Verstrickung hinsichtlich sämtlicher vermögensrechtlicher Ansprüche aus der bankmäßigen Geschäftsbeziehung geführt, somit auch die Ansprüche des Klägers erfasst. Da dem Kläger für den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung keinerlei Ansprüche auf Nutzungsherausgabe oder Zinsen zustünden (II/277 ff.), müsse er die bereits erfolgte Zahlung, soweit sie auf diesen Zeitraum entfalle, somit 51.689,57 EUR, zurückerstatten.

Ein gesetzlicher Zinssatz sei von der Beklagten nicht geschuldet (II/289 ff.). Die Beklagte habe auch durch eine - nicht erfolgte und auch nicht gebotene - Anlage des Betrages als Zwölfmonatsgeld lediglich durchschnittlich 0,2 % - Punkte zusätzlich erwirtschaften können (II/311 ff.). Sie habe aus der Gesamtsumme ihrer bilanziellen Aktivposten lediglich Zinserträge unterhalb des geltend gemachten Betrages von 5 % über Basiszinssatz erwirtschaftet (II/317 ff.).

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vortrag der Parteien wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

1. Die zulässige Berufung des Klägers ist überwiegend begründet.

a) Für die Zeit ab Insolvenzeröffnung am 01.06.2000 bis zur Rückgewähr des Betrages von 9.936.510,48 DM gem. §§ 131 Abs. 1 Nr. 1, 143 InsO am 03.04.2002 schuldet die Beklagte eine Verzinsung mit 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz. Hieraus ergibt sich abzüglich bereits erfolgter Zahlungen noch ein Anspruch in Höhe von 428.483,06 EUR.

aa) Der Anspruch folgt, ohne dass es auf die Höhe der von der Beklagten tatsächlich gezogenen oder schuldhaft nicht gezogenen Nutzungen ankommt, schon aus §§ 143 Abs. 1 S. 2 InsO, 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB. Nach diesen Vorschriften schuldet der Anfechtungsgegner, sofern der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch auf eine Geldsumme geht, ab dem Zeitpunkt seiner Entstehung Prozesszinsen in gesetzlicher Höhe (FK-InsO/Dauernheim, 3. Aufl., § 143 Rn. 24). Dass hierdurch insbesondere dann, wenn ohne Verschulden des Anfechtungsgegners ein längerer Zeitraum zwischen Insolvenzeröffnung und Rückgewähr verstreicht, Härten entstehen können, ist nicht zu übersehen. Angesichts der eindeutigen und klaren Verweisung in § 143 Abs. 1 S. 2 InsO ist nach Überzeugung des Senats aber kein Raum für Einschränkungen unter Hinweis auf Sinn und Zweck der Insolvenzanfechtung, wie diese von Beklagtenseite insbesondere im Schriftsatz vom 09.02.2004 vorgetragen werden. Grenze der Gesetzesauslegung ist hier - wie allgemein - der eindeutige Wortlaut der anwendbaren Vorschriften. Allenfalls in Extremfällen können sich Einschränkungen aus § 242 BGB (Rechtsmissbrauch, Verwirkung) ergeben (hierzu unten).

Ältere Rechtsprechung und Literatur, die lediglich eine Verzinsung von 4 % angenommen hatte (OLG Brandenburg, ZIP 1999, 1015; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 37 KO Anm. 3), stammt aus der Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.03.2000, mit welchem der Zinssatz für Verzugs- und Prozesszinsen auf 5 % über dem Basiszinssatz erhöht wurde. Im vorliegenden Fall ist § 288 Abs. 1 BGB in der seit 01.05.2000 geltenden Neufassung anzuwenden, da die Forderung des Klägers erst mit Insolvenzeröffnung und somit nach dem 30.04.2000 fällig wurde (Art. 229 § 1 Abs. 1 EGBGB). Der nicht näher begründeten Ansicht von Kirchhof (in MünchKommInsO-Kirchhof, § 143 Rn. 63), es sei weiterhin lediglich gem. § 246 BGB ein Zinssatz von 4 % geschuldet, vermag der Senat nicht zu folgen. § 246 BGB gilt ausdrücklich nur, "sofern nicht ein anderes bestimmt ist".

bb) Es lag hier ein auf Geld gerichteter Rückgewähranspruch vor, so dass § 291 ZPO zur Anwendung kommt. Gem. § 131 Nr. 1 InsO anfechtbar war vorliegend die Einstellung und Verrechnung der als Überweisung zugunsten der K. bei der Beklagten eingegangenen Deckung als Gutschrift im Kontokorrent, welche zunächst zur Kontokorrentbindung und später zur Saldierung führte. Hierdurch erlangte die Beklagte eine Rückführung des von ihr gewährten Kontokorrentkredits, auf welche sie zu diesem Zeitpunkt keinen Anspruch hatte. Dem Kläger stand ein Auszahlungsanspruch in Höhe der bei der Beklagten eingegangenen Deckung (Anspruch auf Herausgabe gem. §§ 667, 675, 676 g BGB, vgl. BGH, NJW-RR 2001, 127, 128) gegen die Beklagte zu, der infolge der insolvenzrechtlichen Anfechtung nicht kontokorrentgebunden und nicht durch Gutschrift auf das Konto der Insolvenzschuldnerin erfüllbar war.

cc) Die zuvor erfolgte Pfändung von Ansprüchen der Insolvenzschuldnerin gegen die Beklagte steht dem Anspruch auf Prozesszinsen nicht entgegen. Zwar sind solche nur geschuldet, wenn ein Anspruch fällig und durchsetzbar ist (Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 291 Rn. 5). Auch entfiel allein durch die Tatsache der Insolvenzeröffnung trotz § 88 InsO nicht die durch eine Pfändung bewirkte Beschlagnahme als öffentlich-rechtliche Verstrickung (vgl. Eickmann in HK-InsO, 3. Aufl., § 88 Rn. 12 und § 89 Rn. 5; MünchKommInsO-Breuer, § 88 Rn. 22) mit der sich aus § 829 Abs. 1 ZPO ergebenden Rechtsfolge. Die ausgebrachten Forderungspfändungen erfassten aber den mit und deshalb "nach" der Insolvenzeröffnung originär entstandenen (BGHZ 113, 98, 105) anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch des Klägers nicht, so dass die Beklagte durch die Pfändungen nicht an dessen Erfüllung gehindert war.

Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch ist nicht identisch mit den schon zuvor der Insolvenzschuldnerin zustehenden Einzelansprüchen aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung. Auch wenn die Pfändung hinsichtlich solcher Einzelansprüche eine über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinaus wirksame Beschlagnahme bewirkt haben sollte, hatte dies keine Auswirkungen für den hier geltend gemachten Anspruch gem. § 143 InsO.

Auch wenn man annimmt, dass insbesondere der Pfändungsbeschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 14.02.2000 (AH I, B 14) nach seinem Inhalt auch den der Insolvenzmasse zustehenden (MünchKommInsO-Kirchhof, § 143 Rn. 4) Rückgewähranspruch als "künftige Forderung" aus der "Geschäftsverbindung" ergreifen sollte, konnte er hinsichtlich dieses Anspruchs von vornherein weder eine Beschlagnahme noch das Entstehen eines Pfändungspfandrechtes bewirken. Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch gem. § 143 InsO ist von vornherein der Einzelzwangsvollstreckung durch Insolvenzgläubiger entzogen. Dieser Anspruch entsteht nur im Fall der Insolvenzeröffnung, kann nur durch den Insolvenzverwalter (bzw. Sachwalter, § 280 InsO, Gläubiger oder Treuhänder, § 313 InsO) für die Masse (Landfermann in HK-InsO, § 313 Rn. 8) geltend gemacht werden, erlischt mit dem Ende des Insolvenzverfahrens (Kreft in HK-InsO, § 129 Rn. 82) und dient der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (MünchKommInsO-Kirchhof, vor § 129 Rn. 1 f.). Es würde Sinn und Zweck der Insolvenzanfechtung widersprechen, wenn dieser allein der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung dienende insolvenzrechtliche Anspruch der Einzelzwangsvollstreckung eines Insolvenzgläubigers zugänglich wäre.

dd) Dem Anspruch auf Prozesszinsen steht auch nicht entgegen, dass der Kläger seinen Rückgewähranspruch erst mit Schreiben vom 08.08.2001 geltend gemacht hat. Die Insolvenzanfechtung ist keine Gestaltungserklärung. Der Rückgewähranspruch entsteht ohne weiteres mit Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 129 ff. InsO im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung (BGH, NJW 1997, 1857, 1859).

ee) Es sind keine Umstände ersichtlich oder dargetan, die eine Beschränkung der vom Kläger geltend gemachten Rechte unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB rechtfertigen würden. Insbesondere genügt der bloße Zeitablauf zwischen Insolvenzeröffnung und Geltendmachung der Insolvenzanfechtung nicht, um den Tatbestand der Verwirkung zu begründen.

ff) Die Höhe der geschuldeten Zinsen ergibt sich aus §§ 291, 288 BGB (in der Fassung vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes) in Verbindung mit Art. 229 § 7 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB. Damit ist bis 31.12.2001 der Basiszinssatz nach § 1 Diskontsatz-Überleitungsgesetz, ab 01.01.2002 der Basiszinssatz maßgeblich. Für den maßgeblichen Zeitraum berechnen sich somit die ursprünglich geschuldeten Zinsen wie folgt:

 VonBisZinstageZinssatzBetrag
01.06.200031.08.2000908,42%106.943,62 EUR
01.09.200031.08.20013609,26%470.450,33 EUR
01.09.200131.12.20011208,62%145.978,47 EUR
01.01.200203.04.2002937,57%99.352,57 EUR
    822.724,99 EUR

Hiervon abzuziehen sind die von Beklagtenseite gemäß der Aufstellung in Anlage K 4 auf denselben Zeitraum bereits gezahlten Zinsen von 394.241,93 EUR. Es verbleibt ein Anspruch von 428.483,06 EUR.

b) Für die vor Insolvenzeröffnung liegende Zeit schuldet die Beklagte weder Verzinsung des gem. § 143 InsO zurückzugewährenden Betrages noch die Herausgabe von Nutzungen oder Ersatz für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen. Insoweit bleibt die Berufung des Klägers erfolglos.

Der Anspruch auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen beruht ebenso wie die Ansprüche auf Herausgabe gezogener Nutzungen und auf Ersatz für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen auf § 143 Abs. 1 S. 2 InsO, welcher auf die §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291 bzw. 292, 987 BGB verweist. Diese Vorschriften setzen jeweils einen bestehenden Herausgabeanspruch voraus, so dass die Verzinsung, Pflicht zur Nutzungsherausgabe usw. erst mit Entstehung des primären Herausgabeanspruchs einsetzt (Palandt/Heinrichs, § 291 Rn. 5; Palandt/Sprau, § 819 Rn. 6; Palandt/Bassenge, vor § 987 Rn. 3, 10, § 987 Rn. 1). Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch entsteht aber originär erst mit und deshalb "nach" der Insolvenzeröffnung (BGHZ 113, 98, 105; Kreft in HK-InsO, § 129 Rn. 79). Für die davor liegende Zeit bestehen somit mangels eines in diesem Zeitraum bestehenden Hauptanspruches gem. § 143 Abs. 1 S. 1 InsO auch keine Nebenansprüche gem. § 143 Abs. 1 S. 2 InsO.

Die hiergegen gerichteten Einwände der Klägerseite überzeugen nicht. Der Kläger kann sich zwar auf die Kommentierung von Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 37 KO Anm. 3 stützen. Die dortige, nicht näher begründete Ansicht, der Rückgewähranspruch umfasse Zinsen in gesetzlicher Höhe schon von der Weggabe an, ist aber nicht überzeugend. Die Verzinsung eines Anspruchs für den Zeitraum vor seiner Entstehung ist systemwidrig. Ohne Erfolg beruft sich die Klägerseite auch auf den Wortlaut des § 819 Abs. 1 BGB (Schriftsatz vom 03.11.2003). Zwar ordnet § 819 Abs. 1 BGB bei anfänglicher Bösgläubigkeit die verschärfte Haftung ab Empfang der Leistung an. Dies gilt aber nach zutreffender Ansicht (Palandt/Sprau, § 819 Rn. 6) nur, wenn der Bereicherungsanspruch schon ab Empfang besteht; andernfalls tritt die verschärfe Haftung erst mit Entstehen des Bereicherungsanspruchs ein.

Das vom Klägervertreter vorgebrachte Argument, der Anfechtungsgegner habe kein berechtigtes Interesse, vor Insolvenzeröffnung gezogene Nutzungen zu Lasten der Gläubigergesamtheit behalten zu dürfen (II/189), ist dagegen hinsichtlich tatsächlich gezogener Nutzungen nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Denn dem Anfechtungsrecht liegt der Gedanke zu Grunde, dass der Anfechtungsgegner alles zur Masse zurückgewähren muss, was dem Vermögen des Insolvenzschuldners durch die anfechtbare Rechtshandlung entzogen worden ist (Kreft in HK-InsO, § 143 Rn. 1; MüchKommInsO-Kirchhof, § 143 Rn. 1). Indessen ist, nachdem der Gesetzgeber in § 143 Abs. 1 S. 2 InsO die Ansprüche auf Wertersatz, Nutzungsherausgabe usw. ausdrücklich - durch Verweisung - geregelt hat, insoweit ein Rückgriff auf den dem Anfechtungsrecht zu Grunde liegenden allgemeinen Rechtsgedanken weder erforderlich noch zulässig. Die gesetzliche Regelung geht teilweise zu Gunsten der Masse über das auf Grund dieses Rechtsgedankens gebotene Maß hinaus, weil die Herausgabe von Nutzungen usw. nicht mehr davon abhängig ist, ob diese auch vom Insolvenzschuldner gezogen worden wären (m. w. Nachw. Kreft in HK-InsO, § 143 Rn. 18; zur früheren Rechtslage Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 37 KO Anm. 3). Bezüglich Wertersatz bei Unmöglichkeit der Rückgewähr ist dagegen die in § 143 Abs. 1 S. 2 InsO kraft Verweisung getroffene Regelung für den Anfechtungsgegner günstiger als die auf dem Rechtsgedanken des Anfechtungsrechtes basierende h. M. zu § 37 KO, da bei § 143 InsO Wertersatz als Schadensersatz nur bei Verschulden zu leisten ist (Kreft in HK-InsO, § 143 Rn. 20). Dass die in § 143 InsO getroffene differenzierte gesetzliche Regelung keinen Raum für einen Rückgriff auf den der Anfechtung zu Grunde liegenden Rechtsgedanken lässt, muss in gleicher Weise auch für die Frage gelten, ab welchem Zeitpunkt Zinsen, Herausgabe von Nutzungen usw. geschuldet sind.

c) Zinsen auf die Hauptforderung des vorliegenden Verfahrens waren lediglich in Höhe des der Masse entgangenen Wiederanlagezinses als Verzugsschaden gem. § 286 Abs. 1 BGB (i.d.F. vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, Art. 229 § 5 EGBGB) zuzusprechen.

aa) Soweit in der Hauptsache lediglich Rechtshängigkeitszinsen gem. § 291 BGB zuzusprechen sind, kann der Kläger keinen weiteren Verzugszins verlangen (Zinseszinsverbot, §§ 291, 289 BGB). Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe wären zwar geschuldet, wenn der Klage in der Hauptsache auch unter dem Gesichtspunkt der Herausgabe tatsächlich gezogener Nutzungen gem. §§ 143 Abs. 1 S. 2 InsO, 819 Abs. 2, 818 Abs. 4, 292, 987 BGB stattgegeben würde. Dies würde aber, da das Landgericht nach Beweisaufnahme festgestellt hat, dass die Beklagte Nutzungen in der vom Kläger behaupteten Höhe weder gezogen noch schuldhaft nicht gezogen hat, die Wiederholung und Erweiterung der Beweisaufnahme zu dieser Frage voraussetzen. Auf eine solche Beweisaufnahme allein zu dem Zweck, die eingeklagte Nebenforderung über den zuerkannten Umfang hinaus zu stützen, hat die Klägerseite aber in der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2003 ausdrücklich verzichtet (II/235).

bb) Die Beklagte hat einen Verzugsschaden der Masse in Höhe des entgangenen Wiederanlagezinses gem. § 286 Abs. 1 BGB a. F. zu ersetzen. Mit der Mahnung vom 18.04.2002 (AH I, K 1), die ohne weiteres mit der Aufforderung zur Rechnungslegung und Zahlungsaufforderung verbunden werden konnte, kam die Beklagte in Verzug. Als Verzugsschaden kann der Kläger den Zinsertrag, welchen er bei rechtzeitiger Zahlung durch Wiederanlage erzielt hätte, geltend machen. Dessen Höhe schätzt der Senat auf der Grundlage der vorgelegten Bankbescheinigung vom 17.10.2003 (II/199) gem. § 287 Abs. 2 ZPO.

2. Die zum Zwecke der Wiederklageerhebung eingelegte Anschlussberufung der Beklagten ist unzulässig.

Auch die Anschlussberufung allein zum Zwecke der Erhebung einer Widerklage folgt den Regeln über die Anschlussberufung (vgl. Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 524 Rn. 39). Aus § 533 ZPO folgt nichts anderes, denn diese Vorschrift statuiert lediglich weitere Einschränkungen für Klageänderung, Aufrechnungserklärung und Widerklage, befreit aber nicht von sonstigen Voraussetzungen.

Nach § 524 Abs. 2 ZPO ist die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zulässig. Diese Frist hat die Beklagte nicht eingehalten.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wurde gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen. Die aufgeworfenen Fragen zur Anwendbarkeit des § 291 BGB auf den insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruch, zu den Auswirkungen einer zuvor erfolgten umfassenden Forderungspfändung und zur Verzinsung und Nutzungsherausgabe für die Zeit vor Insolvenzeröffnung sind von grundsätzlicher Bedeutung, da sie - soweit ersichtlich - bisher höchstrichterlich nicht geklärt sind und auch künftig in unbestimmt vielen Fällen erneut von Bedeutung sein können.

Ende der Entscheidung

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