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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 15.02.2000
Aktenzeichen: 3 REMiet 1/99
Rechtsgebiete: BGB, AGB-Gesetz, ZPO


Vorschriften:

BGB § 535
AGB-Gesetz § 3
AGB-Gesetz § 9 Abs. 1
AGB-Gesetz § 11 Nr. 5 b
ZPO § 541

Entscheidung wurde am 28.06.2004 korrigiert: Orientierungssatz in die richtige Reihenfolge gesetzt
Folgende Klausel eines vom Vermieter verwendeten Formularmietvertrages ist - wenn nicht besondere Umstände vorliegen - für den Mieter im Sinn des § 3 AGB Gesetz überraschend und damit nicht Vertragsbestandteil.

"Sollte das Mietverhältnis auf Wunsch des Mieters vor Ablauf der Vertragszeit bzw. der gesetzlichen Fristen einverständlich beendet werden, zahlt der Mieter als pauschale Abgeltung der Kosten der vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses an den Vermieter den Betrag der zuletzt vereinbarten Kaltmiete für einen Monat".

Wenn die Klausel Vertragsbestandteil geworden wäre, wäre sie gemäß § 9 Abs. 1 AGB-Gesetz unwirksam, da sie dem Mieter konkludent den Nachweis abschneidet, daß dem Vermieter infolge der vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses Kosten überhaupt nicht oder nur in geringerer Höhe entstanden sind.


3 REMiet 1/99 3 S 11/99 LG Bad. 1 C 224/98 AG Achern

OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 3. Zivilsenat

Karlsruhe, den 15. Februar 2000

In Sachen

wegen Schadensersatzes

Beschluß

Ein Rechtsentscheid ergeht nicht.

Gründe:

Die Klägerin vermietete den Beklagten mit schriftlichem Mietvertrag vom April 1992 ihr Einfamilienhaus in A ab 01.05.1992 auf unbestimmte Zeit zu einem monatlichen Kaltmietzins von 1.300 DM. § 4 Nr. 5 des von der Klägerin verwendeten, von den Parteien unterzeichneten Formularmietvertrages lautet wie folgt:

"Sollte das Mietverhältnis auf Wunsch des Mieters vor Ablauf der Vertragszeit bzw. der gesetzlichen Fristen einverständlich beendet werden, zahlt der Mieter als pauschale Abgeltung der Kosten der vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses an den Vermieter den Betrag der zuletzt vereinbarten Kaltmiete für einen Monat".

Auf Wunsch der Beklagten wurde das Mietverhältnis vor Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 31.01.1998 einvernehmlich beendet. Fristgemäß erfolgte daraufhin die Wohnungsübergabe an die Klägerin am 31.01.1998.

Die Klägerin verlangt von den Beklagten nunmehr u. a. pauschalen Ersatz der Kosten der vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses gemäß § 4 Nr. 5 des Mietvertrages in Höhe von 1.300 DM.

Das Amtsgericht hat dieses Begehren in voller Höhe für begründet erachtet. Insgesamt hat es die Beklagten wegen dieser und weiterer Klagepositionen unter Verrechnung eines unstreitigen Kautionsguthabens der Beklagten (4.396,91 DM) zur Zahlung von 1.976,82 DM verurteilt. Gegen dieses Urteil haben die Beklagten form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie sich u. a. gegen die Zuerkennung der Anspruchsposition "Pauschalabgeltung gemäß § 4 Nr. 5 des Mietvertrages" wenden.

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz u. a. darüber, ob § 4 Nr. 5 des Mietvertrages wirksam ist. Das Landgericht hat daraufhin dem Senat folgende Rechtsfrage wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Entscheidung vorgelegt:

"Ist in einem Mietvertrag über Wohnraum folgende Formularklausel hinsichtlich der Vereinbarung einer pauschalen Unkostenabgeltung wirksam:

Sollte das Mietverhältnis auf Wunsch des Mieters vor Ablauf der Vertragszeit bzw. der gesetzlichen Fristen einverständlich beendet werden, zahlt der Mieter als pauschale Abgeltung der Kosten der vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses an den Vermieter den Betrag der zuletzt vereinbarten Kaltmiete für einen Monat?"

Das Landgericht hält die Frage der Wirksamkeit der Klausel für entscheidungserheblich und rechtsgrundsätzlich. Es selbst ist der Auffassung, daß die Klausel wirksam ist.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluß des Landgerichts vom 28.07.1999 Bezug genommen.

II.

Die Vorlage ist unzulässig, so daß ein Rechtsentscheid gemäß § 541 ZPO nicht ergehen kann.

Die vom Landgericht vorgelegte Rechtsfrage nach der Wirksamkeit von § 4 Nr. 5 des Formularmietvertrages ist nicht entscheidungserheblich, da die Klausel gemäß § 3 AGB-Gesetz schon nicht Vertragsbestandteil geworden ist.

Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen werden gemäß § 3 AGB-Gesetz nicht Vertragsbestandteil, wenn sie aus Sicht der vom Verwender als Kunden angesprochenen Verkehrskreise ungewöhnlich und für den konkreten Vertragspartner des Verwenders subjektiv auch überraschend sind (u. a. Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, B. Aufl., § 3 Rdnr. 12/14 und 13/13a). § 4 Nr. 5 des Formularmietvertrages ist aus Sicht der mit Formularmietverträgen der vorliegenden Art konfrontierten (potentiellen) Wohnungsmieter ungewöhnlich und - wenn nicht besondere Umstände vorliegen - für den einzelnen Mieter auch überraschend. Durch die Klausel werden in dem Mietvertrag für den Fall einer künftigen einvernehmlichen vorzeitigen Vertragsbeendigung Bedingungen festgelegt, die typischerweise essentieller Gegenstand der Verhandlungen sind, die einer solchen (vertragsbeendenden) Vereinbarung vorausgehen; denn bei einem auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen und damit gemäß § 565 BGB kündbaren Mietvertrag sind die Bedingungen für eine vorzeitige Vertragsbeendigung - also für eine Abkürzung der Kündigungsfristen - geradezu typischer Gegenstand der diesbezüglichen Verhandlungen. Werden aber in einem Vertrag Bedingungen für eine mögliche künftige Vereinbarung geregelt, die typischerweise essentieller Bestandteil der einer solchen Vereinbarung vorausgehenden Verhandlungen sind, ist dies für den Vertragspartner des Verwenders - wenn nicht besondere Umstände vorliegen - in hohem Maße überraschend. Besondere Umstände hat das Landgericht insoweit aber nicht festgestellt. Es ist für die Beklagten daher nachvollziehbar bedeutsam, daß im Rahmen der Gespräche über die Abkürzung der Kündigungsfrist von einer Abgeltungsforderung nichts erwähnt worden ist (! 107).

Da die streitige Klausel des Formularmietvertrages nach alledem gemäß § 3 AGB-Gesetz nicht Vertragsbestandteil geworden ist, ist die vorgelegte Rechtsfrage nicht mehr entscheidungserheblich, ob nämlich die Klausel wirksam wäre, wenn sie Vertragsbestandteil geworden wäre. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob die Wirksamkeit der Klausel eine Rechtsfrage ist, die sich "aus einem Mietvertragsverhältnis über Wohnraum ergibt" und damit gemäß § 541 ZPO vorlagefähig ist (vgl. dazu u. a. Zöller/Gummer, ZPO 21. Aufl., § 541 Rdnr. 12/13 und MünchKomm./Rimmelspacher, ZPO, 541 Rdnr. 7).

III.

Da die von den besonderen Umständen des Einzelfalls unabhängige Rechtsfrage der Wirksamkeit einer Klausel der vorliegenden Art in Anbetracht des vom Landgericht aufgezeigten Streitstandes in Rechtsprechung und Literatur grundsätzliche Bedeutung hat, sieht sich der Senat veranlaßt anzumerken, daß er dazu tendiert, daß die Klausel - wenn sie Vertragsbestandteil geworden wäre - gemäß § 9 Abs. 1 AGB-Gesetz unwirksam wäre, da sie dem Mieter den Nachweis abschneidet, daß dem Vermieter Kosten infolge der vorzeitigen Vertragsbeendigung überhaupt nicht oder nur in wesentlich geringerer Höhe entstanden sind:

Gemäß § 11 Nr. 5 b AGB-Gesetz ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Vereinbarung eines pauschalierten Anspruchs des Verwenders auf Schadensersatz unwirksam, wenn dem anderen Vertragsteil der Nachweis abgeschnitten wird, ein Schaden sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale. Diese Wertentscheidung des Gesetzes ist im Rahmen des § 9 Abs. 1 AGB-Gesetz auch in Fällen der vorliegenden Art zu berücksichtigen, in denen es nicht um die Pauschalierung eines bestehenden Schadensersatzanspruchs, sondern um die Kostenabgeltung für den Fall einvernehmlicher vorzeitiger Vertragsaufhebung geht (vgl. u. a. BGH NJW 1997, 259, 260; OLG Hamburg WuM 90, 244, 245; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., Kap. III Rdnr. 284: "erst Recht"). Der Senat tendiert entgegen der Auffassung des Landgerichts zu der Annahme, daß den Mietern durch die Klausel der in § 11 Nr. 5 b AGB-Gesetz bezeichnete Gegenbeweis konkludent abgeschnitten ist:

Auszugehen ist für die Beurteilung der Wirksamkeit im Rahmen der Inhaltskontrolle von der sogenannten "kundenfeindlichsten" - also mieterfeindlichsten - Auslegung der Klausel. Dies ergibt sich auch für den Individualprozeß aus § 5 AGB-Gesetz, wonach Zweifel bei der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen. Denn zum einen räumt die "kundenfeindlichste" Auslegung dem Kunden bei der Inhaltskontrolle auch im Individualprozeß im Ergebnis die bessere Rechtsposition gegenüber dem Verwender ein und erfüllt damit den Normzweck des § 5 AGB-Gesetz. Zum anderen führt sie dazu, daß das Prüfungsergebnis im Individualprozeß und im Verbandsprozeß (§ 13 AGB-Gesetz), bei dem das Gebot der "kundenfeindlichsten Auslegung" allgemein anerkannt ist (u.a. BGH NJW 1999, 276, 277), identisch ist (so - allerdings die Streitfrage mangels Entscheidungserheblichkeit "nicht endgültig" entscheidend - BGH NJW 1992, 1097, 1099; ebenso BGH NJW 1994, 1798, 1799).

Die "kundenfeindlichste Auslegung" zugrunde gelegt dürfte durch die Klausel aber der in § 11 Nr. 5 b AGB-Gesetz beschriebene Gegenbeweis konkludent abgeschnitten sein. Auszuscheiden sind nämlich nach der für den Verbandsprozeß entwickelten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur kundenfeindlichsten Auslegung nur die Auslegungsmöglichkeiten, die für die an solchen Geschäften typischerweise Beteiligten ernsthaft nicht in Betracht kommen (so BGHZ 91, 55, 61). Nur so wird der Zweck (der Verbandsklage nach § 13 AGB-Gesetz) erreicht, dem Verwender jede Möglichkeit zu nehmen, sich (außerprozessual) gegenüber seinen häufig rechtsunkundigen Vertragspartnern mit Erfolg auf eine nach §§ 9 - 11 AGB-Gesetz unwirksame Klauseldeutung zu berufen (BGHZ 95, 350, 353; BGHZ 100, 157, 178; BGHZ 105, 160, 167). Der Rechtsverkehr soll eben vor jeglichen Bindungen an die nach §§ 9 ff. AGB-Gesetz unwirksamen Klauselinhalte freigehalten werden, und zwar auch dann, wenn diese Klauselinhalte überhaupt nur scheinbar bestehen (BGHZ 100, 157, 178 und BGHZ 105, 160, 167).

Es spricht nach Auffassung des Senats danach aber alles dafür, daß die vorliegend streitige Klausel den in § 11 Nr. 5 b AGB-Gesetz bezeichneten Gegenbeweis konkludent ausschließt (der Fall BGH NJW 1985, 320, 321 liegt insoweit im Tatsächlichen anders, vgl. insoweit Ziffer I 2 b, cc der dortigen Entscheidungsgründe).

Obergerichtlich oder höchstrichterlich entschieden ist die Frage der Wirksamkeit der vorliegend verwendeten Klausel bisher noch nicht. Die Entscheidung des OLG Hamburg WuM 1990, 244, 245, die für den dortigen Fall einen Verstoß gegen die Wertung des § 11 Nr. 5 b AGB-Gesetz verneint hat, stellt darauf ab, daß die in der dortigen Formularklausel verwandten Begriffe "Pauschalabgeltung" und "ohne besonderen Nachweis" schon erkennbar machten, daß der Gegenbeweis nicht ausgeschlossen sei. Die bei Staudinger, 13. Aufl., § 550 a Rdnr. 10 zitierte Entscheidung BGH NJW 1978, 1053 betrifft lediglich die Frage, ob eine in einem Mietaufhebungsvertrag getroffene Vereinbarung über die Übernahme von Aufwendungen, die dem Vermieter durch die vorzeitige Vertragsbeendigung entstehen, wegen Verstoßes gegen § 9 WoBindG unwirksam ist. Die ebenfalls bei Staudinger, a.a.O., zitierte Entscheidung KG OLGZ 72, 4 ff. betrifft den anders gearteten Fall der vorzeitigen Beendigung des gewerblichen Mietvertrages über eine Fernsprechnebenstellenanlage, wenn sich der Vermieter gegenüber dem Mieter - einem ordentlichen Kaufmann - mit der vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses nur unter gleichzeitiger Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gemäß den Vertragsbedingungen einverstanden erklärt hatte; nach diesen Vertragsbedingungen sollte der Vermieter bei vorzeitiger Aufgabe der Anlage gegen den Mieter einen sofort fälligen Schadensersatzanspruch in Höhe der Hälfte der restlichen Mindestmiete haben. Die bei Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., Kapitel III, Rdnr. 284 FN 21 zitierte Entscheidung BGH MDR 85, 50 betrifft die Frage der Wirksamkeit einer Formularklausel, nach der der Pächter im Falle einer auf seinen Wunsch erfolgenden vorzeitigen Vertragsbeendigung verpflichtet sein sollte, eine Vertragsstrafe in Höhe von zwei Monatspachten und außerdem den Schaden zu ersetzen, der dem Verpächter durch die vorzeitige Vertragsbeendigung entsteht; der BGH entschied, daß das Vertragsstrafeversprechen unwirksam sei, da es keine gewichtigen Gründe gebe, den Pächter entgegen dem gesetzlichen Leitbild durch eine verschuldensunabhängige Vertragsstrafe von dem Wunsch nach vorzeitiger Vertragsbeendigung abzuhalten.

Ende der Entscheidung

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