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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 25.07.2001
Aktenzeichen: 3 Ss 159/00
Rechtsgebiete: AEntG


Vorschriften:

AEntG § 1 Abs. 1
AEntG § 1 Abs. 2 a
AEntG § 3 Abs. 2
AEntG § 5 Abs. 1 Nr. 3
1. Die in § 3 Abs. 2 AEntG enthaltene Verpflichtung eines Verleihers mit Sitz im Ausland, die Überlassung eines oder mehrerer Arbeitnehmer im Rahmen des AÜG zur Arbeitsleistung im Geltungsbereich des AEntG vor Beginn jeder Bauleistung dem für den Ort der Bauleistung zuständigen Landesarbeitsamt schriftlich anzumelden, ist grundsätzlich mit dem EG-Gemeinschaftsrecht vereinbar.

2. Die in § 3 Abs. 2 AEntG enthaltene Meldepflicht unterliegt jedoch ungeachtet des weitergehenden Wortlauts der Bestimmung Einschränkungen, die sich aus dem Sinn und Zweck des AEntG und aus einer Gesamtsicht der in § 3 AEntG getroffenen Regelungen ableiten.

3. Danach besteht eine Meldepflicht nur insoweit, als die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 a AEntG erfüllt sein können. Kommt der ausländische Verleiher nach eigener Prüfung mit Recht zum Ergebnis, dass keine Mindestarbeits-bedingungen bei Entsendung von Arbeitnehmern in den Geltungsbereich des AEntG einzuhalten sind, so besteht eine Meldepflicht nicht.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 3. Bußgeldsenat

Bußgeldsache gegen

aus

wegen Verstoßes gegen das AEntG

Beschluss vom 25. Juli 2001

Tenor:

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts R. vom 11. September 2000 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht R. zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Betroffene, ein französischer Staatsangehöriger, wurde durch Urteil des Amtsgerichts R. vom 11.09.2000 wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die Meldepflicht des § 3 Abs. 2 AEntG in Tateinheit mit vorsätzlicher Nichtabgabe der Versicherung, dass die in § 1 AEntG vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen eingehalten werden, zu der Geldbuße von DM 1.000 verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen hatte der Betroffene als angestellter Vertriebsleiter der Firma X. in S. (Frankreich), welche den Verleih von Arbeitnehmern zum Geschäftsgegenstand hat, den Arbeitnehmer K. am 15. und 16.11.1999 an die deutsche Firma W. verliehen, welche den Arbeitnehmer in diesem Zeitraum auf der Baustelle der Firma A. in L. (Deutschland) einsetzte.

II.

Der zulässigen und gemäß § 80 a Abs. 3 OWiG auf den Senat mit drei Richtern übertragenen Rechtsbeschwerde, mit der die Sachrüge erhoben wird, kann ein - jedenfalls vorläufiger - Erfolg nicht versagt bleiben.

Allerdings teilt der Senat die Einwendungen der Rechtsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Vereinbarkeit der Bestimmung des § 3 Abs. 2 AEntG mit EG-Gemein-schaftsrecht wendet, nicht. Ein Verstoß gegen das in Artikel 59 Abs.1 EWGV niedergelegte Diskriminierungsverbot liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs darf der in dieser Bestimmung zum Ausdruck kommende freie Dienstleistungsverkehr innerhalb der Europäische Gemeinschaft nämlich durch solche Regelungen eingeschränkt werden, welche durch zwingende Gründe der Allgemeinheit gerechtfertigt sind. Hierzu gehört insbesondere der Schutz der Arbeitnehmer. Deshalb ist es den Mitgliedsstaaten nicht verwehrt, ihre Rechtsvorschriften oder die von den Sozialpartnern geschlossenen Tarifverträge über Mindestlöhne unabhängig davon, in welchem Land der Arbeitgeber ansässig ist, auf alle Personen zu erstrecken, die in ihrem Hoheitsgebiet, und sei es auch nur vorübergehend, eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausüben. Auch sind die Mitgliedsstaaten berechtigt, die Beachtung dieser Bestimmung mit geeigneten Mitteln durchzusetzen (EuGH ZIP 1999, 2174 ff. mit Anm. Däubler).

Im Rahmen dieser jedenfalls im Anwendungsbereich des § 1 AEntG unbedenklichen Kontrollbefugnis hält sich die Bestimmung des § 3 Abs. 2 AEntG, wenn sie auch einem im Ausland ansässigen Verleiher von Arbeitnehmern die Pflicht auferlegt, die vorgesehene Arbeitaufnahme von Mitarbeitern seiner Firma im Inland den deutschen Behörden anzuzeigen, denn ohne eine solche Mitteilung ist eine wirksame Kontrolle der Einhaltung von Mindestlöhnen nicht möglich (ebenso: OLG Düsseldorf wistra 2000, 316 f.).

Das Urteil kann jedoch vorliegend deshalb keinen Bestand haben, weil den getroffenen Feststellungen nicht sicher zu entnehmen ist, ob das AEntG überhaupt Anwendung findet (vgl. BayObLG NStZ-RR 2000, 149 f.). Die in § 3 Abs. 2 AEntG angeführte Verpflichtung des Verleihers mit Sitz im Ausland zur vorherigen Anmeldung der Überlassung von Arbeitnehmern zur Arbeitsleistung nach dem Arbeitnehmer-überlassungsgesetz gilt nämlich nicht unbeschränkt.

Bereits aus dem unmittelbaren Wortlaut der Vorschrift ergibt sich, dass dies nur bei "Bauleistungen" der Fall ist, mithin der verliehene Arbeitnehmer auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Bauleistungen erbringen soll. Nach der Legaldefinition des § 211 Abs. 1 Satz 2 SGB III fallen unter diesen Begriff alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. Nach den Motiven des Gesetzgebers ist der Begriff der "Bauleistung" umfassend zu verstehen, ausgeschlossen werden sollten lediglich solche Arbeiten, die nicht herkömmlich vom Baugewerbe verrichtet werden (BT-Drucks. 6/2689 S. 11; BSG, Beschluss vom 24.06.1999, B 11/10 AL 7/98 R, abgedruckt in: DBIR 4519a, AFG/§ 75; vgl. auch z.B. § 2 Nr. 7 BaubetriebsVO). Ob der Arbeitnehmer K. in diesem Sinne Bauleistungen erbracht hat, lässt sich dem angefochtenen Urteil aber nicht zureichend entnehmen, weil dieses überhaupt keine Feststellungen darüber enthält, welcher Arbeitstätigkeit der entsandte Arbeiter auf der Baustelle der Firma A. nachging.

Die im Übrigen weit gefassten Meldepflichten des § 3 AEntG unterliegen über den Wortlaut der Bestimmung hinaus jedoch noch weiteren Einschränkungen, die sich aus dem Sinn und Zweck der Regelungen des AEntG ableiten.

So hat das BayObLG für § 3 Abs. 1 AEntG bereits ausgesprochen, dass die hierin statuierte Meldepflicht für im Ausland ansässige Arbeitgeber nur dann gelte, wenn das AEntG auch im übrigen Anwendung findet. Dies sei gemäß § 1 Abs.1 Satz 1 AEntG aber nur dann der Fall, wenn der Betrieb des ausländischen Arbeitgebers überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 SGB III erbringt (BayObLG NStZ-RR 2000, 149 f.). Da das zugrundeliegende Urteil jedoch keine Feststellungen zu dieser Frage enthielt, vermochte das BayObLG einen Verstoß gegen die in § 3 Abs. 1 AEntG enthaltenen Meldepflichten nicht zu bejahen und hat die Sache zur Vornahme weiterer Feststellungen an das Ausgangsgericht zurückverwiesen.

Auch die einen Verleiher mit Sitz im Ausland, welcher Arbeitnehmer im Rahmen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes einem Entleiher im Geltungsbereich dieses Gesetzes überlässt, treffende Pflicht nach § 3 Abs. 2 AEntG, dessen Arbeitsaufnahme vor Beginn dem zuständigen Landesarbeitsamt anzuzeigen, gilt in Einschränkung des weitergehenden Wortlauts nur, soweit dieses Gesetz nach § 1 AEntG überhaupt Anwendung findet. Ziel des am 01.03.1996 in Kraft getretenen Gesetzes (BGBl. I 227) ist es nämlich, bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen lohnbedingte Wettbewerbsvorteile ausländischer Konkurrenten in den lohnintensiven Bereichen von Bau- und Montageleistungen durch eine Angleichung wesentlicher materieller Arbeitsbedingungen zu nivellieren, einem Sozialdumping vorzubeugen und den nationalen Unternehmen für den Zeitraum der Geltung des Gesetzes Gelegenheit zu geben, sich auf steigenden Wettbewerbsdruck im Europäischen Binnenmarkt einzustellen (Ulber, AÜG, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und Arbeitnehmer-entsendegesetz, 1998, § 1 AEntG, Rn. 2; BT-Drucks. 13/3155). Sinn der Bestimmungen dieses Gesetzes ist es daher sicherzustellen, dass an ausländische oder inländische Arbeitnehmer der Mindestlohn bezahlt wird, soweit tarifvertraglich ein solcher vereinbart wurde (BGH wistra 2000, 273 ff. m.w.N.; Lütke wistra 2000, 84 ff.; Kienle/Koch DB 2001, 922 ff.). Die Anwendung des Gesetzes setzt entsprechend § 1 Abs. 1 AEntG für ausländische Arbeitgeber daher für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge voraus, in deren Anwendungsbereich der Arbeitnehmer - wie sich speziell aus der Regelung § 1 Abs. 2 AEntG für Leiharbeitnehmer entnehmen lässt - eingesetzt wird (Hanau NJW 1996, 1369 ff., Däubler NJW 1999, 606 ff.; Kienle/Thomas DB 2001, 922 ff.).

Ob eine Meldepflicht nach § 3 Abs. 2 AEntG auch dann besteht, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, ist - soweit ersichtlich - bislang obergerichtlich nicht entschieden. Der Senat verneint diese Frage. Neben dem Sinn und Zweck der dargestellten gesetzlichen Regelung, welche die Einhaltung von Mindest-arbeitsbedingungen im Auge hat, ergibt sich diese den eigentlichen Wortlaut einschränkende Auslegung aus der Fassung der Bestimmung über Meldepflichten selbst, welche in ihrem Gesamtzusammenhang zu sehen sind. Diese sieht nämlich in § 3 Abs. 3 AEntG vor, dass "der Arbeitgeber oder Verleiher der Anmeldung nach § 3 Abs. 1 und 2 AEntG eine Versicherung beizufügen hat, dass er die in § 3 Abs. 1 AEntG vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen einhält". Danach ging der Gesetzgeber ersichtlich davon aus, dass auch bei einem Verleiher mit Sitz im Ausland die Meldepflicht dem Missbrauch von Mindestarbeitsbedingungen vorbeugen soll. Eine Gefährdung derselben ist aber überhaupt nur denkbar, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 a AEntG erfüllt sein können. Insoweit bürdet § 3 Abs. 3 AEntG dem ausländische Arbeitgeber und Verleiher eine eigene Prüfungspflicht auf. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 a.E. AEntG ist ein Verstoß gegen die Pflicht zur Meldung bußgeldbewehrt, wenn sie den zuständigen Landesarbeitsämtern nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig vorgelegt wird. Kommt der ausländische Verleiher jedoch nach eigener Prüfung mit Recht zum Ergebnis, dass keine Mindestarbeitsbedingungen einzuhalten sind, etwa weil die Arbeitstätigkeit des Arbeiternehmers nicht unter die Regelung eines Tarifvertrages i.S.d. § 1 Abs.1 Satz 1 AEntG fällt, so vermag der Senat aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 AEntG keine Rechtspflicht abzuleiten, dass auch eine Verpflichtung zur Abgabe einer "negativen" Bestätigung gegenüber den Landesarbeitsämtern besteht, denn der Wortlaut spricht wegen der Verwendung der Konjunktion "dass" anstatt "ob" dafür, dass der Gesetzgeber eine Meldepflicht nur vorsehen wollte, wenn objektiv tatsächlich eine Pflicht zur Einhaltung der Mindestarbeitsbedingungen besteht.

Diese Voraussetzungen hat das Amtgericht nicht geprüft. Im Urteil fehlen Feststellungen, ob die konkrete und bislang offen gebliebene Arbeitstätigkeit des Arbeitnehmers K. in den Geltungsbereich eines entsprechende Regelungen enthaltenden und für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages fällt.

Das Urteil war deshalb aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Rastatt zurückzuverweisen. Es bestand jedoch kein Anlass, eine andere Abteilung des Amtsgericht mit der Durchführung des Verfahrens zu betrauen (Göhler, OWiG, 12. Aufl., 1998, § 79 Rn. 48 m.w.N.).



Ende der Entscheidung

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