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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 26.03.2009
Aktenzeichen: 3 Ss 64/08
Rechtsgebiete: StVG, FEV


Vorschriften:

StVG § 21 Abs. 1 Nr. 1
StVG § 21 Abs. 2 Nr. 1
FEV a. F. § 28 Abs. 4 Nr. 3
FEV a. F. § 28 Abs. 5
Soweit eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung von durch andere Mitgliedstaaten erteilten Führerscheinen nicht besteht, ist die Regelung des § 28 Abs. 4 Nr. 3, Abs. 5 FEV a. F. uneingeschränkt auf Fahrerlaubnisse von Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzuwenden.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 3. Strafsenat Im Namen des Volkes Urteil

3 Ss 64/08

Strafsache gegen

wegen Verdachts des fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

Das Oberlandesgericht Karlsruhe - 3. Strafsenat - hat in der Sitzung vom 26. März 2009, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Schwab als Vorsitzender

Richterin am Amtsgericht Dr. Ambs Richter am Oberlandesgericht Bender als beisitzende Richter

Oberstaatsanwalt Hilkert als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft

Rechtsanwalt ... als Verteidiger

Amtsinspektorin Schmidt als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts vom 17. Januar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Dem Angeklagten liegt nach dem Strafbefehl des Amtsgerichts vom 19.06.2007 zur Last, am 05.04.2007 gegen 10:10 Uhr mit einem PKW auf der Bundesautobahn A 61 in H gefahren zu sein, obwohl er, wie er habe wissen können und müssen, nicht die erforderliche Fahrerlaubnis gehabt habe. Die von ihm vorgelegte tschechische Fahrerlaubnis sei innerhalb der Sperrfrist erteilt worden.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 17.01.2008 vom Vorwurf des fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG aus rechtlichen Gründen freigesprochen, weil der Angeklagte mit Blick auf die Regelungen in Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG vom 29.07.1991 über den Führerschein (ABl. L 237 vom 24.08.1991, 1) in der Fassung der Richtlinie 2006/103/EG des Rates vom 20.11.2006 (ABl. L 363 vom 20.12.2006, 344) entgegen der Bestimmung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FEV am Tattag auf Grund der ihm erteilten tschechischen Fahrerlaubnis berechtigt gewesen sei, im Inland Kraftfahrzeuge zu führen. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache vorläufigen Erfolg.

II.

Nach den Feststellungen wurde dem Angeklagten wegen des Verdachts, am 29.09.2005 in L mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,1 Promille ein Kraftfahrzeug auf öffentlichen Straßen geführt zu haben, durch Beschluss des Amtsgerichts vom 02.11.2005 die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen vorläufig entzogen und der von der Stadt M am 14.07.2000 ausgestellte Führerschein beschlagnahmt. Am 08.11.2005 legte der Angeklagte in Tschechien die Fahrerlaubnisprüfung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse B erfolgreich ab, woraufhin ihm am 25.01.2006 die tschechische Fahrerlaubnis erteilt wurde. In dem gegen den Angeklagten wegen der Trunkenheitsfahrt am 29.09.2005 geführten Strafverfahren erging am 05.04.2006 ein rechtskräftiger Strafbefehl des Amtsgerichts , in welchem dem Angeklagten die Fahrerlaubnis endgültig entzogen und der von der Stadt M am 14.07.2000 ausgestellte Führerschein eingezogen wurde. Gleichzeitig wurde die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von weiteren vier Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Am 05.04.2007 nahm der Angeklagte als Fahrer eines PKWs am öffentlichen Straßenverkehr teil, ohne zuvor erneut eine deutsche Fahrerlaubnis erlangt zu haben.

III.

Der Freispruch vom Vorwurf des fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil der Angeklagte nach Maßgabe der nationalen deutschen Rechtsvorschriften am Tattag nicht berechtigt war, ein Kraftfahrzeug im Inland zu führen, und das Europäische Gemeinschaftsrecht in der hier gegebenen Sachverhaltskonstellation keinen Anlass gibt, die Norm des § 28 Abs. 4 Nr. 3, Abs. 5 FEV in der zur Tatzeit geltenden Fassung nicht anzuwenden.

1. Wegen vorsätzlichen oder fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG macht sich unter anderem strafbar, wer ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat. Der objektive Tatbestand dieser Strafnorm ist nach den vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen erfüllt, da der Angeklagte nach der Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafbefehl des Amtsgerichts vom 05.04.2006 zum Tatzeitpunkt keine deutsche Fahrerlaubnis innehatte und seine tschechische Fahrerlaubnis ihn nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FEV nicht dazu berechtigte, in der Bundesrepublik Kraftfahrzeuge zu führen. Nach der Vorschrift des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FEV gilt die sich für Inhaber von gültigen EU-Führerscheinen mit Wohnsitz im Inland aus § 28 Abs. 1 Satz 1 FEV ergebende grundsätzliche Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland nicht für Inhaber von EU-Führerscheinen, denen - wie dem Angeklagten - die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder endgültig von einem Gericht entzogen worden ist. Die fehlende Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland folgt unmittelbar aus der Regelung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FEV, ohne dass es zur Herbeiführung dieser Rechtsfolge einer konstitutiven Verwaltungsentscheidung bedarf (vgl. BayVGH DAR 2008, 662). Nach der Vorschrift des § 28 Abs. 5 Satz 1 FEV ist vielmehr in den Fällen des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FEV für die Zubilligung des Rechts, von einer EU-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, eine Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde erforderlich. Eine solche Entscheidung lag nach den Urteilsfeststellungen nicht vor.

2. Die Regelung des § 28 Abs. 4 Nr. 3, Abs. 5 FEV ist - entgegen der Auffassung des Amtsgerichts - in der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation mit dem höherrangigen Europäischen Gemeinschaftsrecht, namentlich der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29.07.2001 über den Führerschein in der zur Tatzeit geltenden Fassung, vereinbar.

a) Die Richtlinie 91/439/EWG verfolgt das Ziel, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheinen, durch welchen die Freizügigkeit von Personen erleichtert werden soll, mit dem Ziel der Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr in Ausgleich zu bringen (EUGH Urt. v. 19.02.2009 - C-321/07 Rechtssache Schwarz Rdnr. 90). Nach der gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sieht Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheinen ohne jede Formalität vor. Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, welche zu erlassen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen (EUGH - Schwarz aaO Rdnr. 75; NJW 2009, 207 - Möginger Rdnr. 34; NJW 2008, 3767 - Weber Rdnr. 27). Es ist Aufgabe des Ausstellermitgliedstaates, zu prüfen, ob die im Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestanforderungen, insbesondere diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und die Erteilung einer Fahrerlaubnis somit gerechtfertigt ist. Die anderen Mitgliedstaaten sind demgegenüber zu einer Überprüfung der Ausstellungsvoraussetzungen nicht befugt (vgl. EUGH DAR 2008, 459 - Zerche Rdnr. 50; EUGH - Schwarz aaO Rdnr. 77).

b) Die in Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG getroffene Regelung gestattet es den Mitgliedstaaten aber, sich gegenüber Führerscheininhabern, welche ihren ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet haben, unter bestimmten Umständen aus Gründen der Sicherheit des Straßenverkehrs auf ihre innerstaatlichen Vorschriften über die Einschränkung, Aussetzung, den Entzug oder die Aufhebung der Fahrerlaubnis zu berufen (EUGH - Schwarz aaO Rdnr. 79). Während die Befugnis aus Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG ein Verhalten des Betroffenen nach Erwerb des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins voraussetzt (vgl. EUGH - Zerche aaO Rdnr. 56; Schwarz aaO Rdnr. 80 m. w. N), erlaubt der als Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine eng auszulegende Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG es den Mitgliedstaaten, die Gültigkeit eines Führerscheins nicht anzuerkennen, welcher in einem anderen Mitgliedstaat von einer Person erworben wurde, auf die im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats eine Maßnahme der Einschränkung, Aussetzung, des Entzugs oder der Aufhebung der Fahrerlaubnis angewandt wurde. Auf der Grundlage dieser Ausnahmevorschrift ist ein Mitgliedstaat nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs uneingeschränkt befugt, einer Person, gegen welche in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis in Verbindung mit einer Sperrfrist für deren Neuerteilung angeordnet worden ist, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat während dieser Sperrfrist ausgestellten neuen Führerscheins zu versagen. Dass von diesem im zweiten Mitgliedstaat erlangten Führerschein erst nach Ablauf der Sperrfrist Gebrauch gemacht wird, ist dabei ohne Bedeutung (vgl. EUGH - Schwarz aaO Rdnr. 83; Möginger aaO Rdnr. 38, 41; Zerche aaO Rdnr. 62). Gleiches gilt nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssachen C-1/07 - Weber vom 20.11.2008 (EUGH NJW 2008, 3767) für die Anerkennung der Fahrberechtigung durch einen Mitgliedstaat aus einem Führerschein, den eine Person in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, während sie im erstgenannten Mitgliedstaat einer Maßnahme der befristeten Aussetzung der Fahrerlaubnis unterlag, sofern auf die befristete Aussetzung ein Entzug der Fahrerlaubnis folgt, mit dem dieselbe Tat geahndet wird (EUGH - Weber aaO Rdnr. 36). Auch einer solchen Fahrerlaubnis darf die Anerkennung dauerhaft versagt werden, ohne dass es darauf ankommt, wann der Führerscheininhaber am Straßenverkehr teilnimmt.

Da der Angeklagte seine tschechische Fahrerlaubnis erlangte, während ihm im Inland wegen des Verdachts einer Trunkenheitsfahrt am 29.09.2005 die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen war, und ihm später durch Strafbefehl des Amtsgerichts die Fahrerlaubnis auf Grund derselben Anlasstat endgültig entzogen wurde, resultierte aus dem vorrangigen Europäischen Gemeinschaftsrecht keine Verpflichtung zur Anerkennung des ihm von den tschechischen Behörden ausgestellten Führerscheins.

c) Soweit eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung von durch andere Mitgliedstaaten erteilten Führerscheinen nicht besteht, ist die Regelung des § 28 Abs. 4 Nr. 3, Abs. 5 FEV auch uneingeschränkt auf Fahrerlaubnisse von Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzuwenden (vgl. VGH Baden-Württemberg DAR 2008, 660; BayVGH DAR 2008, 662; König in Henschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 40. Aufl. § 21 StVG Rdnr. 2 a; a. A. OVG Nordrhein-Westfalen DAR 2009, 159, 160 f; offen gelassen in BVerwG Urt. v. 11.12.2008 - 3 C 26.07 u. 3 C 38/07). In dem Umfang, in welchem die Richtlinie 91/439/EWG den Mitgliedstaaten die Befugnis einräumt, eine von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis in ihrem Hoheitsgebiet nicht anzuerkennen, ist es dem nationalen Gesetz- und Verordnungsgeber nicht verwehrt, die Unwirksamkeit dieser Fahrerlaubnisse durch eine generell-abstrakte Regelung anzuordnen und die Fahrberechtigung im Einzelfall von einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung abhängig zu machen (vgl. BayVGH aaO). Soweit eine gemeinschaftsrechtliche Anerkennungsverpflichtung fehlt, ist die Regelung des § 28 Abs. 4 Nr. 3, Abs. 5 FEV mit dem vorrangigen Europäischen Recht vereinbar und daher anzuwenden. Da die gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen für das Fehlen einer Anerkennungsverpflichtung bei während des Laufs einer Sperrfrist oder der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis erteilten EU-Führerscheinen sowie beim Vorliegen offensichtlicher, sich insbesondere aus der Führerscheinsurkunde selbst ergebender Hinweise auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis zudem in aller Regel einfach zu ermitteln sind und keiner aufwändigen einzelfallbezogenen Prüfung bedürfen, sprechen auch Erwägungen der Rechtssicherheit nicht für eine Nichtanwendung des § 28 Abs. 4 Nr. 3, Abs. 5 FEV (a. A. OVG Nordrhein-Westfalen aaO).

Der gegen den Angeklagten erhobene Anklagevorwurf bedarf somit einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung. In der neuen Hauptverhandlung werden hinsichtlich der subjektiven Tatseite die Frage einer fahrlässigen oder vorsätzlichen Tatbegehung (vgl. Janker in Jagow/Burmann/Heß Straßenverkehrsrecht 20. Aufl. § 21 StVG Rdnr. 10 m. w. N.) und das Vorliegen eines Verbotsirrtums (vgl. OLG Celle ZfSch 2009, 109; OLG Stuttgart VRS 113, 333) zu prüfen sein.

Ende der Entscheidung

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