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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 08.03.2004
Aktenzeichen: 3 Ss 9/04
Rechtsgebiete: StGB, MRK


Vorschriften:

StGB § 46 Abs. 1
StGB § 46 Abs. 2
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Ist nach Erlass des tatrichterlichen Urteils das Beschleunigungsgebot verletzt worden, kann dies bei der revisionsgerichtlichen Nachprüfung auch mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wegen möglicher Auswirkungen auf die Strafzumessung im Einzelfall die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs zur Folge haben.
3 Ss 9/04

OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 3. Strafsenat Beschluss

vom 08. März 2004

B aus B.

wegen Verstoßes gegen das BtMG

Tenor:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts - Kleine Strafkammer - M. vom 11. Juli 2002 mit den dem Rechtsfolgenausspruch zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts M. zurückverwiesen.

Gründe:

I.

B. wurde vom Amtsgericht - Strafrichter - M. am 22.01.2002 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu der Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

Gegen das Urteil legte die Angeklagte Berufung ein, die sie in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht am 11.07.2002 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte. Gleichzeitig nahm die Staatsanwaltschaft ihre zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte, ebenfalls auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung zurück. Mit Urteil vom selben Tage verwarf das Landgericht die Berufung der Angeklagten.

Nach den vom Amtsgericht getroffenen und von der Strafkammer ergänzten Feststellungen hatte die seit dem Jahre 1992 drogenabhängige, einschlägig vorbestrafte und unter Bewährung stehende Angeklagte am 29.08.2001 in M. ein Briefchen mit 0,2 g Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 0,018 g HHC, das zum Eigenkonsum bestimmt war, bei sich geführt.

Das Urteil des Landgerichts vom 11.07.2002 focht die Angeklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten und mit Verteidigerschriftsatz vom 16.09.2002 begründeten, auf die Sachrüge gestützten Revision an. Sie beantragt, das Urteil im Strafausspruch wegen Darstellungsmängeln der schriftlichen Gründe aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

In der Folgezeit gerieten die Akten aus bislang nicht geklärten Gründen "in Verstoß". Auf Anordnung des Präsidenten des Amtsgerichts wurden die Akten am 27.10.2003 wieder hergestellt. Mit Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer vom 12.11.2003 wurde die Revisionsschrift nebst der Akten gem. § 347 Abs. 1 StPO der Staatsanwaltschaft M. zugestellt, die diese mit Verfügung vom 13.01.2004 der Generalstaatsanwaltschaft K. vorlegte.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Schrift vom 23.02.2004, auf die Revision der Angeklagten das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

II.

Das Rechtsmittel der Angeklagten hat - vorläufigen - Erfolg.

Zu Recht ist die Strafkammer allerdings, wie die dem Senat von Amts wegen obliegende Prüfung ergeben hat, von einer nach § 318 StPO wirksamen Beschränkung der Berufung der Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch des amtsgerichtlichen Urteils ausgegangen. Der Schuldspruch des Urteils des Amtsgerichts vom 22.01.2002 ist mithin in Rechtskraft erwachsen.

Der Rechtsfolgenausspruch des Urteils des Landgerichts vom 11.07.2002 hat indes keinen Bestand, ohne dass es hier eines näheren Eingehens auf die "Darstellungsrüge" der Angeklagten bedarf.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Schrift vom 23.02.2004 insbesondere ausgeführt:

"Durch das zulässige Rechtsmittel ist dem Revisionsgericht die Möglichkeit eröffnet, auch ohne ausdrückliche Rüge von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler festzustellen. Ein solcher Fehler liegt hier vor. Die Akten konnten dem Revisionsgericht erst eineinhalb Jahr nach Erlass des Berufungsurteils vorgelegt werden. Das Verfahren ist damit seit der Verkündung des angefochtenen Urteils in ganz ungewöhnlichem Maße unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verzögert worden. Diesen Umstand muss das Revisionsgericht auf die zulässige Revision in entsprechender Anwendung von § 354 a StPO von Amts wegen berücksichtigen (BGH NStZ-RR 2002, 166; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 6 MRK Rdnr. 9 a).

Diese Verfahrensweise ist vorliegend auch deshalb geboten, weil die langjährig drogenabhängige Angeklagte wegen Besitzes einer ausschließlich zum Eigenkonsum bestimmten sehr geringen Menge eines Betäubungsmittels verurteilt wurde. Auch wenn es sich bei dem Betäubungsmittel um Heroin, mithin nicht um eine weiche Droge handelte, stellt sich vor dem Hintergrund des seit der Verkündung des angefochtenen Urteils verstrichenen unangemessen langen Zeitraums, wobei die Angeklagte die Verfahrensverzögerung nicht zu vertreten hat, in besonderem Maße die Notwendigkeit, die gegen die Angeklagte verhängte Freiheitsstrafe von vier Monaten auf die Vereinbarkeit mit dem Übermaßverbot zu überprüfen (vgl. Senatsentscheidung vom 14.04.2003 - 3 Ss 54/03 -).

Das Urteil ist somit aufgrund des nach seiner Verkündung eingetretenen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 MRK aufzuheben."

Diesen Ausführungen tritt der Senat bei.

Die zitierte Entscheidung des Senats hatte das Urteil der Strafkammer vom 28.11.2002 - 12 Ns 304 Js 7007/02 - zum Gegenstand; sie ist u.a. in NJW 2003, 1825 und in Die Justiz 2003, 564 abgedruckt.

Auf die mit Verteidigerschriftsätzen vom 16.09.2002 und vom 08.03.2004 mit beachtlichen Argumenten begründete Sachrüge kommt es nach alledem nicht mehr an.

III.

Das Urteil der Strafkammer ist mit den dem Rechtsfolgenausspruch zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 1 und 2 StPO). Der Senat sieht davon ab, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO), und verweist die Sache, da weitere bzw. neue Feststellungen i.S.d. § 267 Abs. 3 StPO zu treffen sind, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts M. zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück (§ 354 Abs. 2 StPO). Diese wird auch über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden haben.

Ende der Entscheidung

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