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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 10.11.2000
Aktenzeichen: 3 Ws 220/99
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 339, 222
StGB § 13 Abs. 1
StPO § 171 Satz 2
StPO § 172 Abs. 1 Satz 1
StPO § 172 Abs. 3 Satz 1
Vorschriften: §§ 339, 222, 13 Abs. 1 StGB, 171 Satz 2, 172 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StPO

1. Verletzter i.S.d. §§ 171 Satz 2, 172 Abs. 1 Satz 1 StPO ist nur derjenige Antragsteller, der durch die behauptete Tat unmittelbar in einem eigenen durch die in Betracht kommende materielle Strafrechtsnorm geschützten Rechtsgut betroffen wäre.

2. Im Strafverfahren sind durch Verstösse gegen die Bestimmung des § 339 StGB (Rechtsbeugung) solche Personen nicht verletzt, die weder am Verfahren beteiligt noch unmittelbar in einem Individualrechtsgut betroffen sind.

3. Der Bestimmung des § 339 StGB kommt zum Schutz der Unabhängigkeit der Rechtspflege eine Sperrwirkung in dem Sinne zu, dass eine Verurteilung wegen einer Tätigkeit bei der Leitung einer Rechtssache nach anderen Vorschriften - hier nach § 222 StGB - nur möglich ist, wenn auch die Voraussetzungen des § 339 StGB gegeben sind.

4. Im Falle einer behaupteten Unterlassungstäterschaft hat die Antragsschrift nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO auch die tatsächlichen Entstehungsgründe der Handlungspflicht des Beschuldigten derart darzulegen, dass das Antragsvorbringen aus sich heraus - ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten - auf seine Schlüssigkeit hin nachprüfbar ist.

5. Der Klageerzwingungsantrag muß den Beschuldigten, wenn er nicht namhaft gemacht werden kann, wenigstens so genau umschreiben, dass dessen Identifizierung möglich ist.

OLG Karlsruhe, Beschluß vom 10. November 2000 - 3 Ws 220/99


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 3. Strafsenat -zugleich Senat für Bußgeldsachen-

3 W s 220/99 Zs 660/99

Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Mannheim - 300 Js 2130/99 -

wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung u.a.

hier: Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 StPO

Beschluss vom 10. November 2000

Tenor:

Der Antrag der Anzeigeerstatter C P und V P auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 27. September 1999 wird als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Bezirksjugendschöffengericht - Mannheim hatte den jugendlichen Angeklagten S K. am 10.08.1998 unter anderem wegen gemeinschaftlichen Raubes, gemeinschaftlichen schweren Diebstahls und gefährlicher Körperverletzung zu der Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt (Az.: 7 Ls 126/97 SG 7 - 73/97 JUG). Die Entscheidung über die Vollstreckung der Jugendstrafe war zugleich bis 01.03.1999 nach § 57 Abs. 1 JGG ausgesetzt worden; der Jugendliche wurde insbesondere angewiesen, an einer berufsvorbereitenden Maßnahme beim Internationalen Bund für Sozialarbeit sowie an einem viermonatigem Antiaggressivitätstraining teilzunehmen. Noch während dieser Vorbewährungszeit stach der damals 16 Jahre alte S. K. in der Nacht vom 10. auf den 11.12.1998 den Polizeibeamten M P mit einem Messer nieder und fügte ihm tödliche Verletzungen im Halsbereich zu, als der Beamte den bei einem Einbruch in einem Einkaufsmarkt in Mannheim auf frischer Tat betroffenen Jugendlichen festnehmen wollte. S. K. wurde am 17.12.1999 vom Landgericht - Jugendkammer - Mannheim dieserhalb u.a. wegen Mordes zu der Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt.

Die Eltern des ermordeten Polizeibeamten, C P und V P, erstatteten unter dem 05.01.1999 Strafanzeige" gegen alle Personen, die in strafrechtlich relevanter Weise an dem Tod ihres Sohnes schuldig sind". Mit Verfügung vom 18.05.1999 stellte die Staatsanwaltschaft Mannheim das Ermittlungsverfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO ein. Die Generalstaatsanwaltschaft gab mit Bescheid vom 27.09.1999 der Beschwerde der Anzeigeerstatter keine Folge. Hiergegen haben sich die Anzeigeerstatter mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewandt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag der Anzeigeerstatter als unbegründet zu verwerfen.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig, da er in mehrfacher Hinsicht nicht den formellen und materiellen Anforderungen des § 172 Abs. 3 S. 1 StPO entspricht.

1. Der Antrag der Anzeigeerstatter ist, soweit Gegenstand des Ermittlungsverfahrens der Verdacht eines Verbrechens der Rechtsbeugung nach § 339 StGB (i.d.F. des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption vom 13.08.1997 - BGBl. I S. 2038) war und die Anzeigeerstatter mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung insoweit die Erhebung der öffentlichen Klage gegen Richter am Amtsgericht M begehren, unzulässig. Denn die Anzeigeerstatter sind insoweit schon nach dem Antragsvorbringen nicht Verletzte i.S.d. §§ 171, 172 Abs. 1 Satz 1 StPO. Sie sind nicht, wie es diese Bestimmungen aber voraussetzen, durch die behaupteten Taten im Rahmen des unter dem Vorsitz von Richter am Amtsgericht M vor dem Amtsgericht - Bezirksjugendschöffengericht - Mannheim gegen S K geführten Jugendstrafverfahrens (7 Ls 126/97 SG 7-73/97 JUG) unmittelbar in einem eigenen Rechtsgut betroffen worden.

Ein Anzeigeerstatter, der zugleich Verletzter ist, kann gem. § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO gegen einen Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft gerichtliche Entscheidung beantragen. Verletzter i.S.d. Bestimmung ist derjenige, der durch die behauptete Tat unmittelbar in einem eigenen Rechtsgut verletzt wäre. Ob eine solche unmittelbare Verletzung vorliegt, hängt davon ab, ob die in Betracht kommende materielle Strafrechtsnorm rechtliche Positionen des Antragstellers schützt (LR-Rieß StPO 24. Aufl. § 172 Rdnr. 51; Frisch JZ 1974, 7). Rechtsgut des § 339 StGB ist die Rechtspflege, insbesondere die Geltung der Rechtsordnung bei der Leitung und Entscheidung von Rechtssachen gegen Angriffe von innen. Geschützt sind damit nicht in erster Linie die Individualrechtsgüter des rechtsunterworfenen Bürgers; ihr Schutz ergibt sich allerdings mittelbar durch das mit § 339 StGB strafbewehrte Verbot, das Recht zum Nachteil einer Partei zu beugen (Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 339 Rdnr. 1). Anerkannt in Rechtsprechung und Schrifttum ist, dass grundsätzlich die durch die Rechtspflegedelikte, insbesondere durch Verstöße gegen § 339 StGB beeinträchtigten Verfahrensbeteiligten als Verletzte i.S.d. §§ 171, 172 StPO angesehen werden können (LR-Rieß a.a.O. Rdnr. 71; Senat B. v. 27.11.1998 - 3 Ws 225/97 -). Nicht als Verletzte der Rechtspflegedelikte anzusehen sind Personen, die ohne am Verfahren beteiligt zu sein, nur ein allgemeines Interesse am Verfahrensausgang haben. Bezweckt das Rechtspflegedelikt/die Rechtsbeugung allerdings die Entlastung eines Beschuldigten in einem Strafverfahren, so liegt es nahe, den in jenem Verfahren in einem Individualrechtsgut unmittelbar Betroffenen regelmäßig auch als durch die Rechtsbeugung verletzt anzusehen, ohne Rücksicht darauf, ob er sich an dem Strafverfahren als Nebenkläger oder sonst beteiligt hat, da nämlich dann sein spezifisches strafrechtliches Genugtuungsinteresse berührt ist.

Vorliegend waren aber weder die Antragsteller, noch M P Verfahrensbeteiligte oder in einem lndividualrechtsgut Betroffene in jenem Jugendstrafverfahren des Amtsgerichts - Bezirksjugendschöffengericht - Mannheim (7 Ls 126/97 SG 7-73/97 JUG). Ohnedies geht ein dem Verletzten erwachsenes Antragsrecht durch seinen Tod grundsätzlich nicht über, da es ein rein persönliches Rechtsgut ist (OLG Düsseldorf NJW 1992, 2370).

2. Der von den Eheleuten C und V P als Eltern des Verstorbenen mit dem Ziel gestellte Klageerzwingungsantrag, die Erhebung der öffentlichen Klage unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) zu erwirken, scheitert nicht daran, dass die Antragsteller nicht "Verletzte" seien. Die Eltern des Getöteten sind insoweit Verletzte i.S.d. § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO (Senat B. v. 25.01.1995 - 3 Ws 201/94 - m.w.N.).

Der Zulässigkeit des Antrags steht jedoch entgegen, dass die Antragsschrift die Tatsachen und/oder rechtlichen Gründe nicht hinreichend erörtert, die die Staatsanwaltschaft in ihren Bescheiden erwogen hat und die gegen ihre Entschließung geltend gemacht werden. Durch den Klageerzwingungsantrag soll gerichtlich geprüft werden, ob die Staatsanwaltschaft unter Verstoß gegen das Legalitätsprinzip das Verfahren eingestellt hat, anstatt die öffentliche Klage zu erheben. Der Antrag muss es dem Senat daher ermöglichen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten nebst der Beiakten aufgrund seines Inhalts eine Schlüssigkeitsprüfung dahin vorzunehmen, ob nach dem Vorbringen der Antragsteller ein für die Erhebung der öffentlichen Klage ausreichender Tatverdacht in Betracht kommt. Diese Prüfung ist nicht allein aufgrund der Schilderung des Sachverhalts aus der Sicht der Antragsteller möglich. Vielmehr ist insbesondere erforderlich, dass sich die Antragsschrift mit dem wesentlichen Inhalt der Bescheide der Staatsanwaltschaft auseinandersetzt (ständ. Rspr. d. Senats; vgl. auch BVerfG NJW 2000, 1027; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 172 Rdnr. 27 ff. m.w.N.).

2.1 Klageerzwingungsantrag betr. RAG M

Die Antragsschrift lässt jegliche Auseinandersetzung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit der von der Staatsanwaltschaft geprüften und verneinten Frage vermissen, wodurch und inwieweit RAG M den Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) objektiv und ggf. subjektiv erfüllt habe. Diesbezüglicher Darlegungen und Erörterungen in der Antragsschrift bedurfte es aber, obwohl hier weder die Antragsteller noch ihr Sohn unmittelbar vom Schutzbereich der Bestimmung des § 339 StGB erfasst werden. Denn § 339 StGB kommt zum Schutz der Unabhängigkeit der Rechtspflege eine Sperrwirkung (zu ihrer dogmatischen Natur Schröder GA 1993, 389, 395) in dem Sinne zu, dass eine Verurteilung wegen einer Tätigkeit bei der Leitung einer Rechtssache nach anderen Vorschriften - wie hier von den Antragstellern nach § 222 StGB erstrebt - nur möglich ist, wenn auch die Voraussetzungen des § 339 StGB gegeben sind (BGHSt 10, 294 in Anlehnung an Radbruch SJZ 1946, 105, 108; NJW 1971, 571, 574).

Zweck des Straftatbestandes der Rechtsbeugung ist es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH St 38, 381, 383; 40, 272, 283; 42, 343 = NJW 1997, 856; St 44, 258 = NJW 1999, 1122), den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe zu stellen. Da die Einordnung der Rechtsbeugung als Verbrechenstatbestand die Schwere des Unwerturteils indiziert und eine Verurteilung kraft Gesetzes zur Beendigung des Richterverhältnisses (§ 24 Nr. 1 DRiG) führt, ist es mit dieser gesetzlichen Zweckbestimmung nicht zu vereinbaren, jede unrichtige Rechtsanwendung und jeden Ermessensfehler in den Schutzbereich dieser Norm einzubeziehen. Rechtsbeugung begeht deshalb nur der Amtsträger, der sich bewusst in schwerwiegender Weise vom Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an seinen eigenen Maßstäben ausrichtet. Schon der objektive Tatbestand des § 339 StGB setzt also einen offensichtlichen Willkürakt und einen elementaren Rechtsverstoß voraus. Ein Maßstab, der auf die (bloße) Unvertretbarkeit von Entscheidungen abstellt, ist abzulehnen. Grund dafür ist, dass im Interesse der Rechtssicherheit eine neuerliche Überprüfung von Rechtsprechungsakten durch die Staatsanwaltschaft - oder hier durch den Senat - im Rahmen von Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Rechtsbeugung von hohen Schranken abhängig sein muss. Zweck des § 339 StGB ist es nicht, im Bereich der Rechtsprechung bei den Entscheidungsträgern das Rechtsgefühl der Rechtsunsicherheit zu erzeugen, sondern nur, den Rechtsbruch zu erfassen.

Dass die Antragsteller dem erkennenden Richter M bei der Findung und dem Spruch des Urteils gegen S K am 10.08.1998 (7 Ls 126/97 SG 7-73/97 JUG) sowie bei der diesem obliegenden Überwachung des S K aufgrund der mit Beschluss vom selben Tage nach § 57 Abs. 1 JGG zugebilligten "Vorbewährung" elementare Verstöße, bei denen sich der Richter bewusst und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt habe, anlasten, kann der Antragsschrift nicht entnommen werden. Zwar lautet der Antrag der Antragsschrift vom 02.11.1999 auf Erhebung der öffentlichen Klage "wegen Rechtsbeugung und fahrlässiger Tötung"; sie äußert sich im folgenden aber zu den Umständen der fraglichen Erfüllung des Tatbestands der Rechtsbeugung und den Gegenargumenten der Staatsanwaltschaft Mannheim und der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe nicht; schon in der Beschwerdebegründung, vorgetragen mit Anwaltsschriftsatz vom 28.06.1999, war vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass der Tatbestand der Rechtsbeugung nicht Gegenstand der Anzeige der Antragsteller sei, sondern lediglich Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung, begangen durch Unterlassen, erstrebt würden.

Freilich musste die Staatsanwaltschaft - wie geschehen - die von der Anzeige der Antragsteller erfassten Taten im prozessualen Sinne (§ 264 StPO) - ungeachtet der von den Antragstellern mit der Beschwerdeschrift schließlich erklärten Beschränkung auf den Vorwurf der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen - aufgrund des Ergebnisses der Ermittlungen auch daraufhin prüfen, ob "hinreichender Tatverdacht" i.S.d. § 170 Abs. 1 StPO auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 339 StGB besteht, nicht zuletzt wegen der verneinendenfalls eingreifenden "Sperrwirkung" des § 339 StGB (vgl. auch OLG Rostock NStZ-RR 1996, 272). Fehlerfrei hat die Staatsanwaltschaft festgestellt, dass insoweit die Ermittlungen keinen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten; der Senat verweist zur Vermeidung bloßer Wiederholungen auf die für zutreffend erachteten Gründe der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 18.05.1999 (300 Js 2130/99) und den Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 27.09.1999 (Zs 660/99). Gründe, die insoweit Anlaß zu weiteren Ermittlungen gäben, zeigt die Antragsschrift nicht auf.

2.2 Die Einstellung des Verfahrens gegen Verantwortliche der Staatsanwaltschaft Mannheim wegen unterlassener Anfechtung des Urteils des Amtsgerichts - Bezirksjugendschöffengericht - Mannheim vom 10.08.1998 nehmen die Anzeigeerstatter ersichtlich hin. Zu den aufgeworfenen Fragen (vgl. etwa auch zur Unzulässigkeit eines auf die zugebilligte "Vorbewährung" beschränkten Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten: Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht SchlHA 1978, 90; OLG Stuttgart Die Justiz 1986, 27 = NW 1986, 219) verhält sich die Antragsschrift der Antragssteller nicht. Im übrigen sei hier auch auf die von der Staatsanwaltschaft ersichtlich beachtete Richtlinie nach Nr. 147 Abs. 1 RiStBV hingewiesen.

2.3 Soweit die Antragsteller dem Beschuldigten T die fahrlässige Tötung ihres Sohnes durch Unterlassen der Mitteilung von Fehlzeiten des S K während des von jenem besuchten Lehrgangs beim Internationalen Bund für Sozialarbeit in Mannheim vorwerfen, lässt die Antragsschrift nicht erkennen, wodurch eine Garantenpflicht des Beschuldigten i.S.d. § 13 Abs. 1 StGB als rechtliche Handlungspflicht begründet worden sei. Nicht ersichtlich ist, aufgrund welcher Rechtsgrundlage T A Bereichsleiter beim Internationalen Bund in Mannheim war, rechtlich dafür einzustehen hatte, dass der tatbestandsmäßige Erfolg des § 222 StGB nicht eintritt. Bloße tatsächliche Möglichkeiten oder die sittliche Pflicht zur Erfolgsverhinderung - die Kausalität des Unterlassens einmal unterstellt - genügen für eine Unterlassungstäterschaft nicht (BGH St 30, 391). Die Handlungspflicht könnte nur aus einer dem Schutz des jeweiligen Rechtsguts, hier des Lebens des ermordeten Polizeibeamten, dienenden Garantenstellung folgen.

Zu keinem der herkömmlich in Rechtsprechung und Literatur bejahten Entstehungsgründe einer Handlungspflicht, nämlich aus Gesetz, tatsächlicher Übernahme der Gewähr für das Rechtsgut, Vertrag oder vorangegangenem gefährdenden Tun (Ingerenz) verhält sich die Antragsschrift.

Soweit die Antragsteller Aufklärungsbedarf dahin sehen, ob T seitens des Bezirksjugendschöffengerichts Weisungen insichtlich des Verhaltens des S K erteilt worden seien, besteht kein Anlass zur Wiederaufnahme der Ermittlungen. Eine Rechtsgrundlage für die Erteilung derartiger Weisungen gegenüber nicht am Verfahren Beteiligter sieht das JGG nicht vor (vgl. auch Eisenberg JGG 8. Aufl. 2000 § 10 Rdnr. 71). Es liegt überdies fern, dass sich T A der als Bereichsleiter beim IB die vom Arbeitsamt getragenen Lehrgänge für sozial benachteiligte Jugendliche durchführt, sich zur Überwachung des S K verpflichtet und hiermit zum Beschützergaranten bzw. Überwachergaranten (vgl. nur Tröndle/Fischer a.a.O. § 13 Rdnr. 5 b) und c) bestellt habe.

2.4 Soweit die Antragsteller im Falle von M Bewährungshelferin beim Landgericht Mannheim, die Erhebung der öffentlichen Klage nach Anordnung weiterer Ermittlungen begehren (§ 173 Abs. 3 StPO), entspricht die Antragsschrift nicht den Darlegungserfordernissen gem. § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO. Die Sachdarstellung der Antragsteller versetzt den Senat nicht in die Lage, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten einschließlich der Beiakten die gebotene Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen (OLG Düsseldorf StV 1983, 498; VRS 82, 352; OLG Koblenz MDR 1977, 950; vgl. auch BVerfG NJW 1979, 364).

Zwar behaupten die Antragsteller, S K sei durch den mit dem Urteil verkündeten Beschluss des Amtsgerichts - Bezirksjugendschöffengericht - Mannheim vom 10.08.1998 der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt worden. Dies entspricht schon nicht der Aktenlage (vgl. I 159 Rs, 194 der Akten AG Mannheim 7 Ls 126/97 SG 7 - 73/97 JUG; Bl. 26 des Vollstreckungshefts AG Mannheim 7 Ls 126/97 SG 7 - 73/97). Freilich unterstand S K nach § 38 Abs. 2 Satz 5 und 6 JGG der Überwachung durch die Jugendgerichtshilfe. Zu Grund und Zeitpunkt der Übernahme einer etwaigen Garantenpflicht von M V als Bewährungshelferin des S K verhält sich die Antragsschrift aber nicht. Ob M V ggf. aufgrund tatsächlicher und freiwilliger Übernahme der Verantwortlichkeit für bestimmte Gefahrenquellen Sicherungspflichten gegenüber jedermann oblagen, sie mithin als "Überwachergarantin" mit der Folge der Pflicht zur Beaufsichtigung von S K zu qualifizieren wäre, erschließt sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der Antragsschrift nicht (vgl. hierzu nur Tröndle/Fischer a.a.O. § 13 Rdnrn. 5 c, 8, 9). Nicht vorgetragen wird insbesondere, ob M V bereits Anfang Oktober 1998 in die Lage versetzt und verpflichtet war, Fehlzeiten des S K während des beim IB durchgeführten Lehrgangs in Erfahrung zu bringen und dem Bezirksjugendschöffengericht mitzuteilen; eine Auseinandersetzung mit der Verfügung des Rechtspflegers des Bezirksjugendschöffengerichts vom 22.09.1998 (Bl. I 194 der Akten des AG Mannheim 7 Ls 126/97 SG 7 - 73/97) fehlt gänzlich. Schließlich ermangelt die Antragsschrift eines substantiierten Vortrags dahin, dass, eine Garantenpflicht von M V unterstellt, die Unterlassung der Ermittlung und Mitteilung der ersten Fehlzeit des S K am 08.10.1999, die ohnedies gegenüber dem IB nach Lage der Akten als entschuldigt vermerkt ist, für den Erfolg, nämlich die Ermordung von M P ursächlich war, d. h. die unterbliebene Handlung den weiteren tragischen Geschehensablaufs gehindert hätte. Dieses hypothetische Urteil erfordert ohnedies zur Frage der Kausalität die Feststellung einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit der Erfolgsverhinderung (BGHSt 6, 1, 2; NJW 1979, 1258; NStZ 1981, 218; St 43, 381, 397). Die - worauf die Antragsschrift abhebt - dem Bezirksjugendschöffengericht eröffnete bloße Möglichkeit, bereits auf die Fehltage ab 08.10.1998 durch Erlass eines Sicherungshaftbefehls zu reagieren, genügt zum erforderlichen Nachweis der der Kausalität des fraglichen Unterlassens für den inkriminierten Erfolg nicht (vgl. auch Senat B. v. 05.05.1999 - 3 Ws 67/99 -; B. v. 03.08.1998 - 3 Ws 82/97 - m.w.N.).

2.5 Soweit der Bevollmächtigte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 11.12.1999 und vom 19.01.2000 zu "Informationszwecken" darauf hinweist, dass die Sachbearbeiterin beim Jugendamt der Stadt Mannheim, Frau J S eine Bescheinigung dahin ausgestellt habe, dass S K "regelmäßig" an dem Anti-Agressivitätstraining teilgenommen habe, obwohl er an zwei Tagen unentschuldigt gefehlt habe, muss dieser Vortrag im vorliegenden Klageerzwingungsverfahren außer Betracht bleiben, weil diese Begründungsschriften erst nach Ablauf der Frist zur Anbringung des Klagerzwingungsantrags beim Senat eingegangen sind. Ein Nachschieben der erforderlichen Antragsbegründung nach Ablauf der hierfür geltenden Frist ist nicht möglich. Die Antragsfrist gem. § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO gilt nicht nur für die Anrufung des Gerichts schlechthin, sondern auch für den vollständigen Antrag mit samt der erforderlichen Begründung (vgl. z. B. OLG Hamm NJW 1963, 2284; B. v. 16.12.1987 - 2 Ws 40/88 -). Dass diese Umstände den Antragstellern erst in der in der Zeit vom 30.11. bis 17.12.1999 gegen S K durchgeführten Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mannheim (7 KLs 700 Js 39112/98) bekannt geworden seien, führt zu keiner anderen Beurteilung.

2.6 Soweit die Antragsteller darüber hinaus die Erhebung der öffentlichen Klage gegen "andere zur Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts Jugendschöffengericht - SG 7 - Mannheim vom 10.08.1998 Verpflichteter" begehren, ist der Antrag gleichfalls unzulässig. Der Antrag genügt auch insoweit nicht den inhaltlichen Anforderungen nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO, da er nicht erkennen lässt, welche Bediensteten bzw. Personen sich durch welche konkrete Tathandlung der fraglichen Straftat schuldig gemacht haben sollen. Da Ziel des Antrages ist, die Erhebung der öffentlichen Klage anzuordnen, müssen die oder der Beschuldigte, wenn sie nicht namhaft gemacht werden können, wenigstens so genau umschrieben werden, dass eine Identifizierung möglich ist (KG B. v. 22.10.1997 - 3 Ws 588/97 -). Unzumutbare Anforderungen an die Darlegungslast werden damit nicht gestellt, konnten die Antragsteller sich die erforderliche Kenntnis doch durch Einblick in die Akten mittels ihres Bevollmächtigten verschaffen.

Der Antrag der Eheleute P auf gerichtliche Entscheidung war somit als unzulässig zu verwerfen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

III.

Der Senat weist insbesondere auch im Fall M V darauf hin, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch in der Sache selbst keine Aussicht auf Erfolg böte. Der Senat tritt den angefochtenen Bescheiden der Staatsanwaltschaft in der Bewertung des Ergebnisses der Ermittlungen bei.

Ein hinreichender Tatverdacht als zur Erhebung der öffentlichen Klage genügender Anlass nach den §§ 174, 170 Abs. 1 StPO setzt die Feststellung von Tatsachen voraus, die nach praktischer Erfahrung mit Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit voll gültigen Beweisen führen werden. Aufgrund einer vorläufigen Tatbewertung (BGHSt 23, 304, 306) muss bei Erschöpfung der Rechtsmittel mit einer Verurteilung zu rechnen sein. Es muss eine Klärung durch das Gericht dahin zu erwarten sein, dass diese wahrscheinlich zu einer die Verurteilung tragenden Grundlage führt. Zwar gilt im Rahmen der Entschließung der Staatsanwaltschaft nach § 170 StPO der Grundsatz "in dubio pro reo" nicht unmittelbar. Dem genannten Grundsatz kommt jedoch insoweit mittelbare Bedeutung zu, als für die Hauptverhandlung absehbare Lücken in der Beweisführung bereits im Verfahrensstadium des § 170 StPO Berücksichtigung finden müssen (OLG Karlsruhe NJW 1974, 806). Es bedarf also einer prozessualen Prognose, ob das vorhandene Beweismaterial nach der Erfahrung ausreichen wird, dem Gericht in der Hauptverhandlung die zur Verurteilung erforderliche Überzeugung zu verschaffen.

Die Überprüfung des gesamten Sachverhaltes nach Maßgabe dieser Grundsätze, die der Senat anhand der beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Mannheim - 300 Js 2130/99 - und der sonstigen Beiakten nachvollzogen hat, ergibt, dass ein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage nicht gegeben ist; ein ausreichender Verdacht einer Straftat der Beschuldigten, insbesondere nach § 222 StGB, hat sich nicht ergeben. Der Senat verweist auf die zutreffenden Gründe der Bescheide der Staatsanwaltschaft, die durch das Antragsvorbringen nicht entkräftet werden. Die entscheidenden Lücken in der Beweisführung zur Kausalität eines Unterlassens, insbesondere auch in der Vorhersehbarkeit der Folgen werden nicht mit einer zur Verurteilung hinreichenden Sicherheit zu schließen sein (vgl. zur Vorhersehbarkeit BayObLG NJW 1998, 3580; OLG Stuttgart Die Justiz 1998, 477; Senat VRS 98, 280 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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