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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 24.11.2000
Aktenzeichen: 3 Ws 238/00
Rechtsgebiete: GG, StPO, UvollzO


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
StPO § 119 Abs. 3
UvollzO Nr. 38 Abs. 1
1. Den Möglichkeiten eines Untersuchungsgefangenen, aus der Justizvollzugsanstalt fernmündliche Kontakte zur Außenwelt zu unterhalten, sind in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Grenzen durch den Verwaltungsaufwand gesetzt.

2. Telefongespräche eines Untersuchungsgefangenen mit einer Person außerhalb der Vollzugsanstalt können im Hinblick auf die vollzugstechnischen Gegebenheiten und unter Berücksichtigung der Erfordernisse zur Wahrung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt nur im Einzelfall und nur dann gestattet werden, wenn ein besonderes berechtigtes Interesse des Untersuchungsgefangenen hieran besteht.

3. Die Erteilung einer Dauererlaubnis zum Führen von mindestens zwei Telefongesprächen pro Woche mit Angehörigen kommt auch bei Beachtung der wertsetzenden Bedeutung von Art. 6 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht in Betracht.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

Beschluss vom 24. November 2000

3 Ws 238/00

wegen Computerbetrugs u.a.

hier: Beschwerde gegen eine Entscheidung nach § 119 Abs. 3 und 6 StPO - Versagung einer generellen Telefonerlaubnis -

Tenor:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer 22 des Landgerichts Mannheim vom 18. Oktober 2000 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

S. H. G. befindet sich in vorliegender Sache seit dem 10.04.1998 in Untersuchungshaft, die in der Zeit vom 30.03.2000 bis zum 13.05.2000 zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe unterbrochen war. Am 04.07.2000 verurteilte das LG M. den Angeklagten wegen dreifachen Diebstahls, davon in einem Fall versucht, sowie wegen Computerbetrugs in 20 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monate. Mit zugleich verkündetem Beschluss hielt die Strafkammer den Haftbefehl der Strafkammer vom 26.04.2000 aufrecht und ordnete aus den Gründen seines Erlasses - wegen Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO - die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Über die von dem Angeklagten gegen das Urteil eingelegte Revision ist noch nicht entschieden.

Mit am 06.10.2000 bei der Strafkammer eingegangenem Schreiben vom 01.10.2000 hat der Angeklagte beantragt, ihn "unbeschränkt und unbegrenzt mit seinen Angehörigen in Augsburg telefonieren zu lassen."

Nach Einholung der Stellungnahme der JV M. vom 12.10.2000 hat der Vorsitzende der Strafkammer mit Verfügung vom 18.10.2000 den Antrag des Angeklagten, ihm unbeschränkte und unbegrenzte Telefongespräche mit seinen Angehörigen zu genehmigen, abgelehnt. Gegen diese Entscheidung hat der Angeklagte mit am 24.10.2000 beim Landgericht eingekommenem Schreiben vom 19.10.2000 Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, ihm unter Aufhebung der genannten Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer "eine ständige Telefonerlaubnis mindestens zweimal die Woche einzuräumen".

Der Vorsitzende der Strafkammer hat nach Einholung der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 09.11.2000 der Beschwerde des Angeklagten am 10.11.2000 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat mit Eingang hier am 15.11.2000 zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das zulässige Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet.

Klarzustellen ist zunächst, dass dem Angeklagten mit der angefochtenen Verfügung nicht, wie der Angeklagte aber meint, untersagt wird, mit seinen Angehörigen zu telefonieren. Gegenstand der ablehnenden Entscheidung ist vielmehr der Antrag des Angeklagten auf Erteilung einer ständigen, unbeschränkten und unbegrenzten Telefonerlaubnis.

Zu Recht hat der Vorsitzende der Strafkammer LG M diesen Antrag des Angeklagten abgelehnt. Die Entscheidung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa B. v. 23.07.1990- 3 Ws 157/90- und B.v. 23.04.1998 -3 Ws 80/98-). Die von dem Angeklagten begehrte Erteilung einer Dauererlaubnis zum Führen von mindestens zwei Telefongesprächen pro Woche mit seinen Angehörigen würde der vorgegebenen Ordnung der Justizvollzugsanstalt Mannheim widerstreiten; sie kommt auch unter Berücksichtigung der wertsetzenden Bedeutung von Art. 6 Abs. 1 GG nicht in Betracht.

Telefongespräche eines Untersuchungsgefangenen mit einer Person außerhalb der Justizvollzugsanstalt können im Hinblick auf die vollzugstechnischen Gegebenheiten und unter Berücksichtigung der Erfordernisse zur Wahrung der Sicherheit und Ordnung in der Vollzugsanstalt nur im Einzelfall gestattet werden, wenn ein besonderes berechtigtes Interesse des Untersuchungsgefangenen hieran besteht (Senat a.a.O.; OLG Frankfurt StV 1982, 476; StV 1986, 398; StV 1992, 281; KG B.v.11.06.1998 -4 Ws 72/98-, B. v. 15.11.1999 -4 Ws 275/99- und B. v. 23.08.2000 -4 Ws 161/00-; vgl. auch OLG Hamm B.v.28.05.1979 -4 Ws 243/79-).

Nach § 119 Abs. 3 StPO dürfen Untersuchungsgefangenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft und/oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert. Dabei ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht verurteilt ist und deshalb allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (BVerfG NJW 1976, 1311; NStZ 1994, 52 m.w.N.). Zu diesen unvermeidlichen Beschränkungen gehören zwangsläufig auch alle diejenigen Begrenzungen der persönlichen Freiheit, die sich im Hinblick auf die vollzugstechnischen Gegebenheiten mit den Erfordernissen der Wahrung der Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt ergeben.

Ferngespräche mit Personen außerhalb der Justizvollzugsanstalt stellen wegen des damit verbundenen organisatorischen Aufwandes regelmäßig einen erheblichen Eingriff in den üblichen Ablauf des Vollzugsdienstes dar, so dass die beliebige Ausnutzung des Anstaltstelefons durch den Gefangenen zu Gesprächen den Vollzugsdienst organisatorisch und personell überfordern und grundsätzlich dem Haftzweck widersprechen würde (vgl. auch KK-Boujong 4. Aufl. 1999 § 119 Rdnr. 56 m.w.N.), zumal das jeweilige Gespräch im vollen Wortlaut mitzuhören ist (Nr. 38 Abs. 1 Satz 3 1. HS UVollzO). Der Eingriff in den Vollzugsablauf würde auch durch eine nur optische Überwachung nicht wesentlich minimiert.

Zwar darf die richterliche Genehmigung eines Telefongesprächs nicht auf "seltene" oder "dringende" Ausnahmefälle beschränkt werden. In dringenden unbedenklichen Fällen kann gem. Nr. 38 Abs. 1 Satz 2 UVollzO bereits der Anstaltsleiter die erforderliche Zustimmung erteilen. Die Benutzung der Fernsprechleitungen einer Justizvollzugsanstalt darf aber nicht zur Regel werden, sondern muss die durch ein besonderes berechtigtes Interesse des Untersuchungsgefangenen begründete Ausnahme bleiben. Die Berechtigung des Interesses des Untersuchungsgefangenen ist jeweils im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Untersuchungsgefangenen und seiner nahen Angehörigen und des Haftzwecks festzustellen.

Es lässt sich nicht allgemein bestimmen, von welcher Grenze ab Telefongespräche der Untersuchungsgefangenen zu einer untragbaren Belastung der Justizvollzugsanstalt führen würden, da dies im wesentlichen von den technischen und personellen Gegebenheiten der einzelnen Vollzugsanstalt abhängig ist. Es muss aber insbesondere berücksichtigt werden, dass nur Dienstapparate zur Verfügung stehen und jedes Telefongespräch eines Untersuchungsgefangenen einen Anschluss für die Dauer des Gesprächs blockiert. Diese Folge kann nur in einem beschränkten Umfang hingenommen werden, da sonst Sicherheit und Ordnung in der Anstalt gefährdet würden.

Dabei kann vorliegend auch nicht außer Betracht bleiben, dass die JV M, nach deren Stellungnahme vom 09.11.2000 derzeit einen Gefangenenstand von 653 Straf- und 176 Untersuchungsgefangenen ausweist. In jedem der vier -jeweils vierstöckigen- Flügel der Anstalt steht lediglich eine Amtsleitung zur Verfügung; pro Flügel ist ein Telefonapparat vorhanden, der jeweils auf dem Stockwerk, das im Zuge des zur Abwicklung der Telefonate praktizierten rollierenden Systems an der Reihe ist, angeschlossen wird. Unzutreffend ist demnach der Einwand des Angeklagten, jeder Strafgefangene könne und dürfe zweimal wöchentlich privat telefonieren. Entgegen der Meinung des Angeklagten stehen andere Telefonapparate, insbesondere der des Pfarrers, der der Sozialarbeiter und anderer Bediensteten mangels deren Berechtigung, Telefonate von Gefangenen zu vermitteln und führen zu lassen, nicht zur Verfügung. Den Möglichkeiten eines Untersuchungsgefangenen der Anstalt, fernmündliche Kontakte zur Außenwelt zu unterhalten, sind demnach in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Grenzen durch den Verwaltungsaufwand gesetzt (vgl. BVerfG 34, 369, 380).

Die Handhabung der sich an diesen Maßstäben ausrichtenden Erteilung einer Telefonerlaubnis im Einzelfall benachteiligt den Angeklagten nicht unverhältnismäßig. Weder liegt ein Ausnahmefall der in der Rechtsprechung bezeichneten Art vor, wie etwa der, dass die Familienangehörigen im Ausland leben, oder hohes Alter und/oder eine schwere Erkrankung aufweisen, die deren Reisefähigkeit entgegenstünde, noch ist ein besonderer Umstand in der Person des Angeklagten gegeben. Die Dauer der bislang vollzogenen Untersuchungshaft allein begründet einen Ausnahmefall nicht.

Dem Kontaktbedürfnis des Angeklagten wird zudem durch die gegebene Regelung des Besuchs- und Schriftverkehrs des Angeklagten mit seinen Angehörigen Rechnung getragen. Zwar lässt sich ein mündlicher Kontakt nicht vollständig durch einen Briefwechsel ersetzen. Indes hat der Angeklagte ausweislich seiner Besucherkarte innerhalb des letzten halben Jahres am 06.04.,16.06., 14.08., 13.09., 02.10., 16.10.2000 und 15.11.2000 Besuch von seinen Angehörigen erhalten. Erwägenswert wäre allenfalls, dem Angeklagten für jeden ausfallenden Besuch seiner Angehörigen im Einzelfall ein Telefongespräch von kurzer Dauer zu gestatten (vgl. auch OLG Hamm a.a.O.).

Dem Angeklagten ist nach alledem anheimzugeben, statt einem Antrag auf Erteilung einer generellen Telefonerlaubnis im Einzelfall dem Vorsitzenden der Strafkammer einen Sachverhalt zu unterbreiten, der ein besonderes berechtigtes Interesse an der Führung des Telefonats mit dem konkret bezeichneten Gesprächspartner begründet, um dem Vorsitzenden der Strafkammer die gebotene Ermessensentscheidung im Einzelfall zu ermöglichen.

Der Senat hat daher die Beschwerde des Angeklagten mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet verworfen.

Ende der Entscheidung

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