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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 05.01.2000
Aktenzeichen: 3 Ws 252/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 304 Abs. 1
StPO § 395
StPO § 414 Abs. 2 Satz 1
StPO § 414 Abs. 1
StPO § 473 Abs. 1 Satz 1
StGB § 323 a
StGB § 71

Entscheidung wurde am 28.06.2004 korrigiert: Orientierungssatz in die richtige Reihenfolge gesetzt
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

3. Strafsenat zugleich Senat für Bußgeldsachen

3 Ws 252/99 1 Ks 203 Js 11024/99

Sicherungsverfahren

gegen

A H

aus

wegen Unterbringung

hier: Beschwerde des Verletzten E

Beschluß

vom

05. Januar 2000

Tenor:

Die Beschwerde des Verletzten E gegen den Beschluß des Landgerichts - Schwurgericht - M vom 23. September 1999 wird als unbegründet kostenpflichtig verworfen.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft M stellte am 16.06.1999 beim Landgericht M den Antrag im Sicherungsverfahren, den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Der Verletzte in jener Sache, E schloß sich mit am 10.06.1999 bei der Staatsanwaltschaft eingekommener Erklärung dem Verfahren als Nebenkläger an und beantragte, die Nebenklage zuzulassen und ihm als Nebenkläger seinen Prozeßbevollmächtigten als Beistand bestellen. Mit Beschluß vom 23.09.1999 wies das Schwurgericht den Antrag des Verletzten auf Zulassung der Nebenklage zurück. Hiergegen legte der Verletzte durch Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 08.10.1999, beim Landgericht eingegangen am 11.10.1999, Beschwerde ein. Der Verletzte hielt an seinem Rechtsmittel auch fest, nachdem das Sicherungsverfahren gegen den Beschuldigten durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossen war. Das Schwurgericht hat der Beschwerde mit Beschluß vom 04.11.1999 nicht abgeholfen.

II.

Die nach § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde ist durch rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens in der Hauptsache nicht gegenstandslos geworden. In dem Fall, daß die Strafkammer die Zulassung der Nebenklage und die Beiordnung eines Rechtsanwalts zu Unrecht abgelehnt haben sollte, kann die getroffene Entscheidung nicht zu Lasten des rechtzeitig tätig gewordenen Verletzten gehen, vielmehr ist in diesem Fall rückwirkend auf den Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen vorlagen, die Berechtigung zum Anschluß als Nebenkläger und die Beiordnung eines Rechtsanwalts auszusprechen (Senat NStZ 1983, 42; OLG Nürnberg NJW 1999, 3647). Die Beschwerde bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

1. Der Senat teilt die vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung und von verschiedenen Oberlandesgerichten vertretene Ansicht, daß der Verletzte sich einem Sicherungsverfahren nicht als Nebenkläger anschließen kann (BGH NJW 1974, 2244; BGHR StPO § 395 Anschlußbefugnis 1; BGH NStZ 1999, 312 = BGHR StPO § 395 Anschlußbefugnis 4; OLG Hamm StV 1992, 460; OLG München MDR 1994, 402; OLG Oldenburg NStZ-RR 1996, 310). Diese Ansicht gründet sich zunächst auf den Umstand, daß nach § 395 StPO der Verletzte sich einer erhobenen öffentlichen Klage durch Erklärung als Nebenkläger anschließen kann, daß aber gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren eine öffentliche Klage gar nicht erhoben wird. Für eine sinngemäße Anwendung des im Strafverfahren geltenen § 395 StPO auf das Sicherungsverfahren ist ungeachtet der Vorschrift des § 414 Abs. 2 Satz 1 StPO kein Raum, da die Nebenklage ihrem Wesen nach auf Schuldspruch und Bestrafung des Täters abzielt, während das Sicherungsverfahren allein die selbständige Anordnung einer der in § 71 StGB bezeichneten Maßregeln der Besserung und Sicherung bezweckt (BGH NJW 1974, 2244). Für die in Frage stehende Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus stehen der künftige Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern und weniger die Belange des Verletzten im Vordergrund (OLG München a.a.O.). Die neuere Rechtsprechung hebt darauf ab, daß - ungeachtet der Stärkung der Stellung eines Opfers durch das Opferschutzgesetz am 18.12.1986 (BGBl I S. 2496) - der Gesetzgeber bei mehrfachen Änderungen der §§ 395 ff StPO - zuletzt im Zeugenschutzgesetz vom 30.04.1998 (BGBl I S. 820) - trotz der langjährig ablehnenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Zulassung der Nebenklage nicht festgeschrieben hat (BGH NStZ 1999, 312). Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung hätte aber nahegelegen, wenn abweichend von der früher einheitlichen Rechtsprechung der Nebenklage auch im Sicherungsverfahren hätte Geltung verschafft werden sollen (OLG München a.a.O., OLG Oldenburg a.a.O.).

2. Hingegen vermag der Senat die von mehreren Oberlandesgerichten vertretene Auffassung, die Anschlußberechtigung des Verletzten als Nebenkläger im Sicherungsverfahren ergebe sich seit Inkrafttreten des Opferschutzgesetzes bereits aus dem Wortlaut der §§ 395 Abs. 1, 414 Abs. 2 Satz 1 StPO, nicht zu teilen (OLG Köln NStZ 1994, 144; OLG Frankfurt NJW 1994, 3243, OLG Saarbrücken NStZ 1997, 453; OLG Düsseldorf VRS 96, 218; OLG Nürnberg NJW 1999, 3647). Das Argument, bei Nichtzulassung der Nebenklage im Sicherungsverfahren liefe der Wortlaut des § 395 StPO für diejenigen rechtswidrigen Taten leer, die im Zustand der Schuldunfähigkeit nach § 20 verübt worden sind, geht fehl. Durch den Gesetzeswortlaut ("durch eine rechtswidrige Tat... verletzt") wird nämlich klargestellt, daß das Opfer einer im Vollrausch begangenen Tat nach dem Katalog des § 395 Abs. 1 StPO - ohne daß § 323 a StGB dort eigens aufgeführt werden muß - zum Anschluß an die erhobene öffentliche Klage als Nebenkläger befugt ist (vgl. BGHR StPO § 395 Anschlußbefugnis 2). Da der des Vollrauschs Verdächtige im Strafverfahren angeklagt wird, ist die Stellung des durch die Rauschtat verletzten wegen der unmittelbaren Anwendbarkeit des § 395 StPO nicht mit der desjenigen zu vergleichen, der Opfer der rechtswidrigen Tat eines im Sicherungsverfahren belangten Beschuldigten wurde. Soweit die Argumentation, die Vorschrift des § 395 StPO liefe für im schuldunfähigen Zustand begangene rechtswidrige Taten leer, dahin eingeschränkt wird, dies gelte jedenfalls, soweit nur das Sicherungsverfahren in Betracht komme (OLG Köln a.a.O. OLG Nürnberg a.a.O.), ziehen die Vertreter dieser Meinung einen Zirkelschluß; denn es geht nicht an, die Zulassung des Verletzten als Nebenkläger im Sicherungsverfahren damit zu begründen, daß bei ablehnender Ansicht die im Strafverfahren geltende Vorschrift über die Anschlußbefugnis (§ 395 StPO) für im Sicherungsverfahren zu verhandelnde rechtswidrige Taten keinerlei Funktion entfalten könnte.

Der Senat verkennt nicht, daß durchaus beachtliche Gründe dafür sprechen, dem durch die Tat Verletzten auch im Sicherungsverfahren die Rechtsstellung eines Nebenklägers einzuräumen. Ein natürliches Interesse des Opfers der Tat, als Verfahrensbeteiligter aktiv gestaltend auf das Verfahren einzuwirken und ehrenrührige Verantwortungszuweisungen durch den Täter entkräften zu können, gilt für den Verletzten im Sicherungsverfahren ebenso wie im Strafverfahren; hinzu kommt, daß nicht einsichtig ist, daß der Nebenkläger im Strafverfahren einen auf Schuldunfähigkeit des Täters gegründeten Freispruch mit dem Ziel der Unterbringung desselben im psychiatrischen Krankenhaus anfechten kann (vgl. BGH NStZ 1995, 609), während dem Verletzten dies verwehrt ist, wenn die Staatsanwaltschaft von vornherein das Sicherungsverfahren betrieben hat (vgl. BGH NStZ 1996, 244, wo die Zulässigkeit der Nebenklage im Sicherungsverfahren offengelassen wird). Diesen Erwägungen (vgl. KG JR 1995, 127; OLG Hamburg NStZ 1997, 406) kann aber nur durch ein gesetzgeberisches Eingreifen Rechnung getragen werden. Angesichts des Umstandes, daß eine sinngemäße Anwendung des § 395 StPO auf das Sicherungsverfahren (§ 414 Abs. 1 StPO) mangels vergleichbarer Verfahrensziele ausscheidet, und wegen des Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Neuregelung sieht der Senat keinen Anlaß, von seiner bisherigen Rechtsauffassung abzugehen.

III.

Nach alldem war die Beschwerde des Verletzten mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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