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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 25.06.2004
Aktenzeichen: 3 Ws 3/04
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 7 Abs. 2 Nr. 7
StVollzG § 11 Abs. 2
StVollzG § 109 Abs. 1
1. Die im Vollzugsplanung nach § 7 Abs. 2 Nr. 7 StVollzG getroffene Festlegung, keine Vollzugslockerungen zu gewähren, ist als Maßnahme im Sinne des § 109 Abs. 1 StVollzG anfechtbar.

2. Wird bei der Fortschreibung des Vollzugsplans die Gewährung von Vollzugslockerungen wegen fortbestehender Missbrauchsgefahr abgelehnt, reicht hierfür eine kurze, an eine frühere Lockerungsentscheidung anknüpfende Begründung aus, wenn die frühere Entscheidung ihrerseits eine hinreichend konkretisierte und begründete Prognoseentscheidung enthält und es offensichtlich ist, dass in der Zwischenzeit keine neuen tatsächlichen Gesichtspunkte hervorgetreten sind.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

3 Ws 3/04

Strafvollzugssache

hier: Rechtsbeschwerde gem. § 116 StVollzG

Beschluss vom 25. Juni 2004

Tenor:

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - M. vom 03. Dezember 2003 aufgehoben, soweit der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der im Vollzugsplan der Justizvollzugsanstalt M. vom 02. April 2003 getroffenen Entscheidung über die Versagung von Vollzugslockerungen als unbegründet verworfen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde einstimmig als unzulässig verworfen, weil es insoweit nicht geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG).

Gründe:

I.

Der von der Justizvollzugsanstalt M. am 02.04.2003 fortgeschriebene Vollzugsplan für den Antragsteller sah neben weiteren Anordnungen vor, dass der Antragsteller keine Vollzugslockerungen erhält, weil "unbehandelt nach wie vor Missbrauchsgefahr" bestehe. Mit seinem fristgerecht eingelegten Antrag auf gerichtliche Entscheidung wandte sich der Antragsteller gegen den Vollzugsplan vom 02.04.2003, wobei er u. a. die Versagung von Vollzugslockerungen beanstandete und begehrte, ihm nach pflichtgemäßer Ermessensausübung Lockerungen nach § 11 StVollzG zu gewähren. Nachdem der Vollzugsplan im Oktober 2003 erneut fortgeschrieben worden war, erklärte der Antragsteller sein ursprüngliches Begehren für erledigt und beantragte nunmehr die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vollzugsplan vom 02.04.2003.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - M. den Fortsetzungsfeststellungsantrag des Antragstellers als unbegründet verworfen. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge begründete Rechtsbeschwerde des Antragstellers.

Soweit sich die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung des die Entscheidung über die Versagung von Vollzugslockerungen im Vollzugsplan vom 02.04.2003 betreffenden Fortsetzungsfeststellungsantrags wendet, ist sie zulässig, weil es insoweit geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Im Übrigen liegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht vor.

Das Rechtsmittel hat, soweit es demnach zulässig ist, in der Sache vorläufigen Erfolg.

II.

1. Die Strafvollstreckungskammer hat die Zulässigkeit des sich gegen die Lockerungsentscheidung im Vollzugsplan vom 02.04.2003 richtenden Fortsetzungsfeststellungsbegehrens zu Recht bejaht.

Einzelne nach § 7 Abs. 2 StVollzG in einem Vollzugsplan getroffene Festlegungen sind mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung anfechtbar, sofern es sich um Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten i. S. des § 109 Abs. 1 StVollzG handelt (vgl. OLG Frankfurt NStZ 1995, 520; OLG Koblenz ZfStrVo 1992, 321; KG ZfStrVo 1983, 181; Feest/Joester in AK-StVollzG 4. Aufl. § 7 Rdnr. 33 m. w. N.). Hierunter fällt jedes vollzugsbehördliche Handeln, das im Einzelfall auf eine Gestaltung von Lebensverhältnissen mit zumindest auch rechtlicher Wirkung gerichtet ist (Senat ZfStrVo 2003, 251). Dass die im Vollzugsplan getroffene Festlegung, Vollzugslockerungen wegen fortbestehender Missbrauchsgefahr nicht zu gewähren, danach eine die Rechtssphäre des Gefangenen berührende Regelung enthält, unterliegt keinen Zweifeln. Sie kann daher mit einem Anfechtungsantrag gegebenenfalls - wie hier - in Verbindung mit einem Verpflichtungsbegehren zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden (vgl. OLG Hamm BlfStrVollzK 1995 Nr. 3, 8; KG ZfStrVo 1987, 245; OLG Frankfurt NStE Nr. 7 zu § 11 StVollzG; OLG Celle StV 2000, 572).

Das für den Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 115 Abs. 3 StVollzG erforderliche Feststellungsinteresse des Antragstellers ergibt sich daraus, dass angesichts der fortdauernden Strafverbüßung mit Blick auf die weitere Fortschreibung des Vollzugsplans und künftig anstehende Lockerungsentscheidungen eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht.

2. In der Sache kann die Verwerfung des Fortsetzungsfeststellungsantrags keinen Bestand haben, weil auf der Grundlage der bislang getroffenen tatsächlichen Feststellungen die Rechtmäßigkeit der im Vollzugsplan vom 02.04.2003 angeordneten Versagung von Vollzugslockerungen nicht abschließend beurteilt werden kann.

Die im Rahmen der Vollzugsplanung zu treffende Entscheidung über Vollzugslockerungen (§ 7 Abs. 2 Nr. 7 StVollzG) beurteilt sich nach § 11 Abs. 2 StVollzG. Nach dieser Vorschrift dürfen Lockerungen mit Zustimmung des Gefangenen angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzugs zu Straftaten missbrauchen wird. Der Versagungsgrund der Flucht- und Missbrauchsgefahr als Prognoseentscheidung eröffnet der Vollzugsbehörde einen - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden - Beurteilungsspielraum, in dessen Rahmen sie bei Achtung der Grundrechte des Gefangenen mehrere Entscheidungen treffen kann, die gleichermaßen rechtlich vertretbar sind (BVerfG NStZ 1998, 430, 431; Senat B. v. 21.10.2002 - 3 Ws 211/02). Die gerichtliche Nachprüfung durch die Strafvollstreckungskammern beschränkt sich darauf, ob die Vollzugsbehörde bei Ihrer Entscheidung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat ( Senat ZfStrVo 1983, 181, 183; OLG Karlsruhe Die Justiz 1984, 313).

Um die gerichtliche Kontrolle in diesem Umfang zu ermöglichen, bedarf die Annahme von Flucht- oder Missbrauchsgefahr in einer ablehnenden Lockerungsentscheidung einer hinreichend substantiierten Begründung. Die Justizvollzugsanstalt darf es in diesen Fällen nicht bei bloßen pauschalen Wertungen oder bei dem abstrakten Hinweis auf ein Flucht- und Missbrauchsgefahr im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG bewenden lassen. Sie hat vielmehr im Rahmen einer Gesamtwürdigung nähere Anhaltspunkte darzulegen, welche geeignet sind, die Prognose einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Gefangenen zu konkretisieren (BVerfG NStZ 1998, 430; vgl. auch Senat NStZ 2002, 528; ZfStrVo 1983, 181, 183; OLG Karlsruhe Die Justiz 1984, 313; OLG Celle aaO). Dabei ist auf vom Gefangenen vorgebrachte tatsächliche Einwände einzugehen, falls Anlass zur Nachprüfung und zur Erörterung derselben besteht. Die Reichweite der Begründungserfordernisse lässt sich nicht im Allgemeinen, sondern nur nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls bestimmen (Senat ZfStrVo 1983, 181, 183).

Die in dem Vollzugsplan vom 02.04.2003 enthaltenen Darlegungen, die sich in dem Hinweis auf eine bei unbehandeltem Zustand fortbestehende Missbrauchsgefahr erschöpfen, werden - isoliert betrachtet - den genannten Anforderungen nicht gerecht. Die Ausführungen knüpfen indes inhaltlich ersichtlich an frühere ihm Rahmen der Vollzugsplanung ergangene Lockerungsentscheidungen an. Eine solche Anknüpfung kann als Begründung für eine anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans zu treffende Lockerungsentscheidung ausreichen, wenn die frühere Entscheidung ihrerseits eine hinreichend konkretisierte und begründete Prognoseeinschätzung enthält und offensichtlich ist, dass in der Zwischenzeit keine neuen tatsächlichen Gesichtspunkte hervorgetreten sind (vgl. Senat B. v. 21.10.2002 - 3 Ws 211/02). Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, lässt sich auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen nicht beurteilen, da sich die Strafvollstreckungskammer nicht näher zu den früheren im Verlauf der bisherigen Vollzugsplanung getroffenen Lockerungsentscheidungen verhält. Insbesondere teilt sie nicht mit, welche Festlegungen zur Versagung von Vollzugslockerungen in dem Vollzugsplan vom 22.08.2002 enthalten waren, welcher der nunmehr beanstandenden Fortschreibung vom 02.04.2003 zu Grunde liegt.

Die Sache bedarf daher hinsichtlich des sich gegen die Versagung von Vollzugslockerungen im Vollzugsplan vom 02.04.2003 richtenden Fortsetzungsfeststellungsantrages des Antragstellers einer neuen tatrichterlichen Entscheidung.

Ende der Entscheidung

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