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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 22.03.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 44/01
Rechtsgebiete: StPO, DNA-IFG
Vorschriften:
StPO § 296 | |
StPO § 304 | |
StPO § 310 | |
StPO § 81 g | |
DNA-IFG § 2 Abs. 1 |
2. Zu den Anforderungen an eine tragfähig begründete Entscheidung nach § 2 Abs. 1 DNA-IFG i.V.m. § 81 g StPO.
3 Ws 44/01
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE
wegen gef. Körperverletzung hier: DNA-Identitätsfeststellungsverfahren
Beschluss vom 22. März 2001
Tenor:
Die Akten werden zur Entscheidung über die Gegenvorstellung des Verurteilten an das Landgericht - Strafkammer I - Baden-Baden zurückgegeben.
Gründe:
I.
Mit Beschluss vom 21.09.2000 hat das Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Baden-Baden (9 Gs 347/00) nach §§ 2 DNA-IFG, 81 f, g, 162 Abs. 1 StPO zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren die Entnahme von Körperzellen des Verurteilten T durch Erhebung einer Blutprobe, abwendbar durch freiwillige Abgabe einer Speichelprobe, deren molekulargenetische Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters sowie für den Fall, dass der Verurteilte einer Ladung zur Entnahme der Blutprobe unentschuldigt nicht nachkommt, die Durchsuchung seiner Wohnung mit Nebenräumen zwecks seiner Auffindung und Vorführung zur Entnahme des Spurenmaterials angeordnet. Die Beschwerde des Verurteilten hat das Landgericht - Strafkammer I - Baden-Baden mit Beschluss vom 13.12.2000 mit der Maßgabe verworfen, dass die angeordnete Durchsuchung der Wohnung des Verurteilten entfällt. Gegen die Entscheidung der Strafkammer hat der Verurteilte mit am 18.01.2001 dort eingekommenem Schreiben vom 16.01.2001 mit dem Antrag Beschwerde eingelegt, der Beschwerde abzuhelfen und die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung bis zu seiner persönlichen Anhörung insbesondere zu der aus seiner Sicht nicht hinreichend gewürdigten Sozial- und Kriminalprognose auszusetzen. Die Strafkammer hat die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Die angefochtene Entscheidung ist noch nicht vollzogen worden.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt unter dem 02.03.2000, die weitere Beschwerde des Verurteilten nach § 310 Abs. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen.
II.
Der Senat gibt die Akten an das Landgericht - Strafkammer I - Baden-Baden zur Entscheidung über den als Gegenvorstellung zu behandelnden Rechtsbehelf des Verurteilten zurück.
1. Allerdings ist der angefochtene Beschluss der Strafkammer rechtskräftig, eine hiergegen gerichtete (weitere) Beschwerde wäre mithin unzulässig. Beschlüsse, die von dem Landgericht auf Beschwerde hin erlassen worden sind, können nämlich grundsätzlich nicht mit der weiteren Beschwerde angefochten werden (§ 310 Abs. 2 StPO); ein Ausnahmefall nach § 310 Abs. 1 liegt hier nicht vor. Eine weitere Beschwerde wird auch nicht durch den von dem Verurteilten geltend gemachten Verstoss gegen Verfassungsrecht d.h. gegen sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eröffnet (vgl. nur BGH NStZ 1999, 414; OLG Düsseldorf NJW 1991, 2434; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 310 Rdnr. 1). Die vom OLG Düsseldorf (a.a.O.) vertretene Meinung, dass zur Überprüfung einer an sich nicht mehr anfechtbaren Entscheidung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten allein das Bundesverfassungsgericht berufen sei, vermag der Senat indes nicht zu teilen (BGH a.a.O.).
2. Die Gegenvorstellung des Verurteilten ist zulässig.
Gegenvorstellungen gegen gerichtliche Entscheidungen sind als Ausfluss des Petitionsrechts (Art. 17 GG) grundsätzlich statthaft. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen eine gerichtliche Entscheidung -z. B. bei dagegen erhobener einfacher Beschwerde- durch dasselbe Gericht wieder aufgehoben werden darf. Ist jedoch auf eine einfache Beschwerde eine letztinstanzliche Entscheidung ergangen, so ist die sich gegen sie richtende Gegenvorstellung i. d. R. nicht mehr statthaft. Denn mit der letztinstanzlichen Entscheidung ist das Beschwerdeverfahren abgeschlossen mit der Folge, dass über Änderungen wieder die Vorinstanz im Rahmen der an sie zurückgefallenen Zuständigkeit zu befinden hat (OLG Schleswig bei Lorenzen/Görl SchlHA 1989, 107; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. Rdnr. 23 vor § 296). Allerdings kann die Gegenvorstellung ausnahmsweise für statthaft erachtet werden, wenn der Beschwerdeführer einen schwerwiegenden Verfahrensfehler wie z. B. die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) beanstandet, der ihn in seinen Grundrechten verletzt, und durch die Heilung des Verstoßes eine Verfassungsbeschwerde vermieden werden kann (OLG Stuttgart Die Justiz 1996, 147; KK-Ruß StPO 4. Aufl. vor § 296 Rdnr. 4 a.E.). So liegt der Fall hier.
Den von Verfassungs wegen gebotenen Anforderungen an eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts und eine Auseinandersetzung mit den für die Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkten genügt die angefochtene Entscheidung bezüglich der gestellten Gefahrenprognose nicht.
Wegen der Erfordernisse einer tragfähig begründeten Entscheidung nach § 2 Abs. 1 DNA-IFG i.V.m. § 81 g StPO verweist der Senat auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des BVerfG vom 14.12.2000 (2 BvR 1771/99 u.a.). Hervorgehoben sei:
In den insoweit erforderlichen Abwägungsvorgang sind insbesondere die Rückfallgeschwindigkeit (bei Rückfalltätern), der Zeitablauf seit der früheren Tatbegehung, das Verhalten des Verurteilten in der Folgezeit, seine Motivationslage bei der früheren Tatbegehung, seine Lebensumstände und seine Persönlichkeit einzustellen, mithin Umstände, die gleichermaßen bei einer Sozialprognose für die Strafaussetzung zur Bewährung oder einer Gefahrenprognose bei der Verhängung einer Maßregel bestimmend sein können. Zwar wird keine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall gefordert. Jedoch setzt die Maßnahme nach § 81g StPO voraus, dass sie im Hinblick auf die Prognose der Gefahr der Wiederholung auf schlüssigen, verwertbaren und in der Entscheidung nachvollziehbar dokumentierten Tatsachen beruht und auf dieser Grundlage die richterliche Annahme die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung belegt. Dafür ist das Freibeweisverfahren geeignet, in dem die Aufklärungspflicht gilt (BVerfG a.a.O.). Die Anordnung der Maßnahme kann nur auf Umstände gestützt werden, denen Aussagekraft für die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Tatbegehung zukommt. Allein die Annahme, eine Rückfallgefahr eines vor längerer Zeit verurteilten Betroffenen sei nicht sicher auszuschließen, rechtfertigt den Eingriff nicht. Es bedarf vielmehr positiver, auf den Einzelfall bezogener Gründe für die Annahme einer Wiederholungsgefahr.
Die Strafkammer hat zwar zutreffend festgestellt, dass die mit einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je DM 30 durch das Amtsgericht Baden-Baden am 24.07.1995 abgeurteilte, von dem Beschwerdeführer am 06.01.1995 begangene Körperverletzung eine Tat von erheblicher Bedeutung war. Die weitere Entwicklung des Verurteilten in der Folgezeit teilt die Strafkammer aber nicht mit, beschränkt sich vielmehr auf die Feststellung, dass der Verurteilte Ersttäter und in der Folgezeit nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Die von ihr gestellte Gefahrenprognose stützt die Strafkammer allein auf die Schwere des Körperverletzungsdelikts vom 06.01.1995 und darauf, dass "auch nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung zureichende Anhaltspunkte für die Besorgnis künftiger Straftaten" gegeben seien. Der Hinweis auf diese Gesichtspunkte kann indes nicht die Aufklärung und Prüfung aller bedeutsamen Umstände einschließlich derjenigen, die gegen eine Negativprognose sprechen, ersetzen (BVerfG a.a.O. BAS. 9, 20). Gleiches gilt für den von der Strafkammer festgestellten Zeitablauf seit der Anlasstat, der freilich als alleiniger Gesichtspunkt eine negative Kriminalprognose nicht beseitigen könnte. Bedeutung für die vorausschauende Bewertung hat insbesondere auch die Frage, ob der Verurteilte Mitglied gewaltbereiter Karlsruher "Fans" war und ist bzw. ob und ggf. wann er sich aus dieser Szene gelöst hat (vgl. hierzu die Gründe des den Beschwerdeführer freisprechenden Urteils des Amtsgerichts Karlsruhe vom 30.10.1997 - 10 Ds AK 308/97 -) und wie sich die sonstigen Lebensverhältnisse des Verurteilten gestaltet haben. Insoweit liegt die Einholung eines Gerichtshilfeberichts nahe.
3. Die Beschwerde des Verurteilten vom 16.01.2001, die als weitere Beschwerde unzulässig wäre (§ 310 Abs. 2 StPO), war daher als Gegenvorstellung gegen den Beschluss vom 13.12.2000 zur weiteren Behandlung an die Strafkammer zurückzugeben.
Ende der Entscheidung
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