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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 27.06.2001
Aktenzeichen: 3A W 43/01
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG § 5 Abs. 2
GKG § 58 Abs. 2
GKG § 5 Abs. 6
Die Ermäßigung der Gerichtsgebühren nach Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 19 a zum Einigungsvertrag tritt, wenn der Kostenschuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand im Beitrittsgebiet hat, unabhängig davon ein, vor welchem deutschen Gericht die Gerichtsgebühren anfallen (übereinstimmend mit BGH, Beschluss vom 14.11.1995, VI ZR 408/94; entgegen OLG Stuttgart, Beschluß vom 14.5.1996, 8 W 74/96).
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

Karlsruhe, 27. Juni 2001

In Sachen

wegen Schadensersatz

Beschluss

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Klägerin werden der Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 3. Mai 2001 und der Kostenansatz vom 30. März 2001 aufgehoben.

Es sind keine Gerichtskosten mehr zu entrichten.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Klägerin hat ihren Sitz in . Sie nahm den Beklagten vor dem Landgericht Heidelberg auf Schadensersatz in Höhe von 97.430,39 DM nebst Zinsen in Anspruch. Das gegen den Beklagten ergangene Versäumnisurteil ist zwischenzeitlich rechtskräftig.

Die Klägerin hatte aus einem Streitwert von 97.430,00 DM Gerichtskosten in Höhe von 2.578,50 DM (2.865,00 DM abzüglich 10 %) vorausbezahlt. Der Beklagte als primärer Kostenschuldner ist pfandlos. Mit Kostenrechnung vom 30.03.2001 wurde deshalb die Klägerin von der Landesoberkasse Baden-Württemberg aufgefordert, weitere 286,50 DM an Gerichtskosten zu entrichten.

Gegen den Kostenansatz hat die Klägerin Erinnerung eingelegt, die das Landgericht Heidelberg mit Beschluss vom 03.05.2001 zurückgewiesen hat. Es hat die Auffassung vertreten, die im Einigungsvertrag geregelte Gebührenermäßigung beziehe sich auf Gerichtsgebühren im Beitrittsgebiet; nach Wortlaut und System des Einigungsvertrages sei eine Erstreckung der Gebührenermäßigung auf die alten Bundesländer nicht beabsichtigt gewesen. Die gegenteilige Ansicht des Bundesgerichtshofs biete keinen hinreichenden Anlass, von dieser Meinung abzurücken.

Gegen den Beschluss hat die Klägerin "sofortige Beschwerde" eingelegt. Sie meint nach wie vor, die im Einigungsvertrag bestimmte Gebührenermäßigung gelte auch für Verfahren vor einem Gericht in Baden-Württemberg. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf ihren Schriftsatz vom 15.05.2001 Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Beklagte hat zu den Rechtsbehelfen der Klägerin keine Stellung genommen.

II.

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 03.05.2001 ist nach § 5 Abs. 2 GKG zulässig. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Nach inzwischen herrschender Auffassung, der sich der erkennende Senat anschließt, ist es für die Gebührenermäßigung nach Art. 8 in Verbindung mit Anlage I Kapitel II Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 19 a des Einigungsvertrages unerheblich, ob das Verfahren vor einem Gericht der alten oder neuen Bundesländer statt findet (BGH MDR 1996, 205; OLG Nürnberg MDR 1998, 371; OLG Köln VersR 1995, 435; OLG Koblenz, VersR 1996, 605; OLG Düsseldorf DtZ 1995, 295; Kammergericht JurBüro 1993, 149; Markl/Meyer, Kommentar zum GKG, 4. Aufl., 2001, § 12 Rdnr. 32; Hartmann, Kostengesetze, 30. Aufl., 2001, § 11; anderer Ansicht: OLG Hamm MDR 1997, 205: OLG München MDR 1996, 749; OLG Stuttgart MDR 1996, 269).

Nach Art. 8 in Verbindung mit Anlage I Kapitel II Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 19 a des Einigungsvertrages ermäßigen sich die Gebühren um 10 %, wenn der Kostenschuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand im Beitrittsgebiet hat; die Ermäßigung erstreckt sich auf andere Kostenschuldner, die als Zweitschuldner gem. § 58 Abs. 2 GKG in Anspruch genommen werden.

1. Die Klägerin erfüllt die personalen Voraussetzungen für die Gebührenermäßigung. Sie hat ihren Firmensitz in , mithin im Bundesland Sachsen.

2. In Rechtsprechung und Rechtslehre ist umstritten, ob die Kostenermäßigung auch dann gilt, wenn das gerichtliche Verfahren vor einem Gericht in den alten Bundesländern statt findet. Dafür sprechen Wortlaut, Motiv und Zweck der Gebührenermäßigung.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 14.11.1995 (MDR 1996, 205) ausgeführt, mit der im Einigungsvertragsgesetz enthaltenen klaren gesetzlichen Regelung sei die Auffassung, dass sich die Gebührenermäßigung auf Gebühren und Kosten im Beitrittsgebiet beschränke, nicht vereinbar. Die Regelung stelle nämlich für die Gebührenermäßigung allein darauf ab, ob der Kostenschuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand im Beitrittsgebiet hat (ebenso: OLG Düsseldorf DtZ 1995, 295, 296; OLG Köln VersR 1995, 435, 436). Nicht der territoriale Geltungsbereich der gesetzlichen Regelung, sondern der Kreis der Normadressaten werde für die Gebührenermäßigung begrenzt. Damit sei es für die Anwendung der Ermäßigungsvorschrift ohne Belang, ob der Rechtsstreit vor den Gerichten in den neuen oder den alten Bundesländern anhängig gewesen sei. Ziel der Ermäßigung sei es nämlich gewesen, den abweichenden Lebensverhältnissen, insbesondere den Vermögens- und Einkommensverhältnissen in der früheren DDR Rechnung zu tragen.

Die hiergegen vorgebrachten Argumente (siehe insbesondere OLG Stuttgart, MDR 1996, 969; OLG München, MDR 1996, 749) überzeugen nicht. Die Auslegung des Bundesgerichtshofs verkennt nämlich die Systematik des Einigungsvertrages nicht. Ein Vergleich der Nr. 19 a (Gerichtsgebühren) mit Nr. 26 a (Rechtsanwaltsgebühren) zeigt, dass durchaus differenziert wird. Bei der Höhe der Rechtsanwaltsgebühren kommt es auch auf den Ort des Verfahrens an. Wo der Rechtsanwalt tätig wird, spielt für seine Gebühren allerdings nur dann eine Rolle, wenn es sich um einen Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in den alten Bundesländern handelt; wird dagegen ein Rechtsanwalt mit Kanzleisitz im Beitrittsgebiet tätig, dann ermäßigen sich dessen Gebühren unabhängig davon, wo sein Auftraggeber wohnt und wo der Rechtsanwalt für ihn tätig wird. Insbesondere aber ist es für einen Rechtsanwalt aus dem Beitrittsgebiet unerheblich, ob die Gerichte und Behörden, bei denen er tätig wird, ihren Sitz im Beitrittsgebiet oder in den alten Bundesländern haben (BGH JurBüro 1994, 23; OLG Nürnberg, MDR 1998, 371).

Auch das Argument, die Gebührenermäßigung könne räumlich nicht über das Beitrittsgebiet hinaus greifen, weil der Einigungsvertrag nur den Rechtszustand im Beitrittsgebiet regele, überzeugt nicht. Wie das Oberlandesgericht Nürnberg (MDR 1998, 371) überzeugend ausführt, ist der Schluss vom Ort des Verfahrens auf den Ermäßigungstatbestand nämlich keineswegs zwingend. Den Partnern des Einigungsvertrages stand es vielmehr frei, Gebührentatbestände auf die Vorgänge innerhalb des Beitrittsgebiets zu beschränken oder auf Vorgänge außerhalb des Beitrittsgebiets zu erstrecken; eine solche Beschränkung ist dem Einigungsvertrag bei Gerichtsgebühren fremd.

Damit gibt es nach Auffassung des Senats gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine überzeugenden Argumente. Vielmehr sprechen Wortlaut und Zweck, vor allem aber die gesetzgeberische Motivation dafür, dass es für die Anwendung des Ermäßigungstatbestandes unerheblich ist, ob das Verfahren vor einem Gericht der alten oder der neuen Bundesländer statt findet.

3. Die Ermäßigung kommt der Klägerin auch als Zweitschuldnerin zugute. Dies folgt daraus, dass sich nach Art. 8 in Verbindung mit Anlage I Kapitel II Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 19 a, Satz 2 des Einigungsvertrages die Ermäßigung auf andere Kostenschuldner, die als Zweitschuldner gem. § 58 Abs. 2 GKG in Anspruch genommen werden, erstreckt. Dann ist die Ermäßigung erst recht zu gewähren, wenn die Zweitschuldnerin den Ermäßigungstatbestand unmittelbar erfüllt.

4. Nach § 5 Abs. 6 GKG ist das Verfahren über die Beschwerde gebührenfrei und werden außergerichtliche Kosten nicht erstattet.



Ende der Entscheidung

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