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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 11.07.2002
Aktenzeichen: 3A W 55/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 78 Abs. 1
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
ZPO § 91 Abs. 1 S. 2
Auch nach dem Wegfall des Lokalisationsprinzips sind Reisekosten eines zwar postulationsfähigen, aber beim Prozessgericht nicht zugelassenen Rechtsanwalts nicht generell erstattungsfähig (Bestätigung von OLG Karlsruhe, 11. Zivilsenat, MDR 2001, 293 = Justiz 2001, 163 = JurBüro 2001, 201 = AnwBl 2001, 119 = OLGR Karlsruhe 2001, 54).
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

3A W 55/02

Karlsruhe, 11. Juli 2002

In Sachen

wegen Forderung

hier: sofortige Beschwerde gegen Kostenfestsetzungsbeschluss

Beschluss:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Heidelberg vom 05.11.2001 - 4 O 6/01 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Beschwerdewert wird auf DM 288,00 festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin betreibt in ... ein Unternehmen zur Herstellung und zum Vertrieb von Enzymen und Enzymprodukten für die Molekular-Biologie. In den Jahren 1998 bis 2000 bestellte die Beklagte mehrere Warenlieferungen. Die Klägerin klagte vor dem Landgericht Heidelberg ihren Kaufpreisanspruch in Höhe von DM 39.031,20 ein. Gemäß klagestattgebendem Urteil vom 24.07.2001 hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Im Kostenfestsetzungsverfahren meldete die Klägerin unter anderem Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld ihres ... Rechtsanwalts für die Terminswahrnehmung in Heidelberg an. Im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 05.11.2001, der Klägerin am 13.11.2001 zugestellt, blieben hiervon DM 288,00 unberücksichtigt.

Hiergegen richtet sich die am 22.11.2001 eingegangene "Erinnerung" der Klägerin. Sie ist der Auffassung, seit Erweiterung der Postulationsfähigkeit auf alle in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälte seien auch Fahrtkosten eines nicht beim Prozessgericht zugelassenen, aber in der Nähe der auswärtigen Partei niedergelassenen Prozessbevollmächtigten erstattungsfähig. Wegen der weiteren Begründung des Rechtsmittels wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 17 "September" 2001 (gemeint: 17. November 2001) Bezug genommen.

Die Beklagte hat im Beschwerdeverfahren keine Stellungnahme abgegeben.

II.

Das als sofortige Beschwerde auszulegende Rechtsmittel der Klägerin ist nach § 104 Abs. 3 ZPO i.V. mit den §§ 11 Abs. 1, 21 Nr. 1 RpflegerG zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Die Rechtspflegerin hat zu Recht und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld in Höhe von DM 288,00 aberkannt.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung von Reisekosten, Tage- und Abwesenheitsgeld ihres ... Rechtsanwalts, soweit diese Kosten über das im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 05.11.2001 festgesetzte Maß hinausgehen. Diese weitergehenden Kosten waren nämlich nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat teilt nach wie vor nicht die Rechtsauffassung, wonach Fahrkosten, Tage- und Abwesenheitsgeld eines am Prozessgericht nicht zugelassenen, seit 01.01.2000 gemäß § 78 Abs. 1 ZPO aber postulationsfähigen Rechtsanwalts grundsätzlich erstattungsfähig sind.

a) Mit dem Wegfall des Lokalisationsprinzips sind einige Oberlandesgerichte dazu übergegangen, generell auch die Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts uneingeschränkt als erstattungsfähig anzusehen (OLG Frankfurt, MDR 2001, 55; Kammergericht, MDR 2001, 473, OLG Düsseldorf, JuriBüro 2002, 151; OLG Stuttgart, MDR 2002, 176; vgl. auch OLG Hamm, JuriBüro 2002, 201). Andere Oberlandesgerichte halten dagegen an der bisherigen Rechtssprechung fest und gewähren eine Erstattung nur bei Notwendigkeit (OLG Hamburg, JuriBüro 2001, 203; OLG Schleswig, MDR 2001, 537; OLG Zweibrücken, MDR 2001, 535; OLG München, MDR 2001, 773; OLG Koblenz, JuriBüro 2002, 202; vgl. zum Streitstand: Gebauer/Schneider, Kommentar zur BRAGO, 2002, § 28 Rdn. 43).

Das OLG Karlsruhe hat mit Beschluss vom 13. Dezember 2000 (MDR 2001, 293 =Justiz 2001, 163 = JuriBüro 2001, 201 = Anwaltsblatt 2001, 119 = OLG-Report Karlsruhe, 2001, 54) die generelle Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines nach Wegfall des Lokalisationsprinzips zwar postulationsfähigen, aber beim Prozessgericht nicht zugelassenen Rechtsanwalts verneint. Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen (Beschluss vom 20. September 2001, 3A W 64/01).

b) Nach Ansicht des Senats sprechen gegen die generelle Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines postulationsfähigen, am Sitz des Prozessgerichts aber nicht zugelassenen Rechtsanwalts nach wie vor drei Erwägungen:

- Würde man nach Wegfall des Lokalisationsprinzips generell Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts uneingeschränkt als erstattungsfähig ansehen, bestünde ein Widerspruch zur gesetzgeberischen Wertung in § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Nach dieser Vorschrift sind der obsiegenden Partei die Mehrkosten nicht zu erstatten, die dadurch entstehen, dass der beim Prozessgericht zugelassene Rechtsanwalt seinen Sitz oder seine Kanzlei nicht an dem Ort hat, an dem sich das Prozessgericht befindet. Bei einem vor dem LG Karlsruhe zu führenden Prozess würde die etwa vom OLG Frankfurt vertretene Rechtsansicht dazu führen, dass eine Partei aus Bruchsal (Entfernung zum Gericht: 30 km, LG-Bezirk Karlsruhe), die einen Anwalt an ihrem Wohnort/Geschäftssitz beauftragt, keine Reisekosten erstattet bekommt (§ 91 Abs. 2 S. 2 ZPO), während eine Partei aus Durmersheim (Entfernung: 15 km, LG-Bezirk Baden-Baden), die sich ebenso verhält, einen Erstattungsanspruch hätte. Für eine solche Differenzierung vermag der Senat keinen rechtfertigenden Grund zu erkennen (ebenso: OLG Karlsruhe, 11. Zivilsenat a.a.O.; in diesem Sinne auch Bischof, MDR 2000, 1357, 1359).

- Es muss nicht in jedem Falle im Interesse des "rechtsuchenden Bürgers" (vergleiche die Formulierung des Gesetzgebers in Bundestagsdrucksache 12/4993, Seite 53) liegen, dass Reisekosten des Prozessbevollmächtigten ohne Rücksicht auf die Entfernung zum Prozessgericht erstattet werden. Prozesse des "rechtsuchenden Bürgers" finden oft in der Nähe seines Wohnortes statt, sei es, dass er als Beklagter beteiligt ist (§ 12 ZPO), sei es, dass er selbst klagt und einen ihm günstigen Gerichtsstand (z. B. § 21 ZPO - Niederlassung -, § 29 a ZPO - Mietsachen -, § 32 ZPO - Unerlaubte Handlung -, § 48 VVG - Gerichtsstand der Agentur) in Anspruch nehmen kann. Die generelle Erstattungsfähigkeit anwaltlicher Reisekosten kann im Einzelfall dazu führen, dass ein "rechtsuchender Bürger" seinem Gegner hohe Reisekosten - gegebenenfalls sogar in Form fiktiver Reisekosten - zu erstatten hätte, selbst derartige Kosten aber nicht, jedenfalls nicht in gleicher Höhe anmelden könnte, weil sie bei ihm tatsächlich nicht angefallen sind. In diesem Zusammenhang ist zu erwarten, dass sich Banken, Versicherer, Versandhäuser und andere am Wirtschaftsleben teilnehmende Großunternehmen ihrer "Hausanwälte" am Sitz ihrer Hauptverwaltungen bedienen.

- Schließlich gilt § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterschiedslos, ob ein auswärtiger Rechtsanwalt zum Landgericht oder Amtsgericht anreist (vgl. Gerold/Schmidt/Von Eicken/Madert, Kommentar zur BRAGO, 14. Auflage, § 28 Rdn. 26). Bei den Amtsgerichten aber (ausgenommen Anwaltsprozesse vor dem Familiengericht) galt das Lokalisationsprinzip nach § 78 ZPO a.F. nicht. Schon deshalb kann der Wegfall des Lokalisationsprinzips bei den Landgerichten keine Änderung der Grundsätze zur Erstattungsfähigkeit von Reisekosten eines auswärtigen Anwalts begründen.

2. Die Klägerin trägt auch im Beschwerdeverfahren keine erheblichen Gründe dafür vor, dass die Zuziehung eines nicht am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Sinne von §§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO notwendig war. Der Klägerin war zuzumuten, im Interesse der Kostenersparnis einen Rechtsanwalt zu beauftragen, der am Ort des Prozessgerichts selbst, also in Heidelberg, seinen Kanzleisitz hat. Gegenstand der Klage war nämlich eine Kaufpreisforderung, die keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufwies und aus Sicht der Klägerin ein "alltägliches Geschäft" ihres Geschäftsbetriebs betraf. Auf ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant kommt es bei solchen Streitgegenständen nahezu überhaupt nicht an.

Wie die Rechtspflegerin im angefochtenen Beschluss zu Recht hervorgehoben hat, war eine Informationsreise zur Information und zum Kennenlernen des Prozessbevollmächtigten ausreichend. Weitere Informationen kann die im Geschäftsverkehr gewandte Klägerin schriftlich oder fernmündlich erteilen, so dass eine zweite Informationsreise nicht erforderlich war. Auch dies entspricht der ständigen Rechtssprechung des Senats (vgl. etwa Beschluss vom 20. September 2001, 3A W 64/01; vgl. auch OLG Karlsruhe, 11. Zivilsenat, Justiz 2001, 163; Baumbauch/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO-Kommentar, 60. Auflage, 2002, § 91 Rdn. 48, 165 ff.).

3. Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Beschwerdewert ist nach § 73 GKG in DM festzusetzen.

Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde zum BGH zu. Wie dargestellt, werden zur Erstattbarkeit von Anwaltskosten nach Wegfall des Lokalisationsprinzips unterschiedliche Auffassungen vertreten. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung ist deshalb eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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