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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 29.03.2001
Aktenzeichen: 4 U 22/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 2 S. 1
Leitsatz

1. Der Hersteller von Feuerzeuggasnachfüllflaschen haftet nicht für die durch bewussten Missbrauch des Gases ("Schnüffeln") eintretenden Gesundheitsschäden.

2. Dies gilt auch, wenn ein 13-jähriges Kind an den Folgen dieses Missbrauchs wegen eines Atemstillstandes stirbt.

Oberlandesgericht Karlsruhe - Urteil vom 29. März 2001 - 4 U 22/00 - rechtskräftig


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 4. Zivilsenat in Freiburg

4 U 22/00 1 O 145/99 LG WT

Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am: 29.03.2001

Gall, JOS als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld

hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 4. Zivilsenat in Freiburg - auf die mündliche Verhandlung vom 15.03.2001 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Jaeckle

Richter am Oberlandesgericht Dr. Kummle

Richter am Oberlandesgericht Büchler

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 27.01.2000 (1 O 145/99) wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Beschwer der Kläger übersteigt den Betrag von 60.000,00 DM nicht.

Abgekürztes Urteil gem. § 543 Abs. 1 ZPO.

Tatbestand und Entscheidungsgründe:

I.

Der 13-jährige Sohn der klagenden Eheleute (künftig: Kläger) verstarb am 01.07.1998 an den Folgen einer Butangas-Intoxikation.

Das von der Beklagten in Nachfüllflaschen portionierte und vertriebene Feuerzeuggas war von dem Jungen wegen seiner berauschenden Wirkung auf Kleidungsstücke gesprüht und eingeatmet ("geschnüffelt") worden. Die eingesogenen Dämpfe haben bei ihm einen Atemstillstand bewirkt, der zu seinem Tod führte.

Die Kläger sind der Auffassung, die Beklagte hätte auf die Gefährlichkeit der direkten Inhalation des Gases hinweisen müssen. Sie verlangen den Ersatz von Beerdigungskosten und Schmerzensgeld.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihren Anspruch weiter.

II.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen im angefochtenen Urteil an, macht sich diese zu eigen und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf sie. Das Berufungsvorbringen gibt lediglich Anlaß zu folgenden Hinweisen:

1.

Der Hersteller eines industriellen Erzeugnisses ist grundsätzlich verpflichtet, die Verbraucher vor denjenigen Gefahren zu warnen, die aus der Verwendung des Produkts entstehen können (BGH BB 1959, 1186 - Klebemittel; BGH NJW 1987, 372 - Verzinkungsspray; BGH NJW 1992, 560 - Kindertee). Dabei hat er insbesondere auf die Folgen unsachgemäßer Verwendung, ggf. auch des sorglosen Umgangs mit seinem Erzeugnis hinzuweisen (OLG Oldenburg NJW-RR 1997, 1520 - Rohrreiniger), jedenfalls soweit die Verwendung noch im Rahmen der Zweckbestimmung des Produkts liegt (BGH NJW 1989, 707). Unter Umständen muß er sogar vor einem naheliegenden Mißbrauch warnen; insbesondere gilt dies etwa dann, wenn ein Arzneimittel dazu bestimmt ist, in dramatischen Situationen von Patienten selbst angewendet zu werden (BGHZ 106, 273, 281 - Asthma-Spray). Vor Gefahren, die bei einer zweckwidrigen Produktverwendung auftreten können, hat er dann zu warnen, wenn bei naheliegendem Fehlgebrauch erhebliche Körper- oder Gesundheitsschäden zu besorgen sind (OLG Stuttgart ZfS 1992, 330 - Signalrevolver). Allerdings müssen Gefahren, die nur bei bestimmungswidrigem Gebrauch eines Produkts auftreten, dann nicht Gegenstand einer besonderen Instruktion des Herstellers sein, wenn den Verwendern bekannt ist, wie es bestimmungsgemäß zu gebrauchen ist (OLG Köln VersR 1985, 747 - runderneuerte Flugzeugreifen).

Vollends zurücktreten muß die allgemeine Pflicht zur Aufklärung dann, wenn es sich um einen völlig zweckfremden, bewußten Mißbrauch eines Produkts als Rauschmittel handelt (BGH VersR 1981, 957 - "sniffing" eines Lösungsmittels). Nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit für den Hersteller, sondern auch wegen des durch einen Hinweis auf die Gefahren des Mißbrauchs möglicherweise erst geschaffenen Anreiz hierfür ist eine Warnung vor den Folgen des "Schnüffelns" nicht zu fordern (BGH a.a.O.).

Vor diesem Hintergrund bestand im Streitfall keine allgemeine Hinweispflicht der Beklagten auf die Gefahren, die sich aus der Verwendung ihrer Feuerzeuggasnachfüllpackungen als Rauschmittel ergaben. Der Verwendungszweck des Produkts lag - auch für einen 13-jährigen Jungen - ebenso offen zu Tage wie der Umstand, daß es sich bei der von ihm gewählten Benutzung um einen krassen Mißbrauch handelte.

Diesen betrieb der 13 3/4 Jahre alte Sohn der Kläger ausweislich der Ermittlungsakte schon seit längerer Zeit (ca. zwei bis drei Monate), wobei er neben Feuerzeuggas möglicherweise auch die Dämpfe von "Sekunden-Kleber" einsog.

Bei dieser Sachlage kann die Verantwortung für den tragischen Todesfall des Jungen nicht der Beklagten aufgebürdet werden.

2.

Für die Verpflichtung der Beklagten, auf mögliche Gefahren aus der bestimmungswidrigen Verwendung ihres Feuerzeuggases hinzuweisen, ergibt sich auch kein Argument aus dem Umstand, daß nach dem Tod des Sohnes der Kläger von der Beklagten auf ihr Produkt der Hinweis aufgedruckt wird: "Darf nicht eingeatmet werden".

Hierzu hat der Geschäftsführer der Beklagten in seiner Anhörung im Senatstermin ausgeführt, daß bis zur Einleitung des vorliegenden Rechtsstreits der Beklagten nicht bekannt gewesen sei, daß von dem Produkt Isopropangas gesundheitliche Gefahren ausgehen können. Dieses Gas finde nicht nur als Feuerzeugfüllmittel, sondern auch als Treibmittel für Haarsprays und in anderen Sprühdosen Verwendung. Das Gas werde von der Beklagten nicht selbst hergestellt, sondern von Drittfirmen bezogen. Die Beklagte fülle dieses Gas lediglich in handelsübliche Packungsgrößen um. Dabei sei die Gasmenge in einer 400 ml Haarspray gleich groß wie die in einer 200 ml Feuerzeuggasnachfüllflasche, wie sie der Sohn der Kläger zum Schnüffeln benutzt hat.

Von Seiten der Behörden seien noch nie Auflagen im Hinblick auf den Schutz der Arbeitskräfte der Beklagten etwa beim Umfüllen des Gases gemacht worden, auch seien keine gesundheitlichen Probleme dabei aufgetreten.

Sämtliche behördlichen Vorgaben seien auf die Vermeidung von Risiken im Zusammenhang mit der Entzündlichkeit des Produkts zu sehen, als gesundheitsgefährdend sei es nach der Gefahrstoffverordnung jedoch nicht eingestuft.

Dieser Vortrag der Beklagten wurde von den Klägern nicht nur nicht bestritten, sondern der Beweisantrag auf Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten zum Beweis für die Behauptung, der Beklagten seien die gesundheitlichen Gefahren bekannt gewesen, die sich aus dem Mißbrauch ihres Produkts ergeben können, wurde ausdrücklich zurückgenommen.

Bei dieser Sachlage ist der in der Zwischenzeit aufgedruckte Hinweis: "Darf nicht eingeatmet werden" eine aus Rechtsgründen nicht zu fordernde, über die Verpflichtung der Beklagten zur Warnung vor Produktgefahren hinausgehende, Vorsichtsmaßnahme. Aus dem Unterlassen dieses Hinweises vor dem Tod des Sohns der Kläger läßt sich eine Einstandspflicht für die mit der Klage geltend gemachten Beträge nicht begründen.

Nach alledem kann die Berufung keinen Erfolg haben.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Festsetzung der Beschwer folgt aus § 546 Abs. 2 S. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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