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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 05.04.2000
Aktenzeichen: 5 WF 52/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 124 Nr. 2
ZPO § 120 Abs. 4
ZPO § 570

Entscheidung wurde am 21.08.2003 korrigiert: Geschäftsnummern nach #2 geändert
Leitsatz:

§ 124 Nr. 2 ZPO ist nur für den Fall der auch im Beschwerdeverfahren fortdauernden Verweigerung der gebotenen Mitwirkung als Sanktion anzuwenden, im übrigen aber als reine Kostenvorschrift. Danach ist eine Aufhebung bereits gewährter Prozeßkostenhilfe nur dann gerechtfertigt, wenn sich herausstellt, daß die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Begünstigten nicht mehr gegeben sind.


Geschäftsnummer: 5 WF 52/00 5 WF 53/00 5 WF 44/00

Oberlandesgericht Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg -

Beschluss vom 5. April 2000

In der Familiensache

-Antragstellerin/Beschwerdegegnerin-

gegen

-Antragsteller/Beschwerdeführer-

Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt

wegen Ehescheidung u.a.

hier: Beschwerden gegen die Aufhebung der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nach § 124 Ziffer 2 ZPO

hat der 5. Zivilsenat - Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Karlsruhe beschlossen:

Tenor:

Die Beschlüsse des Rechtspflegers beim Amtsgericht -Familiengericht- Lörrach vom 14.6.1999 in den Verfahren 11 F 156/95, 11 F 19/97 und 11 F 49/98 werden aufgehoben.

Gründe:

Dem Beschwerdeführer war im Verfahren 11 F 156/95 des Amtsgerichts -Familiengericht- Lörrach wegen Ehescheidung u.a. als Antragsteller durch Beschluß vom 13.10.1995 ratenfreie Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt bewilligt worden. Das Verfahren endete durch Rücknahme des Scheidungsantrags mit Schriftsatz vom 19.10.1995, bei Gericht eingegangen am 21.10.1995.

Durch Beschluß vom 20.2.1997 war dem Beschwerdeführer im Verfahren 11 F 19/97 des Amtsgerichts -Familiengericht- Lörrach wegen Ehescheidung u.a. als Antragsteller ratenfreie Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt bewilligt worden. Das Verfahren endete durch Rücknahme des Scheidungsantrags mit Schriftsatz vom 20.3.1997, bei Gericht eingegangen am 22.3.1997.

Mit Beschluß vom 5.5.1998 war dem Beschwerdeführer als Antragsgegner im Verfahren 11 F 49/98 beim Amtsgericht -Familiengericht- Lörrach wegen elterlicher Sorge ratenfreie Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt bewilligt worden.

Das Verfahren wird seit Erlaß einer Einstweiligen Anordnung durch Beschluß vom 1.4.1998 nicht mehr betrieben.

Durch Verfügung des Rechtspflegers beim Amtsgericht -Familiengericht- Lörrach vom 2.8.1.1999 wurde der Beschwerdeführer in allen genannten Verfahren aufgefordert, sich durch Ausfüllung des Vordrucks ZP 31 (§ 117 Abs. 4 ZPO) über seine monatlichen Einkünfte und sein Vermögen unter Beifügung von Belegen zu äußern, damit nach § 120 Abs. 4 ZPO überprüft werden könne, ob sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verändert hätten. Dem Beschwerdeführer wurde ein Frist von 4 Wochen gesetzt unter Hinweis auf die Möglichkeit der Aufhebung der gewährten Prozeßkostenhilfe nach § 124 Ziffer 2 Alt. 2 ZPO bei Nichtabgabe der geforderten Erklärung. Nach einem erfolglosen Zustellungsversuch wurde am 24.2.1999 verfügt, das Schreiben formlos an die neue Adresse, zu senden.

Mit Schreiben vom 28.4.1999 wurde dem Beschwerdeführer angedroht, die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe zu widerrufen, da er eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht abgegeben hatte. In dem am 7.5.1999 abgesandten Schreiben wurde ihm Stellungnahmefrist von einer Woche gesetzt.

Mit Beschluß vom 14.6.1999 wurde in allen Verfahren die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe aufgehoben, da der Beschwerdeführer trotz mehrmaliger Aufforderung keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben habe (§ 124 Nr. 2 ZPO).

Gegen die Beschlüsse vom 14.6.1999 hat der Beschwerdeführer mit Anwaltsschriftsatz vom 23.8.1999 jeweils Beschwerde eingelegt unter Vorlage eines ausgefüllten Vordrucks ZP 31 und eines Änderungsbescheids des Arbeitsamts Landau, wonach ab 2.7.1999 die Arbeitslosenhilfe für den Beschwerdeführer auf wöchentlich 250,39 DM festgesetzt wurde.

Mit Verfügung vom 24.9.1999 wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers mitgeteilt, der Beschwerde könne evtl. abgeholfen werden, wenn die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt Januar 1999 dargelegt würden.

Mit Schriftsatz vom 9.11.1999 legte der Vertreter des Beschwerdeführers erneut einen ausgefüllten Vordruck ZP 3 I vor, ergänzt durch den Bescheid über die Änderung von Arbeitslosenhilfe ab 2.7.1999 sowie weitere unkommentierte Unterlagen über Schulden des Beschwerdeführers und bat um Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für den Beschwerdeführer.

Mit Verfügung vom 16.11.1999 wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers mitgteilt, daß seine isolierte Beiordnung für ein Prozeßkostenhilfeüberprüfungsverfahren nicht möglich sei. Erneut wurde an die Darlegung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse für Januar 1999 erinnert unter Fristsetzung zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Mit Verfügung vom 11.1.2000 wurde "letztmals" an die Darlegung der Verhältnisse erinnert.

Mit Schriftsatz vom 11.2.2000 legte der Vertreter des Beschwerdeführers eine Bescheinigung der Betriebskrankenkasse vom 20.1.2000 vor, wonach der Beschwerdeführer in der Zeit vom 16.9.1999 bis 29.2.2000 Anspruch auf Krankengeld in Höhe von täglich 35,77 DM, monatlich 1.073,10 DM, hat. Außerdem wurde ein Rentenbescheid vom 17.11.1999 vorgelegt, wonach der Beschwerdeführer ab 1.3.2000 monatlich 840,57 DM als Erwerbsunfähigkeitsrente erhält.

Durch Beschluß vom 23.2.2000 wurde der Beschwerde gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts -Rechtspfleger- vom 14.6.1999 nicht abgeholfen und zur Begründung ausgeführt, der Beschwerdeführer habe seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse für den maßgeblichen Zeitraum, nämlich Frühjahr 1999, nicht dargelegt. Selbst bei Zugrundelegung der ab Sommer 1999 dargelegten wirtschaftlichen Verhältnisse wäre Prozeßkostenhilfe lediglich bei monatlicher Ratenzahlung von 270,00 DM zu bewilligen gewesen. Der Beschwerdeführer beziehe Krankengeld in Höhe von 1.037,33 DM monatlich sowie eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 840,57 DM monatlich. Nach Abzug des persönlichen Freibetrags von 672,00 DM und Wohnkosten in Höhe von 450,00 DM verbleibe ein einzusetzendes Einkommen von 755,90 DM.

Durch Entscheidung vom 25.2./3.3.2000 hat der Familienrichter den Beschwerden ebenfalls nicht abgeholfen.

Der Beschwerdeführer rügt, daß aus den vorgelegten Unterlagen seine Leistungsunfähigkeit erkennbar gewesen sei. Die Erwerbsunfähigkeitsrente sei an die Stelle des Krankengeldes und dieses an die Stelle der Arbeitslosenhilfe getreten.

Die nach § 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet.

Zwar hat der Beschwerdeführer vor Erlaß der Entscheidungen vom 14.6.1999 pflichtwidrig keine Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, insbesondere zu seinem Einkommen und seinem Vermögen gemacht (zur Ausfüllung des Vordrucks ZP 31 war er allerdings nicht verpflichtet; vgl. Zimmermann, Prozeßkostenhilfe in Familiensachen, 1997, Rz 419, Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. A., § 120 Rz 34, Münch Komm/Wax, ZPO, § 120 Rz 15; Zöller/Philippi, ZPO, 21. A., § 120 Rz 28; OLG Dresden, FamRZ 1998, 250, 251), so daß die Beschlüsse vom 14.6.1999 (innerhalb der Vierjahresfrist des § 120 Abs. 4 S. 3 ZPO) zu Recht ergangen sind. Der Beschwerdeführer hat jedoch nachträglich im Beschwerdeverfahren Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ergibt, daß eine wesentliche, nämlich u.a. nachhaltige (vgl. Zimmermann, a.a.O., Rz 411) Verbesserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht eingetreten ist. Durch den Änderungsbescheid betreffend Arbeitslosenhilfe vom 13.8.1999 für die Zeit ab 2.7.1999 und die danach nach ergangenen Bescheide zum Krankengeld und zur Erwerbsunfähigkeitsrente wurde deutlich, daß jedenfalls ab dem 2.7.1999 (und wohl auch davor, da es sich bei dem Bescheid vom 13.8.1999 um einen Änderungsbescheid betreffend Arbeitslosenhilfe handelt) bei einem Einkommen von 1.085,02 DM (bzw. später 1.073,10 DM bzw. 840,57 DM) monatlich sowie einem Freibetrag von 672,00 DM und anrechenbaren Wohnkosten von 450,00 DM monatlich Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht gegeben war. Die Leistungen wurden sukzessive, nicht kumulativ gewährt.

Daß der Beschwerdeführer auch über zu Prozeßzwecken einsetzbares Vermögen nicht verfügt hat und verfügt, ergibt sich aus seinen Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 23.8.1999 sowie aus der Tatsache, daß in allen (im Beschwerdeverfahren befindlichen Verfahren) unter dem 17.12.1999 Kostenniederschlagung erfolgte, weil der Beschwerdeführer als Kostenschuldner die Eidesstattliche Versicherung abgegeben hat.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers nach Erlaß der Beschlüsse vom 14.6.1999 war auch zu berücksichtigen. Das ergibt sich aus § 570 ZPO, wonach im Beschwerdeverfahren "neue Tatsachen und Beweise" beachtlich sind, so daß grundsätzlich verspätetes Vorbringen nicht als unbeachtlich zurückzuweisen ist (vgl. Zöller/Dummer, a.a.O., § 570 Rz 5). Die Anwendbarkeit des § 570 ZPO im Verfahren über die Entziehung von Prozeßkostenhilfe nach § 124 Ziffer 2 Alt. 2 ZPO ist nicht deshalb eingeschränkt, weil der Aufhebung von Prozeßkostenhilfe nach dieser Vorschrift Sanktionscharakter zukommt (vgl. dazu Johannsen/Henrich/Thalmann, Eherecht. 3. A., § 124 ZPO, Rz 11; OLG Stuttgart, FamRZ 1997, 1089).

Nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. u.a., Zöller/Philippi, a.a.O., § 124 Rz 10 a; Johannsen/Henrich/Thalmann, a.a.O., § 124 ZPO, Rz 11; Walter Zimmermann, Prozeßkostenhilfe in Familiensachen, Rz 472 ff; Helmut Zimmermann, JurBüro, 646; OLG Karlsruhe, FamRZ 1997, 756; OLG Stuttgart, FamRZ 1997, 1089; OLG Dresden, FamRZ 1998, 250; OLG München, FanIRZ 1993, 580; OLG Frankfurt a.Main, FamRZ 1992. 838), die sich mit der Auffassung des erkennenden Senats deckt, ermöglicht nämlich die Vorschrift des § 124 Nr. 2 Alt. 2 ZPO lediglich die Korrektur eines zu Unrecht ergangenen und nicht mehr mit der Sachlage korrespondierenden Bewilligungsbeschlusses. Die gegenteilige Auffassung (vgl. u.a. OLG Koblenz, MDR 1997, 780; FamRZ 1996, 1425: FamRZ 1996. 616; LAG Köln, JurBüro 1991, 1530; Kalthoener/Büttner, Prozeßkostenhilfe und Beratungshilfe, Rz 851), nach der wegen des Sanktionscharakters von § 124 Ziffer 2 Alt. 2 ZPO die einmal getroffene Aufhebungsentscheidung des Rechtspflegers auch dann Bestand haben müsse, wenn die Partei nachträglich Tatsachen vorträgt, aus denen sich das Fortbestehen der Bewilligungsvoraussetzungen ergibt, ohne jedoch auch Gründe vorzutragen, die die Verletzung der Mitwirkungspflicht entschuldigen könnten, überzeugt nicht. Sie berücksichtigt nach Auffassung des Senats nicht hinreichend, daß das Prozeßkostenhilfeverfahren Ausfluß des allgemeinen Gleichheitssatzes und Sozialstaatsprinzips ist, welches das Ziel hat, der armen Partei die Verfolgung ihrer Belange im Rechtsstreit in zumindest annähernd gleicher Weise wie der begüterten Partei zu ermöglichen. Der Charakter der Prozeßkostenhilfe als Form der Sozialhilfe, die der Daseinsvorsorge dient und die Tatsache, daß es im Prüfungsverfahren nach § 120 Abs. 4 ZPO um den Tatbestand einer bereits bewilligten Prozeßkostenhilfe, d.h. um einen sozial-staatlichen Besitzstand geht, gebieten es nach Auffassung des Senats, § 124 Nr. 2 Alt. 2 ZPO nur für den Fall der auch im Beschwerdeverfahren fortdauernden Verweigerung der gebotenen Mitwirkung als Sanktion, im übrigen aber als reine Kostenvorschrift zu begreifen und anzuwenden. Danach ist eine Aufhebung bereits gewährter Prozeßkostenhilfe nur dann gerechtfertigt, wenn sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der beschwerten Partei nach allgemeinen Grundsätzen gemäß § 570 ZPO im Beschwerdeverfahren - herausstellt, daß die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Begünstigten nicht mehr gerechtfertigt ist.

Das führt vorliegend zur Aufhebung der Beschlüsse vom 14.6.1999 mit der Folge, daß die ursprünglichen Beschlüsse über die ratenfreie Gewährung von Prozeßkostenhilfe vom 13.10.1995 im Verfahren 11 F 156/95 des Amtsgerichts -Familiengericht- (=5 WF 44/00 OLG Karlsruhe) vom 20.2.1997 im Verfahren 11 F 19/97 des Amtsgerichts -Familiengericht- Lörrach (= 5 WF 53/00 OLG Karlsruhe) und vom 5.5.1998 im Verfahren 11 F 49/98 des Amtsgerichts -Familiengericht- Lörrach (= 5 WF 52/00 OLG Karlsruhe) wieder Gültigkeit besitzen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt (§ 127 Abs. 4 ZPO).



Ende der Entscheidung

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