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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 11.12.2002
Aktenzeichen: 6 U 135/02
Rechtsgebiete: GG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1
BGB § 249
BGB § 823 Abs. 1
1. Zu den Voraussetzungen des deliktischen Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrecht durch Zubilligung einer Geldentschädigung.

2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch die Befugnis, im Rahmen seiner Selbstdefinition autonom darüber zu bestimmen, ob das vom Rechtsträger gesprochene Wort über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinaus der Öffentlichkeit verfügbar und zugänglich gemacht werden soll

3. Für eine Persönlichkeitsverletzung kann nur dann eine Geldentschädigung zugebilligt werden, wenn die eigentlichen Rechtsbehelfe Gegendarstellung, Widerruf und Unterlassung die Verletzungsfolgen nicht auffangen, weil eine schwerwiegende Verletzung vorliegt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn über die Persönlichkeit an ihrer Basis verfügt wird., z.B. durch Ausstrahlung der Tonbandaufzeichnung einer gruppentherapeutischen Sitzung im Rundfunk.


Gründe:

Das Landgericht hat die vom Kläger begehrte Geldentschädigung wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch eine Rundfunksendung der Beklagten mit der Begründung versagt, eine schwerwiegende Verletzung des Klägers sei nicht gegeben. Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich der Kläger mit der Berufung.

Die zulässige Berufung hat Erfolg. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann der Kläger eine angemessene Geldentschädigung beanspruchen, die hier mit 3.000 € zu bemessen ist.

1. Der von der Berufung als ihr günstig nicht angegriffene Ausgangspunkt des Landgerichts trifft zu. Danach liegt eine schuldhafte und rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers vor.

a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch die Befugnis, im Rahmen seiner Selbstdefinition autonom darüber zu bestimmen, ob das vom Rechtsträger gesprochene Wort über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinaus der Öffentlichkeit verfügbar und zugänglich gemacht werden soll (BVerfGE 54, 148, 155 - Eppler; BVerfG NJW 1992, 815). Dieses Recht am gesprochenen Wort steht im Streitfall dem Kläger uneingeschränkt zu, so dass die Veröffentlichung ohne seine Genehmigung unzulässig ist. Es handelte sich bei dem aufgezeichneten und schließlich von dem Beklagten ausgestrahlten Gespräch um Äußerungen des Klägers über seine Person im Rahmen eines gruppentherapeutischen Anti-Aggressionstrainings. Die Teilnahme an einem solchen Übungsprogramm war dem als Jugendlichen straffällig gewordenen Kläger als Bewährungsauflage vom Jugendgericht aufgegeben worden. Im Rahmen dieser richterlich angeordneten Maßnahme sollte der Kläger lernen, seine Aggressionsbereitschaft zu erkennen und zu kontrollieren. Es liegt auf der Hand, dass seine Einstellung zu seiner Straftat und seine Resozialisierungsanstrengungen für die Öffentlichkeit grundsätzlich nicht bestimmt sind. Seine Gesprächsbeiträge und die Äußerungen der Teilnehmer der Gesprächsrunde hierzu nehmen teil an der Vertraulichkeit der geschützten Kommunikation und unterliegen schon deshalb in vollem Umfang dem personalen Selbstbestimmungsrecht des Äußernden.

b) Mangels Zustimmung durfte die Beklagte die Tonbandaufnahme mit dem Gesprächsinhalt und den Stellungnahmen des Klägers nicht senden. Das Landgericht hat nach Beweiserhebung fehlerfrei festgestellt, dass der Kläger jedenfalls der Ausstrahlung des Tonbandmitschnitts nicht zugestimmt hatte. Die Beklagte greift die landgerichtliche Feststellung im zweiten Rechtszug nicht an, diese ist daher der Berufungsentscheidung zugrunde zu legen.

2. Zum Schutz des verletzten Persönlichkeitsrechts des Klägers besteht im Streitfall ein Bedürfnis für eine Entschädigung.

a) Allerdings kommt die Erweiterung des deliktischen Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Zubilligung einer Geldentschädigung nur ausnahmsweise als zusätzlicher Rechtsbehelf in Betracht, wenn der Rechtsschutz für die Persönlichkeit sich ansonsten als unzureichend erweist oder ganz versagt. Eine Geldentschädigung für Übergriffe auf die Person soll lediglich den Rechtschutz dort ergänzen, wo der Eingriff von der Art ist, dass die eigentlichen Rechtsbehelfe wie Gegendarstellung, Widerruf und Unterlassung die Verletzungsfolgen nicht aufzufangen vermögen (ständige Rechtsprechung seit BGHZ 35, 303 - Ginseng). Dieser Subsidiarität auf der Rechtsfolgenseite entspricht auf der Tatbestandseite das Erfordernis einer schweren Beeinträchtigung der Persönlichkeit (BGH NJW 1979, 1041 - Exdirektor; NJW 1985, 1645 - Nacktfoto; BGHZ 132, 13 - Lohnkiller). Ob eine solche schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, hier also von dem Ausmaß und der Intensität der Ausstrahlung, der Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- oder Rufschädigung des Verletzten sowie dem Anlass und dem Beweggrund des Handelnden und von dem Grad seines Verschuldens ab (BGHZ 132, 13, 27 - Lohnkiller; 128, 1, 12 - Caroline v. Monaco I; BGH NJW-RR 1988, 733 - Intimbericht; BGH NJW 1985, 1617, 1619 - Nacktfoto). Dabei ist der besonderen Funktion der Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzung Rechnung zu tragen, die sowohl in einer Genugtuung des Verletzten für den erlittenen widerrechtlichen Eingriff besteht, als auch, und zwar in erster Linie, ihre sachliche Berechtigung in dem Gedanken findet, dass das Persönlichkeitsrecht gegenüber erheblichen Beeinträchtigungen anderenfalls ohne ausreichenden Schutz bliebe (BGH NJW 1985, 1617, 1619 - Nacktfoto m.w.N.).

b) Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben. Bei der beanstandeten Sendung handelt es sich um einen so schwerwiegenden Eingriff in die Grundlage der Persönlichkeit des Klägers, dass ihm mit einer Geldentschädigung entgegen getreten werden muss.

Der von der Beklagten gesendete Beitrag verfügt über die Persönlichkeit des Klägers an ihrer Basis, in dem sie seine Auseinandersetzung mit der Straftat, wegen der er verurteilt wurde, und mit den Reaktionen der Gesprächsteilnehmer in der Trainingsgruppe hierauf der Öffentlichkeit vorführt. Der Kläger befand sich, wie der Reporter in seiner Zeugenaufnahme vor dem Landgericht berichtet, während der Aufnahmesituation in der Mitte des Stuhlkreises und wurde von den anderen Teilnehmern zum Aggressionsproblem befragt (sog. "Heiße-Stuhl-Phase"). Die Äußerungen des so in den Mittelpunkt des Gespräches gerückten Klägers betrafen besonders heikle Persönlichkeitsdaten, weil er in dem Gespräch bestimmungsgemäß zu seiner inneren Einstellung zur Gewalt Stellung beziehen und damit seine Person insoweit öffnen sollte. Für die hierfür erforderliche freie Artikulation muss sich der Betreffende der Vertraulichkeit des Kommunikationsraums besonders sicher sein. Die unbefugte Veröffentlichung der in diesem Raum erfolgten Entäußerungen der Person wiegt schwer. Sie verletzt mit dem Intimbereich eine Persönlichkeitssphäre von besonderem Schutzbedürfnis. Derartige Vorgänge um psychische Befindlichkeiten eines Straftäters in der Resozialisierung sind dem Intimbereich zuzuordnen und "gegenüber der zunehmenden Rücksichtslosigkeit der Medien vor Tabuzonen" (Steffen in: Löffler, Presserecht, 4. Aufl., § 6 LPG, Rn. 66) zu schützen.

Durch die Ausstrahlung des Tondokuments ist der Kläger den Zuhörern als Individium vorgestellt worden. Die Ausstrahlung macht den Kläger ungewollt im Kern seiner Person für Zwecke der Berichterstattung der Beklagten verfügbar. Das ist von dem Grundrecht der Beklagten auf Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) nicht gedeckt. Damit stellt die Ausstrahlung der Tonbandaufzeichnung der gruppentherapeutischen Sitzung bereits einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrechts des Klägers dar. Der vom Landgericht als maßgebend herausgestellte und von der Beklagten verteidigte Gesichtspunkt, dass der Kläger in der Sendung nur mit seinem Vor- und nicht mit seinem Nachnamen vorgestellt wird, fällt demgegenüber im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau aller Umstände des Streitfalles nicht entscheidend zugunsten der Beklagten ins Gewicht. Auch ohne vollen Namensnennung liegt ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers vor, der im Rundfunkbericht der Beklagten aufgrund einer Reihe von identifizierenden Umständen für sein soziales Umfeld jedenfalls erkennbar vorgestellt wurde. Die Rechtsverletzung wird vielmehr am Ende des Beitrags der Beklagten noch dadurch verschärft, dass die Beklagte den Gesprächstherapeuten zu Wort kommen lässt, der hinsichtlich der Besserung des Klägers im Sinne der Resozialisierung ein vernichtendes Urteil abgibt. Die Beklagte hat sich damit über wesentliche Persönlichkeitsbelange des Klägers vorwerfbar hinweggesetzt. Das Publikationsinteresse der Beklagten hätte dabei ohne weiteres mit dem Anonymitätsinteresse des Beklagten in Einklang gebracht werden können. Beispielsweise hätte man beim Abspielen der Tonbandkassette nur den Namen des Klägers unkenntlich machen müssen. Das ist jedoch schuldhaft nicht geschehen.

3. Unter Berücksichtigung aller vorgenannten Umstände ist die zum Ausgleich der Persönlichkeitsverletzung erforderliche Entschädigung gem. § 287 ZPO mit € 3.000 zu bemessen.

Ende der Entscheidung

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