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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 27.03.2002
Aktenzeichen: 6 U 150/01
Rechtsgebiete: InsO, ZPO, KO, BGB


Vorschriften:

InsO § 131
InsO § 143
InsO § 129 Abs. 1
InsO § 131 Abs. 1
InsO § 141 Alt. 1
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 845
ZPO § 543 Abs. 2
ZPO § 845 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 286 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 286 Abs. 1 Satz 2
KO § 30
BGB § 291 Satz 1
Lässt sich die Insolvenzschuldnerin bei der Eingehung einer Ratenzahlungsvereinbarung mit einem Insolvenzgläubiger und der Zahlung der vereinbarten Raten in der kritischen Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in erster Linie von dem Wunsch leiten, eine jederzeit mögliche (erneute) Störung ihrer Kundenbeziehung durch drohende Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu vermeiden, so liegt eine inkongruente Deckung i. S. v. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor.
Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Anfechtung im Insolvenzverfahren.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der O. GmbH (im Folgenden: Gemeinschuldnerin). Die Beklagte hat gegen diese einen Anspruch auf Zahlung von DM 29.592,90 nebst Zinsen und Kosten, der durch rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stuttgart vom 09.08.00 festgestellt ist. Am 08.09.00 beauftragte die Beklagte den Gerichtsvollzieher mit der Mobiliarvollstreckung und versandte am 13.09.2000 ein vorläufiges Zahlungsverbot gem. § 845 ZPO an die Fa. C. H. B. (im Folgenden: Drittschuldnerin). Dieses wurde am 18.09.2000 der Drittschuldnerin zugestellt. Am 06.10.2000 teilte der Gerichtsvollzieher mit, seine Vollstreckungsversuche seien erfolglos geblieben. Die Gemeinschuldnerin wandte sich mit Schreiben vom 06.10.00 und 23.10.00 an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Im letztgenannten Schreiben schlug die Gemeinschuldnerin Zahlung in monatlichen Raten von DM 6.000 vor. Daran anschließend heißt es:

"Voraussetzung für diese Vereinbarung muss aber die Rücknahme des vorläufigen Zahlungsverbots gegenüber unseres Kunden C.H. B. sein."

Am 01.11.2000 schlossen die Gemeinschuldnerin und die Beklagte eine Ratenzahlungsvereinbarung. Darin verpflichtete sich die Gemeinschuldnerin zu monatlichen Raten von DM 6.000 beginnend ab dem 10.11.00. In § 2 der Vereinbarung heißt es:

"Kommt die Schuldnerin mit einer Rate ganz oder teilweise mit der Zahlung länger als 10 Kalendertage in Verzug, so wird die gesamte Restforderung zur Zahlung fällig. Die Gläubigerin kann dann Vollstreckungsmaßnahmen in die Wege leiten."

In § 3 der Vereinbarung heißt es u.a.:

"Mit Unterzeichnung der vorstehenden Vereinbarung wird die Gläubigerin bislang in die Wege geleitete Vollstreckungsmaßnahmen unverzüglich zurücknehmen. Insbesondere wird die Pfändung bei der Drittschuldnerin ... zurückgenommen. ..."

Am 02.11.00 schrieb der Prozessbevollmächtigte der Beklagten an die Drittschuldnerin:

".. ich teile mit, dass die Vorpfändung zu v.b. Angelegenheit zurückgenommen wird.

Soweit Ihnen ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 17.10.00 zugestellt wird, ist dieser gleichfalls als gegenstandlos zu betrachten."

Am 17.11.00 zahlte die Gemeinschuldnerin DM 6.000 an die Beklagte. Am 05.12.00 beantragte eine weitere Gläubigerin der Gemeinschuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Am 11.01.01 zahlte Gemeinschuldnerin weitere DM 6.000 an die Beklagte. Am 13.02.2001 eröffnete das Amtsgericht Hamburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter, der am 05.04.01 gegenüber der Beklagten die Anfechtung erklärte.

Der Kläger hat vorgetragen, die Gemeinschuldnerin sei seit dem 01.11.00 zahlungsunfähig gewesen. Die erlangte Deckung sei inkongruent, da die Gemeinschuldnerin nur zur Abwendung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gezahlt habe. Selbst wenn man eine kongruente Deckung unterstelle, sei die Klage begründet. Die Beklagte habe die Zahlungsunfähigkeit seit 01.11.00 gekannt oder jedenfalls kennen müssen, weil ihr von der Gemeinschuldnerin mitgeteilt worden sei, dass die titulierte Forderung nicht beglichen werden könne. Am 17.10.00 habe das zuständige Amtsgericht auf Antrag der Beklagten einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen die Gemeinschuldnerin erlassen, der deren Forderungen gegen die Drittschuldnerin betroffen habe.

Die Beklagte hat vorgetragen, den Zahlungen habe eine kongruente Deckung zugrunde gelegen. Die Gemeinschuldnerin habe nicht zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlt. Schon zum Zeitpunkt des Abschlusses der Ratenzahlungsvereinbarung - nämlich bereits mit Ablauf des 18.10.00 - sei die Vorpfändung wegen Nichteinhaltung der Frist zur Bewirkung der Pfändung gem. § 845 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unwirksam gewesen. Danach habe die Beklagte keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt. Von der Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin und von Insolvenzantrag habe die Beklagte keine Kenntnis gehabt. Der Beklagten sei von der Gemeinschuldnerin nicht mitgeteilt worden, diese könne die Forderung nicht begleichen. Es sei nur von kurzfristigen Zahlungsschwierigkeiten die Rede gewesen, die in Kürze hätten behoben werden sollen.

Das Landgericht hat der Klage stattgeben. Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten. Sie bleibt ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat der Klage mit Recht stattgegeben. Die Beklagte ist verpflichtet, DM 12.000 nebst Zinsen an den Kläger zu zahlen.

1. Der Hauptanspruch ergibt sich aus §§ 129 Abs. 1, 131 Abs. 1 Nr. 1, 143 InsO.

a) Die zwei Zahlungen der Beklagten von je DM 6.000 an die Gemeinschuldnerin sind Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind. Die Zahlungen erfolgten am 17.11.00 und am 11.01.01. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist erst am 13.02.01 beschlossen worden. Durch die Zahlungen wurden die Gläubiger der Gemeinschuldnerin benachteiligt, weil die Aktivmasse dadurch verkürzt worden ist (§ 129 Abs. 1 InsO).

b) Die erste Zahlung vom 17.11.00 ist im letzten Monat vor dem am 05.12.00 gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die zweite Zahlung am 11.01.01 nach diesem Antrag vorgenommen worden, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

c) Beide Zahlungen haben der Beklagten als Insolvenzgläubigerin eine Befriedigung gewährt, die sie nicht in der Art zu beanspruchen hatte, § 131 Abs. 1 InsO.

aa) Der Senat ist wie das Landgericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO) davon überzeugt, dass die Gemeinschuldnerin die Ratenzahlungsvereinbarung vorrangig deshalb eingegangen ist und die zwei Raten von je DM 6.000 vorrangig deshalb bezahlt hat, weil die Beklagte bereits Vollstreckungshandlungen durch die Beauftragung des Gerichtsvollziehers und insbesondere durch die Vorpfändung gegenüber der Drittschuldnerin eingeleitet hatte. Die Gemeinschuldnerin hat sich bei den angefochtenen Zahlungen in erster Linie von dem Wunsch leiten lassen, eine der Beklagten jederzeit mögliche (erneute) Störung ihrer Kundenbeziehungen durch Vorpfändung und Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zu vermeiden. Dabei kann dahinstehen, ob bereits ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt gewirkt worden ist oder gar zugestellt war. Selbst wenn es daran fehlen sollte, hat die Gemeinschuldnerin die Beklagte als eine von vielen Gläubigern nach der sicheren Überzeugung des Senats vornehmlich deshalb bevorzugt, weil diese staatliche Machtmittel bereits eingesetzt hatte und mit dem erneuten Einsatz drohen konnte. Für diese Überzeugung war leitend (§ 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO), dass die Gemeinschuldnerin bereits bei ihrem Angebot von Ratenzahlungen die Rücknahme der Vorpfändung als unabdingbare Voraussetzungen angesehen hat, anschließend eine dieser Vorstellung entsprechende Verpflichtung der Beklagten in die Ratenzahlungsvereinbarung aufgenommen worden ist und die Beklagte diese Pflicht unverzüglich nach Abschluss der Vereinbarung durch Erklärung gegenüber der Drittschuldnerin auch erfüllt hat. Bei dieser Sachlage kann die Leistung der Gemeinschuldnerin von zweimal DM 6.000 nicht als freiwillig bezeichnet werden, sondern beruhte nach sicherer Überzeugung des Senats auf einer Beugung des Willens der Gemeinschuldnerin durch staatliche Zwangsmittel.

bb) Dies rechtfertigt die Anfechtung. Zwar hatte die Beklagte schon zur Zeit der Zahlungen von je DM 6.000 einen fälligen und durchsetzbaren, durch rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid ausgeurteilten Anspruch auf Zahlung gegen die Gemeinschuldnerin. Gleichwohl greift die vom Kläger erklärte Anfechtung durch. Allein die Tatsache, dass der Anspruch tituliert ist, steht der Anfechtung einer Erfüllungshandlung nicht entgegen, § 141 Alt. 1 InsO. Die von der Beklagten durch die Zahlungen erlangte Deckung war inkongruent. Denn die Voraussetzungen von § 131 Abs. 1 InsO liegen schon dann vor, wenn der Gemeinschuldner zur Abwendung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auf eine fällige Forderung zahlt (BGHZ 136, 309; OLG Jena OLGR 2001, 43; OLG München ZIP 2001, 1924; AG Bonn ZIP 1999, 976). Der Einwand der Beklagten, sie habe mit den 12.000 DM nur das erhalten, was ihr von Rechts wegen zugestanden habe, greift nicht durch: Diese Argumentation trifft nicht den Kern der Sache. Grundsätzlich unterliegen nach dem Willen des Gesetzgebers auch in der Zwangsvollstreckung erreichte Befriedigungen der Anfechtung. Für deren Anfechtbarkeit darf nicht den Ausschlag geben, wie weit Vollstreckungszwang ausgeübt werden musste, um zum Ziel zu gelangen. Die Vorschrift des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO bezweckt, den insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vorzuziehen. Das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip und der dadurch bedingte "Wettlauf der Gläubiger" sind nur bis einen Monat vor Stellung des Insolvenzantrags hinzunehmen. Allerdings kann die Anfechtung nicht allein mit diesem Gleichbehandlungsgrundsatz gerechtfertigt werden, weil auch bei freiwilligen Leistungen nach Eintritt der materiellen Insolvenz einen Monat vor Stellung des formellen Antrags solche Ungleichbehandlungen der Gläubiger eintreten können. Bei der Befriedigung, die ein Gläubiger in der Krise durch Zwangsvollstreckung erlangt, kommt aber hinzu, dass die Ungleichbehandlung der Gläubiger durch staatliche Machtmittel erzwungen worden ist. Diese soll nach dem Gesetz wenigstens nicht insolvenzfest sein (so ausdrücklich der Bundesgerichtshof in seiner Grundsatzentscheidung zur Vorgängervorschrift des § 30 Nr. 2 KO in BGHZ 136, 309, 312 f.). Denn auch wenn der Schuldner die Vollstreckung durch Zahlung auf die fällige und titulierte Forderung abwendet, ist es nicht gerechtfertigt, den Gläubiger besser zu stellen als denjenigen, für den die Vollstreckung zu Ende geführt worden ist (Gottwald/Huber Insolvenzrechtshandbuch 2. Aufl. § 47 Rdnr. 32; vgl. auch FK-InsO / Dauernheim 2. Aufl. § 131 Rdnr. 24).

d) Die wirksame Anfechtung begründet einen Anspruch auf Zahlung von DM 12.000, denn gem. § 143 InsO muss zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden, was durch die anfechtbaren Handlungen aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist.

2. Die Kläger hat gem. § 291 Satz 1 BGB Anspruch auf Prozesszinsen in der gesetzlichen Höhe (§§ 291 Satz 2, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB in der vom 01.05.00 bis 31.12.01 geltenden Fassung gem. Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 2 und § 5 Satz 1 EGBGB).

Die Revision war zuzulassen. Die gesetzlichen Voraussetzungen gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen vor. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Die hier entschiedene Rechtsfrage, ob eine zur Abwehr einer möglichen, in der Vergangenheit schon versuchten und jederzeit wiederholbaren Vollstreckung geleistete Zahlung eine inkongruente Deckung bewirkt, wird sich in gleicher Weise in zahlreichen künftigen Insolvenzfällen stellen. Schon mit Rücksicht auf die von der Meinung des Bundesgerichtshofs abweichende Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAG ZIP 1998, 33, 35), die in der (knapp drei Monate später ergangenen) Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 136, 309) nicht erwähnt wird, und wegen der Ablösung von § 30 KO durch § 131 InsO besteht ein Bedürfnis nach erneuter höchstrichterlicher Klärung dieser Rechtsfrage.

Ende der Entscheidung

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