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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 24.01.2001
Aktenzeichen: 6 U 167/00
Rechtsgebiete: UWG


Vorschriften:

UWG § 1
UWG § 13 Abs. 4
1. Das grundsätzlich zulässige Abwerben (Ausspannen) von Beschäftigten eines anderen Unternehmens ist nur bei Hinzutreten von besonderen Umständen sittenwidrig. Solche Umstände sind etwa das Verleiten zum Vertragsbruch, das Abwerben unter Eindringen in die fremde Betriebssphäre des Konkurrenten und insbesondere nachhaltige und wiederholte Abwerbungsversuche über einen geschäftlichen Telefonapparat.

2. Eine Störung der Wettbewerbsordnung liegt auch nicht schon deshalb vor, weil der Umworbene auf seinem privaten Telefon (in seiner Wohnung) angerufen wird. Die Grundsätze des BGH zum Schutz der Individualsphäre des Angerufenen (Telefonwerbung) finden insoweit keine Anwendung.


Tatbestand:

Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Einzelhandelsmarkt u. a. für Elektrogeräte. Die Klägerin betreibt einen Elektromarkt in Bad D. Im Auftrag der Beklagten 1, die beabsichtigte eine solche Verkaufsstätte in Schwenningen zu eröffnen, rief eine Mitarbeiterin am 11.11.1999 zwischen 20.00 Uhr und 21.30 Uhr vier leitende Mitarbeiter der Klägerin jeweils zu Hause an und unterbreitete ihnen Stellenangebote für den neu zu eröffnenden Markt. Die Angesprochenen hatten sich zuvor bei der Beklagten weder beworben noch sonst ein Interesse an den zu vergebenden Arbeitsstellen bekundet. Bei dieser Kontaktaufnahme bewendete es. Die angerufenen Mitarbeiter der Klägerin lehnten das Angebot jeweils ab.

Die Klägerin erblickt in dem beanstandeten Verhalten einen Wettbewerbsverstoß und nimmt die Beklagten 1 und deren (frühere) Geschäftsführer, die Beklagten 2 und 3, auf Unterlassung, Schadensersatz sowie auf Auskunft in Anspruch.

Die Beklagten haben zu ihrer Rechtsverteidigung ausgeführt, die Telefonanrufe seien nicht als unzulässige Eingriffe in die Individualsphäre der Adressaten und damit nicht als unlauteres Verhalten zu qualifizieren. Diese Form der Kontaktaufnahme müsse im Rechtsverkehr erlaubt sein und bleiben.

Das Landgericht hat die telefonischen Stellenangebote als anstößig qualifiziert und die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Es hat hierfür auf die Rechtsprechungsgrundsätze zur telefonischen Kundenwerbung im Privatbereich abgestellt. Zwar stelle diese Art der Werbung keinen Kundenfang im eigentlichen Sinne dar, sie erscheine aber gleichwohl ebenso als unlauter, weil die Individualsphäre der Werbeadressaten in gleicher Weise beeinträchtigt werde. Keine Rolle spiele hierbei, ob das angestrebte gewerbliche Austauschverhältnis die Angebots- oder Nachfrageseite betreffe. Das stelle nur eine Frage des Standpunkts dar, von dem aus der Vorgang betrachtet werde. Eine Rechtfertigung für den unerbetenen Anruf sei nicht gegeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Diese stellen heraus, dass die Kontaktaufnahme im privaten Bereich der Adressaten erfolgte, was die Klägerin allein beanstande. Eine Werbemaßnahme sei darin nicht zu erkennen. Im übrigen beziehen sich die Beklagten insbesondere auf die Senatsentscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren 6 U 15/00. Die Beklagten 2 und 3 seien inzwischen als Geschäftsführer abgelöst worden und seien schon deshalb nicht mehr passiv legitimiert.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Der Senat vermag in dem beanstandeten Verhalten der Mitarbeiterin der Beklagten 1 unter keinem Gesichtspunkt einen Rechtsverstoß zu erkennen, insbesondere liegt ein Wettbewerbsverstoß nach §§ 1, 13 Abs. 4 UWG nicht vor.

1. Grundsätzlich stellt das Abwerben (Ausspannen) von Beschäftigten eines Konkurrenten in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht ein zulässiges Mittel im Konkurrenzkampf dar (BGH NJW 1961, 1308, 1309 - Spritzguß Maschine; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht 21. Aufl., § 1 UWG Rdnr. 583, 585, 586; Piper, WRP 1990, 643, 647). Die darin liegende Handlungsfreiheit gehört zum Bestandteil der freien Wirtschaftsordnung. Anderenfalls würde nicht nur der Wettbewerb selbst eingeschränkt, sondern auf der anderen Seite auch die berufliche Bewegungsfreiheit der Arbeitnehmer übermäßig behindert.

Ein Verstoß gegen die guten Sitten im Wettbewerb wird daher erst dann angenommen, wenn besondere Umstände zu dem Abwerbungsversuch hinzutreten, so etwa bei Anwendung eines unlauteren Mittels oder bei Verfolgung eines verwerflichen Ziels. Ein solches Verhalten beeinträchtigt die guten Sitten im Wettbewerb unter den Aspekten der Ausbeutung oder der Behinderung des Mitbewerbers.

So ist etwa die Verleitung zum Vertragsbruch, also die Aufforderung an den Umworbenen, seine (noch) bestehende arbeitsvertragliche Pflicht zu verletzen, etwa durch eine Vertragsaufsagung vor wirksamer Vertragsbeendigung, als anstößig beurteilt worden (Baumbach/Hefermehl a.a.O. Rdnr. 584). Selbst bei Beachtung vertraglicher Bindungen können besondere Begleitumstände die Sittenwidrigkeit der Abwerbung begründen, so etwa wenn die Abwerbung unter Eindringen in die fremde Betriebsphäre des Konkurrenten geschieht (BGH GRUR 1967, 104, 106 - Stubenhändler; OLG Stuttgart, WRP 2000, 318 - zur telefonischen Aktivität eines Headhunting-Unternehmens am Arbeitsplatz des Adressaten; vgl. ferner Baumbach/Hefermehl, a.a.O. Rdnr. 594).

Solche Umstände trägt die Klägerin im Streitfall jedoch nicht vor, sie sind auch nicht ersichtlich. Zwar behauptet die Klägerin, der Abwerbversuch habe "vier leitenden Mitarbeitern" gegolten. Diese von ihr schon im einstweiligen Verfügungsverfahren aufgestellte Behauptung wird auch im Hauptsacheverfahren in tatsächlicher Hinsicht nicht näher ausgeführt. Eine gezielte, gegen die Klägerin gerichtete Behinderung durch die Beklagte, wie sie etwa in der gleichzeitigen Abwerbung von allen oder fast allen Abteilungsleitern in der Verkaufsstelle der Klägerin liegen könnte, kann deshalb mangels Vortrags der Klägerin für die Entscheidung nicht zugrundegelegt werden.

2. Die Klägerin will den Beklagten die telefonische Abwerbung im Privatbereich als solche untersagen lassen. Dem ist das Landgericht unter Ausdehnung der von der Rechtsprechung zur Telefonwerbung im Privatbereich entwickelten Grundsätze gefolgt. Diese zu § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt des unlauteren Kundenfangs ergangene Rechtsprechung (vgl. zuletzt BGH WRP 2000, 722 - Telefonwerbung VI; sowie die Nachweise im landgerichtlichen Urteil, LGU 5) kann jedoch auf den vorliegenden Fall der Akquisition von Arbeitskräften keine Anwendung finden.

Nach dieser Rechtsprechung verstößt es grundsätzlich gegen die guten Sitten im Wettbewerb, unaufgefordert Inhaber von Fernsprechanschlüssen, zu denen bisher keine geschäftlichen Beziehungen bestanden haben, in ihrem privaten Bereich anzurufen, um Geschäftsabschlüsse anzubahnen, vorzubereiten oder sonstige Leistungen anzubieten (BGH GRUR 1991, 764, 765 = WRP 1991, 470 - Telefonwerbung IV). Maßgebend für diese Beurteilung ist, dass ein solcher Telefonanruf einen nicht hinnehmbaren Eingriff in die Individualsphäre des Anschlussinhabers darstellt. Der Schutz der Individualsphäre geht dem wirtschaftlichen Gewinnstreben des Gewerbetreibenden regelmäßig jedenfalls dann vor, wenn es sich bei dem Angerufenen um eine private Person handelt.

Um eine solche Konfliktlage, die zugunsten des Persönlichkeitsrechts des Angerufenen zu lösen ist, handelt es sich im vorliegenden Streitfall jedoch nicht. Die Beklagte 1 ist nicht in die private Lebenssphäre der Umworbenen eingedrungen, um ihre Waren oder Leistungen anzubieten. Gegenstand des Anrufs war ein Stellenangebot. Ein solcher Anruf unterscheidet sich erheblich von den erwähnten Fällen des Kundenfangs, weil den Adressaten der Abschluss eines Arbeitsvertrages angeboten wird. Der Adressat wird dadurch unmittelbar in seiner Sozialsphäre als (potentieller) Arbeitnehmer hinsichtlich einer Veränderung seiner Arbeitsbiographie angesprochen und nicht lediglich zum Objekt einer Werbemaßnahme im Absatzinteresse des Gewerbetreibenden gemacht. Damit erfolgt die ungebetene Kontaktaufnahme auch in seinem mutmaßlichen Interesse. Der Anbieter wird hier regelmäßig mit einem sachlichen Interesse des Angerufenen an einem Angebot bezüglich einer neuen Arbeitsstelle zu gegebenenfalls besseren Konditionen rechnen dürfen. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat es deshalb mit Recht als zulässig angesehen, dass ein gewerblicher "Headhunter" die Zielperson in ihrer Privatsphäre anspricht (OLG Stuttgart, WRP 2000, 318, 321).

Ist ein solcher Abwerbungsversuch nach der gebotenen Interessenabwägung dem Umworbenen jedenfalls typischerweise zumutbar, muss ihn auch der Konkurrent hinnehmen. Er kann daher einen solchen Privatanruf nicht als wettbewerbswidrig verbieten lassen.



Ende der Entscheidung

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