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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 26.03.2003
Aktenzeichen: 6 U 181/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, UWG


Vorschriften:

ZPO § 890
ZPO § 925
ZPO § 927
ZPO § 928
ZPO § 936
ZPO § 945
BGB § 151 Satz 1
BGB §§ 823 ff.
UWG § 1
Ein Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO setzt im Falle einer Unterlassungsverfügung zum einen die Existenz eines Vollstreckungsdrucks und zum anderen eine Kausalität zwischen diesem Vollstreckungsdruck und dem eingetretenen Schaden voraus (Folgerungen aus der Zulässigkeit des Betriebs einer Rechtsberatungs-Hotline).
Gründe:

I.

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist ein Schadensersatzanspruch wegen Vollziehung einer ungerechtfertigten einstweiligen Verfügung.

Der Kläger ist Rechtsanwalt mit Sitz in B. In dieser Eigenschaft betätigte er sich unter anderem im Rahmen einer "Rechtsberatungs-Hotline", die von den Firmen G. GmbH / Berlin und I. GmbH / Berlin ( nachfolgend: Hotline-Betreiber ) betrieben wurde. Bei dieser Hotline erhält der ratsuchende Anrufer von einem Rechtsanwalt nach dem Anwählen einer "0190"-Nummer Rechtsauskünfte. Grundlage der Zusammenarbeit zwischen den Hotline-Betreibern und dem jeweiligen Rechtsanwalt ist dabei ein Rahmennutzungsvertrag, aufgrund dessen der betreffende Rechtsanwalt Beratungszeiträume von insgesamt 3,5 Stunden pro Tag (sog. "Zeitscheiben") buchen kann. Nach diesem Vertrag erhielt der Rechtsanwalt für seine Beratungstätigkeit die von den Anrufern zu entrichtenden Telefongebühren in Höhe von DM 3,63 pro Minute abzüglich der Gebührenanteile der Deutschen Telekom in Höhe von DM 1,15 pro Minute. Im Gegenzug schuldete der Rechtsanwalt der G. - GmbH eine Gebühr in Höhe von DM 50,00 pro Zeitscheibe sowie eine monatliche Pauschalgebühr von weiteren DM 50,00.

Der Beklagte ist Rechtsanwalt mit Sitz in M. Auf den Antrag des Klägers und seiner Kanzleikollegen ( nachfolgend: Antragsteller ) hin untersagte das Landgericht München I durch Beschluss vom 02.04.1998 im Wege der einstweiligen Verfügung den Hotline-Betreibern und dem Kläger, die Hotline weiterhin zu betreiben bzw. an ihrem Betrieb mitzuwirken. Sowohl der Kläger als auch die Hotline-Betreiber legten hiergegen Widerspruch ein. Nachdem der Kläger jedoch mit Schriftsatz vom 07.05.1998 seinen Widerspruch wieder zurückgenommen hatte, wurden die Verfahren gegen den Kläger und gegen die Hotline-Betreiber durch Beschluss des Landgerichts München vom 13.05.1998 getrennt und im weiteren Verlauf unabhängig voneinander fortgeführt.

Im Hinblick auf die Hotline-Betreiber bestätigte das Landgericht München I zwar zunächst durch Urteil vom 14.05.1998 die einstweilige Verfügung. Auf die Berufung der Hotline-Betreiber hin wurde diese Entscheidung jedoch durch Urteil des Oberlandesgerichts München vom 23.07.1998 aufgehoben, nachdem die Antragsteller bereits am 24.06.1998 auf ihre Rechte aus der Verfügung verzichtet hatten.

Demgegenüber gab der Kläger nach Rücknahme seines Widerspruchs mit Schriftsatz vom 18.05.1998 gegenüber den Antragstellern folgende Unterlassungserklärung ab:

"Hiermit verpflichte ich mich bei Meidung einer betragsmäßig in das billige Ermessen der Antragsteller gestellten schuldangemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung, es zu unterlassen, für mich und die von mir zu erbringende anwaltliche Dienstleistung durch die in Anlage K 5 abgebildete Annonce werben zu lassen und an der unzulässigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten durch die Antragsgegnerin zu 1 derart mitzuwirken, dass ich auf die von mir gemäss Antrag I der einstweiligen Verfügung vermittelten Anrufe telefonisch Rechtsrat erteile. Diese Verpflichtung ist auflösend bedingt, solange meine Handlung vom Gericht der Hauptsache als wettbewerbswidrig angesehen wird....Alle Rechte einschließlich Schadensersatz bleiben vorbehalten."

Diese Unterlassungserklärung ging bei den Antragstellern am 24.05.1998 ein und wurde dort als geeignet angesehen, eine Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Nachdem im Parallelverfahren die Hotline-Betreiber eine Aufhebung der sie betreffenden einstweiligen Verfügung erwirkt hatten, legte auch der Kläger mit Schriftsatz vom 17.08.1998 erneut Widerspruch ein. Daraufhin erklärten die Antragsteller mit Schriftsatz vom 20.08.1998, dass gegenüber dem Kläger "die Rechte aus der einstweiligen Verfügung nicht geltend gemacht würden"

Im zeitlichen Zusammenhang mit dieser gerichtlichen Auseinandersetzung wurden auch die Beratungstätigkeiten des Klägers bei der Hotline eingestellt. So teilte der Geschäftsführer der G. - GmbH dem Kläger mit Schreiben vom 04.05.1998 mit, man werde die für den Kläger bestehenden Buchungen von Zeitscheiben stornieren, bis die Angelegenheit abschließend geregelt sei.

Das Landgericht hat den in erster Instanz noch im Wege des Feststellungsantrags geltend gemachten Schadensersatzanspruch des Klägers abgewiesen.

Mit der vorliegenden Berufung verfolgt der Kläger nunmehr seinen Schadensersatzanspruch neben dem aufrecht erhaltenen Feststellungsantrag auch im Wege eines bezifferten Leistungsantrags. Dabei macht der Kläger einen Gesamtschaden in Höhe von € 211.113,36 nebst Zinsen geltend, der sich zum einen aus Verdienstausfallschäden und zum anderen aus Verlusten im Bereich seiner privaten Altersversorgung zusammensetzt.

In einer nach dem landgerichtlichen Urteil am 26.09.2002 im Hauptsacheverfahren zwischen den Antragstellern und der I. - GmbH ergangenen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass der Betrieb einer Rechtsberatungs-Hotline nicht gegen Vorschriften der BRAGO verstößt. Auf die Revision der I. hat der Bundesgerichtshof daher die gegenteiligen Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klage der Antragsteller abgewiesen.

In einem weiteren Urteil vom selben Tag, das eine Berufungsentscheidung des Kammergerichts betraf, hat der BGH diese Rechtsauffassung nochmals bestätigt ( BGH WRP 2003, 374 ).

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Zwar vertritt auch der Senat im Anschluss an die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 26.09.2002 und entgegen dem landgerichtlichen Urteil die Auffassung, dass der Betrieb einer Rechtsberatungs-Hotline nicht gegen Vorschriften des anwaltlichen Gebührenrechts verstößt. Daher war der Erlass der von den Antragstellern gegen den Kläger erwirkten einstweiligen Verfügung von Anfang an ungerechtfertigt. Dennoch kann der Kläger hieraus unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt einen Schadensersatzanspruch herleiten.

1. Eine Grundlage für diesen - vom Kläger nunmehr in der Berufung zulässigerweise ( §§ 525, 264 Nr. 2 ZPO ) im Wege des Leistungsantrags geltend gemachten - Schadensersatzanspruch ergibt sich nicht aus § 945 ZPO.

a) Nach § 945 ZPO hat der Verfügungskläger, der den Erlass einer ungerechtfertigten einstweiligen Verfügung erwirkt hat, dem Verfügungsbeklagten den Schaden zu ersetzen, der diesem aus der Vollziehung der Verfügung entstanden ist. Das Gesetz versteht gemäss §§ 936, 928 ZPO unter der Vollziehung die Zwangsvollstreckung. Dabei besteht freilich bei Verfügungen, die ein Unterlassungsgebot enthalten, die Besonderheit, dass das geschuldete Unterlassen nicht unabhängig vom Willen des Verfügungsbeklagten durch unmittelbaren Zwang vollstreckt werden kann. Wohl aber kann auf den Willen des Verfügungsbeklagten durch die Androhung und Festsetzung von Ordnungsmitteln im Sinne des § 890 ZPO - also durch die Erzeugung eines sog. "Vollstreckungsdrucks" - eingewirkt und damit die Befolgung der Verfügung zumindest mittelbar erzwungen werden (BGH NJW 1996, 1198). Aus Sicht des Verfügungsbeklagten liegt eine Vollziehung einer Unterlassungsverfügung daher nur dann vor, wenn er das Unterlassungsgebot befolgt, weil er sich dem Vollstreckungsdruck beugt, das heißt, weil er ansonsten unmittelbar drohende Ordnungsstrafen vermeiden will. Demnach setzt ein Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO im Falle einer Unterlassungsverfügung zweierlei voraus: zum einen die Existenz eines Vollstreckungsdrucks und darüber hinausgehend zum anderen eine Kausalität zwischen diesem Vollstreckungsdruck und dem eingetretenen Schaden.

Beide Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

b) Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einem erkennbaren Vollstreckungsdruck auf den Kläger.

Zwar war ein solcher Vollstreckungsdruck ursprünglich mit der Zustellung der einstweiligen Verfügung am 14.04.1998 entstanden. Bereits nach Ablauf eines Monats wurde dieser Vollstreckungsdruck durch die Unterlassungserklärung des Klägers vom 18.05.1998 jedoch wieder beseitigt (vgl. hierzu OLG Frankfurt OLGR 1998, 228, 229). Durch die Unterlassungserklärung des Klägers wurde nämlich die Wiederholungsgefahr im Hinblick auf den Verfügungsanspruch ausgeräumt und somit der einstweiligen Verfügung die Grundlage entzogen. Ob die vom Kläger abgegebene Unterlassungserklärung dabei angesichts der in ihr enthaltenen Einschränkungen tatsächlich geeignet war, die Antragsteller klaglos zu stellen, kann letztlich dahinstehen, da der Beklagte sowohl in seinem auf den 29.04.1998 datierten Schriftsatz als auch in der späteren Hauptsacheklage vom 22.06.1998 anerkannte, dass die Wiederholungsgefahr durch die Unterlassungserklärung beseitigt wurde. Durch dieses Anerkenntnis kam ungeachtet möglicher Mängel der Unterlassungserklärung gem. § 151 Satz 1 BGB ein Unterlassungsvertrag zwischen den Parteien zustande, durch welchen der bereits bestehenden einstweiligen Verfügung nachträglich die Grundlage entzogen wurde (OLG Hamm NJWE-WettbR 1999, 90; OLG Stuttgart WRP 1997, 1219, 1222). Angesichts dieser Sachlage hatte es der Kläger jederzeit in der Hand, die einstweilige Verfügung im Wege eines Widerspruchsverfahrens oder eines Aufhebungsverfahrens nach §§ 925, 927, 936 ZPO zu Fall zu bringen. Von dieser lediglich formal noch fortbestehenden einstweiligen Verfügung ging freilich im Hinblick auf den Kläger kein Vollstreckungsdruck mehr aus, da ein möglicherweise vom Beklagten beantragtes Ordnungsmittel nach Aufhebung der einstweiligen Verfügung ebenfalls wieder aufzuheben gewesen wäre (Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 890 Rz. 25). Dementsprechend wurde der ursprünglich durch die Zustellung der einstweiligen Verfügung am 14.04.1998 entstandene Vollstreckungsdruck bereits nach nur einem Monat und somit noch vor Eintritt der vom Kläger geltend gemachten Schäden durch den zwischen den Parteien geschlossenen Unterlassungsvertrag wieder beseitigt.

Dass die Antragsteller darüber hinaus mit Schreiben vom 20.08.1998 gegenüber dem Kläger definitiv mitteilten, dass in der Folgezeit keine Rechte aus der einstweiligen Verfügung geltend gemacht würden, war somit in Anbetracht des bereits früher abgeschlossenen Unterlassungsvertrags im Hinblick auf die Beseitigung des Vollstreckungsdrucks nur noch von deklaratorischer Bedeutung.

c) Selbst wenn man entgegen der Auffassung des Senats davon ausgehen wollte, dass auch von der lediglich formal fortbestehenden Beschlussverfügung noch ein Vollstreckungsdruck ausging, so fehlt es doch jedenfalls an der erforderlichen Kausalität zwischen diesem Vollstreckungsdruck und dem beim Kläger eingetretenen Schaden. Auch im Falle eines gedachten Wegfalls der einstweiligen Verfügung gegenüber dem Kläger steht nämlich keinesfalls fest, dass dieser dann in der Lage gewesen wäre, eine Tätigkeit innerhalb der Hotline auszuüben.

Während des Zeitraums vom 15.05.1998 bis zum 24.06.1998 (vgl. Berufungserwiderung S. 4) war der Kläger an einer Mitarbeit bei der Hotline nämlich bereits dadurch faktisch gehindert, dass die Hotline-Betreiber selbst ihren Geschäftsbetrieb aufgrund der gegen sie ergangenen einstweiligen Verfügung einstellen mussten. Bis zum Verzicht der Antragsteller auf ihre Rechte aus der einstweiligen Verfügung gegen die Hotline-Betreiber am 24.06.1998 war es diesen daher bereits aus rechtlichen Gründen nicht möglich, dem Kläger eine Tätigkeit innerhalb der Hotline anzubieten.

Während des nachfolgenden Zeitraums wäre zwar eine erneute Zuteilung von Zeitscheiben aus Sicht der Hotline-Betreiber rechtlich möglich gewesen. Dennoch entschied sich deren Geschäftsführer M. S. gegen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger. Anhaltspunkte dafür, dass diese Entscheidung des Herrn S. kausal auf die Vollziehung der einstweiligen Verfügung durch den Beklagten zurückzuführen ist, hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger nicht vorgetragen. Vielmehr spricht die Entwicklung des Schriftwechsels zwischen dem Kläger einerseits und Herrn S. bzw. Herrn Rechtsanwalt H. andererseits eher dafür, dass deren Entscheidung auf Erwägungen beruhte, die nicht in Zusammenhang mit den Vorgängen rund um die einstweilige Verfügung stehen. In Anbetracht des vorangegangenen Schriftwechsels lässt sich diese Entscheidung nur damit plausibel begründen, dass die Verantwortlichen mittlerweile über Informationen verfügten, die - unabhängig von dem Verfügungsverfahren - eine Neuaufnahme des Klägers in die Hotline nicht ratsam erscheinen ließen.

Da somit eine Beratungstätigkeit des Klägers unabhängig von der gegen ihn ergangenen einstweiligen Verfügung während des gesamten maßgeblichen Zeitraums zunächst rechtlich nicht möglich und anschließend von Seiten der Verantwortlichen aus autonomen Gründen nicht gewollt war, fehlt es an der in § 945 ZPO vorausgesetzten Kausalität zwischen dem Vollstreckungsdruck und dem beim Kläger eingetretenen Schaden.

2. Eine Grundlage für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch ergibt sich auch nicht aus §§ 823 ff. BGB bzw. § 1 UWG. Beide Anspruchsgrundlagen setzen Verschulden voraus. Ein solches Verschulden ist jedoch im Zusammenhang mit der Beantragung einer einstweiligen Verfügung regelmäßig dann zu verneinen, wenn dem Verfügungsantrag ein rechtlich schwierig zu beurteilender Sachverhalt zugrunde liegt, für den die Rechtsprechung noch keine festen Grundsätze entwickelt hat und bei dessen Bewertung sich der Antragsteller auf namhafte Vertreter in Schrifttum und/oder Rechtsprechung berufen kann (BGH NJW 1996, 198, 199). Bei Anwendung dieses allgemeinen Grundsatzes auf den vorliegenden Fall muss ein Verschulden des Beklagten ausscheiden, zumal dem von ihm verfolgten Unterlassungsbegehren in mehreren Tatsacheninstanzen von Kollegialgerichten stattgegeben wurde.

Ende der Entscheidung

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