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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 12.09.2001
Aktenzeichen: 6 U 220/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 906 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 543 Abs. 1 Halbs. 2
1. Bei der Beurteilung des Ausmaßes der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme im nachbarschaftlichen Verkehr bei Straßensperrungen aufgrund der nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gebotenen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls steht weniger die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Vordergrund als vielmehr der billige Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen.

2. Hierbei kann sich bereits die Baustellensituation nachteilig auf den Betrieb des Geschädigten auswirken, wenn potentielle Kunden, die den Betrieb anfahren wollten, hierdurch subjektiv abgeschreckt worden sind.

3. Für den baustellenbedingten Einnahmeausfall kann nur insoweit ein Ausgleich verlangt werden, als dieser über das zumutbare Maß hinausgeht.


Tatbestand:

Der Kläger betreibt in K., Ortsteil T., in der Eisenbahnstraße einen landwirtschaftlichen Betreib, in dem er hauptsächlich Spargel anbaut und diesen auch ab Hof verkauft. Von der Bundestrasse B 3, die hinter einer zweigleisigen Bahnlinie verläuft, führt eine Unterführung unter den Bahngleisen zur Eisenbahnstraße. Nach dieser direkten Zufahrt ist der Kläger der erste Anbieter von Spargel im Ortsteil T.. Durch Hinweisschilder auf der B 3 macht der Kläger auf seinen Spargelverkauf direkt ab Hof aufmerksam.

Im Frühjahr/ Sommer 1999 wurde die Bahnbrücke, die die Unterführung von der B 3 zur Eisenbahnstraße überspannt, saniert. Nach einer zunächst halbseitigen Sperrung kam es nach einem Zugunglücks aufgrund der Bauarbeiten am 15. 4.1999 zu einer Vollsperrung der Unterführung. Zum Hof des Klägers führte während der Spargelsaison 1999 nur eine Umleitungsstrecke über die nächste nördliche Abfahrt von der B 3 durch den Ortskern von T.; dieser Weg führte an mehreren anderen spargelverkaufenden Betreiben vorbei.

Der Kläger hat u. a. vorgetragen, durch die Vollsperrung der Unterführung sei er von dem Kundenstrom abgeschnitten worden, was zur einem fast vollständigen Erliegen des Verkaufs ab Hof geführt habe. Sein Betrieb sei von seinem Platz als erster Anbieter verdrängt worden und habe nun am Ende einer durch die Sperrung entstandenen Sackgasse gelegen. Auch aus Richtung T. habe sein Grundstück nicht ungehindert angefahren werden können. Der Einsatz eines großen mobilen Krans sowie weiterer Baufahrzeuge hätten die Eisenbahnstraße in eine Baustelle verwandelt, wodurch aus einiger Entfernung der Eindruck entstanden sie, die Straße sei nicht oder nur unter besonderen Schwierigkeiten befahrbar. Der hierdurch erforderlich gewordene Verkauf an den Großmarkt habe gegenüber dem gewöhnlichen Verkauf ab Hof zu einem Einnahmeverlust von 30.951,-- DM geführt, da beim Absatz über den Großmarkt nur deutlich niedrigere Preise zu erzielen gewesen seien.

Der Kläger begehrt von der Beklagten Ausgleich dieses Einnahmeverlusts.

Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs nicht gegeben seien, da die Zugänglichkeit des klägerischen Grundstücks durch die Baumaßnahmen niemals behindert worden sei.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat nur zu einem geringen Teil Erfolg.

I. Die Berufung ist unbegründet, soweit sie geltend macht, die Beklagte sei schon dem Grunde nach dem Kläger nicht zur Entschädigung verpflichtet. Die Klage ist dem Grunde nach begründet. Die Beklagte hat den Kläger nach den Grundsätzen des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs (bürgerlichrechtlichen Aufopferungsanspruchs) dafür zu entschädigen, dass er in der Spargelsaison 1999 5,4 t selbst erzeugten Spargel nicht zu höheren Preisen "ab Hof" direkt an den Endverbraucher, sondern nur zu geringeren Preisen an den Großmarkt als Zwischenhändler hat verkaufen können. Das Landgericht hat dies mit eingehender und zutreffender Begründung dargelegt. Der Senat folgt insoweit den Gründen der angefochtenen Entscheidung und verweist auf sie, § 543 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO. Der Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht:

1. Die von der Beklagten vertretene Rechtsansicht, der durch die Sperrung der Unterführung und damit der unmittelbaren Verbindung von der Bundesstraße zum Grundstück des Klägers verursachte Einnahmeausfall sei aus Rechtsgründen nicht zu ersetzen, teilt der Senat nicht. Es trifft zwar zu, dass nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes die Lage eines Betriebes regelmäßig nur einen zufälligen Vorteil bildet, deren unveränderter Fortbestand in Gestalt einer bestimmten Anbindung an das öffentliche Wegesystem regelmäßig nicht in den Schutzbereich des Grundrechts auf Eigentum nach Art. 14 GG fällt, weil der Anlieger den Gemeingebrauch einschränkende Maßnahmen wie die Verkehrsverlagerung durch Änderung des Straßensystems entschädigungslos hinnehmen muss, solange sein Anwesen nur überhaupt auf öffentlichen Straßen erreicht werden kann (vgl. BGHZ 55, 261, 264 f. m.w.N. - Soldatengaststätte; BGHZ 57, 359, 363 ff. - Frankfurter U-Bahn; BGHZ 70, 212, 218 - Mannheimer Rosengarten). Die Beklagte verkennt aber, dass diese Ausführungen des Bundesgerichtshofes stets die Frage betroffen haben, ob bei Straßensperrungen, -aufhebungen oder -umwidmungen ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff gegen die öffentliche Hand bestand. Die Frage der Sozialpflichtigkeit des Eigentums im öffentlichen Bereich ist aber anders zu beurteilen, als das Ausmaß der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme im nachbarschaftlichen Verkehr, denn bei der nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gebotenen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls steht weniger die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Vordergrund als vielmehr der billige Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen (BGHZ 62, 361, 369 - Münchener U-Bahn). Die Beklagte kann in diesem Konflikt nicht darauf verweisen, dass ein Anlieger im allgemeinen den ständigen Wechsel, dem der Gemeingebrauch an einer öffentlichen Straße unterliegt, entschädigungslos hinnehmen muss, wie dies bei durch den Straßenbau und Straßenveränderungen der Fall ist. Denn die Einwirkungen auf die Nutzung des Grundstücks des Klägers durch die Baumaßnahmen der Beklagten beruhten nicht auf einer Anpassung an veränderte Verkehrsverhältnisse, sondern haben sich allein aus der Behebung von Schwierigkeiten ergeben, die bei der Reparatur des im Eigentum der Beklagten stehenden Gleiskörpers aufgetreten sind (vgl. BGH a.a.O., S. 370). Unstreitig ist die zunächst nur einspurig vorgesehene Sperrung der Verbindungsstraße zur Bundesstraße nur deshalb in eine Totalsperrung geändert worden, weil die Beklagte den Gleiskörper auch während der Reparaturarbeiten weiter betreiben und wollte und beim Weiterbetrieb dann ein folgenschwerer Unfall durch den Zusammenstoß eines Zuges mit einem Baustellenkran eingetreten ist. Es mag sein, dass der Beklagte die hoheitliche Maßnahme der Sperrung oder Aufhebung seines direkten Zugangs zur Bundesstraße im Rahmen einer Veränderung des öffentlichen Wegesystems wegen der Sozialpflichtigkeit seines Eigentums entschädigungslos hinnehmen müsste (wobei auch in dieser Fallkonstellation bei Überschreitung der Opfergrenze Ansprüche gewährt werden, vgl. BGH 57, 359, 365 f. - Frankfurter U-Bahn). Daraus folgt aber nicht, dass der Kläger die für ihn als genehmigte Überschreitung des Gemeingebrauchs (BGHZ 70, 212, 219) ausnahmsweise nicht abwehrbare Bevorzugung der Interessen der Beklagten an einem durch Reparaturen am Gleiskörper nicht beeinträchtigten Zugverkehr gegenüber seinen Interessen am gewinnbringenden Verkauf seines Spargels ohne jeden Ausgleich hinnehmen müsste. Vielmehr war der Interessenwiderstreit der Parteien unter den im Einzelfall geforderten Billigkeitsgesichtspunkten zu lösen (so ausdrücklich BGHZ 62, 361, 370 - Münchener U-Bahn).

2. Auch die Angriffe der Beklagten gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts gehen fehl. Der Senat ist aufgrund der in erster Instanz durchgeführten Zeugenvernehmungen ebenso wie das Landgericht sicher davon überzeugt, dass sich nicht nur die Sperrung der Unterführung, sondern auch die Baustellensituation in der Eisenbahnstraße, an der sich der Hof des Klägers befindet, nachteilig auf den Betrieb des Klägers ausgewirkt hat. Die Zeugen K. und Ka. haben bei ihrer Vernehmung durch die Einzelrichterin des Landgerichts überzeugend angegeben, dass während der gesamten Spargelsaison 1999 in der Eisenbahnstraße von der Beklagten Baumaterial gelagert, abgebrochene Brückenteile abgelegt, Schuttcontainer aufgestellt, Baufahrzeuge geparkt und für ca. zwei Wochen auch ein Kran installiert worden ist. Ebenso überzeugend haben die Zeugen bekundet, dass durch diese Maßnahmen und den ständigen Baustellenverkehr, schon vor Einfahrt in die Eisenbahnstraße für potentielle Kunden der (subjektive) Eindruck entstanden sei, es gehe hier nicht weiter. Das im hier erörterten Zusammenhang entscheidende, abschreckenden Bild für eventuelle Kunden (vgl. BGHZ 70, 212, 220 f.) wird durch die von der Beklagten in der Berufungsbegründung zitierten Passagen der Zeugenaussagen, wonach das Grundstück des Klägers (objektiv), wenn auch mit Schwierigkeiten durch Kraftfahrzeuge erreicht werden konnte, nicht in Zweifel gestellt. Denn es kommt für die erhebliche Beeinträchtigung des Direktverkaufs von Spargel durch den Kläger nicht darauf an, ob die Kunden den Hof hätten erreichen können oder ob ihnen zugemutet werden konnte, ein paar Meter zu laufen (wie der Zeuge K. meint), sondern allein darauf, dass die potentiellen Kunden des Klägers, die seinen Hof anfahren wollten, durch das Ausmaß der Nutzung der Eisenbahnstraße als Teil der Baustelle subjektiv abgeschreckt worden sind.

II. Dagegen hat die Berufung im Ergebnis zum Teil Erfolg soweit sie sich gegen die Höhe der vom Landgericht zugesprochenen Entschädigung wendet. ...

Bei der Berechnung des zu ersetzenden Einnahmeausfalls hat das Landgericht auch übersehen, dass der Kläger für den baustellenbedingten Ertragsausfall nur insoweit einen Ausgleich verlangen kann, als dieser Ertragsausfall über das zumutbare Maß hinausgeht. Auch bei der im vorliegenden Fall auch nach Ansicht des Senats vorliegenden Überschreitung der Zumutbarkeitsschwelle durch die Auswirkungen der Baumaßnahme der Beklagten ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der der Senat folgt, nicht der vollständige Ertragsverlust, sondern nur der Betrag auszugleichen, der den Kläger über das Zumutbare hinaus beeinträchtigt hat. Unter Berücksichtigung aller Aspekte des Einzelfalls, hält der Senat die Beeinträchtigungen des Umsatzes für den Kläger erst ab einer Schwelle von DM 5.000 für unzumutbar. Der Senat hat sich dabei von folgenden Überlegungen leiten lassen: Einerseits hat die Beklagte durch die übermäßige Straßenbenutzung zu Lasten des Klägers den Betrieb der Gleisanlagen auch während der Reparaturzeit aufrecht erhalten und damit auch geringe Einnahmeausfälle vermeiden können. Zum anderen kann aber auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger nach seiner eigenen Angabe vor dem Landgericht trotz der Baumaßnahmen immerhin noch Spargel für DM 5.000 bis 10.000 direkt ab Hof verkaufen konnte, die nicht wie die vorerwähnten 5,4 t an den Großmarkt veräußert werden mussten. Darüber hinaus ist auch eine gewisse Vorteilsausgleichung angezeigt, weil nach den Angaben der Ehefrau des Klägers in einzelnen Fällen auch auf der Baustelle tätige Personen Spargel auf dem Hof des Klägers eingekauft haben. Für eine höhere Zumutbarkeitsschwelle spricht auch, dass das betroffene Grundstück in der fraglichen Zeit nicht nur als Verkaufsplatz für Spargel benutzt worden ist, sondern weiterhin als Wohnung und Bauernhof gedient hat und diese Nutzungsmöglichkeiten des Klägers durch die Baumaßnahme letztlich nicht beeinträchtigt worden sind.



Ende der Entscheidung

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