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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 23.10.2002
Aktenzeichen: 6 U 77/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 187 Satz 1 a.F.
ZPO § 929 Abs. 2
1. Wegen der besonderen Bedeutung der Zustellung einer durch Beschluss erlassenen einstweiligen Verfügung für deren Wirksamwerden kommt eine Heilung von Zustellungsmängeln (§ 187 Satz 1 ZPO a.F.) nicht in Betracht.

2. Einer erneuten Vollziehung einer im Widerspruchsverfahren (oder Berufungsverfahren) geänderten Beschlussverfügung bedarf es nur, wenn es sich um eine wesentliche Abänderung handelt. Dies ist unter Berücksichtigung des von § 929 Abs. 2 ZPO bezweckten Schuldnerschutzes zu beurteilen.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Im Namen des Volkes Urteil

6 U 77/02

Verkündet am: 23.10.2002

In Sachen

wegen einstweiliger Verfügung

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 09. Oktober 2002 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Lippok

Richter am Oberlandesgericht Dr. Schnauder

Richter am Landgericht Dr. Kircher

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufungen der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 17. Mai 2002 - 14 0 69/02 KfH III - im Kostenpunkt aufgehoben und abgeändert: Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Karlsruhe vom 25. April 2002 wird aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsklägerin.

Gründe:

I.

Mit Beschlussverfügung vom 25.04.2002 hat das Landgericht den Verfügungsbeklagten (künftig: Beklagte) untersagt, den in Kundenkarteien der Verfügungsklägerin (Klägerin) "Stand: 31.03.2001" verzeichneten Kunden näher spezifizierte IBM-Softwareprodukte anzubieten. Nach Widerspruch der Beklagten hat das Landgericht im angefochtenen Urteil das Handlungsverbot nach Maßgabe des zuletzt gestellten eingeschränkten Antrags der Klägerin bestätigt und den Beklagten unter Androhung gesetzlicher Ordnungsmittel untersagt,

"den in den schriftlich und/oder elektronisch gespeicherten Kundenkarteien der Verfügungsklägerin Stand: 31. März 2001 verzeichneten (und namentlich im Tenor der angefochtenen Entscheidung aufgeführten) Kunden die Software Catia von IBM mit individuell für die speziellen Kundenbedürfnisse zugeschnittenen Lösungen für die Produktentwicklung, die Produktfertigung, Verbesserung des Fachdeckungsprozesses, Erhöhung der Produktivität, insbesondere zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Kunden, unaufgefordert anzubieten".

Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihren Rechtsmitteln.

II.

Die zulässigen Rechtsmittel der Beklagten sind begründet. Die vom Landgericht im angefochtenen Urteil in eingeschränktem Umfang bestätigte einstweilige Verfügung hält den Angriffen der Berufung der Beklagten aus unterschiedlichen Gründen nicht stand.

1. Berufung der Beklagten 1

Mit Erfolg macht die Beklagte 1 geltend, dass die Klägerin die einstweilige Verfügung nicht ordnungsgemäß innerhalb der gesetzlichen Frist des § 929 Abs. 2 i.V.m. § 936 ZPO vollzogen habe. Daher ist auf ihren Antrag, der auch im Berufungsverfahren gestellt werden kann, die Unterlassungsverfügung, soweit sie sich gegen die Beklagte 1 richtet, schon aus diesem Grunde aufzuheben.

a) Gem. § 936 i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO muss eine einstweilige Verfügung innerhalb eines Monats vollzogen werden. Dabei beginnt die Frist, wenn die einstweilige Verfügung durch Beschluss erlassen worden ist, mit ihrer Zustellung an den Antragsteller, also im vorliegenden Fall am 25.04.2002 (I 11). Die Klägerin musste die Beschlussverfügung innerhalb bis zum 25.05.2002 offenen Frist vollziehen. Bei Beschlussverfügungen besteht jedoch die Besonderheit, dass diese gem. § 922 Abs. 2 ZPO überhaupt erst mit ihrer Zustellung an den Schuldner wirksam werden. Sie können, solange sie nicht wirksam sind (bzw. nicht innerhalb der Frist des § 929 Abs. 3 Satz 2 ZPO wirksam werden, dazu OLG Hamburg WRP 1993, 822, 823), auch nicht wirksam vollzogen werden. An der dafür erforderlichen Zustellung fehlt es hier.

Durch die an die Zweigniederlassung der Beklagten 1 erfolgte Zustellung ist die Verfügung ebenso wenig wirksam geworden wie durch die Zustellung an die Hauptniederlassung der Beklagten 1 am 17.05.2002 (Anl. K 10, Anlagenband OLG). Dieser Vorgang stellt keine wirksame Zustellung an die Beklagte 1 nach Maßgabe der seinerzeit noch geltenden Zustellungsvorschriften der § 166 ff. ZPO a.F. dar. Die Klägerin durfte die Verfügung nicht an die Beklagte 1 persönlich, sondern musste sie deren Verfahrensbevollmächtigten zustellen. Das folgt aus der Regelung des § 176 ZPO a.F. (= jetzt § 172 ZPO), die der zugleich verletzten Zustellungsvorschrift des § 171 ZPO a.F. vorgeht. Der Klägerin wurde aufgrund der ihr zusammen mit der Beschlussverfügung zugestellten Schutzschrift, in der sich der Bevollmächtigte der Beklagten 1 legitimiert hat, die Person des Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten 1 zur Kenntnis gebracht; ob ihr Bevollmächtigter diese Information aufgenommen hat, spielt keine Rolle. In einem solchen Fall hat die Zustellung der Beschlussverfügung an diesen Rechtsanwalt zu erfolgen (Senat WRP 1986, 166, 167; WRP 1987, 44, 46; Schmukle in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtschutz, Bd. II, 2. Aufl., Anhang zu § 935 B Rdn. 7; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl., Kap. 55 Rdn. 43, jeweils m.w.N.).

b) Dieser Zustellungsmangel ist auch nicht gem. § 187 Satz 1 ZPO a.F. geheilt worden.

Die Frage, ob und ggfs. in welchem Umfang eine Heilung von Mängeln bei der Zustellung einstweiliger Verfügungen nach den vor dem 01.07.2002 geltenden Zustellungsregeln in Betracht kommt, ist in Rechtsprechung und Schrifttum heftig umstritten (vgl. Teplitzky, a.a.O., Kap. 55 Rdn. 44 ff.). Gemäß § 187 Satz 1 ZPO a.F. kann bei fehlender oder mangelhafter Zustellung des Schriftstücks die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt angesehen werden, in dem das Schriftstück den Beteiligten zugegangen ist. Aus einem Umkehrschluss zu § 187 Satz 2 ZPO a.F. folgert eine verbreitete Ansicht, der früher auch der Senat beigetreten ist (Senat WRP 1986, 166 f.; 187, 44, 46; vgl. jedoch einschränkend Senat WRP 1989, 744, 745), dass Zustellungsmängel auch bei der Zustellung einstweiliger Verfügungen gem. § 187 Satz 1 ZPO grundsätzlich je nach Art des Mangels heilbar seien. Hiernach wäre der Verstoß gegen § 176 ZPO a.F. geheilt, weil die Beklagte 1 die Beschlussverfügung innerhalb der Vollziehungsfrist an ihre Verfahrensbevollmächtigten weitergegeben hat (vgl. den Widerspruchsschriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 07.05.2002, I 13).

Nach der Gegenmeinung kommt wegen der besonderen Bedeutung der Zustellung einer durch Beschluss erlassenen einstweiligen Verfügung für deren Wirksamwerden eine Heilung nicht in Betracht (Teplitzky, a.a.O. mit Nachw. in Fn. 152). Mit Recht verweist diese Auffassung darauf, dass erst der in der förmlichen Vollziehung liegende Hoheitsakt nach § 922 Abs. 2 ZPO die konkrete Verbotsnorm für den Adressaten in Kraft setzt, deren Missachtung das Gesetz mit strafähnlichen Ordnungsmitteln gem. § 890 ZPO sanktioniert. Die Rechtswirksamkeit der erlassenen Unterlassungsverfügung kann daher schwerlich von einer ungewissen Ermessensentscheidung abhängen, wie sie § 187 Satz 1 ZPO a.F. vorsieht. Im Hinblick auf die konstitutive Bedeutung der Parteizustellung einer Beschlussverfügung ist nicht vereinbar, dass die Feststellung der Heilung in das gerichtliche Ermessen gestellt ist (Senat WRP 1992, 339, 341, für eine mangels ordnungsgemäßer Beglaubigung gem. § 170 ZPO a.F. unwirksame Zustellung). Der konstitutive Rechtsakt der Begründung der Rechtswirksamkeit der erlassenen Beschlussverfügung kann nicht durch den tatsächlichen Vorgang der Kenntnisnahme des richtigen Erklärungsempfängers ersetzt werden.

c) Die nicht wirksame und noch nicht vollzogene Beschlussverfügung unterliegt daher der Aufhebung.

Die mangelnde Wirksamkeit der Beschlussverfügung ist zwar durch die im Widerspruchsverfahren erlassene Unterlassungsverfügung beseitigt worden, denn Urteilsverfügungen sind mit ihrer Verkündung, spätestens mit ihrer Zustellung von Amts wegen (§ 317 ZPO) wirksam (herrschende Meinung, vgl. Teplitzky, a.a.O., Kap. 55 auch zum Meinungsstand). Es ist jedoch anerkannt, dass damit die Monatsfrist für die Vollziehung (§ 929 Abs. 2 ZPO) neu zu laufen beginnt (Reichold: in Thomas/Putzo, ZPO, § 929 Rdn. 3). Eine erneute Parteizustellung zur Erhaltung der Bestandskraft der Urteilsverfügung vom 17.05.2002 ist jedoch nicht erfolgt.

2. Berufung der Beklagten 2 und 3

Die Berufung der Beklagten 2 und 3 ist ebenfalls gerechtfertigt. Zwar greift die von diesen Berufungsführern erhobene Rüge der fehlerhaften Vollziehung der Verbotsverfügung nicht durch (a); auch bleibt ihrer Zuständigkeitsrüge gem. § 17 a Abs. 5 GVG der Erfolg versagt, weil jedenfalls die Berufung insoweit keinen Verfahrensfehler des Landgerichts gem. § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG aufzeigt (vgl. zur vorrangigen Frage der Anwendbarkeit der §§ 17 - 17 b GVG im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, Musielak/Wittschier, ZPO, 3. Aufl., § 17 GVG Rdn. 2 m.w.N. in Fn. 16). Jedoch steht der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu, die anspruchsbegründenden Voraussetzungen hierfür sind nicht glaubhaft gemacht (b).

a) Die gegen die Beklagten 2 und 3 ergangene einstweilige Verfügung ist wirksam und innerhalb der Vollziehungsfrist vollzogen, § 936, 922 Abs. 2, 929 Abs. 2 ZPO.

Mängel der Zustellung der Beschlussverfügung und daraus erfolgende Wirksamkeitsbedenken bestehen hinsichtlich der Beklagten 2 und 3 nicht, da die Schutzschrift nicht auch in deren Namen eingereicht worden war. Die Zustellung der Unterlassungsverfügung an diese Beklagten (vgl. wegen der Nachweise Anl. K 10, Anlagenband OLG) ist daher wirksam. Sie ist auch innerhalb der Vollziehungsfrist erfolgt. Damit ist die Verfügung wirksam vollzogen.

Einer erneuten Zustellung des im Widerspruchsverfahren erlassenen Verfügungsurteils im Parteibetrieb bedurfte es nicht. Der Umstand, dass dieses Urteil die ursprüngliche einstweilige Verfügung inhaltlich einschränkte, ändert daran nichts.

Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. WRP 1997, 57, 59) bedarf es nur dann einer erneuten Vollziehung, wenn eine einstweilige Verfügung im Widerspruchsverfahren (oder im Berufungsverfahren) eine wesentliche inhaltliche Abänderung erfährt. Entscheidend ist, ob sich die letztlich ergangene Entscheidung wesentlich von der ursprünglich erlassenen Verfügung abhebt. Eine bloße Formulierungsänderung bei in den maßgeblichen Punkten gleichem sachlichen Inhalt setzt keine neue Vollziehungsfrist in Lauf. Dabei kann nicht schematisch darauf abgestellt werden, ob die Verbotsverfügung mit bestimmten Maßgaben bestätigt oder ob der Antrag teilweise zurückgewiesen wird und der Gläubiger einen Teil der Verfahrenskosten zu tragen hat. Auch in dem zuletzt genannten Fall kann die Änderung unwesentlich sein.

Ob eine wesentliche Änderung vorliegt, ist vielmehr unter Berücksichtigung des von § 929 Abs. 2 ZPO bezweckten Schuldnerschutzes zu bestimmen. Der Schuldner soll alsbald Klarheit darüber erhalten, ob der Gläubiger die Rechte aus der einstweiligen Verfügung tatsächlich durchsetzen will (vgl. BVerfG NJW 1988, 3141). Hat der Gläubiger die ursprünglich erlassene einstweilige Verfügung im Parteibetrieb zugestellt oder in anderer Weise vollzogen und können keine Zweifel an seinem Willen bestehen, von einem im Lauf des Verfügungsverfahrens lediglich umformulierten und/oder eingeschränkten Unterlassungsgebot Gebrauch zu machen, so ist unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes eine nochmalige Vollziehung nicht geboten; eine abermalige Zustellung wäre eine reine, den Gläubiger unnötig belastende Formalität. Aus diesem Grunde vermag sich der Senat wie in der Entscheidung WRP 1997, 57, 59 der in Rechtsprechung und Literatur teilweise vertretenen Ansicht nicht anzuschließen, eine nochmalige Vollziehung sei auch dann notwendig, wenn ein zunächst allgemein gefasstes Verbot konkretisiert werde.

Der vorliegende Sachverhalt macht eine abschließende Stellungnahme zu der Frage, ob eine ins Gewicht fallende Änderung immer schon dann vorliegt, wenn eine zunächst erlassene einstweilige Verfügung unter Zurückweisung des weitergehenden Antrages nur zum Teil bestätigt wird, nicht erforderlich. Es mögen immerhin Fälle denkbar sein, in denen das Verbot so stark eingeschränkt wird, dass ein Interesse des Gläubigers an einer Durchsetzung zweifelhaft erscheint. Für derartige Zweifel ist jedenfalls regelmäßig dann kein Raum, wenn die Einschränkung darin besteht, dass ein abstrakt formuliertes Verbot der konkreten Verletzungsform angepasst wird. So liegt es hier.

Die Klägerin erstrebte von vornherein nur das Ziel, die Verwertung ihrer Kundenliste mit Stand 31.03.2001 durch die Beklagten zu unterbinden. Das war für die Beklagten auch ohne weiteres zu erkennen. Das ursprüngliche Gebot war jedoch zu unbestimmt und sachlich zu weitgehend gefasst; es wurde im Widerspruchsverfahren auf die (behauptete) konkrete Verletzungshandlung reduziert. Darin ist eine wesentliche Änderung der einstweiligen Verfügung, die zu einer erneuten Vollziehung nötigt, nicht zu erkennen.

Auch soweit die Urteilsverfügung eine weitere Beschränkung enthält, indem sie den Beklagten lediglich untersagt, den namentlich bezeichneten Kunden "unaufgefordert" ein bestimmtes Angebot zu machen, bestand für die Beklagte kein Anlass, am Willen der Klägerin zu zweifeln, dass sie das eingeschränkte Verbot vollstrecken werde. Denn die Einschränkung des Handlungsverbotes im angefochtenen Urteil erfolgt auf ausdrücklichen Antrag der Klägerin im Kammertermin. Die Beklagten mussten unter diesen Umständen erkennen, dass ein Interesse der Klägerin an einem solchen Verbot und seine Durchsetzung gegeben war.

b) Ungeachtet des Vorliegens eines Verfügungsgrundes kann die erlassene einstweilige Verfügung nicht fortbestehen, weil die Voraussetzungen des geltend gemachten Verfügungsanspruchs nicht glaubhaft sind. Die Klägerin begründet den auf § 17 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 1 UWG gestützten Abwehranspruch mit dem Vorwurf, die Beklagten 2 und 3 hätten sich ein ihr zustehendes Geschäftsgeheimnis unbefugt verschafft bzw. gesichert und zugunsten der Beklagten 1 verwertet. Das kann jedoch nicht festgestellt werden.

aa) Aus dem Vortrag der Klägerin soll dieses Betriebsgeheimnis in ihrer Kundenliste verkörpert sein. Jedoch kann nach dem vorgetragenen und glaubhaft gemachten Sachverhalt nicht angenommen werden, dass die aufgelisteten Kundennamen ein schutzfähiges Betriebsgeheimnis darstellen.

Allerdings können Kundenadressen als Geschäftsgeheimnis einzustufen sein, wenn es sich dabei um Daten handelt, an deren Geheimhaltung der Betriebsinhaber ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse hat und die zumindest nach seinem erkennbaren Willen auch geheim bleiben sollen (Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl., § 17 Rdn. 4).

Der von den Beklagten gegen das Vorliegen eines objektiven Geheimnisses in Gestalt der Adressenliste vorgebrachte Einwand der Offenkundigkeit der Daten scheint jedoch nicht stichhaltig. Das gilt insbesondere für die Behauptung, das Herstellerunternehmen IBM veröffentliche seine sämtlichen Software-Anwender, ohne auf die Interessen der jeweiligen Vertriebsunternehmen bzw. Vertriebspartner Rücksicht zu nehmen, die im Einzelfall den geschäftlichen Kontakt zu dem Kunden unterhalten. Das ist nicht nachvollziehbar und auch nicht glaubhaft. Es spricht insoweit mehr für den Vortrag der Klägerin, dass es sich bei dem von den Beklagten vorgelegten Adressenmaterial um eine sogenannte Negativ-Liste der Firma IBM handelt, die Daten von Kunden enthält, mit denen IBM selbst und unmittelbar kontrahieren will. Die Beklagten haben ihre Behauptung, die Liste enthalte Informationen über Kunden der im Wettbewerb stehenden Geschäftspartner im übrigen auch nicht glaubhaft gemacht.

Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ihre (sämtlichen) Kundendaten planmäßig in ihrer Homepage veröffentlicht, wie die Beklagten glauben machen wollen. Wahrscheinlicher ist, dass es sich hierbei um ein Versehen handelt, wie es im Schriftsatz der Beklagten vom 15.05.2002 geschildert wird (dort S. 9, I 59, 75).

Dennoch kann man schon zweifeln, ob die bloße Adressenliste, wie sie im Unterlassungsantrag aufgenommen ist, also mit jeweiliger Firma und Anschrift des Kunden in objektiver Hinsicht ein Geschäftsgeheimnis darstellt, das der Klägerin zusteht. Ob die Klägerin schon an der Geheimhaltung dieser Daten oder erst bezüglich der mit den einzelnen Kundennamen in Verbindung stehenden Geschäftsvorgängen ein Geheimhaltungsinteresse hat, versteht sich nicht von selbst. Jedenfalls aber fehlt es bezüglich der in den Antrag aufgenommenen Liste an dem Geheimhaltungswillen der Klägerin. Das folgt, worauf die Beklagten zu Recht hinweisen, aus der Regelung des vertraglichen Wettbewerbsverbots in § 10 des zwischen der Klägerin und dem Beklagten 2 abgeschlossenen Anstellungsvertrages. Nach Satz 4 ist "die Verwendung betrieblicher Kundenlisten sowie die direkte Ansprache dieser Kunden" lediglich während eines auf 6 Monate nach Beendigung des Anstellungsvertrages begrenzten Zeit des Konkurrenzverbotes unzulässig. Aus dieser vertraglichen Vereinbarung mit ihren Mitarbeitern folgt die für die vorliegende Entscheidung maßgebliche Einschätzung der subjektiven Willensrichtung der Klägerin, was deren Geheimhaltungswillen angeht. Ein über diesen Zeitraum hinaus gehendes Schutzinteresse bezüglich ihrer Kundenliste kann daher nicht angenommen werden. Mit Ablauf dieser zeitlichen Schranke ist ein schutzfähiges Betriebsgeheimnis der Klägerin endgültig entfallen. Damit fehlt es dem in die Zukunft wirkenden Unterlassungsbegehren der Klägerin an einer rechtlichen Grundlage.

Die denkbare Verletzung während der Schutzzeit führt auch unter dem Gesichtspunkt des Dauerdelikts entgegen der Berufungsantwort der Klägerin nicht zu einem Unterlassungsanspruch. Eine künftiger Wettbewerbsverstoß ist mangels Vorliegens eines Betriebsgeheimnisses nicht mehr möglich.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren das Fehlverhalten der Beklagten in die Zeit ihrer Betriebzugehörigkeit vorverlagert und ihnen vorwirft, sie hätten Kundenaufträge zögerlich behandelt, um diese Geschäftsvorfälle nach ihrem Ausscheiden für den neuen Arbeitgeber zu verwerten, verhilft ihr das nicht zum Erfolg. Auf diese Verhaltensweise ist das Unterlassungsbegehren der Klägerin nicht gerichtet.

bb) Im übrigen ist bereits nicht glaubhaft gemacht, dass der Beklagte 2 die (wie im weiteren unterstellt werden soll) geheime Adressenliste sich unbefugt verschafft habe. Hierzu kann dem auszugsweise von der Klägerin vorgelegten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nichts entnommen werden. Der Vorwurf einer solchen Tathandlung, wie er sich mit gewisser Wahrscheinlichkeit etwa gegenüber dem Beklagten 3 aus den Ermittlungsakten entnehmen lässt (insbesondere Anl. K 2 mit Auswertung der Kundendatei), liegt gegenüber dem Beklagten 2 eher fern. Ein hinreichendes Gesamtbild aufgrund des selektiven Informationsgehalts der aus den Ermittlungsakten kopierten und zur Glaubhaftmachung eingereichten Unterlagen lässt sich nach Auffassung des Senats ohnehin nicht gewinnen.

Schließlich kann nach Lage der Dinge ebenfalls nicht als überwiegend wahrscheinlich festgestellt werden, dass die Beklagten 2 und 3 die (wie weiter unterstellt werden soll) rechtswidrig verschaffte Adressatenliste unbefugt zugunsten der Beklagten 1 verwertet haben. Hierzu fehlt die Darlegung und Glaubhaftmachung, dass es sich bei den in der Liste aufgeführten Gewerbetreibenden tatsächlich um (frühere) Kunden der Klägerin handelt, die jeweils von dem Beklagten 2 und 3 zugunsten der Beklagten 1 angesprochen wurden. Die Ausführungen hierzu im Schriftsatz vom 29.09.2002 (S. 5 f, II 149, 157 f) gehen über die bloße Behauptung nicht hinaus, die Liste enthalte ausschließlich Kunden der Klägerin, zu denen bereits "feste Geschäftsbeziehungen" bestehen. Als Mittel der Glaubhaftmachung ihrer geschäftlichen Beziehungen ist das Zeugnis des ermittelnden Beamten der Kriminalpolizei nicht geeignet.

3. Nach alledem können die einstweiligen Verfügungen nicht bestehen bleiben. Sie sind aufzuheben und die auf ihren Erlass gerichteten Anträge sind zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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