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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 12.12.2001
Aktenzeichen: 7 U 102/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
1. Die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs aufgrund einer unzureichenden Aufklärung über Behandlungsalternativen kann nicht allein daraus hergeleitet werden, dass keine Aufklärung über alternative Methoden der Befunderhebung zur Diagnosestellung im Vorfeld des Eingriffs stattgefunden hat.

2. Bestätigt der als Zeuge vernommene Arzt, dass die dokumentierte Aufklärung des Patienten stattgefunden hat, ist ihm in der Regel zu glauben; eine Vernehmung des Patienten als Partei kommt regelmäßig nicht in Betracht.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Im Namen des Volkes Urteil

7 U 102/00

Verkündet am: 12. Dezember 2001

In Sachen

wegen Schmerzensgeldes

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 2001 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 23. Mai 2000, Az. 4 O 84/87, wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.)

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Der Beklagte haftet als beamteter ärztlicher Direktor des Klinikums der Universität H. (vgl. § 67 UG Baden-Württemberg) von vornherein nicht auf Ersatz des immateriellen Schadens (Schmerzensgeld und Feststellung), weil dem Kläger in dem Universitätsklinikum, das für den Beklagten nach § 831 BGB haftet, ein anderer (möglicher) Schuldner zur Verfügung steht (§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dies gilt auch dann, wenn der bei der Behandlung geschädigte Kläger eine Vereinbarung über getrennt berechenbare ärztliche Leistungen mit dem Beklagten getroffen haben sollte (vgl. BGHZ 120, 376, 380 f.; 95, 63, 67). Da der anspruchstellende Kläger die Voraussetzungen seines Begehrens darlegen muß, genügt es nicht, dass er die Beamtenstellung des Beklagten lediglich bestritten hat; er hätte dartun müssen, dass der Beklagten ausnahmsweise kein Beamter ist und dass keine anderweitige Ersatzmöglichkeit in Betracht kommt (vgl. BGHZ 121, 65, 71).

Hinsichtlich der Haftung für den materiellen Schaden hat das Landgericht zu Recht sowohl Behandlungsfehler des Beklagten (I.) als auch Aufklärungsversäumnisse (II.) verneint.

I. Das Landgericht hat mit zutreffenden Erwägungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (S. 8 - 11 des Urteils) und denen der Senat beitritt, einen Behandlungsfehler des Beklagten verneint. Dagegen wendet sich der Kläger im Berufungsrechtszug lediglich insoweit, als er die Indikation zur Operation in Frage stellt, weil nach seiner Auffassung eine Magnetresonanztomographie (MRT) hätte durchgeführt werden müssen, die die Inoperabilität des Tumors ergeben hätte. Die Notwendigkeit der Vornahme einer Magnetresonanztomographie hat der Sachverständige aber bereits verneint und die präoperative Diagnostik des Beklagten als lege artis bezeichnet (Gutachten vom 11.01.1999, S. 20, I 253). Diese Auffassung hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten vom 08.11.1999 bekräftigt und ausgeführt, Tumore könnten sich in bildgebenden Verfahren (also auch bei einer MRT) in ihrer Ausdehnung anders darstellen als intraoperativ exploriert (dort S. 3, I 315), wobei die Identifizierung eines blutgefäßreichen Tumors für die Operation vordringlich sei und dafür die Magnetresonanztomographie und die Angiographie gleichermaßen gut geeignet seien (Ergänzungsgutachten vom 08.11.1999 S. 4, I 317), sich also eine Überlegenheit der MRT nicht feststellen lässt. Im Gegenteil habe die Angiographie den Vorteil, die zu- und abführenden Blutgefäße eines solchen Tumors darzustellen, was für das Prozedere extrem wichtig sei (Ergänzungsgutachten vom 08.11.1999 S. 4, I 317), wobei eine Angiographie die Lagebeziehung des Tumors zu eben diesen Strukturen aufzeige und dies nicht schlechter, als es eine Magnetresonanztomographie gemacht hätte ("Eine Magnetresonanztomographie hätte hier keinen Vorteil erbracht", Ergänzungsgutachten vom 08.11.1999 S. 4, I 317). Zwar wäre auch nach Auffassung des Sachverständigen die Magnetresonanztomographie eine weitere Untersuchung gewesen, die den Tumor besser beschrieben hätte. Allerdings hätte auch auf diesem Weg die Verbindung des Tumors zum Nervus vagus nicht geklärt werden können (Ergänzungsgutachten vom 08.11.1999 S. 4/5, I 317/319). Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat aufgrund eigener Überzeugungsbildung an. Deren Richtigkeiten wird auch dadurch bestätigt, dass bei dem postoperativ angefertigten Kernspintomogramm vom 25.03.1993 die Strukturen der tumorbegrenzenden Gefäße nicht sicher beurteilbar sind (vgl. Gutachten vom 11.01.1999, I 237). Mit diesen Erwägungen setzt sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung nicht auseinander. Er stellt den Ausführungen des Sachverständigen lediglich die behauptete Notwendigkeit der Durchführung einer Magnetresonanztomographie gegenüber, was angesichts dieser Umstände nicht genügt, um die Würdigung des Sachverständigen in Zweifel zu ziehen. Damit steht fest, dass kein Behandlungsfehler des Beklagten vorliegt, denn die Durchführung einer Magnetresonanztomographie war vor Durchführung der Operation nicht geboten, entsprach also nicht dem medizinischen Standard. Damit ist das Unterlassen auch nicht geeignet, die aufgrund der Durchführung der medizinisch gebotenen Befunderhebungen und Diagnosen gestellte Indikation zur Operation in Frage zu stellen.

Nachdem somit die Durchführung einer Magnetresonanztomographie nicht zu einer dem medizinischen Standard entsprechenden Befunderhebung vor Stellung einer Indikation zur Operation gehörte, kann offen bleiben, welches Ergebnis eine gleichwohl (überobligationsmäßig) durchgeführte Magnetresonanztomographie erbracht hätte. Ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen eines Arztes kann nicht daraus hergeleitet werden, dass er Maßnahmen nicht ergreift, die über den von ihm zu fordernden medizinischen Standard hinausgehen. Nichts anderes ergibt sich aus der vom Kläger angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 06.10.1998, VersR 1999, 60, 61 = NJW 1999, 860, 861), denn in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts war - anders als hier - die Erhebung der Befunde medizinisch geboten, war also zur Wahrung des ärztlichen Standards erforderlich.

Im übrigen greift der Kläger die Erwägungen, mit denen das Landgericht einen Behandlungsfehler verneint, nicht an. Angesichts dieser Umstände ist eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens nicht angezeigt. Die im Zentrum der Berufungsangriffe stehenden Behauptungen wurden bereits erstinstanzlich aufgestellt (vgl. den Schriftsatz vom 03.03.1999, I 271 f.) und vom dem Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten vom 08.11.1999 umfassend beantwortet. Neue Gesichtspunkte zeigt der Kläger nicht auf. Ebenso wenig zeigt der Kläger die Voraussetzungen für eine erneute Begutachtung gem. § 412 ZPO auf, die - wie bereits dargelegt - nicht vorliegen.

II. Aufklärungsversäumnisse liegen weder unter dem Gesichtspunkt der unterlassenen Aufklärung über ein alternatives diagnostisches Vorgehen (1.) noch unter dem Gesichtspunkt einer unzureichenden Aufklärung über das Risiko der eingetretenen Nervenschädigung (2.) vor.

1. Mit seiner Forderung nach Aufklärung über die Alternative der Anfertigung einer Magnetresonanztomographie hat der Kläger aus Rechtsgründen keinen Erfolg. Eine solche Aufklärung war nicht geboten, denn dies war zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Klägers im Rahmen seiner Entscheidung über die Durchführung der Operation nicht angezeigt und vermag diese Operation deshalb nicht rechtswidrig zu machen. Hier ging es gerade nicht darum, dem Patienten die Wahl zu lassen, auf welche alternativ zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten er sich einlassen will (vgl. zu einer Aufklärungsverpflichtung des Arztes unter diesem Gesichtspunkt grundlegend BGHZ 102, 17, 19 ff. = VersR 1988, 179, 180 f.), denn Behandlungsmethode im Sinne dieser Aufklärungsverpflichtung war die Operation selbst und nicht die Art und Weise der im Vorfeld der Operation in Frage kommenden Möglichkeiten der Befunderhebung. Ob die Indikation zur Operation aufgrund ausreichender Diagnostik gestellt wurde, ist eine Frage des Behandlungsfehlers und nicht eine solche der Aufklärung. Eine Aufklärung über Alternativen wäre insoweit allenfalls in der Weise denkbar, als statt der tatsächlich durchgeführten Angiographie eine Magnetresonanztomographie in Betracht gekommen wäre, denn nur diese Maßnahmen der Befunderhebung standen sich im Verhältnis der Alternativität gegenüber. Aufklärungsversäumnisse insoweit würden deshalb allenfalls die Durchführung der Angiographie rechtswidrig machen, sodass der Kläger lediglich die dadurch verursachten Beeinträchtigungen zur Grundlage seines Schadensersatzanspruchs machen könnte, was er aber nicht tut. Die Folgen der Operation könnten dem Beklagten unter diesem Gesichtspunkt nicht angelastet werden. Zudem bestand eine Pflicht zur Aufklärung deshalb nicht, weil nach den Ausführungen des Sachverständigen die Angiographie insgesamt die besseren Erkenntnismöglichkeiten bot und damit die MRT keine gleichwertige Alternative war (vgl. BGH VersR 1988, 179, 180).

2. Der Kläger ist auch ausreichend über eine Verletzung des Nervus vagus aufgeklärt worden. Das Landgericht hat aufgrund der verfahrensfehlerfrei durchgeführten Vernehmung des Zeugen Dr. H. in Verbindung mit der vorliegenden Dokumentation die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger auch über das Risiko einer Stimmbandlähmung aufgeklärt wurde, denn dies ist das in dem Vordruck über die Einwilligung in den ärztlichen Eingriff erwähnte und von dem Zeugen Dr. H. bestätigte Aufklärung über das Risiko einer Schädigung von Nerven und des Eintritts von Heiserkeit. Auch auf diese Erwägungen des Landgerichts (Urteil S. 12 f.) nimmt der Senat zustimmend Bezug. Der Umstand, dass der Zeuge zunächst keine konkrete Erinnerung an das Gespräch mehr hatte (Protokoll S. 1, I 379), stellt den Beweiswert der Aussage des Zeugen, die dieser nach Vorhalt der von ihm selbst ausgefüllten Einwilligungserklärung gemacht hat, nicht in Frage. Angesichts der zwischen dem Aufklärungsgespräch und der Vernehmung verstrichene Zeit ist das Fehlen einer konkreten Erinnerung ohne einen Vorhalt nicht verwunderlich. Die Aussage des Zeugen ist in sich stimmig und nachvollziehbar. Aufgrund der Dokumentation und der Aussage des Zeugen ist auch der Senat davon überzeugt, dass der Kläger in ausreichendem Umfang über das Risiko, dass sich verwirklicht hat, aufgeklärt wurde. Bei der Beweiswürdigung muss berücksichtigt werden, dass an die Führung dieses Beweises keine unbillig scharfen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. BGH, NJW 1984, 1807, 1108 f.). Anlass, den Beklagten als Partei zu vernehmen, bestand nicht. Ein entsprechender Antrag wurde weder in I. Instanz noch im Berufungsrechtszug gestellt. Eine Beweiserhebung durch Vernehmung des Klägers wäre zudem durch § 445 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Im übrigen lägen auch die Voraussetzungen einer Parteivernehmung von Amts wegen (§ 448 ZPO) nicht vor. Eine Anhörung des Klägers zu dieser Frage ist erstinstanzlich im Termin vom 28.03.2000 erfolgt (Vgl. das Protokoll S. 4, I 385). Weiteres war nicht veranlasst.

III. Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Wert der Beschwer des Klägers übersteigt DM 60.000,00 nicht (§ 546 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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