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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 22.06.2005
Aktenzeichen: 7 U 104/04
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 823 Abs. 1 |
Oberlandesgericht Karlsruhe 7. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil
Geschäftsnummer: 7 U 104/04
Verkündet am 22. Juni 2005
In dem Rechtsstreit
wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juni 2005 unter Mitwirkung von
Vors. Richter am Oberlandesgericht Richter am Oberlandesgericht Richter am Oberlandesgericht
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 15.04.2004 - 2 O 390/03 - im Kostenpunkt aufgehoben und im übrigen wie folgt geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Anschlußberufung wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger erlitt am 04.10.2002 gegen 1:00 Uhr morgens einen Unfall, als er mit dem Fahrrad den Schulhof des K.-Gymnasiums in H. überquerte und einen Kellerschacht stürzte, dessen Abdeckung zuvor von Unbefugten entfernt worden war. Er nimmt die beklagte Stadt als Trägerin des Gymnasiums wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch und hat im ersten Rechtszug Schmerzensgeld (vorgestellte Größenordnung: € 8.000,-) und Ersatz materiellen Schadens, den er mit € 2.969,21 bezifferte, sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz künftigen materiellen und immateriellen Schadens verlangt.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von € 3.000,- als Schmerzensgeld und € 923,71 als Ersatz materiellen Schadens nebst Zinsen verurteilt und festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Hälfte der künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall zu ersetzen. Die weitergehende Klage hat das Landgericht abgewiesen. Gegen dieses Urteil, auf das wegen des Sach- und Streitstands im ersten Rechtszug und der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt. Der Kläger hat Anschlußberufung eingelegt und beantragt nunmehr,
a) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 7.847,42 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.10.2003 zu zahlen und
b) festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus den Unfall vom 04.10.2002 auf dem Schulhofgelände des K.-Gymnasiums in H. zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.
Die Beklagte beantragt, die Anschlußberufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, dagegen ist die gleichfalls zulässige Anschlußberufung zurückzuweisen. Die beklagte Stadt war nicht verpflichtet, die Lichtschachtabdeckung durch besondere Vorkehrungen, etwa durch im Beton des Kellerschachtes verankerte Halterungen, gegen ein Abheben durch Unbefugte zu sichern und ist dem Kläger deshalb nicht für den ihm entstandenen Schaden verantwortlich.
1. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen hat jeder, der Gefahrenquellen schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen. Diese Verkehrssicherungspflicht wird freilich nicht schon durch jede bloß theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst. Weil eine jeglichen Schadensfall ausschließende Verkehrssicherung nicht erreichbar ist und auch die berechtigten Verkehrserwartungen nicht auf einen Schutz vor allen nur denkbaren Gefahren ausgerichtet sind, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen des konkreten Falles zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schaden zu bewahren. Die Nichtabwendung einer Gefahr begründet daher eine Haftung des Sicherungspflichtigen nur dann, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, daß Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können. Unter dieser Voraussetzung umfaßt die Pflicht des für ein Grundstück oder Gebäude Verantwortlichen grundsätzlich auch solche Gefährdungen, die sich aus dem vorsätzlichen Eingreifen eines Dritten ergeben (BGH v. 19.12.1989 - VI ZR 182/89, VersR 1990, 498, 499 m.w.N.).
2. Zutreffend nimmt das Landgericht, von diesen Grundsätzen ausgehend, an, daß die Abdeckung eines Lichtschachtes, die - wie hier - nicht schon versehentlich, sondern nur bewußt aus ihrer Ablage gelöst werden kann, nur dann durch besondere Vorkehrungen, etwa durch in der Wand des Kellerschachtes verankerte, von außen nicht zugängliche Befestigungen, gegen ein Abheben gesichert werden muss, wenn aufgrund besonderer Umstände ein solches Abheben durch Unbefugte naheliegt und deshalb für die Rechtsgüter anderer Personen eine konkrete, erhebliche Gefahrenlage besteht und wenn dem Verkehrssicherungspflichtigen eine Beseitigung dieser Gefahrenlage durch zumutbare Maßnahmen möglich ist (BGH a.a.O., BGH v. 16.09.1975 - VI ZR 156/74, VersR 1976, 149).
3. Der Senat teilt jedoch nicht die Auffassung des Landgerichts, daß die beklagte Stadt im Streitfall zu solchen zusätzlichen Maßnahmen zum Schutz gegen ein Abheben des Gitterrostes verpflichtet war. Nach den konkreten Umständen im Streitfall kann vielmehr die Gefahr, daß Unbefugte den Gitterrost abheben, nicht als naheliegend angesehen werden.
a) Von maßgeblicher Bedeutung ist dabei das Gewicht des Gitterrostes, das, wie im Berufungsrechtszug unstreitig wurde, 151 kg beträgt. Das Entfernen eines derart schweren Gitterrostes ist einem Einzelnen von vornherein unmöglich. Selbst zwei erwachsene Männer können einen Rost dieses Gewichts nur mit erheblicher Kraftanstrengung aus dem Rahmen heben und zur Seite schieben. Während der Vater des Klägers das - wenig aussagekräftig - als "machbar" bezeichnet hat, ergibt sich aus der Schilderung des Zeugen S. eindrucksvoll, daß das Gitter von zwei Männern gerade noch bewegt werden konnte. In den oben erwähnten vom BGH entschiedenen Fällen, in denen eine Pflicht angenommen wurde, zusätzliche Sicherungen anzubringen, lag das Gewicht der Abdeckung mit 5,18 kg bzw. 47 kg jeweils ganz erheblich niedriger. Angesichts des hohen Gewichts der Abdeckung kann eine Entfernung durch Unbefugte nicht als "naheliegend" im Sinne der angeführten Rechtsprechung angesehen werden. Die abweichende Auffassung des Klägers, die das Landgericht teilt, führte zu einer übermäßigen Ausweitung der Verkehrssicherungspflicht. Wäre zur Bestimmung von deren Reichweite auf den Mutwillen und die Kräfte auch von Personengruppen abzustellen, müßte dies zu einer erheblichen, dem Sicherungspflichtigen nicht mehr zumutbaren Ausweitung der erforderlichen Abwehr- und Schutzmaßnahmen führen.
b) Auch nach den sonstigen Umständen des Streitfalls mußte die beklagte Stadt ein Abheben der Gitterroste durch Unbefugte nicht als naheliegend ansehen. Das Maß der Sicherungspflicht für Straßen und Wege sowie sonstige öffentlichen Verkehrsflächen bestimmt sich nach Art und Umfang der zu erwartenden Nutzung. Auch wenn es vorkommen mag, daß der Schulhof von Passanten nachts überquert wird, mußte die beklagte Stadt doch nicht annehmen, der Schulhof des K.-Gymnasiums werde zur Nachtzeit in erheblichem Umfang von Fußgängern oder Radfahrern benutzt, zumal der Weg über den - unbeleuchteten - Schulhof gegenüber der Benutzung der - beleuchteten - S.-Straße und der N. keine Abkürzung bietet. Sofern der Schulhof in Einzelfällen als Übernachtungsstätte oder als Treffpunkt von Jugendlichen genutzt wird, führt dies nicht zu einer gesteigerten Verkehrssicherungspflicht der beklagten Stadt, zumal ein Schulhof, wie den betreffenden Personen auch bewußt ist, nicht für eine solche Nutzung bestimmt ist.
c) Hinzu kommt, daß die Stelle, an der sich das Gitter befindet, von der Straße N. her einsehbar ist, so daß Personen, die das Gitter abheben, damit rechnen müssen, beobachtet und an ihrem Tun gehindert zu werden (vgl. hierzu BGH VersR 1990, 498, 499).
4. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte mußte die beklagte Stadt die Möglichkeit, daß das Gitter durch Unbefugte abgehoben und zur Seite geschoben werden würde, nicht als naheliegend ansehen, zumal ein solcher Vorfall, wie unstreitig ist, sich bislang nie ereignet hatte. Die beklagte Stadt hat damit die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt, weshalb die gegen sie gerichtete Klage als unbegründet abzuweisen ist. Zugleich erweist sich damit die Anschlußberufung des Klägers, der das vom Landgericht angenommene Mitverschulden in Abrede stellt, als unbegründet.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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