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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 10.10.2007
Aktenzeichen: 7 U 114/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2306 Abs. 1 S. 2
BGB § 2314
§ 2306 Abs. 1 S. 2 BGB findet auch Anwendung, wenn der pflichtteilsberechtigte Erbe, der zum Alleinerben eingesetzt wurde, die Erbschaft wirksam ausgeschlagen hat.
Oberlandesgericht Karlsruhe 7. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 7 U 114/07

Verkündet am 10. Oktober 2007

In dem Rechtsstreit

wegen Pflichtteil und Pflichtteilsergänzung

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2007 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Richterin am Oberlandesgericht Richter am Oberlandesgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten zu 1 gegen das Teilurteil des Landgerichts Baden-Baden vom 05.04.2007 - 3 O 204/06 - wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte zu 1 trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte zu 1 (im Folgenden: Beklagte) Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche aufgrund des Todes ihres Ehemanns B. geltend. Mit dem Klageantrag Ziff. 2a verlangt die Klägerin von der Beklagten im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft über den Nachlass ihres verstorbenen Ehemannes unter ihrer Hinzuziehung durch Vorlage eines notariellen Bestandsverzeichnisses. Durch das angegriffene Teilurteil, auf das wegen des Sach- und Streitstands im ersten Rechtszug sowie der getroffenen Feststellungen Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage mit der Maßgabe stattgegeben, dass über unentgeltliche und teilunentgeltliche Zuwendungen des Erblassers nur für den Zeitraum von 10 Jahren vor dem Erbfall Auskunft zu erteilen ist mit Ausnahme solcher Schenkungen, bei denen kein Genussverzicht innerhalb der letzten 10 Jahre vor dem Erbfall eingetreten ist. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Klägerin der Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB zustehe, da sie pflichtteilsberechtigt sei. § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB sei auch auf den zum Alleinerben berufenen Pflichtteilsberechtigten anwendbar. Zudem habe die Klägerin nicht durch das Schreiben ihres früheren Bevollmächtigten vom 26.01.2005 auf den Auskunftsanspruch verzichtet.

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Zur Begründung trägt sie vor, dass der Klägerin kein Auskunftsanspruch zustehe. Sie sei nicht pflichtteilsberechtigt, weil sie die Erbschaft ausgeschlagen habe, obwohl sie zur Alleinerbin eingesetzt worden sei. Zudem habe die Klägerin auf einen Auskunftsanspruch verzichtet.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1. Die Berufung ist zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 600,00 EUR (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Nach ständiger Rechtsprechung richtet sich die Beschwer eines Beklagten, der zur Erteilung einer Auskunft verurteilt worden ist, nach seinem Interesse, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Für die Bewertung dieses Abwehrinteresses ist in der Regel der Aufwand an Zeit und Kosten maßgebend, den die Erteilung der Auskunft verursacht (vgl. BGH NJW-RR 2005, 74; BGH NJW 2001, 1284 m.w.N.). Danach ist hier davon auszugehen, dass der Aufwand, der die sorgfältige Erteilung der geschuldeten Auskunft verursachen wird, deutlich über 600,00 EUR liegt. Ob die Kosten für die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses, welche als Kosten dem Nachlass zur Last fallen (§ 2314 Abs. 2 BGB) und damit als Nachlassverbindlichkeiten teilweise auch den Pflichtteilsanspruch der Klägerin mindern, allein die notwendige Beschwer begründen können, kann offen bleiben. Es handelt sich um einen umfangreichen Nachlass mit Immobilien in Deutschland und Spanien. Auch wenn die Klägerin auf das vorläufige Nachlassverzeichnis der Testamentvollstrecker aufbauen kann, fehlen dort doch gerade konkrete Angaben zum Inventar der Anwesen Baden-Baden und auf Teneriffa. Das gleiche gilt für die Museumsgegenstände, wobei im Einzelnen nachvollzogen werden muss, ob Gegenstände, welche sich in dem Museum befinden, unmittelbar von der Beklagten angeschafft oder innerhalb des Zeitraums von 10 Jahren gemäß § 2325 Abs. 3 BGB vom Erblasser der Beklagten geschenkt wurden.

2. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte gemäß § 2314 BGB auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses ihres verstorbenen Ehemannes durch Vorlage eines notariellen Verzeichnisses, bei dessen Aufnahme sie hinzuzuziehen ist.

a) Die Klägerin ist pflichtteilsberechtigt. Nach § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte, wenn der hinterlassene Erbteil größer als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils ist, den Pflichtteil verlangen, wenn er den Erbteil ausschlägt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin ist als Ehegattin des Erblassers nach § 2303 Abs. 2 S. 1 BGB pflichtteilsberechtigt. Sie wurde durch das Testament des Erblassers vom 15.10.2004 zur Alleinerbin eingesetzt und durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung beschränkt sowie durch umfangreiche Vermächtnisse zugunsten der Beklagten beschwert. Durch Erklärung vom 15.12.2004 hat die Klägerin die Erbschaft fristgerecht ausgeschlagen.

Der Senat folgt der ganz herrschenden Meinung, dass § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB auch für den Alleinerben gilt (ebenso: BayObLG, BayObLGZ 1959, 77, 79 = NJW 1959, 1734; Staudinger/Haas, BGB, Bearbeitung 2006, § 2306 Rn. 54; Soergel/Dieckmann, BGB, 13. Auflage, § 2306 Rn. 15; Münchener Kommentar/Lange, BGB, 4. Auflage, § 2306 Rn. 17; Erman/Schlüter, BGB, 11. Auflage, § 2306 Rn. 4; Bamberger/Roth, BGB, Stand 01.04.2006, § 2306 Rn. 20; anderer Ansicht: Palandt/Edenhofer, BGB 66. Auflage, § 2306 Rn. 9).

Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift für diese Meinung. § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB nimmt auf Satz 1 dieser Vorschrift Bezug. Dort ist geregelt, dass bestimmte Beschränkungen und Beschwerungen als nicht angeordnet gelten, wenn dem als Erben berufenen Pflichtteilsberechtigten ein Erbteil hinterlassen wird, der die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht übersteigt. § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB regelt hingegen den Fall, dass der hinterlassene Erbteil größer als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils ist. Dies ist aber auch dann der Fall, wenn der pflichtteilsberechtigte Erbe zum Alleinerben eingesetzt wird.

Auch Sinn und Zweck von § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB sprechen für dieses Verständnis. Dem pflichtteilsberechtigten Erben, dem mehr als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils hinterlassen wird, soll ein Wahlrecht eingeräumt werden, ob er entweder den zugewandten Erbteil einschließlich der Beschränkungen und Beschwerungen annimmt oder ob er die Beschränkungen und Beschwerungen nicht akzeptieren will und stattdessen den Pflichtteil verlangt. Die Situation für den pflichtteilsberechtigten Erben, der mit Beschränkungen und Beschwerungen belastet ist, ist aber nicht unterschiedlich, ob er Alleinerbe ist oder ihm ein Erbteil zugewandt wurde, welches jedenfalls größer als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils ist. Die allein von Palandt/Edenhofer vertretene gegenteilige Ansicht überzeugt schon deshalb nicht, weil sie nicht begründet wird. Unzutreffend ist auch die Bezugnahme auf das Urteil des OLG Stuttgart vom 17.02.1959 (NJW 1959, 1735). Das von der Klägerin in vollständiger Fassung vorgelegte Urteil befasst sich überhaupt nicht mit der Frage, ob einem Alleinerben, der die Erbschaft ausschlägt, das Wahlrecht nach § 2306 Abs.1 S. 2 BGB zusteht.

b) Die Klägerin hat auch nicht auf ihren Auskunftsanspruch aus § 2314 BGB verzichtet. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass aus den Schreiben des Beklagten zu 2 vom 21.01.2005 und des früheren Bevollmächtigten der Klägerin am 26.01.2005 kein endgültiger Verzicht auf eine Auskunft nach § 2314 BGB entnommen werden kann. Die genannten Schreiben befassen sich zunächst nicht generell mit der Auskunftspflicht des Erben, sondern nur damit, ob die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses durch einen Notar erforderlich ist (§ 2314 Abs. 1 S. 3 BGB). Aber auch hierauf hat die Klägerin nicht endgültig verzichtet. Ausweislich des Schreibens des Beklagten zu 2 vom 21.01.2005, also kurz nach der Erbausschlagung durch die Klägerin, hat ihr früherer Bevollmächtigter anlässlich eines Telefonats erklärt, dass eine vorgesehene amtliche Nachlassaufnahme nicht notwendig sei. Dies wurde durch Schreiben vom 26.01.2005 durch den früheren Bevollmächtigten der Klägerin dahingehend bestätigt, dass auf die Erstellung des Nachlassverzeichnisses durch einen Notar kein Wert gelegt werde, da die Schwierigkeiten in der Bewertung der Grundstücke auf Teneriffa und in Baden-Baden gesehen wurden. Aus diesen Formulierungen ergibt sich kein endgültiger Verzicht der Klägerin auf ein notarielles Nachlassverzeichnis, sondern den Schreiben ist zu entnehmen, dass damals keine Notwendigkeit gesehen wurde, ein mit Kosten verbundenes notarielles Verzeichnis zu verlangen, da Bewertungsfragen bei der Abwicklung des Nachlasses im Vordergrund standen. Diese waren nicht geregelt, eine Einigung über die Ansprüche der Klägerin, um die es den verhandelnden Personen gegangen ist, kam nicht zu Stande. Deshalb spricht schon die von der Beklagten nicht widerlegte Vermutung des § 154 Abs. 1 S. 2 BGB gegen eine Teilvereinbarung.

Im Übrigen kann sich die Beklagte auf den angeblichen Verzicht der Klägerin auch deshalb nicht berufen, weil sie sich damit zu ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch setzt (§ 242 BGB). Mit Schreiben vom 12.06.2006 an die früheren Bevollmächtigten der Klägerin hat die Beklagte in Kenntnis des angeblichen Verzichts mitgeteilt, dass sie die Testamentsvollstrecker unmissverständlich aufgefordert hat, unverzüglich die Aufnahme eines amtlichen Nachlassverzeichnisses durch einen Notar unter Hinzuziehung der Klägerin zu veranlassen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 BGB nicht vorliegen. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Frage, ob § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB auch dem Alleinerben ein Wahlrecht gibt, keine grundsätzliche Bedeutung. In Rechtsprechung und Literatur wird die Frage, soweit hierzu begründet Stellung genommen wird, einheitlich beantwortet. Auch zeigt der Umstand, dass in der veröffentlichten Rechtsprechung zuletzt im Beschluss des Bayrischen Oberlandesgerichts vom 06.03.1959 diese Frage angesprochen wurde, dass hier ein seltener Einzelfall vorliegt und damit das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts nicht berührt wird, weil sich die Frage nicht in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellt.

Ende der Entscheidung

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