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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 14.11.2001
Aktenzeichen: 7 U 17/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 852
Kennt der Patient die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs und weiß er, welche Behandlungsmaßnahmen richtigerweise hätten ergriffen werden müssen oder welche zusätzlichen Untersuchungen notwendig waren, verfügt er über die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die Abweichung vom ärztlichen Standard ergibt, auch wenn er die exakte medizinische Bezeichnung dieser Maßnahmen nicht kennt. Ab diesem Zeitpunkt läuft die Verjährungsfrist des § 852 BGB.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Im Namen des Volkes Urteil

7 U 17/01

Verkündet am: 14. November 2001

In Sachen

wegen Schmerzensgeldes

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2001 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 22.12.2000, Az.: 2 O 50/00, wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 2 ZPO abgesehen.)

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass eventuelle Ansprüche der Klägerin aus unerlaubter Handlung verjährt sind und das die Feststellung einer Ersatzpflicht hinsichtlich künftiger materieller Schäden mangels ausreichender Substantiierung nicht in Betracht kommt.

Die Klägerin hatte spätestens Anfang des Jahres 1985 ausreichende Kenntnis aller anspruchsbegründenden Tatsachen, die die Erhebung einer Klage als zumutbar erscheinen lassen, so dass die Verjährungsfrist des § 852 BGB zu diesem Zeitpunkt in Lauf gesetzt wurde. Die Kenntnis der (juristischen bzw. natürlichen) Personen, die als Schädiger in Frage kommen, hatte die Klägerin seit Beginn der Behandlung. Dies stellt sie auch im Berufungsrechtszug nicht in Abrede. Sie kannte darüber hinaus alle wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs aus denen sich für sie - auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei der Klägerin um einen medizinische Laien handelte - ergab, dass die behandelnden Ärzte Maßnahmen nicht getroffen hatten, die nach dem ärztlichen Standard zur Beherrschung der Folgen ihres Sturzes und zur Vermeidung künftiger Komplikationen erforderlich waren (vgl. zu diesem Maßstab BGH, NJW 1995, 776, 777 f.). Mit Zugang des zweiten Rentengutachtens von Dr. S. vom 24.10.1984 (Akten der Berufsgenossenschaft Blatt 309 ff.), das dem Bescheid vom 12.12.1984 als Anlage beigefügt war (vgl. die Akten der Berufsgenossenschaft Blatt 336), war der Klägerin bekannt, dass über die bis dahin bekannt gewordenen Verletzungen hinaus auch ein Bruch des achten Brustwirbelkörpers vorlag und dass auch diese Verletzung auf den Sturz am 14.02.1983 zurückzuführen ist (Vgl. Seite 8 f. des zweiten Rentengutachtens, Akten der Berufsgenossenschaft Blatt 319 f. und I 57),was im übrigen zwischen den Parteien unstreitig ist. Ihr war weiter bekannt, dass diese Fraktur bei den Untersuchungen am Unfalltag nicht entdeckt wurde, obwohl sie über starke Schmerzen im Rücken geklagt hatte (was die Beklagten allerdings bestreiten). Sie wusste weiter, dass den geklagten Rückenbeschwerden erstmals bei der dem Nachschaubericht vom 17.02.1994 zugrunde liegenden Untersuchung nachgegangen wurde (so der Vortrag auf Seite 4 der Klage, I 7). Die Klägerin wusste aufgrund der Untersuchungen durch Dr. S. schließlich, dass bei einer vollständigen und gezielten röntgenologischen Untersuchung der Wirbelsäule, wie sie Dr. S. durchgeführt hat, der Bruch des achten Brustwirbelkörpers festgestellt werden konnte.

Damit war der Klägerin der Behandlungsverlauf klar (keine Untersuchung des Rückens trotz geklagter Rückenschmerzen), sie wusste, dass der Ursache von Rückenschmerzen nachgegangen werden musste (wie in der Untersuchung zum Nachschaubericht vom 17.02.1984 und zu dem zweiten Rentengutachten vom 24.10.1984 geschehen), und sie wusste (aufgrund der Untersuchungen von Dr. S. ), dass durch entsprechende Untersuchungen die Verletzung herausgefunden werden konnte und musste. Damit war der Klägerin auch bei laienhafter Würdigung der medizinischen Vorgänge und Zusammenhänge klar, dass die Beklagten, die am 13.02.1984 diese Untersuchungen nicht durchgeführt hatten, sich nicht so verhalten haben, wie dies geboten gewesen wäre, und damit dem ärztlichen Standard entsprechende Maßnahmen nicht ergriffen hatten. Welche zusätzlichen Kenntnisse noch erforderlich gewesen sein sollen, um den Lauf der Verjährungsfrist gemäß § 852 Abs. 1 BGB in Gang zu setzen, ist weder ersichtlich noch wird dies von der Klägerin ausreichend dargelegt. Inwieweit sich ihr trotz Kenntnis dieser Umstände erst im Jahre 1999 erschlossen haben soll, dass bei Beginn der Behandlung in "kunstfehlerhafter" Weise die Brüche übersehen worden seien, ist deshalb nicht nachvollziehbar. Das Unterlassen einer (nach ihrer Darstellung) medizinisch gebotenen Befunderhebung war ihr - wie dargelegt - bereits bekannt. Die Kenntnis des Begriffs des "Kunstfehlers" und dessen Bedeutung im juristischen Sprachgebrauch ist nicht erforderlich. Auch ist nicht erforderlich, dass die Klägerin gewusst hat, dass ihr eventuell Schadenersatzansprüche zustehen. Dass der Geschädigte bei der - hier gegebenen - Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen und den die ersatzpflichtbegründeten Tatsachen die einen Schadensersatzanspruch begründende Rechtsnorm nicht kennt bzw. den Sachverhalt nicht unter eine solche Norm subsumieren kann, hindert den Beginn der Verjährungsfrist nicht (vgl. BGH, VersR 2001, 381, 382). Ebenso wenig ist erforderlich, dass die Klägerin im Detail wusste, durch welche Art der Röntgenaufnahme die Verletzung des Brustwirbelkörpers festgestellt werden konnte. Der Patient kennt die Abweichung vom ärztlichen Standard bei den Behandlungsmaßnahmen bereits dann, wenn er weiß, dass die Verletzung hätte festgestellt werden können und müssen. Die Kenntnis der medizinisch exakten Beschreibung der Methode der Befunderhebung ist dafür nicht konstitutiv. Um zu wissen, dass etwas unterlassen wurde, muss der Patient nicht zwingend genau wissen, was unterlassen wurde. Deshalb kann auch der Hinweis in der Berufungsbegründung, die Klägerin habe erst 1999 von der Erforderlichkeit einer Seitenaufnahme der Wirbelsäule erfahren, die Kenntnis von Schaden und Schädiger bereits im Jahre 1985 nicht in Frage stellen.

Aus den gleichen Gründen ist der auf das Vorliegen einer unerlaubten Handlung gestützte Anspruch auf Feststellung der künftigen Ersatzpflicht der Beklagten für immaterielle Schäden verjährt. Ebenfalls verjährt sind die Ansprüche auf Erstattung künftiger materieller Schäden, soweit sie sich gegen die Beklagten zu 2 und 3 richten, denn insoweit kommt lediglich eine Haftung aus unerlaubter Handlung in Betracht. Vortrag zu einer vertraglichen Haftung dieser Beklagten fehlt.

Lediglich hinsichtlich der Beklagten zu 1 kommt eine vertragliche Haftung für künftige materielle Schäden in Betracht, die nicht der kurzen Verjährung des § 852 BGB unterliegt. Insoweit fehlt es jedoch an einer ausreichend substantiierten Darlegung der konkreten Möglichkeit, dass materielle Schäden entstanden sind oder noch entstehen werden. Die rein theoretische Möglichkeit genügt nicht. Konkrete Anhaltspunkte dafür hat die Klägerin trotz der Hinweise in der angefochtenen Entscheidung nach wie vor nicht aufgezeigt. Die Klägerin leidet seit dem Jahr 1983 an den Folgen der Behandlungsfehler, die sie den Beklagten zur Last legt. Gleichwohl hat die Klägerin es nicht vermocht, auch nur eine einzige bisher entstandene Schadensposition darzulegen. Auch im Berufungsrechtszug begnügt sie sich mit dem abstrakten Hinweis auf etwaige Arzneimittelzuzahlungen und Fahrtkosten, ohne sich damit auseinander zu setzen, dass nach den vorgelegten Rentengutachten und der darin enthaltenen Würdigung des Beschwerdebildes, soweit es auf eventuelle Behandlungsfehler der Beklagten zurückgeführt werden kann, ein Endzustand erreicht ist. Sie legt nicht dar, dass sie sich derzeit wegen dieser Beeinträchtigungen in ärztlicher Behandlung befindet und dass ihr daraus Kosten entstanden sind oder entstehen könnten. Bereits aus dem Gutachten des Dr. S. vom 11.09.1986 (Akten der Berufsgenossenschaft Blatt 445 f.) ergibt sich, dass mit wesentlichen Befundänderungen nicht zu rechnen war. Die Richtigkeit dieser Einschätzung ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B. vom 07.10.1999 (erstattet im Verfahren der Klägerin gegen die Berufsgenossenschaft vor dem LSG Baden-Württemberg, Akten der Berufsgenossenschaft Blatt 981 ff.), das zum Ergebnis kommt, dass eine objektivierbare Veränderung der Befunde über die Unfallfolgen seit 1984 nicht festzustellen ist (a.a.O. S. 1001). Aufgrund dieser gegenteiligen Äußerungen der Sachverständigen fehlt es - auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass an die Darlegung der Möglichkeit des Entstehens materieller Schäden keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen - an der Wahrscheinlichkeit eines Schadens, was Voraussetzung für den Erfolg des Feststellungsbegehrens ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Wert der Beschwer der Klägerin übersteigt DM 60.000,00 nicht (§ 546 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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