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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 09.03.2005
Aktenzeichen: 7 U 27/04
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 531 Abs. 2 |
Oberlandesgericht Karlsruhe 7. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil
Geschäftsnummer: 7 U 27/04
Verkündet am 09. März 2005
In dem Rechtsstreit
wegen Schmerzensgeld und Feststellung
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 09. Februar 2005 unter Mitwirkung von
Vors. Richter am Oberlandesgericht Richter am Oberlandesgericht Richterin am Oberlandesgericht
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 11. Dezember 2003 - 3 O 274/03 - wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen eines angeblichen Behandlungsfehlers und Unterlassung notwendiger Aufklärung auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch und begehrt die Feststellung, dass er für zukünftige materielle Schäden einzustehen habe. Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtzug sowie der getroffenen Feststellungen Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihr Klagbegehren weiter verfolgt. Der Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die - neuen - Angriffe der Klägerin im Berufungsrechtszug rechtfertigen keine andere Entscheidung. Der Beklagte haftet der Klägerin weder wegen eines Behandlungsfehlers noch wegen einer unvollständigen Aufklärung über Alternativen zu der vorgenommenen Behandlung gem. §§ 823, 847 BGB a.F. oder nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung.
1. Der Umfang der Pflichten des Beklagten richtet sich nach dem Inhalt des Arztvertrages. Die Klägerin kam zum Beklagten, weil sie aufgrund des Druckschmerzes und der Hornhautschwiele beim Laufen unter Schmerzen litt. In einem solchen Fall hat der Arzt die Ursache der Schmerzen zu ermitteln, seine Diagnose mit dem Patienten zu besprechen und dann nach Aufklärung über die Art der geplanten Behandlung, deren Risiken und gegebenenfalls in Betracht kommende Alternativen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.
a) Nach diesen Grundsätzen hatte der Beklagte hier die Ursache der Beschwerden der Klägerin zu ermitteln, die unstreitig darin lag, dass es infolge der operationsbedingten Fehlstellung der Großzehe zu einer Fehlbelastung kam (vgl. Gutachten Prof. Dr. H. S. 4, AM I 11). Zur Beseitigung der Ursache war - ebenfalls unstreitig - die vom Beklagten vorgenommene Abtragung der Hornhautschwiele nicht geeignet. Vielmehr hätte eine Korrektur der Großzehengrundgelenksarthrose oder evtl. auch sekundär eine Interpositionsplastik durchgeführt werden müssen (Gutachten Prof. Dr. H. S. 4 f., AM I 11). Im ersten Rechtszug hat die Klägerin dem Beklagten vorgeworfen, sie nicht darüber aufgeklärt zu haben, dass der von ihm in lokaler Anästhesie vorgenommene Eingriff die Ursache ihrer Beschwerden nicht werde beheben können, sondern lediglich das Symptom, nämlich die Hyperkeratose und den Druckschmerz, vorübergehend beseitige.
b) Diesen Vorwurf hat die Klägerin im zweiten Rechtszug ausdrücklich nicht mehr aufrecht erhalten. Sie hat in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat angegeben, sie lasse sich keinesfalls nochmals operieren, um die Ursache ihrer Beschwerden zu beseitigen. Sie akzeptiere den derzeitigen Zustand. Sie könne zwar jetzt auch nicht normal und lange laufen, bewältige aber, wenn sie regelmäßig die Hornhaut an der Druckstelle entferne, zumindest ausreichende Strecken zu Fuß. Danach hätte sich die Klägerin auch bei Aufklärung über die begrenzte Wirksamkeit der Maßnahme nicht der medizinisch gebotenen Operation unterzogen und kann den Beklagten aus diesem Grunde nicht in Anspruch nehmen. Es kann deshalb dahin stehen, ob - den Vortrag der Klägerin als wahr unterstellt - das Unterlassen einer solchen Aufklärung im Sinne einer therapeutischen Aufklärung (Sicherungsaufklärung) einen Behandlungsfehler darstellen (vgl. dazu BGH NJW 1989, 2320; BGH VersR 1986, 1121; VersR 1991, 308, 309) oder aber die Rechtswidrigkeit des Eingriffs wegen fehlerhafter Aufklärung (Selbstbestimmungsaufklärung) über Behandlungsalternativen begründen würde.
2. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin dem Beklagten erstmals vorgeworfen, sie nicht darüber aufgeklärt zu haben, dass es der von ihm vorgenommenen operativen Entfernung der Hyperkeratose in Lokalanästhesie nicht bedürfe, sondern ein einfaches Behandeln der Hornhautschwiele mit einer Hornhautraspel, wie sie es jetzt regelmäßig durchführe, ausreiche, um die Symptome zumindest soweit zu lindern, dass sie die im täglichen Leben erforderlichen Strecken zu Fuß bewältigen könne.
a) Dieser Vortrag geht den schriftsätzlichen Erklärungen vor, weil die Klägerin selbst nunmehr klarstellt, was sie dem Beklagten vorwirft (§ 286 ZPO, Thomas Putzo, 26. Auf., § 78 Rn. 7). Er ist neu i. S. d. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO und nicht zu berücksichtigen.
Angriffs- und Verteidigungsmittel sind alle zur Begründung des Sachantrages oder zur Verteidigung dagegen vorgebrachten tatsächlichen und rechtlichen Behauptungen, Einwendungen, Bestreiten, Einreden und Beweisanträge. Neu sind Angriffs- und Verteidigungsmittel, wenn sie nicht schon in erster Instanz vorgebracht sind. Dies ist hier bei dem erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgebrachten Vortrag der Fall. Bis zu diesem Zeitpunkt ging der Vorwurf gegen den Beklagten allein dahin, dass er eine Behandlung vorgenommen habe, die nicht geeignet war, die Ursache der Beschwerden zu beseitigen, ohne darauf hinzuweisen. Die Behandlungsalternative, auf die die Klägerin hingewiesen werden wollte, war also die Operation des Zehengrundgelenks. Demgegenüber macht sie nun erstmals geltend, auf diesen Hinweis keinen Wert zu legen, weil sie sich ohnehin nicht hätte operieren lassen. Der Beklagte hätte sie aber darauf hinweisen müssen, es sei überhaupt keine Maßnahme notwendig, weil sie durch einfache fußpflegerische Maßnahmen zuhause die gleiche Wirkung erzielen könne.
Dies ist ein vollkommen neuer Angriff, ohne dass gem. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO dargetan ist, warum die Klägerin ihn nicht bereits im ersten Rechtszug vorgebracht hat. Auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Arzthaftungsprozesses, in dem nur maßvolle Anforderung an die Substantiierungspflicht der Partei gestellt werden dürfen (vgl. nur BGH, Urteil vom 08.06.2004 - VI ZR 199/03 - BGH-Report 2004, 1378, 1380; NJW 2004, 2825, 2827), sind keine Gründe ersichtlich, warum die Klägerin ihr Begehren nicht im ersten Rechtszug dargetan hat. Es geht hier zunächst nicht um eine medizinische Frage, sondern darum, einen vollständig neuen Aspekt im Behandlungsverlauf zur Überprüfung des Gerichts zu stellen (vgl. BGH a. a. O., S. 2826). Es ist auch einer medizinisch nicht gebildeten Partei zuzumuten, dem Gericht im ersten Rechtszug darzulegen, was sie dem Arzt vorwirft und auf welche Behandlungsalternativen sie hingewiesen werden müssen.
b) Selbst wenn das neue Vorbringen gem. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zuzulassen wäre, ist es jedenfalls verspätet gem. §§ 296 Abs. 1, 530 ZPO und aus diesem Grunde zurückzuweisen. § 530 ZPO ist auch dann anzuwenden, wenn die Voraussetzungen für die Zurückweisung des Vorbringens nach § 531 ZPO nicht gegeben sind (Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl. § 530 Rn. 4).
Die Voraussetzungen des § 530 ZPO liegen vor. Der neu erhobene Vorwurf der Klägerin wurde nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist gem. § 520 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 4 BGB erhoben. Er ist daher i. S. d. § 530 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht. Die Klägerin hat die Verspätung dieses Vortrags nicht genügend entschuldigt und seine Zulassung würde nach der freien Überzeugung des Senats die Erledigung des Rechtsstreits verzögern, § 296 Abs. 1 ZPO. Nachdem die Klägerin ihren ursprünglich erhobenen Vorwurf gegen den Beklagten fallen gelassen und erklärt hat, eine Operation nicht habe durchführen zu wollen, ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif. Bei Berücksichtigung des neuen Vorbringens wäre dagegen eine Entscheidung in der Sache nicht möglich. Da der Beklagte behauptet, die von ihm vorgenommene Maßnahme sei als Symptombekämpfung erforderlich gewesen, müsste durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens - ggf. von Amts wegen - die Frage geklärt werden, ob im damaligen Zeitpunkt aufgrund des festgestellten Befundes (ein offener Ulkus mit einer ringförmig ausgebildeten Hyperkeratose) die Klägerin ohne weitere ärztliche Behandlung durch eine fußpflegerische Maßnahme, deren Durchführung eine Fußpflegerin allerdings zuvor abgelehnt hatte, die Schmerzen hätte beseitigen können. Ausführungen zu dieser Frage sind bisher weder im Parteivortrag selbst noch in dem als Parteivortrag geltenden von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten des Prof. Dr. H. enthalten. Die diesbezüglichen Feststellungen müsste der Senat neu treffen. Es liegt daher eine Verzögerung i. S. d. § 296 Abs. 1 ZPO vor. Der Vortrag wäre daher, wenn er - wie nicht - nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zuzulassen wäre, jedenfalls wegen Verspätung zurückzuweisen.
III.
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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