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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 13.07.2005
Aktenzeichen: 7 U 73/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
1. Die Verkehrssicherungspflicht gebietet keine Maßnahmen, die jede denkbare Gefährdung ausschließen. Vielmehr darf der Verkehrssicherungspflichtige darauf vertrauen, dass naheliegende und offensichtliche Gefahren vom Benutzer einer Kinderschiffschaukel vermieden werden.

2. Angesichts der regelmäßig vorhandenen Vertrautheit von Kinder mit den Gefahren des Schaukelns darf der Betreiber eines speziell auf Kinder ausgerichteten Fahrgeschäfts sich darauf verlassen, dass ein Kind, das ohne Begleitung durch Erwachsene die Schiffschaukel benutzen will, die Erlaubnis seiner Eltern hat und deshalb über die erforderliche Gewandtheit, Reife und Einsichtsfähigkeit verfügt, um dies gefahrlos tun zu können.


Oberlandesgericht Karlsruhe 7. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 7 U 73/04

Verkündet am 13. Juli 2005

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2005 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Richter am Oberlandesgericht Richterin am Oberlandesgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 17.02.2004 - 2 O 333/03 - wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren aus dem ersten Rechtszug weiterverfolgt, hat keinen Erfolg. Das landgerichtliche Urteil, auf das wegen des Sach- und Streitstands im ersten Rechtszug und der getroffenen Feststellungen verwiesen wird, weist weder Rechtsfehler auf noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO):

I. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei die Verletzung von Hinweis- und Instruktionspflichten, die für den Unfall der Klägerin ursächlich hätten werden können, verneint.

1. Dass die Mitarbeiter der Beklagten es versäumt hätten, die Klägerin auf die Notwendigkeit des Festhaltens hinzuweisen, ist angesichts der einander widersprechenden Angaben der Zeugen L. und L. nicht bewiesen. Dies geht zu Lasten der für die Pflichtverletzung beweisbelasteten Klägerin. Welche sonstigen Hinweise auf "das ordnungsgemäße Verhalten innerhalb der Schiffschaukel" nach Auffassung der Klägerin erforderlich gewesen sein sollen, bleibt unklar, dazu äußert sich die Berufungsbegründung nicht. Insoweit kommt allenfalls ein Hinweis, während des Schaukelns sitzen zu bleiben, in Betracht. Diesen Hinweis hat die Klägerin aber durch die ausdrückliche Aufforderung der Zeugin L. , sich wieder hinzusetzen, erhalten, sie hat ihn jedoch missachtet. Ob die Klägerin eine solche Aufforderung durch Mitarbeiter der Beklagten beachtet hätte, bleibt spekulativ.

2. Eine gesonderte bildliche Darstellung des "ordnungsgemäßen" Verhaltens innerhalb der Schiffschaukel war aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht nicht geboten. Auch insoweit bleibt nach dem Vortrag der Klägerin unklar, was an Hinweisen zu fordern sein soll. Die Gefahren des Schaukelns, nämlich der Verlust des Gleichgewichts, liegen auch für ein zum Unfallzeitpunkt fast vier Jahre altes Kind auf der Hand, denn gerade Kinder in diesem Alter sind mit Schaukeln erfahrungsgemäß ausreichend vertraut. Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14.03.1995 (NJW 1995, 2631) ergibt sich nichts anderes. Diese Entscheidung bestätigt vielmehr die hier vertretene Rechtsauffassung. Der von der Klägerin verlangte schriftliche Hinweis (Schriftsatz v. 07.07.2004, S. 2, II 53) wäre gegenüber der leseunkundigen Klägerin sinnlos.

II. Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, die Benutzung der Kinderschiffschaukel durch die Klägerin zu verhindern. Im Hinblick auf das gerade speziell auf Kinder ausgerichtete Fahrgeschäft durfte der Zeuge L. darauf vertrauen, dass die unbeaufsichtigte Klägerin, die ohne Begleitung durch Erwachsene die Schiffschaukel benutzen wollte, die Erlaubnis ihrer Eltern hat und deshalb über die erforderliche Gewandtheit, Reife und Einsichtsfähigkeit verfügte, um dies gefahrlos tun zu können (vgl. BGH MDR 1977, 483 = VersR 1977, 334, 335). Dies gilt insbesondere deshalb, weil das Schaukeln gerade für Kinder im Alter der Klägerin eine typische Beschäftigung darstellt, sodass ohne weiteres erwartet werden konnte, dass sie mit den sich daraus ergebenden Gefahren hinreichend vertraut ist.

III. Die Beklagte war schließlich auch nicht verpflichtet, sicher zu stellen, dass die Klägerin ständig beobachtet und überwacht wird. Dies würde angesichts der kindgerechten Ausgestaltung des Fahrgeschäfts und der vorauszusetzenden Vertrautheit der Kinder mit den Bewegungen und Gefahren beim Schaukeln eine Überspannung der Verkehrssicherungspflicht darstellen.

Außerdem steht nicht fest, dass eine ständige Beobachtung der Klägerin ein Abbremsen der Schiffschaukel vor dem Sturz der Klägerin ermöglicht hätte. Diese Schlussfolgerung der Klägerin findet in den Zeugenaussagen keine ausreichende Stütze, aus diesen ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass zwischen dem Aufstehen der Klägerin und dem Sturz ausreichend Zeit für ein Abbremsen gewesen wäre. Die Zeugin L. hat angegeben, die Klägerin sei aufgestanden, habe dann das Gleichgewicht verloren und sei nach hinten runter gekippt (Protokoll vom 27.01.2004, I 99), was auf ein unmittelbar ineinander greifendes Geschehen ohne Pause hindeutet. Auch der Zeuge K. hat angegeben, alles sei sehr schnell gegangen (I 105). Nach der Aussage der Zeugin V. L. hat die Klägerin beim "Anschucken" das Gleichgewicht verloren und ist rückwärts runter gefallen (I 109). Aufgrund dieser Zeugenaussagen kann nicht mit der für die Überzeugungsbildung erforderlichen Gewissheit (§ 286 ZPO) davon ausgegangen werden, dass der Zeitraum zwischen dem Aufstehen und dem Sturz ausreichend gewesen wäre, die Schaukel abzubremsen, zumal das Abbremsen wegen der damit verbundenen Sturzgefahr nicht ruckartig hätte erfolgen dürfen. Auf neue und nach § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigende Beweismittel beruft sich die Klägerin nicht.

IV. Anhaltspunkte dafür, dass die Kinderschiffschaukel der Beklagten nicht den Vorgaben der Verwaltungsvorschrift de Wirtschaftsministeriums über Ausführungsgenehmigungen für fliegende Bauten und deren Gebrauchsabnahmen (FlBauVwV) vom 10.09.1998 (GAbl. 1998,. 629 ff.) entsprochen hätte, sind weder von der Klägerin ausreichend dargelegt noch ersichtlich. Die Vorgaben für die Sicherheit von Schaukeln ergeben sich aus den Nr. 4.1.5 ff., wobei die besonderen Anforderungen für Kinderschaukeln Nr. 4.1.5.3 zu entnehmen sind. Nr. 4.1.1.2 betrifft den Luftraum oberhalb des Fahrzeugbodens und nicht den Abstand des Fahrzeugbodens zum Untergrund. Zusätzliche bauliche Maßnahmen, wie die Anbringung eines Netzes, werden nicht verlangt und sind entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht erforderlich. Bei einer bestimmungsgemäßen Nutzung einer Schiffschaukel unter Berücksichtigung der davon ausgehenden Gefahren ist ein Sturz so wenig wahrscheinlich, dass nach den maßgebenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs besondere Sicherungsmaßnahmen nicht notwendig sind und auch nicht erwartet werden. Die Verkehrssicherungspflicht gebietet keine Maßnahmen, die jede denkbare Gefährdung ausschließen. Vielmehr darf der Verkehrssicherungspflichtige darauf vertrauen, dass naheliegende und offensichtliche Gefahren vom Benutzer einer Kinderschiffschaukel vermieden werden.

Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, da Zulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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