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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 12.06.2001
Aktenzeichen: 7 W 17/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, StPO


Vorschriften:

BGB § 203
BGB § 852
BGB § 204
ZPO § 233 a.F.
StPO § 405
Ein psychischer Ausnahmezustand, der es unmöglich macht, sich sachgemäß für oder gegen die Durchsetzung eines Anspruchs zu entscheiden und die Durchsetzung zu betreiben, kann als höhere Gewalt im Sinne des § 203 BGB anzusehen sein und deshalb den Lauf der Verjährungsfrist des § 852 BGB hemmen.
7 W 17/01

OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

Karlsruhe, 12.06.2001

wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld

BESCHLUSS

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Landgerichts Mosbach vom 17.04.2001 - 1 0 40/01 - geändert.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwalt P. für eine Klage auf Ersatz immateriellen Schadens in der Größenordnung von 60.000,00 DM sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht materiellen und weiteren immateriellen Schadens bewilligt.

Raten sind nicht zu zahlen.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe hat Erfolg. Nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand kann nicht davon ausgegangen werden, die Ansprüche der Antragstellerin auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens deshalb, weil der Antragsgegner die 1973 geborene Antragstellerin von 1981-1987 vielfach sexuell missbraucht und ihr schwere psychische bzw. psychogenetische Schäden zugefügt hat, seien verjährt. Es hat deshalb die beabsichtigte Klage im Grundsatz Aussicht auf Erfolg.

Es ist zwar - wie das Landgericht ausführt - richtig, dass eine Hemmung der Verjährung nach § 204 BGB (sollte diese Vorschrift im Verhältnis zum Stiefvater, dem Antragsgegner, überhaupt anwendbar sein; vgl. OLG Hamm, MdR 2000, 832) jedenfalls mit der Volljährigkeit der Antragstellerin geendet hat. Unabhängig davon hat die Verjährungsfrist des § 852 BGB an sich spätestens mit diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen, weil die Antragstellerin die dort vorausgesetzte Kenntnis hatte und nichts dafür vorgetragen noch ersichtlich ist, ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin hätte vor diesem Zeitpunkt Kenntnis gehabt (vgl. BGH VersR 1989, 914; Senatsbeschluß vom 30.07.1999 - 7 W 18/99). Auch trifft das von der Antragstellerin in den Vordergrund der Beschwerde gerückte Argument, die grundsätzliche Rechtsfrage der "Verjährungssymmetrie" gebiete eine andere Beurteilung, in dieser Allgemeinheit nicht zu. Die Antragstellerin meint, die Erhebung der Verjährungseinrede könne die Durchsetzung des Anspruchs nicht hindern, wenn der Geschädigte eben wegen der Folgen der Tat an der Verwirklichung seiner Rechte gehindert sei. § 852 BGB lässt aber die Verjährungseinrede auch bei vorsätzlicher unerlaubter Handlung (wie hier) zu. Der Geschädigte kann eine solche Einrede deshalb nur abwehren, wenn sie treuwidrig erhoben wäre (was hier angesichts des Umstandes, dass die Antragstellerin seit 1991 volljährig ist, nicht gesagt werden kann) oder wenn die Antragstellerin ausnahmsweise durch höhere Gewalt an der Durchsetzung des Anspruchs gehindert ist.

Dies allerdings kann nicht mit einer die Versagung von Prozesskostenhilfe rechtfertigenden Sicherheit angenommen werden. Die Antragstellerin stellt unter Sachverständigenbeweis, dass sie infolge der (unstreitig) an ihr verübten Taten psychisch außerstande gewesen sei, die eigenen Rechte zu verfolgen (As. 31, 35 f). Es ist anerkannt, dass ein psychischer Ausnahmezustand bzw. ein Zustand schwerwiegender seelischer Belastung einen unabwendbaren Zufall i.S.d. § 233 ZPO a.F. darstellen kann (BGH VersR 1985, 393 m.N.; BGH NJW RR 1994, 957; BGH VersR 1984, 988) und dass höhere Gewalt i.S.d. § 203 BGB unter denselben Voraussetzungen anzunehmen ist wie der unabwendbare Zufall i.S.d. § 233 ZPO a.F. (BGH NJW 1997, 3164; Sorgel/Niedenführ, BGB, 13. Aufl., § 203 Rdnr. 3). Sollte sich also herausstellen, dass die Antragstellerin in einem solchen Ausnahmezustand infolge psychischer Not- bzw. Zwangslage war, der es ihr gänzlich unmöglich gemacht hat, sich sachgemäß für oder gegen die Durchsetzung ihrer Ansprüche zu entscheiden bzw. ihre Ansprüche zu verfolgen, so wäre für die Dauer dieses Zustandes die Verjährung gehemmt und der entsprechende Zeitraum der 3-jährigen Frist des § 852 BGB hinzuzurechnen (§ 205 BGB). Dabei ist auch von Bedeutung, dass die Antragstellerin eine etwa noch laufende Verjährung durch den Adhäsionsantrag im Strafverfahren unterbrochen hat (§ 404 Abs. 2 StPO; § 209 Abs. 1 BGB), dass die Unterbrechung bis zum - unstreitig erfolgten - Absehen von einer Entscheidung nach § 405 StPO dauert (§ 211 BGB) und dass danach die 3-jährige Frist des § 852 BGB erneut zu laufen begonnen hat (OLG Karlsruhe OLGR 2000, 236; OLG Hamburg MdR 1988, 1054).

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin rechtfertigen die dargestellten Beeinträchtigungen indes keine Schmerzensgeldrente. Angesichts der erheblichen - vom Antragsgegner nicht bestrittenen - Folgen und der rund 6 Jahre andauernden qualvollen Situation mit immer wiederkehrenden Vergewaltigungen, in der der Antragsgegner seine Stieftochter gebracht hat, ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 60.000,00 DM allerdings angemessen. Daß darüber hinaus weitere materiellen und immateriellen Schäden wahrscheinlich sind, liegt auf der Hand.

Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Ende der Entscheidung

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